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Hans Hoch (Hrsg.): Sicherheiten und Unsicherheiten

Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 23.01.2015

Cover Hans Hoch (Hrsg.): Sicherheiten und Unsicherheiten ISBN 978-3-643-12691-7

Hans Hoch (Hrsg.): Sicherheiten und Unsicherheiten. Lit Verlag (Berlin, Münster, Wien, Zürich, London) 2014. 403 Seiten. ISBN 978-3-643-12691-7. 39,90 EUR.

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Das Spannungsfeld von „Crisis and Collapse“, oder: „Das Verlangen nach Sicherheit bringt Trägheit hervor“

In den Zeiten der sich immer interdependenter, entgrenzender und (scheinbar) unsicherer entwickelnden (Einen?) Welt werden die Unsicherheiten größer. Mit der Frage „Was müssen Menschen wissen, um sich in dieser Welt der Umbrüche orientieren zu können?“, wird auf das Dilemma hingewiesen, wie in den Zeiten der Konflikte, Krisen und Risiken die Individuen und die Menschheit eine humane Entwicklung ermöglichen können (Oskar Negt, Der politische Mensch. Demokratie als Lebensform, 2010, www.socialnet.de/rezensionen/11988.php).Politologen, Philosophen (Julian Nida-Rümelin: Philosophie einer humanen Bildung, www.socialnet.de/rezensionen/14556.php), Ökonomen (Elinor Ostrom, Was mehr wird, wenn wir teilen. Vom gesellschaftlichen Wert der Gemeingüter, 2011, www.socialnet.de/rezensionen/11224.php), Ethiker (Hermann Schoenauer, Sozialethische Dimensionen in Europa. Von einer Wirtschaftsunion zu einer Wertegemeinschaft, 2013, www.socialnet.de/rezensionen/16036.php), Journalisten ( Eberhard Straub, Zur Tyrannei der Werte, 2010, www.socialnet.de/rezensionen/10807.php), Kulturwissenschaftler (Jürgen Wilhelm, Hrsg., Kultur und globale Entwicklung. Die Bedeutung von Kultur für die politische, wirtschaftliche und soziale Entwicklung, 2010, www.socialnet.de/rezensionen/10774.php), und nicht zuletzt Soziologen machen darauf aufmerksam, dass wir in einer „Weltrisikogesellschaft“ (Ulrich Beck +) leben. Sie halten Ausschau nach Alternativen zur unzulänglichen und unbefriedenden, lokalen und globalen Lage der Welt.

Entstehungshintergrund und Herausgeber

Dass die Menschen kein absolut sicheres Dasein auf der Erde erwarten können, und dass das Leben in allen seinen Facetten und Situationen Risiko ist, gehört mittlerweile zum existenzphilosophischen und soziologischen Erkenntnisstand. Die Ansprüche und Erwartungshaltungen der Menschen, in den Zeiten der Unsicherheiten ein sicheres, soziales Leben führen zu können, wachsen. In dieser Kontroverse zeigen sich eine Reihe von Imponderabilien und Widersprüche, die im gesellschaftlichen Diskurs nicht immer objektiv und sachgerecht zu Wort kommen; etwa durch die Diskrepanz, dass der Sicherheitsanspruch möglicherweise Freiheitserwartungen tangieren kann (Herfried Münkler / Matthias Bohlender / Sabine Meurer, Hrsg., Sicherheit und Risiko. Über den Umgang mit Gefahr im 21. Jahrhundert, 2009, www.socialnet.de/rezensionen/9484.php).

