Anja Besand: Monitor politische Bildung an beruflichen Schulen
Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 25.11.2014

Anja Besand: Monitor politische Bildung an beruflichen Schulen. Probleme und Perspektiven. Wochenschau Verlag (Frankfurt am Main) 2014. 236 Seiten. ISBN 978-3-89974-962-5. D: 22,80 EUR, A: 23,50 EUR, CH: 32,90 sFr.
Berufsschulen sind hochattraktive Orte für politische Bildung
Diese Feststellung bedarf der Erklärung und Ergänzung, aber auch der Einschränkung; denn obwohl in allen Lehrplänen der berufsbildenden Schulen politische Bildung als (Pflicht-)Lehrfach verankert ist, wird in der Öffentlichkeit wie in den konkreten Bildungseinrichtungen dem Lehrauftrag viel zu wenig Aufmerksamkeit und Bedeutsamkeit zugemessen. Das ist erstaunlich aus mehreren Gründen: Zum einen besuchen alljährlich mehr als 2,5 Millionen Schülerinnen und Schüler Berufsschulen der unterschiedlichsten Art (was bedeutet, dass diese Schulform mehr Schülerinnen und Schüler besuchen als in allen anderen weiterführenden Schulen). Zum anderen verfügen die (meist volljährigen) Schülerinnen und Schüler über Berufs- und Lebenserfahrungen, die geradezu nach kompetenzorientiertem Lernen und lebensweltlicher Bildung verlangen. Woran also kann es liegen, dass in der Theorie und Praxis der Berufsschulen Politische Bildung eher Anhängsel denn Präferenz bedeutet?
Entstehungshintergrund und Autorin
Gefördert von der Robert-Bosch-Stiftung wurde an der Technischen Universität Dresden in den Jahren 2012 – 2014 das Forschungsprojekt „Analyse und Entwicklung politischer Bildung im Bereich der beruflichen Bildung“ durchgeführt. Mit der Pilotstudie sollten „die zentralen Chancen, Probleme und Bedarfe des Bildungsbereichs erhoben und damit Ansatzpunkte für eine positive Einflussnahme entwickelt werden“. Diese Bestandsaufnahme soll dann die Grundlage sein, um in einer weiterführenden, kooperativen Phase konkrete curriculare, didaktische und methodische Empfehlungen und Handlungsanweisungen zu entwickeln. Die Dresdner Didaktikerin für Politische Bildung, Anja Besand, zeichnet für die Studie verantwortlich. Dabei hebt sie besonders die Mitarbeit von Theoretikern und Praktikern hervor, ohne deren Engagement und Kooperationsbereitschaft diese Studie nicht entstanden wäre.
Aufbau und Inhalt
Die Studie wird in fünf Schritten konzipiert: Im ersten Schritt wird der Forschungs- und Erkenntnisstand zur Thematik aufgezeigt; im zweiten wird über das Forschungskonzept und über die methodische Vorgehensweise informiert; im dritten (Haupt-)Teil wird der Ist-Stand der Bedeutung und Situation der politischen Bildung in der Berufsschule ermittelt; im vierten kommen in der Problemanalyse die Bildungsbeteiligten selbst zu Wort und vermitteln Rückmeldungen über die Bildungssituation; und im fünften Schritt werden die in der Analyse erkennbaren positiven Entwicklungen ausgewiesen und Perspektiven für Veränderungsprozesse aufgezeigt.
Wie bereits erwähnt, zeigen sich bei der Ermittlung des Forschungsstandes zum Bereich der politischen Bildung in den Berufsschulen „notorisch vernachlässigte( ) Fragestellungen (in) der deutschen bildungspolitischen und bildungswissenschaftlichen Diskussion“. Die Gründe dafür, wie auch die Nachschau nach der Diskrepanz über diese erstaunlichen Theorie- und Praxisdefizite einerseits, und der Tatsache, dass im curricularen Diskurs die Notwendigkeit für politische Bildung in der Berufsschule in keinem Fall in Frage gestellt wird, werden vom Autorenteam erst einmal historisch befragt, mit Georg Kerschensteiner natürlich; aber auch als Auseinandersetzung mit den sehr heterogenen, Fach-, Sach- und personellen Strukturen, die die offizielle berufliche Bildung prägen. So wird unterschieden in Bildungsformen des Dualen Systems, des Schulberufssystems und des Übergangssystems, denen wiederum vielfältige, verschiedene Bildungsangebote zugeordnet sind.
