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Norbert Bolz: Wer nicht spielt, ist krank

Rezensiert von Michael Christopher, 14.05.2015

Cover Norbert Bolz: Wer nicht spielt, ist krank ISBN 978-3-86881-571-9

Norbert Bolz: Wer nicht spielt, ist krank. Warum Fußball, Glücksspiel und Social Games lebenswichtig für uns sind. Redline Verlag (München) 2014. 208 Seiten. ISBN 978-3-86881-571-9. D: 19,99 EUR, A: 20,60 EUR, CH: 28,90 sFr.

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Thema

„Wer nicht spielt, ist krank“ ist ein kleines Buch, das sich Gedanken um den gesellschaftlichen Status des Spielens macht und dabei betont, wie wichtig das Spielen für das Überleben des Einzelnen sei. Dabei gibt der Autor kurze Bemerkungen zu den Feldern Glücksspiele, Sport(spiele) und Medienspiele ab und verweist auf philosophische Vordenker.

Autor

Norbert Bolz ist Professor für Medienwissenschaften an der Technischen Universität Berlin. Bekannt ist er für streitbare Thesen und eine gewisse Medienaffinität.

Aufbau

In sieben Kapiteln beschäftigt sich der Autor in einem fortlaufenden Gedankengang mit den verschiedenen Aspekten des Spielens. Zwei Kapitel am Ende des Buches befassen sich mit weiteren Gedanken zum Thema.

Dazu hat Bolz einen Anhang mit einer kommentierten Bibliographie zu sieben Büchern hinzugefügt. Das Buch ist, formal gesehen, ein großer Essay.

Inhalt

Zu Beginn fragt der Autor nach dem Stand des Spiels in der heutigen Gesellschaft und fordert eine „fröhliche Wissenschaft des Spiels“. In locker formulierten Überschriften verpackt er Statements und erzeugt Aufmerksamkeit. Der Autor ist der Überzeugung, dass das 21. Jahrhundert das Zeitalter des Spielers sein werde, besonders, da die moderne Welt nur durch Ablenkung zu ertragen sei, wie auch, dass das Spiel in die Wirklichkeit eindringe (16). Er hinterfragt, was Spielsucht sei („eine Konsumgewohnheit, die keine gesellschaftliche Anerkennung findet“ (26)).

Der Autor untersucht die Faszination des Spiels für den Spieler, beschreibt die Funktionslust des Spielens und hebt vier Grundformen des Spiels (Glück, Wettkampf, Schauspiel und Angstlust) heraus. Er analysiert das Glücksspiel, sieht hier keine Verlierer, kein Unglück, sondern nur das Pech walten.

Er beschreibt die Leidenschaft und den Nervenkitzel des Spiels. Spielfreude entstehe durch ein klares Ziel, einem Feedback in Echtzeit, der Herausforderung sowie der Erfahrung der Virtuosität. Beim Spielen gebe es eine Verpflichtung zum Siegenwollen, was für politisch korrekte offene Spiele ein peinliches Problem sei. Regeln seien als feste Größe immanent wichtig und daher sind Falschspieler und Spielverderber, die diese Regeln in Frage stellen, gefährlich.

Das Spielen sei das Asyl der großen Gefühle in einer Welt, die bequem und lustlos geworden sei. Herausforderung und Nervenkitzel finde man heute vielfach nur noch im Spiel. Der Spieler empfinde die Gefahr als lustvoll, solange er darüber Kontrolle haben kann. Langeweile sei ein Gift für das Gehirn (S.90). Besonders im Sport, geht es nach Bolz um Anerkennung sowie um den Körper, der durch die ständige Bürotätigkeit geschwächt werde.

Auch die Medien stellen Spiele bereit. Stars werden trotz Talentfreiheit geboren und Berühmtheit zum Alltagsphänomen. Bolz beschreibt die Sendung „Big Brother“ als großen Fernsehmoment, wo das Fernsehen ganz zu sich komme (S.127). Die Unterhaltung im Fernsehen nehme nach Bolz immer mehr Spielcharakter an (S. 129). Mit der Inszenierung des Fernsehens, von Themenparks und Computerspielen werde der Konsument in eine imaginäre Welt entführt, in der er von sich selber loskomme. Der Computer ist das Universalwerkzeug und besonders Computerspiele führen den Spieler in eine virtuelle Wirklichkeit. Auf der anderen Seite breche das Spiel auch in die Wirklichkeit ein. Bolz formuliert statt eines Fazit ein elftes Gebot: Du sollst spielen (173) und Dir am Ende nicht in die Lust des Spielens hineinreden lassen.

Diskussion

Mit marktschreierischen Überschriften versucht der Autor, analog eines Life-Style Ratgebers, den Leser auf einer flapsigen Art mit ins Boot zu nehmen. Zudem poltert Bolz in seinem Buch gerne und versucht durch extreme Positionen Aufmerksamkeit zu erhaschen. Es geht im gesamten Text darum, Stellung zu beziehen: Der Spieler gegen den Nichtspieler. Er eröffnet gleich zu Beginn Kriegsschauplätze mit großen Gegnern und arbeitet sich an imaginären Feinden ab, die er in der Wissenschaft, Politik, im Journalismus und im puritanischen Lebensstil verortet. Besonders kritisiert er das linke Gedankengut der Gleichmacherei, hier in Bezug auf Spiele, die den Wettbewerbscharakter des Spiels untergraben.

