Tanja Baar: Die Gruppe KEKS (Aktionistische Kunstpädagogik)
Rezensiert von Christina Müller, 18.05.2016

Tanja Baar: Die Gruppe KEKS. Aufbrüche der Aktionistischen Kunstpädagogik. kopaed verlagsgmbh (München) 2015. 279 Seiten. ISBN 978-3-86736-139-2. 19,80 EUR.
Entstehungshintergrund
Die Publikation „Die Gruppe KEKS – Aufbrüche der Aktionistischen Kunstpädagogik“ stellt eine wissenschaftliche Qualifikationsschrift dar, die 2014 an der Ludwig-Maximilians-Universität München angenommen und 2015 in der von Johannes Kirschenmann (Akademie der Bildenden Künste München), Maria Peters (Universität Bremen) und Frank Schulz (Universität Leipzig) herausgegebenen Reihe „Kontext Kunstpädagogik“ im kopaed-Verlag München publiziert wurde.
Autorin
Die Autorin Tanja Baar ist Kunstpädagogin und arbeitete in unterschiedlichen Bereichen der Kunst- und Kulturvermittlung. Sie war u.a. an der Konzeption und Realisierung der Ausstellung ‚KunstwerkStadt. Urbanes Leben durch Interaktion, Intervention und Irritation‘, die 2011 in München von Wolfgang Zacharias resp. dem Verein ‚Pädagogische Aktion/SPIELkultur e. V.‘ initiiert und zusammen mit dem Kulturreferat und dem Jugendkulturwerk durchgeführt wurde, beteiligt (vgl. Baar 2015: 97).
Thema
Die Arbeit versteht sich als rekonstruktive Analyse, welche die Gruppe KEKS als zeitgeschichtliches Phänomen des gesellschaftlichen Umbruchs um 1968 ins Zentrum rückt. In Nürnberg und München initiierte diese lockere Gruppierung von Kunstpädagog*innen, Künstler*innen sowie Hochschullehrer*innen von 1969 bis 1972 im Umfeld der Studentenbewegung zahlreiche Aktionen im öffentlichen Raum. Mit der Aufmerksamkeit, die sie hierdurch erzeugten, waren die Forderung einer Revision des Kunstunterrichts sowie eine weitergehende generelle Neuverhandlung des schulischen Lehrens und Lernens verbunden.
Aufbau
Die Publikation gliedert sich in insgesamt sechs Abschnitte.
Während die ersten drei Kapitel des Buches das theoretische Fundament konstituieren, wird im vierten und fünften Kapitel die Ergebnisdarstellung der qualitativen Studie entfaltet. Anschließend knüpft Tanja Baar mit dem Kapitel sechs wiederum an die einführenden Darstellungen an und unternimmt sodann den Versuch einer resümierenden Kontextualisierung der Ergebnisse.
Inhalt
Wie die Autorin im ersten Abschnitt „Zur Einführung“ darlegt, vernachlässigen retrospektive Analysen bislang die „kunstpädagogische Praxis, welche Theorie(n) einzulösen suchte“ (ebd.: 11) durch die ausschließliche Fokussierung der theoretischen Debatte. Erklärtes Ziel von Baar ist daher, sowohl die Aktivitäten als auch die theoretischen Hintergründe der aktionistischen Kunstpädagogik, die im Fachdiskurs mit der Gruppe KEKS assoziiert werden, einer systematischen Analyse zu unterziehen. Mit der qualitativen Rekonstruktion ist somit ein Beitrag zur „Schärfung des Phänomens KEKS“ (ebd.: 12) intendiert.
Im skizzenhaften historischen Rückblick des zweiten Kapitels werden einleitend zunächst in Anlehnung an insbes. Georg Peez (2008) und Wolfgang Legler (2011) als Referenzautoren ausgewählte kunstpädagogische Positionen vom frühen 20. Jahrhundert bis in die 1960er Jahre aufgezeigt. Nachfolgend arbeitet Baar jene Thematisierungszusammenhänge heraus, die Ende der 1960er resp. Anfang der 1970er Jahre neue Positionierungen im kunstpädagogischen Diskurs hervorbrachten und verortet sodann die Gruppierung innerhalb der zeithistorisch-kunstpädagogischen Gesamtsituation.
