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Lisa Günthner: Boreout statt Burnout

Rezensiert von Dr. Günther Vedder, Dipl.-Päd. Ella Korinth, 09.12.2014

Cover Lisa Günthner: Boreout statt Burnout ISBN 978-3-95850-583-4

Lisa Günthner: Boreout statt Burnout. Eine psychische Erkrankung ausgelöst durch Langeweile, Unterforderung und Desinteresse am Arbeitsplatz. Diplomica Verlag (Hamburg) 2014. 120 Seiten. ISBN 978-3-95850-583-4. 44,99 EUR.

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Thema

Zentrales Thema des Buches ist der Boreout, ein von Philippe Rothlin und Peter R. Werder im Jahr 2007 eingeführter Gegenbegriff zum Burnout. Obwohl der Status des „Syndroms“ völlig unklar ist, wird es hier durchgehend als eine psychische Erkrankung interpretiert. Es handelt sich um eine der ersten quantitativen Erhebungen zum Thema Boreout in Deutschland.

Autorin und Entstehungshintergrund

Die Autorin Lisa Günthner absolvierte nach einen dualen Bachelor-Studium in Zusammenarbeit mit der Robert Bosch GmbH ein Master-Studium im Fach Wirtschaftspädagogik an der Goethe Universität Frankfurt am Main. Der vorliegende Band ist die Publikation ihrer Masterarbeit im Fach Wirtschaftspädagogik (76 Seiten + 30 Seiten Anhang).

Aufbau und Inhalt

Im ersten Kapitel des Bandes Problemstellung geht die Autorin auf die Entwicklung psychischer Erkrankungen in Deutschland ein. Depressionen, Angstzustände usw. stellen inzwischen den zweithäufigsten Grund für Krankheitstage von Erwerbspersonen dar. Lisa Günthner weist auf die Querverbindungen und Unterschiede zwischen Boreout und Burnout hin. Die Unterforderung am Arbeitsplatz soll, so die Ergebnisse mehrerer Befragungen, vor allem bei jüngeren Beschäftigten auftreten. Darauf wird in der folgenden quantitativen Erhebung zum Boreout ein besonderer Schwerpunkt gelegt.

Das zweite Kapitel Das Boreout-Syndrom bezieht sich überwiegend auf die Ausführungen von Rothlin/Werder zum Thema. Die Autorin stellt zunächst deren drei zentralen Boreout-Elemente Unterforderung, Langeweile und Desinteresse vor. Anschließend beschreibt sie die Entwicklung des Boreout und grenzt das Syndrom gegenüber der inneren Kündigung ab. Es wird erläutert, welche Strategien die betroffenen Personen im Umgang mit dem Problem wählen und wie es zu dem Boreout-Paradox kommt. Ausführungen zur Arbeitszufriedenheit, zum qualitativen Lohn, zu Betroffenen und deren Symptomen runden das Kapitel ab.

Kapitel 3 Studie geht auf mehr als 40 Seiten sehr ausführlich auf die Planung, Durchführung und Auswertung der eigenen Erhebung ein. Lisa Günthner hat einen großen methodischen Aufwand betrieben, um für die Konstrukte von Rothlin/Werder geeignete Indikatoren und Fragestellungen zu entwickeln. Sie geht bei der Fragebogenkonstruktion und -erprobung nahezu idealtypisch nach dem Methodenlehrbuch vor. Ihr Erhebungsinstrument mit letztendlich 32 Fragen wurde von 47 Beschäftigten eines Großunternehmens (Verwaltung; darunter 15 Auszubildende) sowie 15 Gesundheits- und Krankenpfleger/-innen ausgefüllt. Folgende vier Hypothesen werden überprüft:

  1. Das Boreout-Syndrom existiert.
  2. Das Boreout-Syndrom existiert nicht in Berufen, in denen die Arbeit unmittelbar anfällt und die Beschäftigten zu sofortigem Handeln gezwungen sind.
  3. Junge Menschen bis 29 Jahre sind stärker gefährdet an einem Boreout-Syndrom zu erkranken als Personen ab 30.
  4. Auszubildende sind stärker gefährdet an einem Boreout-Syndrom zu erkranken, als andere Angestellte.

Die Existenz des Boreout-Syndroms macht die Autorin an dem Auftreten der zehn Konstrukte von Rothlin/Werder (Unterforderung, Lustlosigkeit, Langeweile…) fest.

  • Werden acht bis zehn der Punkte bejaht, so liegt das Syndrom definitiv vor;
  • bei fünf bis sieben Nennungen liegt es eher vor; bei drei bis vier Nennungen liegt es eher nicht vor und bei null bis zwei Nennungen nicht vor.

