Thomas Apolte (Hrsg.): Transfer von Institutionen
Rezensiert von Prof. Dr. Daniel Buhr, 27.08.2015

Thomas Apolte (Hrsg.): Transfer von Institutionen.
Duncker & Humblot GmbH
(Berlin) 2014.
222 Seiten.
ISBN 978-3-428-14472-3.
D: 89,90 EUR,
A: 92,50 EUR,
CH: 119,00 sFr.
Verein für Socialpolitik: Schriften des Vereins für Socialpolitik, N.F., Bd. 340.
Thema
Der institutionelle Wandel gehört zu den ganz großen Themen der wirtschafts- und gesellschaftswissenschaftlichen Gegenwartsliteratur. Die großen Transformationen von Politik-, Wirtschafts- und Gesellschaftssystemen beschäftigten in den vergangenen Jahrzehnten eine Reihe von Autoren aus vielerlei Wissenschaftsdisziplinen – in Theorie und Praxis, fanden doch einige dieser Analysen Eingang in den Empfehlungskatalog wichtiger internationaler Organisationen. Manche dieser Vorstellungen (z.B. die Konvergenzthese) mündeten in Flexibilisierungs- und Deregulierungsmantras, oder in andere Vorschläge von Institutionentransfer. „Indes wäre die Vorstellung verfehlt, bewährte formelle Institutionen ließen sich schlicht auf die jeweiligen Verhältnisse übertragen, denn formelle Institutionen sind immer eingebunden in ein Geflecht langlebiger informeller Institutionen sowie kultureller Hintergründe. Je nach deren Ausprägung können dieselben formellen Institutionen höchst unterschiedliche Wirkungen auf das Verhalten der Menschen in einem Land entfalten, und was sich in einem Land institutionell bewährt hat, kann in einem anderen Land dann möglicherweise die gewünschte Wirkung verfehlen oder gar in ihr Gegenteil kehren.“ (S. 9f) So geht das Buch aus unterschiedlichen Blickwinkeln einer zentralen Frage nach: Lassen sich Bedingungen benennen, unter denen bestimmte wirtschaftliche und politische Institutionen Aussicht auf einen erfolgreichen Transfer haben?
Herausgeber
Herausgeber des Werkes ist Prof. Dr. Thomas Apolte. Der Münsteraner Volkswirt leitet den Lehrstuhl für Ökonomische Politikanalyse, der dem Centrum für Interdisziplinäre Wirtschaftsforschung der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster angehört.
Entstehungshintergrund
Der vorliegende Band ist das Produkt einer Tagung des Vereins für Socialpolitik, einem der zentralen ökonomischen Vereinigungen im deutschsprachigen Raum. Vom 22. bis zum 24. September 2013 tagte sein Ausschuss für Wirtschaftssysteme und Institutionenökonomik. Die Duisburger Tagung beschäftigte sich im weiten Sinne mit den Bedingungen, Möglichkeiten und Grenzen des internationalen Transfers von Institutionen. Ein Teil der Beiträge ist in diesem Sammelband veröffentlicht. Alle Beiträge wurden durch Korreferenten ausführlich kommentiert.
Aufbau und Inhalt
Nach einer prägnanten Einleitung durch den Herausgeber schließt sich ein Beitrag über das Zusammenspiel und die Erfassung individueller und institutioneller Bedingungen wirtschaftlicher Entwicklung an. Dem Titel nach ist es „Ein Plädoyer für die Figur des kulturellen Dolmetschers“. Den Beitrag haben Nils Goldschmidt, Pia Becker und Alexander Lenger verfasst. Thomas Döring hat das Koreferat dazu gehalten. Goldschmidt/Becker/Lenger sprechen sich für eine methodische Öffnung der ökonomischen Forschung aus, weil aus ihrer Sicht „das ökonomische Modell menschlichen Verhaltens auf der theoretischen Ebene ebenso wie die ökonometrische Methodik auf der empirischen Ebene nicht hinreiche, um der komplexen Vielfalt gerecht zu werden, welche sich im Zusammenhang mit den kulturellen Hintergründen ergeben, vor denen sich institutionelle Transferprozesse notwendig abspielen.“ (S. 10) Daher müsse das methodische Spektrum der neoklassischen Wirtschaftswissenschaft – nicht zuletzt durch mehr qualitative Zugänge – erweitert werden, schließlich sei die Ökonomik ja „eine kulturelle Wissenschaft“ (S. 17) und menschliches Handeln „mehr als nur theoretische oder mathematische Konstrukte.“ (S. 24)
Jürgen Jerger wählt in seinem daran anschließenden Beitrag eine historische Perspektive. Er analysiert die Bedeutung historischer Grenzen für die Fähigkeit von Staaten, formellen institutionellen Wandel innerhalb zeitgenössischer Grenzen zu vollziehen. Er argumentiert, dass sich historische Grenzen in der Regel mit zeitgenössischen Grenzen überschneiden würden. Daher markierten sie den Einflussbereich ehemaliger formeller Institutionen, die oft bis in gegenwärtige informelle Institutionen hineinwirken und damit dann auch die Wirkung (importierter) formeller Institutionen mitbestimmten. Herbert Brücker hat das Koreferat dazu gehalten.
