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Roland Paulsen: Empty labor. Idleness and workplace resistance

Rezensiert von Dr. Günther Vedder, 07.01.2015

Cover Roland Paulsen: Empty labor. Idleness and workplace resistance ISBN 978-1-107-06641-0

Roland Paulsen: Empty labor. Idleness and workplace resistance. Cambridge University Press (Cambridge, U.K.) 2014. 217 Seiten. ISBN 978-1-107-06641-0. 79,95 EUR.

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Thema

Zentrales Thema des Buches ist die nicht beruflich genutzte Zeit am Arbeitsplatz, die vom Autor folgendermaßen definiert wird: „Empty labor is everything you do at work that is not your work“ (S.5). Unterschiedlichen Erhebungen zufolge verbringen wir 1,5 bis 3 Stunden pro Tag im Büro mit privaten Telefonaten, Emails, Gesprächen und Recherchen im Internet. Welche Funktion hat dieser Müßiggang oder die tägliche Arbeitsverweigerung im Beruf? Mit dieser Frage beschäftigt sich der hier besprochene Band.

Autor

Der Autor Roland Paulsen ist ein mehrfach ausgezeichneter Soziologe und Arbeitsforscher aus Schweden. Das Buch entstand in seiner Zeit als Forscher und Postdoktorand am BWL-Department der Universität in Lund. Es wurde wesentlich durch Anregungen abgerundet, die der Autor während eines einjährigen Forschungsaufenthalts an der Cornell University in den USA von soziologischen Kolleginnen und Kollegen erhielt.

Aufbau und Inhalt

Der Band Empty Labor – Idleness and Workplace Resistance besteht aus neun unterschiedlich langen Kapiteln. In der Introduction stellt Roland Paulsen das theoretische und empirische Problem seiner Forschung vor. Seine Forschungsfragen lauten unter anderem: Wie ist es möglich, dass wir einen größeren Teil unserer Arbeitszeit nicht für den Arbeitgeber aktiv sein können? Ist das ein individueller oder ein kollektiver Vorgang? Wissen die Führungskräfte darüber Bescheid oder nicht? Was motiviert die Beschäftigten zu solch einem Verhalten? Wie schaffen sie es, dass unter Umständen niemand davon erfährt? Und was tun sie in der freien Zeit am Arbeitsplatz?

Im zweiten Kapitel Power at work und dritten Kapitel Subjectivity at work beschäftigt sich der Autor mit dem Konstrukt der Subjektivität, das in Arbeitsstudien häufig nicht ausreichend beleuchtet wird. Er führt in die aktuellen Diskussionen der Labor Process Studies und Critical Management Studies ein. Entgegen der weit verbreiteten Meinung werden die Individuen in Organisationen nicht permanent in starre Abläufe eingebunden und müssen sich zwangsläufig den jeweiligen Gegebenheiten anpassen. Sie können ihrerseits auch Macht ausüben und verschiedene Formen der Arbeitsverweigerung an den Tag legen. Dies gilt insbesondere für Positionen, bei denen der Zeitbedarf für bestimmte Arbeitsschritte kaum objektiv zu bestimmen ist.

Das vierte Kapitel Mapping out empty labor ist der Herausforderung gewidmet, im Feld des organisationalen Fehlverhaltens an die spannenden, extremen Fälle heranzukommen. Roland Paulsen hatte bei der Rekrutierung seiner empirischen Fälle nur ein Selektionskriterium: die Betroffenen mussten 50% oder mehr ihrer täglichen Arbeitszeit mit „leerer Arbeit“ verbringen. Über unterschiedliche Werbekanäle, die im Anhang ausführlich beschrieben werden, kam der Autor an eine größere Zahl interessanter Fälle heran. Die besten Kontakte ergaben sich durch eine schwedische Webseite, die mit wastetime.now übersetzt werden könnte. Insgesamt konnten später 20 Frauen und 23 Männer aus unterschiedlichen Branchen und Arbeitsbereichen befragt werden.

Kapitel 5 How to succeed at work without really trying beschreibt verschiedene Strategien, mit denen man im Beruf auch ohne ein Höchstmaß an Anstrengung erfolgreich sein kann. Das beginnt bei der Job-Auswahl (Spezialistentätigkeiten, die niemand sonst so richtig überblickt), geht über die intensive Zusammenarbeit in Gruppen (dort kann man sich hinter anderen verstecken), bis hin zur Re-Interpretation von Arbeit („ich kann nicht an Sitzungen teilnehmen, weil ich an einem wichtigen Bericht arbeite“). In einer finnischen Studie von 2010 mit über 1000 Teilnehmern waren es vor allem ältere Beschäftigte, die diese Strategien besonders gut beherrschten. In einem Fall aus den Interviews versteckte sich hingegen eine junge Reinigungskraft hinter zwei älteren Kolleginnen, die hochwertigere Vorstellungen von Sauberkeit hatten und auch umsetzten.

Im Kapitel The time-appropriating subject geht Roland Paulsen der Frage nach, warum die Befragten ein Fehlverhalten zeigen bzw. welche Bedeutung dieses Fehlverhalten für sie hat. Die Antworten fallen sehr unterschiedlich aus: Einige Personen sind mit ihrer Arbeit unzufrieden und haben nach mehreren ungehörten Veränderungswünschen resigniert. Andere wollen sich nicht von den Aufgaben vereinnahmen lassen, sondern immer das Gefühl haben, dass sie ihre Arbeit aktiv beeinflussen können. Weitere Personen reagieren mit ihrem besonderen Arbeitsverhalten auf unbeliebte Chefs, die sie als sexistisch, sadistisch, autoritär oder dumm beschreiben. Diverse Befragte sehen sich als Schauspieler (und gleichzeitig Regisseure) in einem Theaterstück, das täglich in der Organisation aufgeführt wird.

