Zoltán Hidas: Im Bann der Identität
Rezensiert von Dr. Juliane Noack Napoles, 31.07.2015

Zoltán Hidas: Im Bann der Identität. Zur Soziologie unseres Selbstverständnisses. transcript (Bielefeld) 2014. 231 Seiten. ISBN 978-3-8376-2727-5. D: 24,99 EUR, A: 25,70 EUR, CH: 34,70 sFr.
Thema
Bei dem Buch „Im Bann der Identität: Zur Soziologie unseres Selbstverständnisses“ handelt es sich um den Versuch einer Systematik der logisch konsequenten und prinzipiell unvereinbaren Gestaltwandlungen, die der Identitätsbegriff durchgemacht hat. Diese theoretischen Rationalisierungen der personalen und kollektiven Identität seien, so die These des Autors Zoltán Hidas, in den Bahnen der Verabsolutierung, der Konkretisierung, der Soziologisierung sowie der Kulturalisierung verlaufen.
Autor
Zoltán Hidas, 1971 in Budapest geboren, hat Ökonomie, Philosophie und Soziologie in Budapest und Heidelberg studiert. Von 1998 bis 2001 war er Doktorand am Max-Weber-Kolleg der Universität Erfurt, wo er mit der Dissertation Max Weber und die Krise des Historismus promovierte. Heute leitet er das Institut für Soziologie an der Pázmány Péter Katholischen Universität in Budapest.
Aufbau und Inhalt
Entsprechend der vier, vom Autor angenommenen, Bahnen der Theoretisierung der personalen und kollektiven Identität ist die vorliegende Arbeit in vier Teile gegliedert, die wiederum von einer Einleitung (S. 9-18) und einer Schlussbetrachtung (S. 209-212) gerahmt sind:
- Die Verabsolutierung der Identität (S. 19-52)
- Die Konkretisierung der Identität (S. 53-102)
- Die Soziologisierung der Identität (S. 103-158)
- Die Kulturalisierung der Identität (S. 159-208)
Auch die vorliegende Arbeit – wie die meisten zur Identitätsthematik – findet ihren Ausgangspunkt in der Feststellung, dass in einer Zeit verbreiteter Fragwürdigkeit des Identischen, das Fragen nach der menschlichen Identität anhebt. Im althergebrachten Kunstwort des wesensmäßig Unwandelbaren und mit sich Deckungsgleichen werde nun, durch eine folgenschwere Umbesetzung seiner Bedeutsamkeit, die Vorstellung einer personalen und kollektiven Einheit – oder zumindest Kohärenz und Kontinuität ausgebaut (S. 9). Diese finde ihren Ausdruck in einer geschichtlich gewachsenen Vielfalt von Identitätskonzepten, die sich in die Bahnen der Verabsolutierung, der Konkretisierung, der Soziologisierung sowie der Kulturalisierung bündeln lassen.
Die Idee des Identischen bemächtigte sich an der Wende zum 19. Jahrhundert der ganzen Breite der abendländischen Geisteskultur, jedoch mit der Wendung des Ausdrucks Identität vom Logischen zum Metaphysischen. Als dominantester Anfangspunkt in diesem Sinne gelte die sogenannte Identitätsphilosophie, deren zentrales Anliegen der Fragende mit seinen wesenhaften Selbst- und Weltbezügen sei. Ursprünglich als Formbegriff verwendet, um bleibende und unverwechselbare Eigenschaftsbündel zu erfassen, werde der Identitätsbegriff unter dem steigenden Druck eines menschlichen Selbstheitsdrangs zunehmend substantialisiert. Damit werde das denkbar Äußerste im Gedanken des ‚absolut Identischen‘ von einstigen Theologiestudenten erreicht und sogleich in dreierlei Varianten umfangreich ausgearbeitet. Diese konstituieren den Strang und somit das Kapitel Verabsolutierung der Identität: „Das sich setzende ‚absolute Ich‘ von Fichte, das All-Eine der absoluten ‚Indifferenz‘ von Schelling, der in spannungsreichen Differenzen sich mit sich versöhnende ‚Weltgeist‘ von Hegel – diese sind zeitgleiche Antworten auf die Frage nach tragfähigen Gründen des Absoluten in einer Zeit, als es geboten ist, das Absolute, diesen größten Anspruch jeder Philosophie nur noch in Kategorien der Subjektivität zu denken“ (S. 19).
