Jan Rommerskirchen: Das Gute und das Gerechte
Rezensiert von Prof. Dr. Dr. habil. Peter Eisenmann, 15.04.2015
Jan Rommerskirchen: Das Gute und das Gerechte. Einführung in die praktische Philosophie. Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH (Wiesbaden) 2015. 271 Seiten. ISBN 978-3-658-08068-6. 39,99 EUR.
Thema
Der Autor geht den in der praktischen Philosophie zentralen Fragen nach, was sowohl eine gute wie auch zudem gerechte Handlung ist und sucht die Antworten in den Bereichen der klassischen Ethik, der Sozialethik, der Wirtschaftsethik und der Gerechtigkeitstheorien. Er stützt sich dabei zum einen auf die klassischen Theorien von Aristoteles, Adam Smith, Jeremy Bentham, John Stuart Mill und Immanuel Kant, zum anderen auf die Sozialethiker Michael Sandel, Peter Singer, Robert Notzick und John Rawls; im Bereich der Wirtschaftsethik werden die Theorien von Amitai Etzioni, Karl Homann und Oswald von Nell-Breuning herangezogen, um schließlich bei den Gerechtigkeitstheoretikern Charles Taylor, Michael Walzer, Amartya Sen und wiederum John Rawls entsprechende Antworten zu finden.
Autor
Jan Rommerskirchen promovierte 2010 an der Universität Duisburg-Essen zum Doktor der Philosophie und lehrt seit seiner Berufung im Jahr 2012 Philosophie an der Hochschule Fresenius in Köln, wo er derzeit das Amt des Studiendekans des Masterstudiengangs Corporate Communication bekleidet.
Entstehungshintergrund
Das Buch entstand im Rahmen eines Seminars des Autors zur ‚Praktischen Philosophie‘ des Masterstudiengangs Corporate Communication und ist als Lehrbuch ausgelegt. Es spiegelt die Ergebnisse aus den Diskussionen in seminaristischer Kleingruppenarbeit wieder.
Aufbau
Das Lehrbuch von Rommerskirchen gliedert sich in sieben, jeweils mit vorwiegend drei weiteren Unterkapiteln versehene Hauptteile auf; es geht ihnen ein Abbildungsverzeichnis sowie ein Vorwort voraus und wird mit einem Literaturverzeichnis abgeschlossen.
Inhalt
Nach einer Einleitung über die Anfänge der Philosophie und insbesondere der praktischen Philosophie wird die Ethik als Wissenschaft unter besonderer Berücksichtigung der eingangs genannten Kernfragen hinterfragt. Dem folgt die breite Darlegung der Grundlagen der Ethik, indem auf die verschiedenen Ethiktypen, wie etwa der teleologischen, der utilitaristischen und der deontologischen Ethik unter Hinzuziehung von deren jeweiligem maßgeblichem Vertreter eingegangen wird. In ähnlicher Weise verfährt der Autor mit der Erläuterung sowohl der Sozialethik (Kapitel 4) wie auch der Wirtschaftsethik (Kapitel 5), ehe er sich den verschiedenen Gerechtigkeitstheorien zuwendet (Kapitel 6). Im abschließenden siebten Kapitel unternimmt es Rommerskirchen Antworten auf die Fragen nach einem guten und auch gerechten Handeln zugeben.
Die Grundannahme der Überlegungen von Rommerskirchen geht von der die Wissenschaft der praktischen Philosophie prägenden dreifachen Bestimmung des menschlichen Wesens aus: von dessen Qualifizierung als vernunftbegabtem Wesen mit seinem Streben nach Wissen, von dem Faktum, dass es sich nur in Gemeinschaft mit anderen zu verwirklichen weiß – und schließlich in seinem natürlichen Streben nach dem höchsten Gut der Glückseligkeit, das ohne ein verpflichtendes moralisches Hinterfragen so nicht erreichbar erscheint. Bezogen auf den in Kap. 2.2 hergestellten Konnex zwischen Recht und Gerechtigkeit, geht der Autor davon aus, dass die soziale Ordnung einer Gemeinschaft durch eine Verbindung von Gesetz und Moral, die beide auf das „Gute“ ausgerichtet sind, bestimmt wird; das aus den Gesetzen resultierende objektive Recht ergänzt sich dann mit moralkonformen Befugnissen aus dem subjektiven Recht. Recht und Gerechtigkeit ergeben sich somit aus einem rechtsethischen Bewusstsein, das zu „kollektiv anerkannten Vollzüge[n] ethischer Wertvorstellungen“ (S. 33) führt. Gilt nun das „Gute“ als eine Wertvorstellung, so kann es auch als gerecht gelten.
