Franziska Schubert-Suffrian, Michael Regner: Beschwerdeverfahren für Kinder
Rezensiert von Marianne Kleiner-Wuttke, 19.02.2015
Franziska Schubert-Suffrian, Michael Regner: Beschwerdeverfahren für Kinder.
Verlag Herder GmbH
(Freiburg, Basel, Wien) 2014.
43 Seiten.
ISBN 978-3-451-00532-9.
D: 9,95 EUR,
A: 10,30 EUR,
CH: 14,90 sFr.
Themenheft für den pädagogischen Alltag. Kindergarten heute, Praxis kompakt, 532.
Thema
Dieses Themenheft befasst sich mit der Frage, wie „Beschwerdeverfahren für Kinder“ in Kindertagesstätten praktisch umgesetzt werden können.
Entstehungshintergrund
Die Autoren beziehen sich hierbei auf das Bundeskinderschutzgesetz (1.1.2012). Demnach wird eine Betriebserlaubnis nach § 45 SGB VIII nur dann erteilt, wenn geeignete Verfahren der Beteiligung sowie der Möglichkeit der Beschwerde in persönlichen Angelegenheiten Anwendung finden. Die Umsetzung dieser Vorgabe stellt sowohl Leitungs- als auch die pädagogischen Fachkräfte in Kindertagesstätten vor neue Herausforderungen. Das Anliegen der Autoren ist es, den Mitarbeitern das Beschwerdeverfahren durch praxiserprobte Möglichkeiten der Umsetzung nahe zu bringen.
Aufbau und Inhalt
Nach einem Vorwort, in welchem die Autoren Regner und Schubert- Suffriann die Fragestellungen des zu behandelnden Themas konkretisieren, ist das Themenheft in fünf Kapitel gegliedert:
- Hintergründe und Definitionen
- Dimensionen eines Beschwerdeverfahrens
- Ein Beschwerdeverfahren entwickeln
- Umsetzungsbausteine und Methoden
- Die wichtigsten rechtlichen Grundlagen
1. Hintergründe und Definitionen. Im ersten Kapitel werden die Notwendigkeit einer Implementierung des gesetzlich geforderten Beschwerderechts für Kinder erläutert und im Vorfeld einige Begriffsklärungen vorgenommen. So differenzieren die Autoren zwischen den Bezeichnungen „Beschwerdekultur“ und „Beschwerdeverfahren“, gehen auf die Bedeutung und Berücksichtigung von menschlichen Bedürfnissen ein und es werden zwei Formen des Beschwerdeausdrucks (Verhinderungsbeschwerden und Ermöglichungsbeschwerden) definiert und ihre Relevanz dargelegt. Die Einhaltung von Schutzzonen für Kinder und Grenzverletzungen von Fachkräften werden unter Einbeziehung der Rolle der Leitung thematisiert.
2. Dimensionen eines Beschwerdeverfahrens. Im zweiten Kapitel beschreiben die Autoren zunächst den Nutzen des Verfahrens vor allem hinsichtlich:
- eines förderlichen Einflusses der Persönlichkeitsentwicklung von Kindern
- einer positiven Beziehungsgestaltung zwischen Kind und Fachkraft und
- des Hinterfragens bisheriger Regeln und eingefahrener Abläufe
Um ein Beschwerdeverfahren entwickeln zu können, bedarf es der Auseinandersetzung mit der eigenen Haltung.
3. Ein Beschwerdeverfahren entwickeln. So sind im 3. Kapitel Reflexionsfragen formuliert, die sich in diverse Themenbereiche gliedern wie: „Fragen zur eigenen Haltung“ oder „Fragen zur pädagogischen Arbeit“. Der Leser wird durch das Einnehmen unterschiedlicher Perspektiven eingeladen, sich und sein Handeln selbstkritisch zu hinterfragen. Um die oftmals zunächst verborgenen Bedürfnisse der Kinder in einen passenden Beschwerdekontext zu bringen, schaffen die Autoren einen Überblick durch das Bilden von Kategorien, die dem Fachpersonal dazu dienen, das Anliegen eines Kindes konkretisieren zu können. Anschließend widmen sich die Autoren dem strukturierten Ablauf des Verfahrens, welches in drei Schritten (Beschwerde bewusst wahrnehmen und annehmen, Beschwerden aufnehmen und konkretisieren und Beschwerden bearbeiten und Ergebnisse rückmelden) erfolgt. Sie beschreiben, welche wesentlichen Bearbeitungskriterien eingehalten werden sollten und darüber hinaus, wie sowohl die Kinder an der Verfahrensentwicklung partizipieren als auch deren Eltern in den Prozess einbezogen werden sollten.
4. Umsetzungsbausteine und Methoden. Im 4. Kapitelwerden Unterstützungsmöglichkeiten für Kindertagesstätten benannt, die den Fachkräften den Entwicklungsprozess von Beschwerdeverfahren erleichtern sollen. Eine Vielzahl von Methoden wird angeboten, die altersgemäß zu den unterschiedlichsten Anlässen flexibel eingesetzt und bei Bedarf miteinander kombiniert werden können.