Hans Hoch vom Fachbereich Geschichte und Soziologie der Universität Konstanz und Vorstand des Freiburger Instituts für angewandte Sozialwissenschaft und Peter Zoche vom Karlsruher Fraunhofer Institut für System- und Innovationsforschung geben den Sammelband „Sicherheiten und Unsicherheiten“ heraus. Sie und die weiteren Autorinnen und Autoren widmen die soziologischen Beiträge dem langjährigen Leiter des Freiburger Instituts für angewandte Sozialwissenschaft (FIFAS), den em. Sozialwissenschaftler Baldo Blinkert (73). Die Laudatio umgreift Blinkerts bisher 40jähriges wissenschaftliches, forschendes und lehrendes Schaffen, das bestimmt ist von der Überzeugung und dem tätigen Wirken, „dass die Welt noch zu retten ist“. Auf diesem „Prinzip Hoffnung“ bauende theoretische und praktische soziologische Forschung gründet, so die Herausgeber, auf dem Bewusstsein „eine(r) konstruktive(n) Wertigkeit von Sinn“. Sein Wirken sei vergleichbar mit dem scheinbar unmöglichen, aber doch realisierbaren, weil kritisch-beständigen Wirken, das „Runde ins Eckige zu bringen“. Diese Form „einer exemplarisch gelingenden Soziologie“ wollen die Schülerinnen und Schüler, Freunde und weiterhin Wegbegleiter Baldo Blinkerts mit dem Sammelband aufzeigen. Auch im Internet-Rezensionsdienst socialnet sind zwei seiner Bücher vorgestellt worden (www.socialnet.de/rezensionen/2116.php und www.socialnet.de/rezensionen/16586.php).

Aufbau und Inhalt

Neben der Einführung in den Tagungsband durch die Herausgeber, in der sie über das akademische Wirken Baldo Blinkerts informieren und es in den soziologischen Zusammenhang von Sozialer Arbeit – sozioökonomischen Grundlagen – Erziehungs- und Bildungstheorien und -praxis und Professionalisierung stellen. Der Forschungskomplex „(Un-)Sicherheit“ wird dabei als ein Schwerpunkt seiner wissenschaftlichen Tätigkeit herausgestellt: „Aus makrosoziologischer Perspektive analysierte er hier auf der Grundlage von EU-Daten für den europäischen Raum einen signifikanten Zusammenhang von Unsicherheitsbefindlichkeiten und Massierung anomischer Indikatoren sowie (mangelnder) Ausprägung des Wohlfahrtsstaatstypus“.

Der Band wird weiterhin in fünf Kapitel gegliedert: „Sicherheiten und Unsicherheiten – Semantik – Theorie – Empirie. Auf dem Weg zu einem Sicherheitsbarometer“ (I); „Sicherheiten und Unsicherheiten im Wandel von Urbanisierung. Der Fokus Stadt und Wohnumfeld“ (II); „Sicherheiten und Unsicherheiten im Kontext der Familien- und Generationenperspektive“ (III); „Sicherheit und Unsicherheit in weiteren gesellschaftlichen Relevanzsystemen: Religion – Wirtschaft – Mobilität – Politik“ (IV); „Sicherheiten und Unsicherheiten im Kontext zivilgesellschaftlicher Perspektiven“ (V). In einem weiteren Kapitel (V) werden Beiträge „Baldo Blinkert im Fokus“ abgedruckt. Als Blickfänge wird der Sammelband mit zwei aussagekräftigen Bildern am Anfang und am Schluss des Bildes illustriert: „Risiko im Idyll“ und „Der analytische Blick. Weitsicht unterm Hut – Mann im Hut – auf sicherer Bank“, beide von der Kunsterzieherin, Lehrerin, Kinderbuchautorin und Künstlerin Sigrid Gregor.

Die Tübinger Rechtswissenschaftlerin Rita Haverkamp stellt mit ihrem Beitrag „Grundzüge eines Sicherheitsbarometers in Deutschland“ die inhaltlichen und methodischen Zielsetzungen beim interdisziplinären Forschungsprojekt „Barometer Sicherheit in Deutschland“ vor. In der Studie werden objektivierte Daten zu den Bereichen Kriminalität, Terrorismus, Naturkatastrophen und technische Großunglücke grundgelegt. Die Arbeit des Forschungsverbundes fließt jeweils in die Periodischen Sicherheitsberichte der Bundesministerien des Innern und der Justiz ein (2001, 2006). Die Autorin zeigt mit dem „Sicherheitsquadrat“ die Befindlichkeiten und Vorfindbarkeiten in der Bevölkerung zur objektivierten und subjektiven Sicherheit mit den Parametern „sicher“ – „vermeintlich sicher“ – „unsicher“ – „vermeintlich unsicher“ auf.

