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Lothar Böhnisch: Männliche Sozialisation

Rezensiert von Dipl. Soz.-Päd. Gregor Prüfer, 21.12.2004

Cover Lothar Böhnisch: Männliche Sozialisation ISBN 978-3-7799-1372-6

Lothar Böhnisch: Männliche Sozialisation. Eine Einführung. Juventa Verlag (Weinheim) 2004. 279 Seiten. ISBN 978-3-7799-1372-6. 18,00 EUR. CH: 31,90 sFr.
Reihe: Geschlechterforschung.

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Thema

Dieses Buch ist die umfassende Beleuchtung von Phänomenen und Zusammenhängen in den verschiedenen Abschnitten der Sozialisation von Jungen und Männern in der heutigen Gesellschaft im uns vertrauten mitteleuropäischen Raum.

Hintergrund/Entstehung/Vorgeschichte

Die Idee des Buches basiert auf der bekannten These von der Problemhaftigkeit gelebten Mannseins innerhalb der gesellschaftlichen Normen und den Entwicklungschancen durch verantwortungsbewußte Einflußnahme bzw. Veränderungswillen. Es ist das Ziel des Verfassers, durch genaue Analyse ein neues Fundament zu schaffen, von dem aus Diskussionen, Stellungnahmen und erreichbare Perspektiven gebildet werden können.

Das Buch baut auf die vormalige Veröffentlichung von Böhnisch & Winter (Böhnisch, L. & Winter R., Männliche Sozialisation - Bewältigungsprobleme männlicher Geschlechtsidentität im Lebenslauf. München: Juventa 1993) auf und berücksichtigt sowohl die gesellschaftlichen Veränderungen der letzten 11 Jahre, als auch die Entwicklung im theoretischen Diskurs. Es hebt sich damit deutlich von der einstigen Veröffentlichung ab und setzt zeitgemäß an dem zu beleuchtenden Sachverhalt an.

Aufbau/Inhalt/Gliederung

Absicht des Autors ist es, die Mehrschichtigkeit der männlichen Sozialisation aufzuzeigen. Aus der Perspektive der persönlichen Handlungsfähigkeit deckt er die Doppelbödigkeit einer zunehmenden Nivellierung der Geschlechter (einer oberflächlich gesehenen Auflösung klar erkennbarer Rolleninhalte) und einer neuen zunächst vom Individuum unhinterfragten Produktion von Geschlecht / Männlichkeit durch Konsum und Haltung im ökonomischen Gebilde der heutigen Gesellschaft auf.

  • Im ersten Teil des Buches zeigt der Autor den gegenwärtigen Genderdiskurs in Bezug auf Mannsein. Neben dem historischen Abriß bietet Lothar Böhnisch hier einen gründlichen Exkurs in Ansätze und Begriffe wie "Hegemoniale Männlichkeit", "Habituskonzept" und "Externalisierung" bzw. "Entgrenzung der Männlichkeit". Dabei finden die Ideen und Ausführungen von Connell, Foucault, Bourdieu, Baumgart, Meuser, Gruen und Forrester besondere Berücksichtigung.
  • Im zweiten Teil des Buches geht es um die Bedeutung der Sozialisation von Jungen und Männern in Hinsicht auf die Bewältigungsperspektive. Persönliche Handlungsfähigkeit durch die Integration männlicher Inhalte hat sich in seiner Ausformung geändert. Dem altbekannten Gesicht von Sozialisation als bewußten oder zumindest klar verortbaren Prozess (Sozialisation I) setzt der Verfasser eine subtilere und unterschwellige Funktion des geschlechtstypischen Konsums und der damit einverleibten Geschlechtsrolleninhalte oder -verstärkungen (Sozialisation II) entgegen.
  • Im dritten Teil wendet sich Lothar Böhnisch der Lebensbewältigung von Jungen und jungen Männern in der Phase des Aufwachsens zu. Eine Annäherung geschieht über die Analyse der Psycho- und Soziodynamik des Kindes- und Jugendalters, über ein Strukturmodell und über die Betrachtung der Tiefendimension des Mannwerdens. Ebenso werden die Beziehungen zu Müttern, Mädchen und Frauen, zu den an- oder abwesenden Vätern und zu den Gleichaltrigen einer Untersuchung unterzogen. Ebenso erfahren die Orte und Institutionen der Jungenerziehung, nämlich Familie, Kindergarten, Schule und Berufsausbildung, genaue Betrachtung. Drei Bereiche werden dabei besonders herausgestellt: das Homosexualitätstabu, Männlichkeit und Migration und schließlich der männliche Rechtsextremismus.
  • Der vierte Teil beschäftigt sich mit dem Mannsein im Erwachsenen- und Erwerbsalter. Hier geht es um die Entgrenzung dieses Altersabschnitts, um die besondere Chance, die das junge Erwachsenenalter bietet, um den neuen Arbeitstyp und die damit verbundenen Verdeckungszusammenhänge, um Formierungen von Männlichkeit und Mannsein in der Konsumgesellschaft und um heterosexuelle Partnersozialisation. Außerdem wird die Situation von Männern im Spiegel von Bedürftigkeit, Gewalt und Sorge genauer beleuchtet, ebenso wie soziale Ungleichheit und der Strukturwandel im Alter. Außerdem wird in diesem Teil auch die "männliche" Pornografie unter die Lupe genommen.
  • Das Buch endet mit einer Aussicht auf die Zukunft des Mannes und die Verantwortung und die moralische Notwendigkeit eines sozialpolitisch reflexiven Sozialisationsdiskurses.

