Beigewum, Attac, Armutskonferenz (Hrsg.): Mythen des Reichtums
Rezensiert von Laura Sturzeis, 12.06.2015

Beigewum, Attac, Armutskonferenz (Hrsg.): Mythen des Reichtums. Warum Ungleichheit unsere Gesellschaft gefährdet. VSA-Verlag (Hamburg) 2014. 171 Seiten. ISBN 978-3-89965-618-3. D: 12,80 EUR, A: 13,20 EUR, CH: 18,90 sFr.
Thema
Das Buch hat die ungleiche Verteilung von Vermögen in Deutschland und in Österreich zum Thema. Ziel dieser Publikation ist, jene Mythen zu entlarven, die sich um Reichtum, dessen Erlangung (Fleiß!) und Mehrung (individuelle Leistung!) ranken. Zudem ist das Buch das Ergebnis der 2013 in Wien abgehaltenen Reichtumskonferenz mit dem Titel „Wer das Gold hat, macht die Regeln“ und versteht sich selbst als Beitrag, um „Mythen, Märchen und Lügen des vorherrschenden Reichtumsdiskurses zu benennen und zu widerlegen.“ (S. 16)
Herausgeber
Herausgegeben wurde das Buch von BEIGEWUM (Beirat für gesellschafts-, wirtschafts- und umweltpolitische Alternativen), einem Verein von SozialwissenschaftlerInnen unterschiedlicher Disziplinen, ATTAC, einer internationalen Bewegung für die demokratische und soziale Gestaltung der Wirtschaft, sowie der Armutskonferenz, einem Netzwerk sozialer Organisationen, Bildungs- und Forschungseinrichtungen, die sich dem Thema Armut, sowie dessen Bekämpfung annehmen.
Aufbau und Inhalt
Vierzehn gängige Mythen über Reichtum werden thematisiert, die in Kapitel gegliedert sind. Den einzelnen Mythen sind Gedichte (z.B. von Bertold Brecht und Erich Kästner) und literarische Textpassagen (z.B. von Georg Simmel und Bernard Mandeville) vorgelagert, die alle Reichtum in verschiedenster Weise thematisieren. Ein Vorwort zu „Reichtum – was ist das?“, sowie das Nachwort „Unglaublich, aber unwahr.“ von Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek bilden den Rahmen dieser modernen Mythensammlung.
Im einleitenden Vorwort wird der Frage nachgegangen was Reichtum überhaupt ist, wo er beginnt und wie er sich definieren lässt. Auch wenn es unterschiedliche Wege gibt, diese Frage zu beantworten, so zeigt sich: „Reichtum ist vor allem eine Frage von Vermögen und nicht von Einkommen.“ (S. 10) Aber gerade hier ist es schwierig, brauchbare Daten zu erhalten. Eine der wenigen Quellen, die zuverlässige Daten liefert, ist der Household Finance and Consumption Survey (HFCS) der Europäischen Zentralbank, auf den in vielen Beiträgen dieser Publikation rekurriert wird. Doch nicht immer ist der schiere Betrag des Vermögens, über den Reiche verfügen, zentral, als vielmehr die gesellschaftliche Macht von Relevanz, die sie durch ihr Vermögen ausüben können. Im Gegensatz dazu geht Armut mit einem „Mangel an Verwirklichungschancen“ (S. 12) einher. Armut und Reichtum bedingen einander. Dies gilt es auch in Verteilungsdebatten zu berücksichtigen.
Das vermutlich beharrlichste Argument wird als Mythos Nummer eins thematisiert: „Wer hart arbeitet, wird reich“. Stimmt so nicht, meinen die AutorInnen, da schon das Einkommen so ungleich verteilt sei, dass der Großteil der Bevölkerung gar nicht erst in die Lage kommt, Vermögen anzusparen (S. 19). Durch Arbeit wird man aufgrund hoher arbeitsbezogener Steuern und Lohnerhöhungen, die kaum die Inflationsrate ausgleichen, heutzutage selten reich. Und Erträge aus Vermögen realisieren erst die obersten 5 % aller Erwerbstätigen in Österreich. „Nur wenige schaffen es – durch Fleiß oder Glück – von der TellerwäscherIn zur MillionärIn.“ (S. 23) Dieser Befund gilt für Österreich, gleichermaßen wie für andere Länder – insbesondere auch für die USA. „Kaum 5 % der AmerikanerInnen schaffen den Weg aus dem untersten Einkommensquintil in das oberste.“ (ebd.) Doch die Wenigen, denen dies gelingt, rücken ihre eigene Leistung in den Mittelpunkt, wodurch sie dem empirisch widerlegten Aufstiegsmythos immer wieder auf´s Neue Leben einhauchen.