Bei der Analyse „Zur Situation politischer Bildung an berufsbildenden Schulen“ besteht zuerst einmal ein Klärungsbedarf zum immanent im pädagogischen und erziehungswissenschaftlichen Diskurs vorhandenem Spannungsverhältnis von allgemeiner und beruflicher Bildung. Diese Unterscheidung lässt sich nur verstehen, wenn ein Blick in die historische, neuhumanistische Entwicklung getan wird. Die Trennung vollzog sich etwa durch das Humboldtsche Diktum von der „unreinen Bildung“ des Menschen, wenn beide Bildungsbereiche miteinander vermischt werden. Die Studie versucht nun, diese unterschiedlichen, qualitativen und quantitativen Wertungen, etwa im Sinne Kerschensteiners, zu überwinden. An zahlreichen Praxisbeispielen beruflicher Bildung verdeutlicht die Autorin den Zusammenhang und beweist ihn durch eine Lehrplananalyse, einen Überblick über die Lehrmittelsituation, der Ausbildungssituation an den Hochschulen, wie auch der Auseinandersetzung mit den Bedingungen und Möglichkeiten in der zweiten Phase der Lehrerausbildung und den Fort- und Weiterbildungsangeboten für Lehrerinnen und Lehrer an Berufsschulen.
Die Analysen über die Einstellungen, Erfahrungen und konkreten Unterrichtstätigkeiten von Lehrkräften, die politische Bildung vermitteln, von FachleiterInnen, SeminarleiterInnen, SchülerInnen, verdeutlichen drei wesentliche Aspekte, die bei der Betrachtung (und Veränderung) der Situation der politischen Bildung an Berufsschulen bedeutsam sind: Da ist zum einen die Auffassung, dass die Berufsschule die letztmögliche Gelegenheit sei, junge Menschen für politische Bildung zu erreichen; zum anderen wird die Chance gesehen, dass in der Berufsschule mit politischer Bildung eine Verbindung zwischen lebensweltlicher und beruflicher Bildung hergestellt werden kann; schließlich betrachten die Lehrkräfte die in der Berufsschulbildung angewandten, didaktischen, curricularen und methodischen Möglichkeiten des kompetenzorientierten Unterrichts als Grundlage für politische Bildung. Besonders diese Aspekte werden im vierten Kapitel ausführlich diskutiert und mit zahlreichen Beispielen unterlegt. Die hier vorgestellten Quellenmaterialien, als Erfahrungsberichte, Erfolgs- und Scheiternsaussagen, Perspektiven- und Wunschvorstellungen, bieten ohne Zweifel für Aus- und Fortbildungszwecke wertvolle Hinweise und Anregungen.
Auch wenn die Studie, nicht zuletzt wegen der zeitlich begrenzten Möglichkeiten, keine endgültigen Ergebnisse und damit auch keine Handlungsanweisungen für politische Bildung in der Berufsschule präsentieren kann, stellt die Autorin im fünften Kapitel doch „Ansatzpunkte“ zur Diskussion, wie „möglichst nachhaltige( ) Verbesserung der Lage und Bedingungen politischer Bildung im beruflichen Bildungsbereich“ möglich werden könnten. Sie legt den Überlegungen fünf Fragen zugrunde:
- Welche Probleme lassen sich bearbeiten, und in welcher Form könnte das geschehen?
- Welche Chancen ergeben sich?
- Welche Ressourcen sind dazu nötig?
- Wie realistisch ist der Ansatz?
- Wer sind die relevanten Akteure?
Fazit
Die (Pilot- und Evaluations-)Studie „Politische Bildung an beruflichen Schulen“ versteht sich als ein Blickrichter auf Fragestellungen, die bisher in der Theorie und Praxis der (schulischen) Berufsbildung eher vernachlässigt wurden. Die Bestandsaufnahme über die Situation des Fachbereichs Politische Bildung / Gemeinschaftskunde / Wirtschafts- und Sozialkunde… wird von der Dresdner Autorin Anja Besand und ihrem Team mit einer historischen Reflexion eingeleitet und empirisch-qualitativ an konkreten Aspekten thematisiert. In dieser Spannweite von theoretischem Aufweis und praktischer Nachschau zeigen sich dadurch erhebliche Probleme, aber auch hochattraktive Möglichkeiten, wie in der beruflichen Bildung sowohl der allgemeinbildende, als auch der fachspezifische Lehrauftrag in das curriculare, didaktische und methodische Lernen eingebunden werden können. Die interessanten Ergebnisse des Forschungsprojektes werden von der Autorin in gut lesbarer und nachvollziehbarer Weise dargestellt. Wichtige Frageaspekte und Phänomene werden jeweils in besonders markierte Kästchen gesetzt; das macht die Veröffentlichung nicht nur zu einem Informations-, sondern auch zu einem Lehrbuch. Es sollte in der Lehreraus-, -fortbildung und in den Berufsschulen, etwa im Rahmen der schulinternen Lehrerbildung, eingesetzt werden!
Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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