Der Freiburger Soziologe Andreas Armborst informiert über „Sicherheitsforschung“, indem er die relevanten Begrifflichkeiten, Theorien und Methoden diskutiert und neue Ansätze aufzeigt, in denen Unsicherheit nicht als objektiver Zustand der Gesellschaft dargestellt wird, sondern sich in drei unterschiedlichen Sichtweisen zeigen, der statistisch-objektivierten Sicherheit, der subjektiv-erlebten Sicherheit und der medial-diskursiven Sicherheit.

Die wissenschaftliche Referentin Dina Hummelsheim und der Soziologe Dietrich Oberwittler, beide vom Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg, informieren mit ihrem Beitrag „Unsicherheitsgefühle und ihr Einfluss auf die Lebenszufriedenheit in Deutschland“ über die empirischen Ergebnisse einer Bevölkerungsbefragung und Lebensqualität in Deutschland 2012. Aus den kognitiven und emotionalen Aussagen der Befragten 2.525 ausgewählten Personen ergibt sich eine breite Palette von Risiko- und Gefahreneinschätzungen und -bewertungen, die sich als Lebensunzufriedenheit äußern, wie auch von Formen des generalisierten Vertrauens und internalen Kontrollüberzeugungen, die Lebenszufriedenheit signalisieren.

Der Direktor des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg, Hans-Jörg Albrecht, berichtet mit seinem Beitrag „Sicherheit, Sicherheitsmonitoring und Viktimisierungsstudien“ über Konzepte und Ergebnisse der Viktimisierungsforschung, die sich in den 1960er Jahren entwickelte und heute in der EU-Politik eine deutliche Aufwertung erfährt. Der Überblick über den Stand der Forschung in einigen europäischen Ländern zeigt unterschiedliche Standards auf. Die Notwendigkeit, in den Viktimisierungs-(Opfer)studien nicht nur statistische und quantitative Daten heranzuziehen, sondern ebenso qualitative Werte, wie „Wohlbefinden“, „Lebensqualität“, soziale Beziehungen und Unsicherheiten einzubeziehen, bedeutet gleichzeitig, zum sozialen Fortschritt beizutragen.

Das zweite Kapitel „Sicherheiten und Unsicherheiten im Wandel von Urbanisierung“ beginnt der Soziologe Tim Lucas von der Bergischen Universität Wuppertal mit den Beitrag „Sicherheit in der Stadt“. Die Frage, wie urbane Resilienz als Paradigma der städtebaulichen Kriminalprävention gelten könne, wird beim Trend zur Reurbanisierung von städtischen Gemeinwesen immer wichtiger. Es komme darauf an, dem notwendigen Bewusstsein für Nachhaltigkeit die Fähigkeit hinzuzufügen, „belastende Einflüsse flexibel aufzufangen, auszugleichen und in einer Weise zu überstehen, dass die eigene Handlungsfähigkeit erhalten bleibt“. Unter den Gesichtspunkten eines sicheren Lebens für Menschen in urbanen Gebieten kommt es also darauf an, Resilienz und Prävention in Einklang zu bringen.

Der Sozialwissenschaftler von der Evangelischen Hochschule Ludwigsburg, Peter Höfflin, stellt mit dem Referat „Kinderspiel im Kontext von Sozialraum und Sicherheit“ die Ergebnisse der Freiburger Kinderstudie von 1993 und die der Folgestudien vor. Im Fokus steht dabei die Zielsetzung, Gefahrlosigkeit als Merkmal der Aktionsraumqualität von Kindern zu gewährleisten und gleichzeitig den Umgang mit Risiken erfahrbar zu machen: „Risikobeherrschung ist ein zentrales Element des Kinderspiels“, weil Kinder nur in der Auseinandersetzung mit Risiken Risikokompetenz erwerben können.