Nach der Herstellung der Zusammenhänge zwischen Recht und Gerechtigkeit geht der Autor in seinem dritten Kapitel auf die Grundlagen der Ethik ein, erläutert das Gute und das Ziel des Handelns aus der teleologischen Ethik heraus, indem er beispielhaft auf Aristoteles und dessen Begrifflichkeit von der Glückseligkeit eingeht und in diesem Zusammenhang auf die unterschiedliche Betrachtung der Frage nach der Gerechtigkeit des Handelns hinweist.
Rommerskirchen weist zu Beginn seiner Erläuterung der utilitaristischen Ethik darauf hin, dass Fragen nach Recht und Gerechtigkeit zu Zeiten von Platon und Aristoteles nur für wenige freie Bürger relevant gewesen sind und erst mit Beginn der Neuzeit an Bedeutung gewonnen haben. So rekurriert er auf Hobbes, der die Bedeutung eines Gesellschaftsvertrags, in welchem die Rechte und Pflichten festgeschrieben sind, als nützliche Grundlage des Zusammenlebens in Gemeinschaft erkannte. Des weiteren geht der Autor in diesem Kapitel vor allem auf die „Theorie der ethischen Gefühle“ von Adam Smith, auf Jeremy Benthams Glück der größten Zahl und dessen Nutzen, sowie auf den bekanntesten in der Tradition von Smith und Bentham stehenden Utilitaristen John Stuart Mill ein. Schließlich kommt der Gerechtigkeitsbegriff in der utilitaristischen Ethik ins Spiel: Rommerskirchen sieht zunächst das Problem der Gerechtigkeit in der Antike „im Spannungsfeld zwischen Naturrecht und positivem Recht“ (S. 95). Sodann löst er dieses auf, indem er den genannten Theoretikern des Utilitarismus bescheinigt, kein natürliches Recht gekannt zu haben. Statt dessen ginge es den Utilitaristen darum, all das als gut und gerecht zu begreifen, was als nützlich für das Glück der größten Zahl gelten könne. Dies findet Verdeutlichung durch eine ausführliche Verexemplifizierung.
Die im dritten Kapitel abgehandelte deontologische Ethik geht zunächst von Kants Traktat über die praktische Vernunft aus, sucht den Zusammenhang von Vernunft, Freiheit und Würde zu erklären und wendet sich dann dem kategorischen Imperativ zu und erläutert, warum der Mensch – wie jedes vernünftige Wesen – als Zweck an sich selbst und nicht bloß als Mittel dazu existiert. Daraus resultiert, dass Kant keine Folgenabwägung kennt, die Hoffnung auf Glückseligkeit ausschließt und Gerechtigkeit ohne jegliche Berücksichtigung von Konsequenzen sieht. Es könne somit keine Abwägung eines natürlichen Rechts gegen die Gesetze des Staates geben (vgl. S. 119f.).
In Kapitel 4 wendet sich der Autor der Sozialethik zu. Hier konstatiert er, dass die Sozialethik die soziale Interaktion in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen stellt: „Ihr geht es um die Untersuchung der Normen und der Prinzipien des menschlichen Zusammenlebens, wobei sie den Menschen als freies und soziales Wesen, als Individuum und als Mitglied einer Gemeinschaft betrachtet“ (S.121). Daraus resultieren spezifische Fragestellungen nach einem guten und gerechten Handeln im wechselseitigen Verhältnis von Individuen und Gemeinschaft. Es erscheint selbstverständlich, dass sich Rommerskirchen in diesem Kontext als erstes mit der Theorie des Sozialethikers John Rawls befasst, schreibt er doch in seiner „Theorie der Gerechtigkeit“ im Kapitel über die „Gerechtigkeit als Fairneß“: „Die Gerechtigkeit ist die erste Tugend sozialer Institutionen, so wie die Wahrheit bei Gedankensystemen“ (1979, S.19). Ein entsprechender Gesellschaftsvertrag sollte die Freiheit der Bürger so wenig wie möglich durch Gesetze etc. einschränken, womit Rawls´ liberalistische Grundhaltung zum Ausdruck gebracht wird. Gerechtigkeit wird als faire Zusammenarbeit zum gegenseitigen Vorteil verstanden. Der Autor geht im weiteren Verlauf auf Peter Singer und den Präferenz-Utilitarismus (Gleichheit als Präferenz) ein, greift Robert Notzicks Libertarianismus auf, erläutert die Kommunitaristische Ethik mittels der Positionen des derzeit auch in Europa äußerst populären amerikanischen praktischen Philosophen Michael Sandel, der Gerechtigkeit u. a. durch ein stärkeres Engagement für die gemeinsamen Belange des öffentlichen Lebens zur Erzielung einer gerechten Gesellschaft versteht.