Ein weiterer Mythos widmet sich der Chancengleichheit auf Reichtum zwischen den Geschlechtern: „Reich werden kann jede, genauso wie jeder.“ (S. 40) Hier weisen Befunde darauf hin, dass es auch bei Reichtum und Vermögensaufbau einen Gender Gap gibt. Analog zu den bekannten Unterschieden in der Einkommensverteilung (Stichwort: „Equal Pay Day“), kann anhand einer Untersuchung von Single-Haushalten nachgewiesen werden, dass Frauen durchschnittlich 40 % weniger Vermögen besitzen als Männer (S. 41). Der Unterschied in den Vermögensverhältnissen hängt einerseits mit den bestehenden Einkommensunterschieden zusammen. Andererseits zeigt sich auch, dass Frauen in Summe weniger erben als Männer. Zwar nimmt der Vermögensbesitz mit höherer Bildung bei Männern und Frauen zu, bei letzteren jedoch im deutlich geringeren Ausmaß. „Die Vermögensschere (…) klafft mit steigendem Ausbildungsniveau weiter auseinander.“ (S. 45) Die „gläserne Vermögensdecke“ lässt sich von Frauen nur schwer durchbrechen.
Die Behauptung, dass „Reiche (…) besser mit Geld umgehen als der Staat“ (S. 99) wird ebenfalls als Mythos entlarvt. Entgegen der landläufigen Meinung, dass ein (perfekt) funktionierender Markt die Voraussetzung für florierende Unternehmen und in der Folge den verdienten Reichtum des/der UnternehmerIn sei, zeigt sich, dass „[g]roßer Reichtum [dort] entsteht (…), wo Märkte eben nicht unter vollständiger Konkurrenz operieren, wo sie nicht so funktionieren, wie in einem einfachen Marktmodell angenommen.“ (S. 100f.) Beispiele hierfür finden sich gleichermaßen auf Gütermärkten (Monopolstellung von Unternehmen als Reichtumsgarant), auf Kapitalmärkten (Reichtum wird nicht durch Sparzinsen, sondern durch Informationsvorsprung und Marktmacht erreicht) und auf Arbeitsmärkten (die Höhe von Vorstandsvorsitzenden-Gehältern hat wenig mit Effizienz bzw. Angebot und Nachfrage zu tun). Demzufolge ist Reichtum also kein Ergebnis funktionierender Märkte. Und auch die UnternehmerInnen sind in Effizienz und Kreativität dem Staat keineswegs überlegen. Vielmehr sind sie es – und nicht umgekehrt – die als Vorbedingung für ihr unternehmerisches Handeln auf den Staat angewiesen sind, argumentieren die AutorInnen. Schließlich ist es der Staat, der riskante Investitionen in z.B. Forschung tätigt und somit erst Märkte gezielt schafft und Innovationen ermöglicht.
Der Mythos, dass der Staat Reiche ausspionieren will, während Arme mit Sozialleistungen überhäuft werden, gilt als wirkmächtiges Argument gegen die Einführung von Vermögenssteuern. Doch auch hier malen die Fakten ein anders Bild: „Während die Vermögensverhältnisse von Reichen völlig im Dunkeln bleiben, gibt es für Arme, die auf Mindestsicherung [Anm.: in Österreich] angewiesen sind, keinerlei Schutz der Privatsphäre.“ (S. 119) So regeln detaillierte Bestimmungen, die Offenlegungspflichten der BezieherInnen der bedarfsorientierten Sozialhilfeleistung. Darüber hinaus unterliegen auch Angehörige, die (potenziell) unterhaltspflichtig sind, einer weitreichenden Offenlegungspflicht. Der gläserne Mensch ist derjenige, der arm ist und nicht umgekehrt!
Diskussion und Fazit
Der etwas andere Tagungsband über die 2013 stattgefundene Reichtumskonferenz ist ein aufklärerisches Werk im besten Sinne geworden. Eine ‚Leistungsschau‘ gängiger (neo-)liberaler Argumentationen wird präsentiert, um sie anschließend überwiegend mit empirischen Daten – aber manches Mal auch mit theoretischen Argumenten (z.B. der Verweis auf Pierre Bourdieus Konzept verschiedener Kapitalsorten) – zu entlarven und sie auf diesem Wege als Mythen zu kennzeichnen. Sei es die individuelle Leistung, mit der Vermögende gerne ihren Reichtum legitimieren oder sei es der findige Unternehmer (schon seltener: die Unternehmerin), der dem Staat Innovationsfeindlichkeit und (betriebs-)wirtschaftliche Inkompetenz unterstellt, einfache Argumentationen werden als das bloßgestellt, was sie sind: Instrumente, die die Machtungleichgewichte plausibilisieren (sollen) und sie dadurch sukzessive einzementieren, sowie notwendige Diskussionen darüber unterbinden, wie Reichtum – oder besser: Wohlstand – in einer Gesellschaft verteilt sein soll. Man wünscht sich, dass dieser aufklärerische Impetus breiten Widerhall finde.
Rezension von
Laura Sturzeis
Sozioökonomin und Programmkoordinatorin des Masterstudiums Sozioökonomie an der Wirtschaftsuniversität Wien
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Zitiervorschlag
Laura Sturzeis. Rezension vom 12.06.2015 zu:
Beigewum, Attac, Armutskonferenz (Hrsg.): Mythen des Reichtums. Warum Ungleichheit unsere Gesellschaft gefährdet. VSA-Verlag
(Hamburg) 2014.
ISBN 978-3-89965-618-3.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/18187.php, Datum des Zugriffs 09.06.2023.
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