Carsten Herrmann-Pillath und Joachim Zweynert entwickeln die Figur des kulturellen Unternehmers. Dieser mache es möglich, bewusste institutionelle Entscheidungen in einem Land zu treffen und dabei die spezifischen kulturellen Hintergründe ebenso wie die informellen Institutionen berücksichtigen zu können. Daher dürfe eben nicht erwartet werden, dass sich Institutionen per se transferieren ließen und zu einer weltweiten Konvergenz hin zu einheitlichen Standards führten. „Vielmehr ist es Aufgabe kultureller Unternehmer, vor dem Hintergrund bestehender Pfadabhängigkeiten realisierbare und zugleich wohlfahrtssteigemde Institutionentransfers zunächst zu entdecken und sodann auch umzusetzen.“ (S. 11) Der Beitrag wurde von Heike Walterscheid kommentiert.
Markus Taube zeichnet nach einer Grundlegung zum Institutionentransfer in einer umfassenden Präsentation die verschiedenen Phasen des institutionellen Wandels in China seit den ersten Reformschritten von 1978 bis heute nach. „China folgte damit einem außergewöhnlichen Modell der Transformation seines Wirtschaftssystems, indem es ganz anders als die erfolgreichen Transformationsstaaten Mittel- und Osteuropas schrittweise und unter Aufrechterhaltung des zentralistisch-autoritären politischen Systems stets darum bemüht war, die politische Kontrolle über den institutionellen Wandel in der Hand zu behalten.“ (S. 11)
Rahel Schomaker und Dirk Wentzel beschäftigen sich mit institutionellem Wandel durch Revolutionen. Sie beleuchten dabei vor allem jenen Wandel, der häufig auch als „Arabischer Frühling“ bezeichnet worden ist. Die Verstärkung dieses Drucks erklären sie vor allem durch eine soziostrukturelle Variable: die Demographie. Gerade die arabische Welt verzeichne seit einiger Zeit einen hohen Anteil junger Menschen, die wegen unzureichender beruflicher Perspektive häufig ein hohes Unzufriedenheitspotenzial und großes Konfliktpotenzial verfügten. Treffe dieses Konfliktpotenzial auf entsprechend schlechte Migrationsmöglichkeiten (im Sinne Hirschmans: no exit), bliebe theoretisch nur noch „Voice“ und Gegenwehr übrig. Diese These finden sie in ihrer empirischen Überprüfung bestätigt. Christian Müller hat das Koreferat dazu geschrieben.
Den Abschluss des Bandes bildet ein Beitrag von Tim Stuchtey und Therese Skrzypietz, der von Oliver Budzinski kommentiert wurde. Sie untersuchen darin eine ganz spezifische Form des institutionellen Wandels im Bereich der Sicherheitswirtschaft in Deutschland. Waren Sicherheitsgüter traditionell staatlichen Institutionen vorbehalten, so wandelt sich international und national dieses Bild zunehmend. So zeige sich, dass Sicherheitsgüter je nach Hintergrund sehr unterschiedliche Eigenschaften aufweisen könnten und sich daher auch die institutionelle Ausgestaltung ihrer Bereitstellung wandle.
Fazit
Die augenfällig größte Schwäche des Buches ist zugleich seine größte Stärke: der Band ist nämlich sehr eklektisch. So interessant und spannend die vielen, unterschiedlichen Perspektiven auch sind, mancherorts hätte man sich noch weitergehende Ausführungen gewünscht, beispielsweise mehr Anleihen aus der vergleichenden politischen Ökonomie und ihren aktuellen Weiterentwicklungen, die auch auf die speziellen institutionellen Arrangements jener autokratischen Systeme eingehen (z.B. China und Russland als „inkorporierte Kapitalismen“). Jener Wunsch ist aber für einen Tagungssammelband vermutlich etwas vermessen. Ich habe das Buch mit großem Interesse gelesen und fand gerade die methodische wie analytische Erweiterung traditioneller neoklassischer Ansätze sehr inspirierend, liegt doch gerade hier die besondere Kraft – der leider viel zu selten praktizierten – interdisziplinären Koproduktionen aus Wirtschafts- und Sozialwissenschaft.
Rezension von
Prof. Dr. Daniel Buhr
Eberhard Karls Universität Tübingen,
Institut für Politikwissenschaft.
Professur für Policy Analyse und Politische Wirtschaftslehre
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