Im dritten Kapitel entfaltet sich der aktuelle Forschungsstand zu KEKS. Baar unterzieht zunächst die Rezeption und Bewertung des Phänomens in zentralen Schriftstücken der Kunst- und Kulturpädagogik einer Betrachtung. Im Anschluss daran widmet sie sich der Selbstverortung und Kontextualisierung ehemaliger Protagonist*innen. Nach der Explikation des Forschungsinteresses sowie der forschungsleitenden Fragen werden die verwendeten historischen Quellen und die methodische Zugangsweise dargelegt. Die Experteninterviews wurden demnach in Anlehnung an Jochen Gläser und Grit Laudel (2009) leitfadengestützt geführt und eine Übersicht bildet die Themengebiete des Leitfadens ab (vgl. Baar: 112 f.). Zudem werden in einer kommentierten Übersicht die recherchierten Protagonist*innen aufgelistet (vgl. ebd.: 106 ff.).
Das vierte Kapitel „‚Prinzip KEKS‘ und ‚Prinzip Aktion‘ – Annäherungen und Rekonstruktionen“ widmet sich der Genese und Entwicklung der Gruppierung. Aus den Ergebnissen der Literaturanalyse wird die Auswahl der Projekte, die im nachfolgenden Kapitel einer umfassenden Betrachtung unterzogen werden, abgeleitet. Im Zentrum stehen hierbei das KEKS-Themenheft der BDK-Mitteilungen (1971) sowie die Publikation „Manyfold Paedaction“ (1970). Im Rahmen der Analyse wird dargelegt, dass die Gruppierung KEKS sich aus verschiedenen Arbeitskreisen zusammensetzte und sich daher keine einheitliche Position herausarbeiten lässt. Im Zwischenstand formuliert Baar: „[…] KEKS wird als freier Impuls, als freie Initiative zur Initiierung und Realisierung von Veränderungen mittels ‚Aktion‘ definiert, mit dem Ziel zur Einflussnahme auf Bildungspolitik, Schule und Gesellschaft. Aktion als Terminus und Format avantgardistisch-zeitgenössischer Kunst, wie ihn KEKS adaptieren, meint neben dem politischen Aspekt immer auch Irritation, die Imagination neuer Denk- und Handlungsmöglichkeiten. Dies liegt quasi als Folie über der kunstpädagogischen Praxis von KEKS mit Kindern und Jugendlichen – in der ‚Aktion‘, gekoppelt an die gesellschaftliche Wirklichkeit, ist die Erfahrung von Veränderung und Veränderbarkeit wesentlich“ (ebd. 2015: 129; Herv. i. O.).
Mit „Die aktionistische Praxis – Dokumentation“ folgt der Kern der Arbeit im fünften Kapitel. Die Ergebnisse der Interviews zusammenfassend, werden die Erinnerungen der ‚Kerngruppe‘ dargestellt. Einleitend werden hierzu zunächst das Akademiestudium sowie das Referendariat, Unterrichtsexperimente und erste theoretische Positionierungen einer subjektiven Reflexion unterzogen. Im Anschluss daran rekonstruiert Baar Aktionen, die nicht in erster Linie die pädagogische Arbeit mit Kindern und Jugendlichen fokussierten, sondern vielmehr die Aufmerksamkeit der Kultur- und Bildungspolitik intendierten. Sie skizziert die ‚Frans Hals-Aktion‘ (1969), in der die kritische Haltung gegenüber dem traditionellen Kunstbegriff exemplarisch zum Vorschein kommt und geht weitergehend auf die ‚Flugblattaktion: Kinderspielplatz‘ (1970) ein. Es wird aufgezeigt, dass Spielräume für Kinder zu einem wichtigen Thema der Gruppierung avancierten. Darüber hinaus stellt Baar weitere Projekte, die mit Fotografien ergänzt werden, vor. Sie gliedert die Darstellung, indem sie zunächst auf außerschulische Aktionen, bspw. das ‚Projekt Möhlstraße‘ (1968/69) oder die ‚KEKS-Aktionswochen‘ in München und Nürnberg (1969) und nachfolgend auf die aktionistische Praxis im Kontext der Schule eingeht. Diese veranschaulicht sie anhand exemplarischer Aktionen von Hans Mayrhofer, Richard Penn, Michael Popp und Wolfger Pöhlmann. Es folgt die Beschreibung des Prinzips ‚Aktionsraums‘ im Kontext von Kunstausstellungen, wie der 35. Biennale in Venedig (1970). Kongress- und Tagungsbeiträge von KEKS-Protagonist*innen werden zudem einer reflektierenden Analyse unterworfen. Das Kapitel abschließend arbeitet Baar die ‚Spielaktion Johannisplatz‘ in München (1971) als Wendepunkt resp. „Wechsel des Bezugssystems“ (ebd.: 243) heraus. Sie zeigt auf, wie sich aus den Ideen der zunächst auf Schule hin ausgerichteten Gruppierung in München die kommunal finanzierte sowie außerschulische Spiel- und Kulturpädagogik der ‚Pädagogische Aktion‘, die sich seit 1974 als eingetragener Verein und freier Träger im Feld der der kulturellen Kinder- und Jugendarbeit positioniert, entwickelte.