Die Freiburger Soziologin Christine Kimpel setzt sich auseinander mit „Gebrauchswert und Bedeutung naturnaher städtischer Räume“. Weil städtisches Leben in Ermöglichungs-, nicht in Verhinderungsräumen stattfinden sollte, kommt es bei der Städteplanung darauf an, bei allen Beteiligten ein Verständnis und Übereinstimmung über soziale Räume herbeizuführen. Die Autorin arbeitet die Kriterien dafür heraus und stellt als Beispiel Sozialstrukturanalysen für den Freiburger Stadtteil Mundenhof vor.

Die Freiburger Soziologen und städtischen Mitarbeiter Andreas Kern und Thomas Willmann informieren mit dem Beitrag „Öffentliche Sicherheit in Freiburg“ über die Ergebnisse der regelmäßig seit 1999 durchgeführten Bürgerumfragen, und sie werten die Aussagen der jüngsten Bürgerumfrage 2012 aus. Mit dezidiert dargestellten statistischen und grafischen Analysen gelingt es ihnen, Sicherheitsbewusstsein und -bedürfnis der Freiburger Bürgerinnen und Bürger als übertragbare Exempel zu vermitteln.

Der Soziologe von der Freiburger Universität, Dominique Schirmer und der Doktorand Guan-Chun Lin stellen Studien vor, die sie in der chinesischen Großstadtregion Qingdao zur Nutzung von Mikroblogs durchgeführt und in Beziehung zu Verkehrsaufkommen und -nutzung der Bevölkerung gesetzt haben: „Blindwütige Veränderung – Urbanisierung und Unbehagen in einer chinesischen Großstadt“. Die Untersuchungen zeigen Entwicklungen auf, die die Autoren mit der eher resignativen chinesischen Sicht darstellen: Tian Yuan Di Fang – der Himmel ist rund, die Erde ist quadratisch, was ein Schlaglicht auf die gesamtgesellschaftliche, ökonomische und politische Situation in China wirft.

Das dritte Kapitel „Sicherheiten und Unsicherheiten im Kontext der Familien- und Generationenperspektive“ eröffnet die Freiburger Soziologin Judith Eckert mit der Frage: „Verunsichernde Sicherheitskultur?“. Am Beispiel „Timing von Elternschaft vor dem Hintergrund der Norm der verantworteten Elternschaft“ zeigt sie den aktuellen Kenntnis- und Forschungsstand auf und stellt empirische Ergebnisse ihrer Studie vor. Sie zeigt auf, dass „im Vorfeld der Familiengründung verschiedene Sicherheiten geschaffen werden müssen, v. a. partnerschaftliche, finanzielle sowie berufliche“. Sie plädiert dafür, die traditionellen Normen und -vorstellungen für verantwortete Elternschaft und die konkreten und subjektiven gesellschaftlichen Voraussetzungen in Einklang zu bringen.

Peter Messmer vom Baden-Württembergischen Sozialministerium diskutiert mit den Beitrag „Bedrohliche Pflege und gepflegte Verunsicherung“ Aspekte der Pflege aus der Perspektive des „Sicherheitskomplexes“. Mit der von Baldo Blinkert entwickelten Betrachtung, dass sich das „Erleben von Unsicherheit ( ) in einer Furcht vor Bedrohung (äußert)“, stellt der Autor verschiedene Szenarien und Wirklichkeiten dar, wie Bedrohungen wirken und sich auswirken können. Es sind letztlich gesellschaftspolitische Präferenzen, Zu- und Missstände, die zufriedenstellende Lösungen möglich oder unmöglich machen. Seinem Appell, „Sicherheit in der Pflege durch weniger Subsidiarität (sondern durch) mehr Solidarität“ sicherzustellen, ist nichts hinzuzufügen.

