Nina Baur, Jörg Blasius: Handbuch "Rechtlicher Diskriminierungsschutz"
Rezensiert von Prof.Dr. Dagmar Oberlies, 02.06.2015

Nina Baur, Jörg Blasius: Handbuch "Rechtlicher Diskriminierungsschutz". Nomos Verlagsgesellschaft (Baden-Baden) 2014. 266 Seiten. ISBN 978-3-8487-1811-5. 49,00 EUR.
Thema
Zum rechtlichen Diskriminierungsschutz sind seit Erlass des Allgemeinen Gleichbehandlungs-gesetzes (AGG) im Jahr 2006 eine Reihe von Büchern erschienen. Dieses nun ist von der Anti-diskriminierungsstelle des Bundes herausgegeben und dort kostenlos zu beziehen. Es will Jurist_innen, Berater_innen und Betroffenen erklären, wie und wo Gesetze gegen Diskriminierung helfen können (Vorwort der Leiterin der ADS, Christine Lüders).
Autorinnen und Autor
An dem Band haben eine Reihe (einschlägig bekannter) Juristinnen – Sabine Berghahn, Sandra Lewalter, Doris Liebscher, Ulrike Spangenberg, Maria Wersig – und ein Jurist (Alexander Klose) mitgeschrieben, die alle im Schnittpunkt von Recht, Forschung und Politikberatung tätig sind.
Aufbau
Der Band gliedert sich in fünf Kapitel:
- Anwendungsbereiche und Rechtsgrundlagen,
- Diskriminierung,
- Rechtsschutzmöglichkeiten nach dem AGG
- Rechtsschutzmöglichkeiten nach anderen Gesetzen und schließlich
- einen Anhang mit Formblättern und Mustertexten.
Im Vorwort erklärt die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle wie dabei vorgegangen wurde:
- Welches Gesetz bietet Schutz?
- Welche Ansprüche bestehen?
- Wie können diese durchgesetzt werden?
- Welche Institutionen, Organisationen und Verbände unterstützen Betroffene?
Inhalt
Im Einleitungskapitel (I.) wird eine Übersicht über Anwendungsbereiche und Rechtsgrundlagen des Diskriminierungsschutzes im internationalen (1.1), supranationalen (1.2) und nationalen Recht (1.3) sowie unterschieden nach Rechtsgrundlagen innerhalb und außerhalb des AGG (1.5 und 1.6) gegeben. Diese Unterscheidung zwischen dem Allgemeinen Geleichbehandlungsgesetz (AGG) und anderen Rechtsbereichen wird auch in den folgenden Kapiteln beibehalten, die sich mit dem Begriff der Diskriminierung (II.), sowie Ansprüchen und Rechtsschutzmöglichkeiten (III. und IV.) befassen. Am Ende des Bandes befindet sich ein Anhang mit fünfzehn, sehr hilfreichen Formblättern und Mustertexten (V.).
Ausgangspunkt der Erörterungen sind die vielfältigen internationalen Konventionen. Dies entspricht einem juristischen Top-Down-Zugang, da die internationalen Konventionen, sofern sie von einem Staat ratifiziert wurden, das nationale Recht beeinflussen. Für Betroffene würden sie dagegen – wegen des Zwangs zur Ausschöpfung des Rechtsweges – erst am Ende eines Bottom-Up Vorgehens stehen. Danach wendet sich der Band dem – jeweils unmittelbar geltenden – Europa-, Bundes- und Landesrecht zu und erläutert die jeweiligen Regelungszuständigkeiten im Bereich des Diskriminierungsschutzes. Bereits in diesem Übersichtskapitel wird kurz in die Konzeption und den Anwendungsbereich des AGG eingeführt.
Das AGG steht dann im Zentrum der weiteren Erörterungen, wiewohl zu betonen ist, dass das Buch erfreulicherweise auch auf den Diskriminierungsschutz im Sozialrecht (4.2) und, umfänglich, auf den ‚Schutz‘ durch strafrechtliche Regelungen (4.4) eingeht.