Leider fehlen die großen Themen in diesem Buch. Viele Thesen werden in den Raum geworfen, einzig zum Anlass, Widerrede ausüben zu können. Eins der vielen Beispiel findet sich bereits auf Seite 13. Bolz meint, die Wissenschaft habe keinen Zugang zur Welt des Spiels. Dies ist eine Generalisierung. Wenn auch, wie der Autor meint, keine relevante Monografie zu dem Thema in den letzten Jahren erschienen sei, wobei zu hinterfragen ist, was ist relevant und was nicht, scheint die Zeit der großen monographischen Behandlungen eines Themas im Allgemeinen seit Jahren keine Konjunktur mehr zu haben. Vielmehr beinhalten Sammelbände wichtige Aspekte der Themengebiete und diese finden sich zum Thema mannigfach. Spielen ist, anders als Norbert Bolz es meint, sehr wohl Thema in der Wissenschaft, seien es philosophische, ästhetische, medienwissenschaftliche, soziologische, pädagogische oder psychologische Texte.

Im Verlauf des gesamten Textes drängt Bolz in die Rolle eines Lone Rangers, der den spielenden Menschen verteidigt. Die Welt im Buch ist Schwarz-Weiß gezeichnet, die Thesen polemisch, Gegner und Kritiker werden diffamiert und die Argumentation pamphletisiert, um sie für den Stammtisch aufzubereiten.

Problematisch ist zudem der eindimensionale Blick auf das Spiel. Der Grundgedanke des Spielens ist, anders als Bolz es vertritt, nicht unbedingt das Spielen nach Regeln, um am Ende zu gewinnen. Die Urform des Spiels ist die Simulation. Kinder spielen um die Wirklichkeit zu begreifen. Spielen an sich ist darüber hinaus eine freie Beschäftigung, wenn ein Kleinkind ohne Ziel seine Spielzeugautos aufreiht oder ein Mädchen mit ihrem Bruder Federball auf der Straße spielt. Bolz spricht dies zwar auf Seite 85 an: „Das fröhliche Spiel des Kindes kennt keine Sorge“, hat dem vorher aber bereits widersprochen: „Spiel heißt also in erster Linie Ordnung und Regel“ (S.55).

Bolz zitiert aus dem 27. Brief über die ästhetische Erziehung von Friedrich Schiller und schreibt von einem dritten fröhlichen Reich des Spiels [und des Scheins], das zwischen dem physischen und dem moralischen Reich liege, um eine Antwort darauf zu finden, wo wir eigentlich sind, wenn wir spielen (S.83), unterschlägt aber die Intention Schillers völlig, indem er nur ein Textfragment herauslöst. Lesen wir bei Schiller weiter: „Hier also, in dem Reiche des ästhetischen Scheins, wird das Ideal der Gleichheit erfüllt, welches der Schwärmer so gern auch dem Wesen nach realisiert sehen möchte“. Gleichmacherei wird von Bolz hingegen kritisiert und abgelehnt (vgl. S.34 und S.108f), wenn auch Gegner auf Augenhöhe benötigt werden.

So laviert der Text an manchen Stellen, wie, wenn er zum Beispiel meint, Sucht sei eine gesellschaftliche Definition (u.a. S.26), ehe er die Probleme der Spielsucht anspricht (S.185); oder: Spielen sei eine Handlung ohne Absicht (S.73), aber Spielfreude entstehe durch ein klares Ziel (S.98). Auffällig ist, dass in dem Buch „Wer nicht spielt, ist krank“ häufig Thesen aufgestellt werden, die später wieder in Frage gestellt werden. Somit kann der Autor niemals festgenagelt werden, denn er kann am Ende erklären: So habe ich das nicht gesagt.

Spielen ist ein Zeitvertreib und wird in der Regel von den meisten Menschen nicht negativ aufgefasst. Neben dem kindlichen freien Spiel, erfreuen sich Online-Spiele ebenso wie Brettspiele großer Beliebtheit. Sport- und Glücksspiele ebenso. Dass extensives Spiel Auswirkungen hat, bestreitet niemand.

Der Themenbereich der Durchdringung der Wirklichkeit durch Spiele ist interessant, bleibt aber im Ansatz stecken, was Schade ist. Hier hätte der Autor weiter ausführen können.

Fazit

„Wer nicht spielt, ist krank“ ist nicht die relevante Monografie über das Spielen, die der Autor seit Jahren in den Publikationskanälen vermisst. Vielmehr scheint das Buch eine persönliche Abrechnung mit den Kritikern des Autors zu sein. Das Thema, die Bedeutung des Spiels in der Gesellschaft hervorzuheben, ist allemal ein wichtiger Ansatz. Leider verstrickt sich der Autor in Grabengefechte. Das Buch ist keine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema, wie man es von einem Professor eventuell erwarten würde, sondern ein großer Essay, der die Ansichten und die Meinung des Autors stets in den Vordergrund stellt. Leider verheddert sich der Autor häufig in konkurrierenden Aussagen. Viele Leser werden Aha-Erlebnisse haben, neu oder relevant ist das Alles aber nicht.

Rezension von
Michael Christopher
Filmwissenschaftler, Theaterwissenschaftler und Mitherausgeber der Zeitschrift manycinemas
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Es gibt 34 Rezensionen von Michael Christopher.

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Zitiervorschlag
Michael Christopher. Rezension vom 14.05.2015 zu: Norbert Bolz: Wer nicht spielt, ist krank. Warum Fußball, Glücksspiel und Social Games lebenswichtig für uns sind. Redline Verlag (München) 2014. ISBN 978-3-86881-571-9. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/17931.php, Datum des Zugriffs 08.09.2024.


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