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Gerd Wenninger: Stresskontrolle und Burnout-Prävention

Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 22.12.2014

Cover Gerd Wenninger: Stresskontrolle und Burnout-Prävention ISBN 978-3-89334-562-5

Gerd Wenninger: Stresskontrolle und Burnout-Prävention. Lesebuch und Praxisleitfaden für Gestresste und Erschöpfte und alle, die ihnen helfen wollen. Asanger Verlag (Kröning) 2014. 177 Seiten. ISBN 978-3-89334-562-5. 19,00 EUR.

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Die erschöpfte Gesellschaft?

In den Gesellschaftsanalysen und -forschungen beherrscht derzeit ein Thema den Diskurs, das der Kölner Psychologe und Arbeitsforscher Stephan Grünewald in ein Buch gepackt hat: Die erschöpfte Gesellschaft (2013). Er beklagt darin, dass wir in unserem Leben einige Vokabeln als Triebfedern geradezu als unabdingbare und unerlässliche existentielle Bestandteile unseres Daseins internalisiert haben: Termine, Hektik, Wichtigkeit. Von Überforderung wird gesprochen, und zwar von der frühesten Kindheit an, und bis ins hohe Alter; von Selbst- und Fremdausbeutung in den beruflichen Tätigkeiten, bis in die Freizeit hinein. Die Arbeit als Lust des Lebens wird in den kapitalistischen Lobpreisungen und Versprechungen in die erstrebenswertesten Höhen der individuellen und gesellschaftlichen Existenz gehoben, und als „Pathologie“ zerstörerisch diagnostiziert (Christophe Dejours, Hrsg., Klinische Studien zur Psychopathologie der Arbeit, 2012, www.socialnet.de/rezensionen/13188.php). Psychologen, Psychoanalytiker, Soziologen und Gesundheitswissenschaftler warnen seit Jahren davor, den Fetischen des „business as usual“ und des ungebremsten Wachstumsdenkens nachzulaufen. Warnungen, dass das Ende des ökonomischen Wachstums und der Raffgier der Menschen eingeläutet werden müsse, gibt es seit Jahrzehnten. Die Weltkommission „Kultur und Entwicklung“ hat 1995 den Menschen ins Stammbuch geschrieben: „Die Menschheit steht vor der Herausforderung umzudenken, sich umzuorientieren und gesellschaftlich umzuorganisieren, kurz: neue Lebensformen zu finden“.

Entstehungshintergrund und Autor

Der Asanger-Verlag hat sich spezialisiert auf Fachliteratur zu psychosozialen Themen. Schwerpunkte bilden dabei Informations-, Analyse- und Fortbildungsfragen zu Stress- und Burnout-Prävention, -Management und -Training. Der Diplompsychologe vom Lehrstuhl Arbeits- und Organisationspsychologie an der Technischen Universität München und Geschäftsführer des Asanger-Verlags, Gerd Wenninger, hat das Burnout-Zentrum Bödlhof gegründet, in dem die „Volkskrankheit Burnout“ erforscht und behandelt wird. Das Problem der Krankheit wird mittlerweile im öffentlichen und beruflichen Diskurs ernst genommen, es werden die Gefährdungen hin zur Depression erkannt und Präventionen dagegen entwickelt.

Aufbau und Inhalt

Gerd Wenninger bezeichnet seinen Praxisleitfaden als „Lesebuch“. Damit setzt er sich ab von der Ratgeberliteratur, in der nicht selten leichtfertig und oberflächlich Rezepte angeboten werden, wie Stress- und Erschöpfungszustände zu beheben sind. Er will vielmehr erreichen, dass sich „Dauergestresste“ und „Burnout-Gefährdete“ über die Entwicklung der Krankheit eingehend informieren, zum Nachdenken über ihre Verhaltensweisen anregen, sich mit den Belastungssituationen auseinandersetzen und zur Veränderungsmotivation einladen.

Der Autor gliedert das Handbuch in vier Kapitel.

  1. Im ersten setzt er sich mit den Sichtweisen und Kontroversen zu „Stress und Burnout“ auseinander;
  2. im zweiten diskutiert er „Varianten der Stresskontrolle und Burnout-Prävention“;
  3. im dritten beantwortet er die Frage: „Warum Burnout-Prävention so schwer ist“; und
  4. im vierten Kapitel entwickelt er einen Leitfaden, wie für Präventionsveranstaltungen zur Burnout-Prävention motiviert werden kann.

In insgesamt 15 „Kasten“-Informationen stellt Wenninger die Diskussions- und Analyse-Entwicklung bei Erschöpfungs- und chronischen Überlastungszuständen dar, deren Ursprünge in den psychosozialen und psychologischen Forschungsarbeiten in den USA zu suchen sind. Dort finden sich auch die ersten bildhaften und begrifflichen Beschreibungen und Symptom-Erklärungen. Weil die Analyse von Stress- und Erschöpfungszuständen nicht auf eine oder wenige Ursachen zurückgeführt werden kann, bedarf es in der individuellen Auseinandersetzung und professionellen Therapie einer umfassenden Betrachtung der individuellen und beruflichen Lebensbedingungen von Betroffenen, wie auch der gesellschaftlich-sozialen Situation und Verfasstheit. Im internationalen Diskurs hat sich deshalb eine Begriffsbestimmung und Klassifizierung durchgesetzt, die als „International Statistical Classification of Diseases“ als „Erschöpfungssyndrom“ bezeichnet wird. Klar wird dabei nicht nur, dass es keine Patentrezepte für Belastungs- und Erschöpfungssyndrome gibt, sondern auch, dass eine seriöse und nachhaltige Auseinandersetzung mit Lebensgewohnheiten und -konzepten nicht so nebenbei und flott, sondern individiduell und profession „step by step“ erfolgen muss.