5. Die wichtigsten rechtlichen Grundlagen. Im letzten Kapitel fassen die Autoren die wesentlichen rechtlichen Grundlagen zusammen. Mit Auszügen aus der UN-Kinderrechtskonvention, dem Bundeskinderschutzgesetz und dem SGBVIII verweisen die Autoren auf die bestehenden internationalen und nationalen Gesetze und Rechtsverordnungen.
Das Themenheft schließt mit den Literaturangaben ab.
Diskussion
Regner und Schubert- Suffriann gelingt es schon mit dem ausgesprochen gut strukturierten Inhaltsverzeichnis des Themenheftes, Neugier auf die Einzelheiten zu wecken. Mit einem sympathisch flüssigen Schreibstil führen die Autoren sehr gut in die Thematik von Beteiligung und Beschwerde(verfahren) für Kinder ein und weisen dabei auf die Grundvoraussetzung einer Auseinandersetzung über die Festschreibung der Kinderrechte hin. Fallbeispiele begleiten den Leser/ die Leserin fortlaufend durch den (Lese-) Prozess des Beschwerdeverfahrens, sodass einem nicht nur ein Eindruck des Verfahrens vermittelt wird, sondern das Beschwerdeverfahren neben der Beschreibung durch zahlreiche Beispiele aus begleiteten Prozessen regelrecht lebendig wird. Diese Form der Transparenz lädt dazu ein, Optionen für die eigene Kindertagesstätte zu entwickeln, eingeschlossen mit der Frage, welche Hürden es zu nehmen gäbe. Ein wesentliches Hindernis könnte die bisherige Haltungs-, Handlungs- und Kommunikationskultur eines Teams darstellen. Dieser Aspekt wird im Themenheft diskutiert, jedoch die tatsächliche Tragweite dessen nicht thematisiert. Gewünscht hätte ich mir an dieser Stelle einen kritischen Blick auf das System. Denn wesentlich geprägt wird die Beschwerdekultur durch das Vorleben nächster Vorgesetzter, zwischen den Führungslinien- bis hin zur Spitze einer Organisation. Partizipation- sie spiegelt sich so wider, wie sie vorgelebt wird. Insofern ist diese Auseinandersetzung und Entwicklung einer Beschwerdekultur nicht nur institutionell, sondern aus meiner Sicht unbedingt organisational zu betrachten und auf mögliche Pseudopartizipation zu prüfen. Denn wenn Erziehern, Erzieherinnen und Leitungskräften kein Beschwerdeverständnis entgegen gebracht wird und ihnen keine Beschwerdekultur vorgelebt wird, sie aufgrund kritischer Äußerungen stattdessen mit Sanktionen rechnen müssen, werden sie sehr wahrscheinlich den Kindern das Beschwerdeverfahren wie beschrieben kaum vermitteln können.
Fazit
Die Themeninhalte sind ausgesprochen gut verständlich und lesbar geschrieben. Die Präsentationsform ist daher neben den Erziehern und Erzieherinnen auch für Eltern oder weitere Interessierte als Unterstützung zur Umsetzung von Beschwerdeverfahren für Kinder sehr geeignet. Die Art und Weise der Aufbereitung des Themas ist durch die konkreten Arbeitshilfen regelrecht prädestiniert für die praktische Anwendung in Kindertagesstätten. Sie lässt eine individuelle Herangehensweise zu, sodass jede Institution ihr je eigenes zu ihr passendes Verfahren entwickeln und den Prozess der Auseinandersetzung mit Partizipation, Rechten junger Menschen und Beschwerdeverfahren in Gang setzen kann. Die Beteiligung von Kindern in Kindertageseinrichtungen setzt bei den Fachkräften in der Beziehungsgestaltung zwischen Kindern und Erwachsenen eine dialogische Haltung voraus. Sowohl die Kinder als auch die Erwachsenen sollen in dieser Beziehung ihre eigenen Interessen vertreten können. Dies verlangt von den Erwachsenen, die Rechte der Kinder und ihre Umsetzungserfordernisse strukturiert und achtsam wahrzunehmen, Beteiligungsprozesse zu initiieren, sich auf gemeinsame Lernprozesse einzulassen und dabei lösungsorientiert und ergebnisoffen heranzugehen Unabdingbar scheint mir daher vorab eine Fortbildung der Mitarbeiter in bedürfnisorientierter Kommunikation. Die Autoren empfehlen eine fachliche Moderation bei der Entwicklung des Beschwerdeverfahrens. Eine weitere Möglichkeit wäre nach meiner Einschätzung eine supervisorische Begleitung zur Einführung des Beschwerdeverfahrens, die im Laufe der Zeit in eine Kollegiale Beratung mündet.
Rezension von
Marianne Kleiner-Wuttke
Pädagogin, Autorin, Referentin und Trainerin
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Es gibt 6 Rezensionen von Marianne Kleiner-Wuttke.
Zitiervorschlag
Marianne Kleiner-Wuttke. Rezension vom 19.02.2015 zu:
Franziska Schubert-Suffrian, Michael Regner: Beschwerdeverfahren für Kinder. Verlag Herder GmbH
(Freiburg, Basel, Wien) 2014.
ISBN 978-3-451-00532-9.
Themenheft für den pädagogischen Alltag. Kindergarten heute, Praxis kompakt, 532.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/17948.php, Datum des Zugriffs 09.09.2024.
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