Diese gestaltenreich elaborierten Universalkompositionen werden in einer Zeit der Herstellung und Mobilisierung der Massen insofern fragwürdig, als dass sie die identitätsstiftende Fülle dieser nächsten Wirklichkeit verfehlten. Die neue sich abzeichnende Bahn des Identitätsdenkens sei durch das Anliegen gekennzeichnet, den angeblich leeren Begriffsgehäusen zu entrinnen. So wende sich das Philosophieren aus dem Bann des Allbegreifens erwachend, ‚lebendigen‘ Erfahrungen zu, die sich dem systematischen Griff entzogen hätten: „Identität wird im Zeichen des ‚Konkreten‘ angerufen. Selbstwissen solle endlich, nach einem Überwuchern des eitlen Theoretisierens, unmittelbar praktisch werden“ (S. 53). Das Kapitel Die Konkretisierung der Identität findet seinen Anfangspunkt in dem konstatierten Überdruss am bloß Erdachten, der die Suche nach einer ‚wirklicheren‘ Wirklichkeit an drei verschiedenen Fluchtpunkten in Gang setze, die wiederum das Kapitel konstituieren. Diese wären in unterschiedlicher Gewichtung das ‚Überpersönliche‘ vor allem in Auseinadersetzung mit Marx, das ‚Persönliche‘ v. a. in Auseinandersetzung mit Kierkegaard und Nietzsche und das ‚Unterpersönliche‘, v.a. in Auseinandersetzung mit Freud, mit denen nun unsere Selbst- und Fremdbeziehungen theoretisch rationalisiert werden.
Im dritten Kapitel Die Soziologisierung der Identität wird eine sich an die Konkretisierung der Identität anschließende Rationalisierung rekonstruiert, die ihren Ursprung in einem zunehmenden und immer weiter sich verbreitenden Weltgefühl der Wurzellosigkeit hat, das nach neuem Gesamtsinn suche. Dies verschaffe im Zeitalter der Massenpresse und der Massenbildung, die den Privatmenschen im Publikum wie das Publikum im Privatmenschen erreichbar machen eine mächtige Wirkungskraft für theoretisch-existentielle Sinnkonstruktionen der Identität. Hierin bestehe die Soziologisierung des Denkens im Sinne seiner Seinsverbundenheit, d.h. der gegenseitige Bezug zwischen Ideen und Seinslagen. Angesichts der zwei hiermit verbundenen Perspektiven, die ihrerseits der doppelten Begründung der Soziologie entsprechen, besteht das Kapitel aus den Unterkapiteln ‚Nach Einzelmaß‘ (v.a. Weber) und ‚Vom Gruppenmaß zum Strukturmaß‘ (v.a. Durkheim und Mead).
Die Gedanken der vorherigen Bahn der Rationalisierung konsequent zu Ende gedacht, führe zur anthropologischen Fassung des Rollengedankens, und mit dieser habe die Soziologisierung der Identität ihre Grenzen erreicht: „Kultur wird nun zur Naturtatsache erklärt“ (S. 158). Damit werde der Mensch aus einem Träger von sozialen Rollen zu einem Wesen, das sich in der Mitte von selbst- und fremdgesponnenen Bedeutungsgeweben befindet. In diesem Sinne seien Kulturen unerschöpfliche Welten des sinnhaften Zuschreibens und Auslegens. Das daraus resultierende Primat des Wortes und die damit verbundene „formgebende Kraft von Differenzbildungen durch Menschenworte“ (S. 161) führen dazu, dass auch Identitätslehren „nur noch im Zeichen von dauernd wandelbaren Differenzen aufgestellt werden: Identität wird vom historisch gewachsenen und kulturell gepflegten Nicht-Identischen her gedacht“ (ebd.). Damit kann/muss die Kulturalisierung der Identität zum einen im Zeichen der Differenz (v.a. Foucault und Luhmann) und zum anderen im Zeichen der Kohärenz (v.a. Heidegger und Ricoeur) betrachtet werden.