Über diese Operationalisierung kann man inhaltlich durchaus streiten, allerdings bietet sie einen ersten Anhaltspunkt zum Vorhandensein des Boreout-Syndroms. Letztendlich fallen drei von 62 Fällen (ca. 5%) unter die Rubrik Boreout liegt vor und neun von 62 Fällen (ca. 14,5%) unter Boreout liegt eher vor. Unter den Beschäftigten im Krankenhaus gibt es hingegen keine Boreout-Fälle, was die Formulierung von Hypothese 2 bestätigt. Die Hypothesen 3 + 4 werden nach ausführlichen statistischen Analysen inhaltlich abgelehnt. Lisa Günthner gibt allerdings selbst zu bedenken, dass es sich hier um eine relativ kleine Stichprobe handelt.

Das vierte Kapitel Schlussfolgerung, Ausblick und praktische Implikationen ist leider nur zwei Seiten lang. Die Autorin stellt fest: „Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass das Boreout-Syndrom existiert und somit durchaus weitere Forschung gerechtfertigt wäre.“ (S.76)

Sehr interessant sind hingegen das umfangreiche Literaturverzeichnis und der Anhang, in dem sich neben dem Erhebungsinstrument auch diverse statistische Dokumentationen wiederfinden.

Diskussion

Lisa Günthner hat sich mit dem Boreout ein sehr spannendes und aktuelles Thema für ihre Masterarbeit vorgenommen. Es ist davon auszugehen, dass mehrere Millionen Berufstätige in Deutschland mit einer Unterforderung am Arbeitsplatz konfrontiert sind, die von den Stress-Belastungen her mit den Folgen von Burnout vergleichbar ist. Die Autorin hat die Definitionen und Ausführungen von Philippe Rothlin und Peter R. Werder aus deren grundlegendem Boreout-Band von 2007 wörtlich genommen und für eine Fragebogenerhebung nutzbar gemacht. Sie geht dabei konzeptionell sehr aufwendig vor, um vorgegebene Konstrukte wie Langeweile, fehlender Sinn oder verschiedenen Strategien um Umgang mit Boreout zu operationalisieren. Der so entstandene Fragebogen kommt in zwei Organisationen zum Einsatz und wird von insgesamt 62 Personen ausgefüllt. Es ist sehr interessant, das Antwortverhalten der Bürobeschäftigten, Auszubildenden sowie Krankenpfleger/-innen nachzuvollziehen. Die Autorin nimmt eine umfangreiche statistische Analyse der Befunde vor, um die Existenz des Boreout-Syndroms zu belegen.

Die Probleme des Vorgehens von Lisa Günthner liegen ohne Zweifel in der Wahl ihrer thematischen Grundlage. Rothlin/Werder haben das Boreout-Syndrom im Jahr 2007 sehr normativ-deskriptiv eingeführt, ohne eine klare Definition und Abgrenzung der zentralen Begrifflichkeiten vorzunehmen. Die Autorin hinterfragt deren Ausführungen kaum, sondern ergänzt sie im Kapitel Das Boreout-Syndrom um wissenschaftliche Befunde, die (scheinbar) zu den Behauptungen passen. So ist immer wieder vom Boreout als einer psychischen Erkrankung die Rede, ohne die Voraussetzungen für ein solches Label zu diskutieren. Von einer Masterarbeit hätte man sich ein kritischeres Herangehen an die Thematik sowie umfangreichere Schlussfolgerungen aus den erhobenen und analysierten Daten gewünscht (das letzte Kapitel ist viel zu kurz).

Fazit

Lisa Günthner hat mit dem Buch „Boreout statt Burnout“ einen interessanten Versuch vorgelegt, das Boreout-Syndrom in einem Fragebogen zu erfassen und quantitativ zu analysieren. Wir empfehlen es allen Personen, die zu dem Thema forschen und sich vor allem für die Herausforderungen einer sauberen empirischen Vorgehensweise in diesem Bereich interessieren.

Rezension von
Dr. Günther Vedder
Institut für interdisziplinäre Arbeitswissenschaft der Leibniz Universität Hannover
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Dipl.-Päd. Ella Korinth
Institut für interdisziplinäre Arbeitswissenschaft der Leibniz Universität Hannover
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Zitiervorschlag
Günther Vedder, Ella Korinth. Rezension vom 09.12.2014 zu: Lisa Günthner: Boreout statt Burnout. Eine psychische Erkrankung ausgelöst durch Langeweile, Unterforderung und Desinteresse am Arbeitsplatz. Diplomica Verlag (Hamburg) 2014. ISBN 978-3-95850-583-4. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/17879.php, Datum des Zugriffs 13.01.2025.


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