Das siebte Kapitel The organization of idleness beschäftigt sich mit den Fällen, in denen objektiv viel zu wenig Aufgaben vorhanden ist, um die vereinbarte Arbeitszeit auszulasten. Einige Betroffene sehen ihre Situation durchaus positiv (Culture of fun), andere leiden stark unter dem Nichtstun, das sie nicht selbst beeinflussen können (Boreout). Hier geht es nicht darum, dass der Arbeitgeber von den Beschäftigten betrogen wird, sondern dass er nicht genügend adäquate Arbeit zu Verfügung stellt. Von dem bekannten Autor David Bolchover ist eine schöne Beschreibung seiner eigenen Karriere in diesem Kapitel enthalten. Sie verdeutlicht seinen Aufstieg über vier Karrierestationen, bei denen er immer mehr Geld verdiente, aber immer weniger zu tun hatte.

Kapitel 8 Resistance incorporated bringt die theoretischen Ansätze und empirischen Befunde zusammen. Hier wird unter anderem ausgeführt, dass sich in vielen Organisationen die Arbeit längst vom eigentlichen Produktionsprozess entkoppelt hat. Sie reproduziert sich vielmehr selbst, was nicht immer Sinn macht (man denke an die vielen Meetings) und zu Gegenreaktionen der Beschäftigten führt. „That is why wages are not paid for what we actually produce, wages are given for subjecting ourselves to the simulation of work“ (S.162). Roland Paulsen ergänzt diese Aussage in Kapitel 9 Conclusion durch folgende Feststellung „I never thought that there could be a limit to the potential output at any job and that people without any motive to withdraw from work could be so enmeshed in empty labor“ (S.169). Es gibt also nahezu in jedem Job einen nicht beruflich genutzten Teil der Arbeitszeit. Dies lässt sich in Organisationen kaum vermeiden.

Diskussion

Der bezahlten Arbeit fällt in unserer Gesellschaft eine hohe finanzielle und persönliche Bedeutung zu, während Arbeitslosigkeit häufig als sinnlos wahrgenommen wird. Gleichzeitig leiden viele Berufstätige unter den psychischen Belastungen, die durch Zeitdruck, Konflikte und steigende Anforderungen entstehen. Trotz dieser Rahmenbedingungen gibt es auch viel „leere Arbeit“ in den Büros, also Phasen, die mit privaten Aktivitäten gefüllt werden, obwohl beruflich angeblich unfassbar viel zu tun ist. Mit dieser anderen Wahrheit jenseits des arbeitspolitischen Mainstreams hat sich Roland Paulsen im vorliegenden Buch beschäftigt. Erwerbsarbeit ist für viele Berufstätige nicht das Gegenteil von Freiheit, das durch permanente Überlastung und Kontrolle gekennzeichnet ist. Sie genehmigen sich vielmehr am Arbeitsplatz kleine Fluchten in den privaten Alltag. Unter Umständen fällt das niemandem auf, weil die leere Arbeit hinter verschlossenen Bürotüren stattfindet. Häufig wird diese Praxis allerdings für jeden sichtbar (etwa in Form von ausschweifenden Raucher- und Mittagspausen) gelebt. Manche Betroffene haben qualitativ oder quantitativ viel zu wenig zu tun und leiden unter ihrer Boreout-Situation. In andern Fällen sind die Berufstätigen ihrer Arbeit gegenüber nicht besonders positiv eingestellt und leisten durch ihre partielle Arbeitsverweigerung einen Beitrag zum Ausgleich des psychologischen Kontrakts. Eine dritte Personengruppe ist mit ihrer Arbeit sehr zufrieden, sieht in dem Müßiggang am Arbeitsplatz allerdings die Chance zur Regeneration, Ideenfindung oder zur Umsetzung des Ideals „work less and live more“. Insofern muss das vermeintliche organisationale Fehlverhalten sehr individuell betrachtet und bewertet werden.

Fazit

Roland Paulsen hat mit dem Buch Empty Labor ein spannendes Werk vorgelegt, das fundierte soziologische Theorie auf das Phänomen der „Zeitverschwendung“ am Arbeitsplatz anwendet. Es kann uneingeschränkt allen Personen empfohlen werden, die sich dafür interessieren, wie wir unsere Zeit am Arbeitsplatz tatsächlich nutzen und warum wir das in einer bestimmten Art und Weise tun. Das Buch ist in einer sehr angenehmen Wissenschaftssprache verfasst und daher auch im Englischen gut lesbar.

Der Buchpreis ist allerdings mit 79,95 Euro für den Hardcover-Band (217 Seiten) sehr hoch.

Rezension von
Dr. Günther Vedder
Institut für interdisziplinäre Arbeitswissenschaft der Leibniz Universität Hannover
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Es gibt 13 Rezensionen von Günther Vedder.

Kommentare

Anmerkung der Redaktion:

Der Verlag hat mitgeteilt, dass es eine preisgünstige Paperbackausgabe gibt: (www.cambridge.org/9781107663930) 19.99 GBP/29.99 USD.

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Zitiervorschlag
Günther Vedder. Rezension vom 07.01.2015 zu: Roland Paulsen: Empty labor. Idleness and workplace resistance. Cambridge University Press (Cambridge, U.K.) 2014. ISBN 978-1-107-06641-0. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/17982.php, Datum des Zugriffs 29.03.2023.


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