Zur Darstellung des AGG wird gleich eingangs ein Prüfschema eingeführt (S. 37) und in der Folge wiederholt angewandt: Anwendungsbereich – Benachteiligung – (keine) sachliche Rechtfertigung und in einem zweiten Schritt: Ermitteln der Rechtsfolgen und Durchsetzung von Rechtsansprüchen. Entlang dieser Prüfschritte wird der Diskriminierungsschutz im Hinblick auf die einzelnen Diskriminierungskategorien – rassistische Diskriminierung, Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Lebensalters oder der sexuellen Identität – dargestellt und jeweils Rechtsfolgen und Durchsetzungsmöglichkeiten erörtert. Illustriert wird die Darstellung durch Beispiele, auch aus der neueren Rechtsprechung, die in grauen Kästchen optisch hervorgehoben werden. Bei alledem werden die wichtigsten und gleichzeitig sehr verschiedenen Problembereiche des Antidiskriminierungsrechts angesprochen: diskriminierende Auswahl bei Stellenbesetzungen, Entgelt(un)gleichheit, Schutz vor Kündigung, diskriminierende Vereins- und Verbandsausschlüsse, Probleme rund um Miet- und Versicherungsverhältnisse, Altersgrenzen und Altersstaffelungen u.v.a.m.
In einem Anhang werden schließlich Mustertexte und Checklisten für die praktische Umsetzung zur Verfügung gestellt, darunter Vorlagen für das Anfertigen von Gedächtnisprotokollen und zum Erfassen von Mobbing-Handlungen, Muster- und Dienstaufsichtsbeschwerden, Schreiben zur Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen, Musterbeschwerden beim Presserat und Strafanzeigen.
Diskussion
Das Buch hat den Aufbau eines gut gegliederten Lehrbuches: Es ersetzt zwar keinen juristischen Kommentar – und will dies m.E. auch nicht –, kommt aber beratenden Fachkräften durch seine Praxisnähe sehr entgegen. Aus deren Perspektive wäre vielleicht noch wünschenswert gewesen, dass sich in den Kapiteln III. und IV. typische Problemfelder, in denen sich Diskriminierungen ereignen wie Miet- oder Versicherungsverhältnisse, z.B. über das Inhalts- oder das Stichwortverzeichnis leichter erschließen ließen. Ob auch der Anspruch – aus dem Vorwort – eingelöst werden kann, Betroffenen eine unmittelbare Handreichung zu sein, erscheint aber fraglich: Anspruch und Aufbau des Bandes setzen wohl doch einige Grundkenntnisse des Rechts wie Unterschiede zwischen Rechtsgebieten – vor allem Zivil-, öffentliches und Strafrecht – voraus. Betroffenen wird wohl weiterhin das Gespräch mit einer Fachkraft (die das Handbuch zur Hand hat) anzuraten sein.
Fazit
Das vorliegende Buch ist im Hinblick auf seine Aktualität und gute Lesbarkeit, seinen unmittelbaren Gebrauchswert und seine (kostenlose) Verfügbarkeit über die Antidiskriminierungsstelle des Bundes für Soziale Fachkräfte, die in der Antidiskriminierungsberatung arbeiten, oder sich einfach nur informieren wollen, unbedingt zu empfehlen. Die rechtsgebietsübergreifende Darstellung entspricht der Breite der Problemstellungen ebenso wie dem Handlungsspektrum der Sozialen Arbeit. Die Einarbeitung und Darstellung der Rechtsprechungskasuistik ist nicht nur illustrativ, sondern im besten Sonne Weg weisend.
Rezension von
Prof.Dr. Dagmar Oberlies
Frankfurt University of Applied Sciences, Fachbereich ‚Soziale Arbeit und Gesundheit‘
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