Im „Schlusswort“ (sechstes Kapitel) werden die zentralen Ergebnisse der Studie zusammengefasst und einer resümierenden Betrachtung unterzogen. Auf ihre Forschungsfrage zurückgreifend konstatiert Baar, dass die Heterogenität resp. der Collage-Charakter für die Gruppierung ein zentrales Charakteristikum darstellt. Baar arbeitet zudem heraus, dass die ‚Aktionistische Kunstpädagogik‘ in der schulischen Kunstpädagogik keine Weiterentwicklung erfahren hat, sondern vielmehr „in einem sich neu formierenden außerschulischen Feld aufging, welches durch soziokulturelle und sozialräumliche Kontexte definiert ist“ (ebd.: 252). Weitergehend zeigt sie auf, dass auf lokaler Ebene seitens der Nürnberger Protagonist*innen die Bedeutung des Schul- und Kulturreferenten Hermann Glaser als theoretischer Impulsgeber und Förderer der Aktionen hervorgehoben wird. Eine kritische Reflexion inbes. hinsichtlich der kunstanalogen Inszenierung rundet die Publikation ab.
Diskussion
Mit der Studie trägt Baar zur historischen Rekonstruktion des Phänomen KEKS bei. Durch den historischen Rückblick werden Einblicke in die damaligen Aktionen und Debatten generiert. Auch für die heutigen Diskussionen können die reflektierenden Selbstnarrationen und Positionierungen der Akteur*innen, deren Bedeutsamkeit sich bis heute entfaltet, durchaus aufschlussreich sein (vgl. Fuchs 2011; Zacharias 2012; Zacharias 2015). Auch wenn die Beleuchtung und Rekonstruktion eines in der Vergangenheit liegenden Phänomens im Mittelpunkt der Arbeit steht, wäre eine Einordnung der Studie in die aktuellen Debatten wünschenswert gewesen. Im Kontext der Analyse werden zwar bildungs-, schul- und kulturpolitische Dimensionen angerissen, jedoch bleibt deren explizite Thematisierung und theoretische Einbettung aus. Die offenen und aus dieser Arbeit neu entstehenden Fragen können somit als Impuls für weitergehende systematische Suchbewegungen gelesen werden.
Fazit
Trotz aller in der Diskussion angebrachten kritischen Einwände, handelt es sich bei der Publikation „Die Gruppierung KEKS – Aufbrüche der Aktionistischen Kunstpädagogik“ insgesamt um eine lesenswerte Publikation. Hervorzuheben ist, dass die Rekonstruktion der einzelnen Aktionen Einblicke in historisches Material ermöglicht, das auf der Seite des kopaed-Verlags weitergehend digital zur Verfügung gestellt wird.
Literatur
- Fuchs, M. (2011): Kulturelle Bildung. In: Otto, H.-U./Thiersch, H. (Hrsg.): Handbuch Soziale Arbeit. München und Basel: Ernst Reinhardt Verlag.
- Gläser, J./Laudel, G. (2009): Experteninterviews und qualitative Inhaltsanalyse als Instrument rekonstruierender Untersuchungen. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
- Legler, W. (2011): Einführung in die Geschichte des Zeichen- und Kunstunterrichts von der Renaissance bis zum Ende des 20. Jahrhunderts. Oberhausen: Athena.
- Peez, G. (2008): Einführung in die Kunstpädagogik. Stuttgart: W. Kohlhammer.
- Zacharias, W. (2012): Welche Räume braucht das Ästhetische Lernen? Über KEKSE und Zeitgeister, Zukünfte und Herkünfte. In: Heil, G./Kolb, G./Meyer, T. (Hrsg.): Shift. München: Kopaed.
- Zacharias, W. (2015): Zur Entstehung und Begründung der neuen Kulturpädagogik. In: Braun, T./Fuchs, M./Zacharias, W. (Hrsg.): Theorien der Kulturpädagogik. Weinheim und Basel: Beltz Juventa.
Rezension von
Christina Müller
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