Einschätzung und Fazit
Zoltán Hidas unternimmt es in der vorliegenden Arbeit „Im Bann der Identität: Zur Soziologie unseres Selbstverständnisses“eine „Übersicht der geschichtlich gewachsenen Vielfalt der Identitätskonzepte“ (S. 18) in soziologischer Absicht vorzulegen. Angesichts der Tatsache, dass es vor der Etablierung der Soziologie als eigenständiger Wissenschaft vor allem philosophische Ansätze sind, und mit Beginn der Moderne, die ja als Geburtsstunde der Soziologie gilt, soziologische, an denen sich Hidas abarbeitet, stellt sich als besondere Herausforderung an die Arbeit die Frage, wie sich mit dem Verhältnis philosophischer und soziologischer Überlegungen zum Thema Identität umgehen lässt. Seine Lösung besteht in der Überführung in eine Systematik bestehend aus den vier Rationalisierungen der Verabsolutierung, der Konkretisierung, der Soziologisierung sowie der Kulturalisierung. Jede dieser sogenannten Bahnen für sich genommen, stellt eine interessante und spannungsreiche Auseinandersetzung mit der Thematik dar.
Da es sich jedoch implizit um eine Art Überführung der „geschichtlich gewachsenen Vielfalt der Identitätskonzepte“ in eine Systematik handelt, suggerieren die Rationalisierungen ein historisches Nacheinander. Vielmehr handelt es sich jedoch um unterschiedliche disziplinäre Perspektiven auf die Beschäftigung mit Identität. So geht es unter der Bezeichnung der Verabsolutierung vor allem um philosophische und bei der Konkretisierung um im weitesten Sinne psychologische Überlegungen. Bei der Soziologisierung und Kulturalisierung verweisen die Bezeichnungen selbst auf die jeweilige Disziplin. Hier soll nicht abgestritten werden, dass bestimmte disziplinäre Überlegungen in Abgrenzung zu anderen zu bestimmten Zeiten dominieren, aber sie bleiben an ihren jeweiligen disziplinären Rahmen gebunden, fokussieren unterschiedliche Aspekte der Identitätsthematik und gehen jeweils von unterschiedlichen (Vor)Verständnissen aus. Die Alternative dieses Vorgehen des Autors zu deuten, bestünde darin, auch die disziplinären Thematisierungen letztlich als soziologische zu sehen. Damit würde aber Zoltán Hidas selbst – wie er es für einige Kollegen formuliert – „als neue(r) Verwalter der sinnhaften Selbst- und Weltverhältnisse auf(treten)“ (S. 104) und somit dem Vorschub leisten, dass die Soziologie zur vollständigen Weltansicht angewachsen, zuzeiten die höchsten Positionen der Philosophie als letzter Deutungsmacht bestürmt. Solche und ähnliche sich aus dem Buch ergebene Fragen, verweisen bereits darauf, dass es sich um eine originelle, anspruchsvolle und tiefgründige Arbeit handelt, die entsprechendes Vorwissen über identitätstheoretische Arbeiten und/oder subjektphilosophische Theorien voraussetzt und durch seine fast schon poetisch anmutende Wissenschaftssprache beeindruckt.
Rezension von
Dr. Juliane Noack Napoles
Institut für Bildungsphilosophie, Anthropologie und Pädagogik der Lebensspanne der Universität zu Köln
Mailformular
Es gibt 12 Rezensionen von Juliane Noack Napoles.