Behjat Mehdizadeh: Wie Erinnerung Geschichte schreibt (Biografie- und Erinnerungsarbeit)
Rezensiert von Dipl.-Geront., Dipl.-Soz.Arb. Sigrid Verleysdonk-Simons, 31.07.2015

Behjat Mehdizadeh: Wie Erinnerung Geschichte schreibt. Kreative Biografie- und Erinnerungsarbeit. Ein Lesebuch. Brandes & Apsel (Frankfurt) 2015. 160 Seiten. ISBN 978-3-86099-925-7. D: 19,90 EUR, A: 20,50 EUR.
Thema
Das Lesebuch von Behjat Mehdizadeh zeigt anhand von zahlreichen autobiografischen Erzählungen auf, wie mit kreativer Biografie- und Erinnerungsarbeit Menschen mit Migrationshintergrund eine Möglichkeit gegeben werden kann, sich mit der eigenen Migrationsgeschichte auseinanderzusetzen. Ziel ist es „…dass diese im Rahmen der individuellen Auseinandersetzung in der Gruppe gesammelten Lebensgeschichten aus dem privaten und gewissermaßen geschlossenen Raum hinausgetragen und einer breiten Öffentlichkeit zum Austausch und Dialog zur Verfügung gestellt werden“ (Mehdizadeh, B. 2015:13).
Herausgeberin und Autoren
Die Herausgeberin Behjat Mehdizadeh, geboren 1957 in Kerman, Iran, studierte Psychologie an der Ferdowsi Universität Maschad und Soziale Arbeit an der Frankfurt University of Applied Sciences mit Schwerpunkt Migration, Biografie und Kunst. Sie initiiert und leitet die Kreative Biografie- und Erinnerungswerkstatt in Frankfurt am Main und engagiert sich in zahlreichen Projekten. Für ihr Projekt „Schatztruhen des Lebens“ wurde sie 2012 als Stadthistorikerin von der Stiftung Polytechnische Gesellschaft in Frankfurt am Main geehrt.
Dr. phil. Hans Prömper, Leiter der Katholischen Erwachsenenbildung – Bildungswerk Frankfurt, Dipl.-Pädagoge sowie Prof. Dr. Ursula Apitzsch sind Autoren der wissenschaftlichen Beiträge, die dem Lesebuch vorangestellt sind. Gestaltet wurde das Buch von Martina Zimpel.
Aufbau
Das Buch ist in drei Teile strukturiert.
- Im ersten Teil gibt die Autorin eine Erklärung zu Hintergrund und Entstehungsgeschichte des vorliegenden Lesebuches.
- In einem zweiten Teil werden die Themen Biografiearbeit und Erwachsenenbildung (Dr. Prömper) sowie Mirgrationsbiografien im Wandel der Zeit (Prof. Dr. Apitzsch) vorgestellt.
- Der dritte Teil der Arbeit präsentiert die Ergebnisse der Werkstattarbeit von Behjat Medizadeh anhand von illustrierten Migrationsgeschichten.
Zu 1 Hintergrund und Entstehungsgeschichte
Unter dem Titel „Von meinen Erinnerungen zu diesem Buch“ erzählt Behjat Mehdizadeh von Erinnerungen an ihre Kindheit und der Liebe zu den Erzählungen und Geschichten, die in ihrer Familie über Generationen weitergegeben wurden. So hat sie sich ihr eigenes Bild von dem Leben ihrer Familie erstellt. Diese Lebensgeschichten haben sie bisher begleitet und gestärkt bei ihrem Aufenthalt in Deutschland und bei der Bewältigung der vielfältigen Herausforderungen in der neuen Gesellschaft mit anderen Regeln und Strukturen. Die Zielsetzung der professionellen Auseinandersetzung mit Migration, Biografiearbeit und kreativen Methoden wird in diesem Kapitel erläutert. Insbesondere handelt es sich um eine Zusammenschau der Ergebnisse aus der Werkstattarbeit.
Zu 2 Wissenschaftliche Beiträge
Dr. Hans Prömper setzt sich in seinem Aufsatz mit dem Thema Biografiearbeit und Erwachsenenbildung auseinander. Er erläutert die Möglichkeiten und Chancen der pädagogischen Einbettung von Biografiearbeit insbesondere in die Arbeit mit Migranten sowie den Stellenwert von Kultur als Medium, Bildung als Begegnung sowie die Chancen eines nicht nur sprachlich vermittelten Lernens. Hierbei nimmt er immer wieder Bezug zu den vielfältigen Projekten, die die KEB in Frankfurt umgesetzt hat.
Prof. Dr. Ursula Apitzsch befasst sich in ihrem Aufsatz mit Migrationsbiografien im Wandel der Zeit. Sie sieht die unternommene biografische Arbeit von Behjat Mehdizadeh in der langen Tradition soziologischer Biografieforschung stehend. Im Weiteren erläutert sie die Auswirkungen der bisherigen Migrationspolitik auf die betroffenen Menschen und die Bedeutung biografischen Arbeitens in diesem Zusammenhang.
Zu 3 Präsentation kreativer Biografie- und Erinnerungsarbeit
Der dritte Teil des Buches setzt sich mit dem Schwerpunktthema des Buches auseinander. Hier werden verschiedene Migrationsgeschichten von Frauen und Männern aus unterschiedlichen Regionen und Kulturen vorgestellt. Zu Beginn erläutert Behjat Mehdizadeh den Aufbau der Biografiegeschichten, den sie anhand verschiedener Kriterien vorgenommen hat. Der sich wiederholende Aufbau soll die Vergleichbarkeit ermöglichen ohne dabei die Individualität der Lebensgeschichten zu vernachlässigen. Alle erzählten Geschichten sind in der Muttersprache und in Deutsch zu lesen und werden mit zahlreichen Fotos aus der Kindheit sowie mit einem Porträtfoto illustriert.
Diskussion
Die Autorin legt ein interessantes Werkbuch/Lesebuch für die Praxis vor, welches sehr anschaulich dokumentiert, wie kreative biografische Arbeit mit Menschen mit Migrationshintergrund umgesetzt werden kann, insbesondere auch in Bezug auf Bildung und Begegnung mithilfe eines nicht nur rein sprachlich vermittelten Lernens. Kreative Biografiearbeit kann mithilfe der klassischen Übung mit Erinnerungsgegenständen durch die sehr ansprechende Gestaltung von Martina Zimpel gut nachvollzogen werden.
Fazit
Das Buch „Wie Erinnerung Geschichte schreibt. Kreative Biografie- und Erinnerungsarbeit. Ein Lesebuch“ von Behjat Mehdizadeh dokumentiert zum einen die sehr engagierte Projektarbeit der Autorin mit Menschen mit Migrationshintergrund und bietet zum anderen Biografiearbeitern ein sehr anschauliches Beispiel für die Umsetzung in der Praxis. Wesentlich erscheint aber die Dokumentation der Migrationsgeschichten der Erzählerinnen und Erzähler, die die Leser an den sehr persönlichen Erinnerungen aus ihrem Leben aus heutiger Sicht teilhaben lassen. „Es geht in diesen Geschichten um Integration, Identitätsstärkung, Selbstbewusstsein, Emanzipation und den Abbau von Vorurteilen gegenüber dem ‚Fremden‘“, schreibt die Autorin. Die persönlichen Einblicke berühren. Ein schön gestaltetes Lesebuch und eine gelungene Dokumentation erlebter und erzählter Geschichte.
Rezension von
Dipl.-Geront., Dipl.-Soz.Arb. Sigrid Verleysdonk-Simons
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