Mit einem Textauszug aus Michael Endes Momo-Geschichte über den Straßenkehrer, der erklärte, dass es nur „Schritt für Schritt“ gehe, die Straße sauber zu halten, diskutiert Wenninger die verschiedenen Varianten zur Stresskontrolle und Burnout-Prävention. In weiteren 24 Kasten-Informationen stellt er eine Reihe von Vorschlägen vor, die ganz banal etwa den Vorschlag beinhalten, zum Stressabbau mehr Wasser zu trinken: „Flüssigkeitsmangel ist für den Organismus Stesss pur“, Meditationen zu lernen und zu praktizieren, Downshiften, sich nicht einfach darauf zu verlassen, das Gelernte und Eintrainierte – „Das haben wir schon immer so gemacht!“ – immer wieder in der selben Weise zu denken und auszuüben, sondern neue Fähigkeiten und Fertigkeiten zu entwickeln, mentale Auszeiten zu nehmen, Gelassenheit einzuüben, und zwar sowohl als eigene Antriebe, als auch in beruflichen Zusammenhängen und in der betrieblichen Gesundheitsförderung. Dass dies keine Potemkinschen Dörfer oder Wolkenkuckucksheime sein müssen, stellt er ein einigen Praxisbeispielen, etwa beim Team der Sozialberatung der Lufthansa Technik AH (LHT), dar.

Es ist die „Allmacht der Gewohnheit“, die Einsichten und Veränderungsprozesse bewirken. Mit acht Beispielen thematisiert der Autor die Möglichkeiten, von den zementierten und scheinbar bestgängigen Wegen abzugehen und gute Vorsätze sich nicht nur vorzunehmen, sondern auch den „inneren Schweinehund“ tatsächlich zu überwinden. „Work-Life-Balance“ muss man sich vornehmen, und sich dabei auch bewusst werden, dass Verhaltensänderungen eines langen Atems und Wirkens bedürfen.

Es sind weitere 17 Themen und Anlässe, die im vierten Kapitel sich den Fragen nach Verhaltensänderungen und Perspektivenwechsel zuwenden. Hier taucht wieder ein Begriff auf, der in der philosophischen, psychologischen und psychosozialen Diskussion in den Zeiten des lokalen und globalen „anything goes“ und des „business as usual“ immer öfter und drängender diskutiert wird: Gelassenheit! (siehe dazu auch: Thomas Strässle, Gelassenheit. Über eine andere Haltung zur Welt, 2013, www.socialnet.de/rezensionen/14938.php). Mit dem Kapitel wendet er sich insbesondere an professionelle Coaches, Therapeuten, Mediatoren, Pädagogen und Erzieher(innen), die sich mit der Thematik auseinandersetzen. Er stellt verschiedene Erklärungs- und Therapiemodelle und -konzepte vor und regt Diskussions- und Analyse-Instrumente dazu an. Dabei öffnet er auch den Blick für notwendige rationale und emotionale Zugänge.

Im Anhang zum Handbuch bringt der Autor drei Analyse- und Therapiemodelle, die für die individuelle und professionelle Prävention zur Stress- und Burnout-Kontrolle hilfreich sein können: „Das infernalische Quartett“ als Modell zur Selbsterkenntnis, die „sechs Veränderungsstadien im Spiralmodell“ und die „Analyse der Gewohnheitsschleifen“.

Fazit

Die Darstellung der vielfältigen Zugangsweisen und Möglichkeiten, die Stresskontrolle und Burnout-Prävention bewirken können, öffnen den individuellen und professionellen Blick auf Phänomene, die als Erschöpfungssyndrome im psychosozialen und gesellschaftlichen Diskurs eine Rolle spielen und neue Herausforderungen erforderlich machen. „Als ‚Praxisleitfaden‘ will er Betroffenen Impulse zur Selbsthilfe geben und Coaches sowie Therapeuten das vielfältige Spektrum der Interventionen aufzeigen“. Dass dies weder mit dem drohenden Zeigefinger, noch mit dem allzu vereinfachenden „Tu das“ – Rezeptbuch erfolgt, macht das Handbuch zu einem wichtigen Ratgeber bei der Auseinandersetzung mit der „Volkskrankheiten“ Stress und Burnout. Dass der Autor dabei die gesellschaftliche Ursachenforschung ziemlich knapp angeht, ist ihm mit dieser Veröffentlichung nicht anzulasten; in der Theorie und Praxis der Prävention freilich ist sie unverzichtbar; und sie muss reichen bis hin zur humanen Gesellschaftsanalyse, die im Literaturverzeichnis allerdings angedeutet wird.

Dr. Jos Schnurer

Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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Es gibt 1576 Rezensionen von Jos Schnurer.

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Zitiervorschlag
Jos Schnurer. Rezension vom 22.12.2014 zu: Gerd Wenninger: Stresskontrolle und Burnout-Prävention. Lesebuch und Praxisleitfaden für Gestresste und Erschöpfte und alle, die ihnen helfen wollen. Asanger Verlag (Kröning) 2014. ISBN 978-3-89334-562-5. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/18098.php, Datum des Zugriffs 24.03.2023.


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