Zielgruppen

Das Buch wendet sich an alle die sich mit der Theorie der Geschlechterforschung beschäftigen und ebenso an PraktikerInnen mit Transferwillen.

Das Buch von Lothar Böhnisch bietet einen gründlichen und aktuellen Einblick in alle genannten Bereiche männlicher Sozialisation. Es verbindet gleichzeitig alle genannten Segmente in einem größeren Kontext, nämlich den eines Konzeptes von Männlichkeit, das zwischen Bedürftigkeit und Machtausübung, zwischen Hilflosigkeit und Handlungsfähigkeit, zwischen Geschlechternivellierung und maskuliner Aufforderung anzusiedeln ist.

Die Gründlichkeit und die Dichte der Gedankengänge in diesem Text bedienen auf der einen Seite das Interesse der LeserInnen, fordern aber auf der anderen Seite einiges an Disziplin beim Leser / bei der Leserin. Der Aktuelle Stand und die umsichtige Verbindung aller herangezogenen Betrachtungsweisen machen das Buch besonders wertvoll. (In dem umfangreichen Quellenverzeichnis sind allein 70 Nennungen aus dem Jahr 2000 oder jünger.)

Fazit

Das Buch von Lothar Böhnisch bietet eine umfassende Orientierung in den gegenwärtigen Diskussionsstand um die männliche Sozialisation. Es bleibt dabei nicht in der Aufzählung der verschiedenen Erklärungsansätze stecken. Hier werden eigene weitreichende Folgerungen aufgezeigt und weiterentwickelt. Damit leistet dieser Text einen wichtigen Beitrag zur jeweils eigenen Positionierung und liefert Boden für weiteren Diskurs.

Dem Aufforderungscharakter des Textes folgend, würde man sich an mancher Stelle mehr direkte Handlungsrelevanz, z.B. in Bezug auf die Sozialarbeit, wünschen. Als Einstiegslektüre zu dieser Thematik, wie es der Titel vielleicht suggeriert, scheint dieses Buch wegen der zum Teil hohen Komplexität der Ausführungen nur bedingt geeignet.

Rezension von
Dipl. Soz.-Päd. Gregor Prüfer
M.A. Päd. / Dipl. Soz.-Päd.(FH) War lange tätig in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit; Aktiv in der Vernetzung von Jungenarbeit in München seit 1993 (www.netzwerk-jungenarbeit.de), freiberuflicher Fortbildungsreferent zu Themen der Genderpädagogik und zu Gender Mainstreaming seit 1999. Seit 2005 Mitarbeiter im Münchner Informationszentrum für Männer mit den Schwerpunkten Männerberatung und Gruppenarbeit für Männer mit Gewalthintergrund (www.maennerzentrum.de), seit WS 2008/09 auch Lehrbeauftragter an der Katholischen Stiftungshochschule München (www.ksh.de). Seit 2011 außerdem Mitarbeiter am Pädagogischen Institut in München, zuständig für Geschlechtergerechte Pädagogik und Jungenförderung an den Städtischen Münchner Schulen (www.pi-muenchen.de).
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Es gibt 26 Rezensionen von Gregor Prüfer.

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ISSN 2190-9245