In der Wirtschaftsethik sieht Rommerskirchen vor allem „die Frage nach dem Verhältnis zwischen Individuum und den korporativen Akteuren, die in einer Gesellschaft die ökonomischen Austauschbeziehungen maßgeblich mitgestalten“ (S. 171). Gemeint sind Unternehmen, Vereine, Verbände und andere ökonomische Austauschprozesse gestaltende und beeinflussende Organisationen. Dabei geht er der Frage nach den Einkommen von Managern unter sozialethischen Gesichtspunkten ebenso nach, wie dem Verständnis von Oswald von Nell-Breuning von einer sozialen Ordnung. Dem folgen Darlegungen zu ordnungsethischen Ansätzen (z. B. von Karl Homann) und sozialökonomischen Ansätzen (z. B. Amitai Etzioni)
Das sechste Kapitel seines Werkes gestaltet der Autor mit einem dezidierten Blick in Gerechtigkeitstheorien und unterscheidet dabei zwischen Theorien zur Gerechtigkeit als Fairness, wie wir sie bei Rawls kennenlernen, oder zur Gerechtigkeit als Sozialwahl, wie sie beispielhaft Amartya Sen zugeschrieben werden kann, bzw. zur Gerechtigkeit als Gemeinwohl unter Benennung von Charles Taylor und Michael Walzer.
Zum Abschluss nimmt sich Rommerskirchen nochmals die eingangs gestellte Frage, was ein gutes und gerechtes Handeln ist, vor. Er fasst seine vorherigen Ausführungen beispielsweise in einem Schaubild der Paradigmen der praktischen Philosophie (vgl. S. 256) zusammen, verteidigt die praktische Philosophie als Wissenschaft, bringt sie in Verbindung mit den Menschenrechten und benennt deren Handlungsfelder.
Diskussion
Das Werk von Jan Rommerskirchen beinhaltet sicherlich keine neuen Erkenntnisse zu der immer wieder gestellten Frage nach dem Konnex zwischen einem guten und zugleich gerechten Handeln. Vielfach zugespitzt auf die insbesondere im politisch-gesellschaftlichen Raum aufgeworfene Frage nach der bzw. einer sozialen Gerechtigkeit (die allerdings nur mehr oder weniger unterschwellig mitschwingt) unternimmt es der Autor mittels der Erläuterung der verschiedenen Ethik-Typen und deren repräsentativen Vertreter der gestellten Problematik auf den Grund zu gehen.
Wie erwähnt, kann es mittels dieses methodischen Vorgehens nicht zwangsläufig zu neuen Erkenntnissen kommen, was ja wohl auch nicht im originären Interesse des Autors zu liegen scheint, deklariert er sein Werk doch zu einem aus seminaristischer Tätigkeit entwickelten Lehrbuch. Damit erfüllt es voll und ganz seinen Zweck, zeichnet es sich doch durch eine leicht verständliche Diktion mit klarem Stil aus, welcher zugleich mittels diverser sehr ausführlicher Beispiele Ergänzung findet.
Fazit
Das Buch von Rommerskirchen wird seinem Anspruch, als Lehrbuch gelten zu wollen voll gerecht, noch dazu, wo es mittels einer sehr ausführlichen und plausiblen Beispielgebung einerseits und einer Vielzahl veranschaulichender Abbildungen andrerseits auch jeglichen didaktischen Anforderungen genügt.
Es ist allen Studierenden der Philosophie, wie auch all jenen, die sich mit der eigentlich für jedermann relevanten Fragestellung nach dem Guten und dem Gerechten im gemeinschaftlichen Zusammenleben auseinandersetzen sehr zu empfehlen.
Rezension von
Prof. Dr. Dr. habil. Peter Eisenmann
Professor (em.) für Andragogik, Politikwissenschaft und Philosophie/Ethik an der Technischen Hochschule Würzburg-Schweinfurt, Fakultät Angewandte Sozialwissenschaften
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Zitiervorschlag
Peter Eisenmann. Rezension vom 15.04.2015 zu:
Jan Rommerskirchen: Das Gute und das Gerechte. Einführung in die praktische Philosophie. Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH
(Wiesbaden) 2015.
ISBN 978-3-658-08068-6.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/18163.php, Datum des Zugriffs 10.11.2024.
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