Die zu Fragen der multiprofessionellen Versorgung an der Universität Witten-Herdecke arbeitende Ulrike Höhmann referiert über „Pflegedokumentation in der stationären Altenpflege“. Sie stellt „paradoxe Sicherheiten“ fest, indem sie darauf verweist, dass es bisher keinen pflegewissenschaftlichen Konsens über sachliche, inhaltliche und personale Minimalia für Pflegedokumentation gibt, um die vielfältigen, ökonomischen, fiskalischen, bürokratischen und professionellen Interessen auf einen gemeinsamen Nenner bringen zu können. Ihre eher pessimistische Meinung: „Im Sinne paradoxer Effekte begünstigen sie (die Dokumentationsauflagen, JS) damit wahrscheinlich eine langfristige Austrocknung des eigenen Handlungsfeldes oder zumindest die Stabilisierung struktureller Unsicherheit der eigenen Rahmenbedingungen“.

Im vierten Kapitel werden weitere, gesellschaftliche Relevanzsysteme behandelt: Religion – Wirtschaft – Mobilität – Politik. Der Religionssoziologe Peter Höhmann setzt sich auseinander mit „Sicherheitskonstruktionen im Religionssystem unter Bedingungen unvollständiger Integration“. In einer Sekundäranalyse betrachtet der Autor die Ergebnisse einer von der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau durchgeführten Mitgliederstudie, in der schwerpunktmäßig die Frage beantwortet werden sollte, „in welchen Lebenssituationen eine Reaktion der Befangenheit abgestreift werden kann, und in welchen ein eindeutiges Integrationsmuster nicht hergestellt wird“.

Die Sozialmediziner von der Freiburger Forschungsstelle Arbeits- und Sozialmedizin, Hans-Joachim Lincke und Matthias Nübling, plakatieren mit dem doppelten Wortzeichen „Bringt euch in Sicherheit?!“ vorfindbare Bürger- und Kundenkonflikte aus Sicht der betrieblichen Gefährdungsanalyse“ zur Sprache. Am Beispiel des hierarchischen TOP-Prinzips des Arbeitsschutzes (T = technisch-bauliche; O = organisatorische; P = personenbezogene Maßnahmen) diskutieren die Autoren ausgewählte Prämissen und exemplarische Praxen in verschiedenen Branchen und verdeutlichen die Gewichtigkeiten bei den Abwägungen zwischen Sicherheit und Offenheit, Zivilisiertheit und Arbeitssicherheit.

Katharina Manderscheid vom Soziologischen Seminar der Universität Luzern setzt sich auseinander mit „Lokal-räumliche(r) Verankerung und mobile(r) Ungleichheit“. In der soziologischen Ungleichheitsforschung nimmt „Mobilität“ einen besonderen Stellenwert ein. Die Autorin benutzt die These von der „prinzipiellen Gesellschaftlichkeit von Mobilitäten“, um in einer Korrespondenzanalyse zu prüfen, wie sich ungleiche Muster bei der Schweizer Bevölkerung finden lassen und miteinander verbinden. Sie kann verdeutlichen, dass die Verbindungen „der räumlichen Kontextualisierung und sozialen Aushandlung von Mobilitätsentscheidungen in Beziehungsnetzwerken sowie der Interaktion von verschiedenen innerhalb von Lebensläufen und Haushalten methodisch Rechnung (tragen)“.

Die Herausgabe des Sammelbandes „Sicherheiten und Unsicherheiten“ hat der em. Soziologe von der Universität Siegen, Trutz von Trotha, nicht mehr erleben können; er starb am 18. 5. 2013. Die Universität erinnert in einem Memento Mori an den Lehrstuhlinhaber für Soziologie, ihren ehemaligen Dekan, Gastdozenten der Sorbonne in Paris und an der Universität Zürich, an den langjährigen Vorsitzender der Sektion „Politische Soziologie“ der Deutschen Gesellschaft für Soziologie und Gründungsmitglied der „Rencontres Européennes d´Anthropologie du Droit“. Mit seinem Beitrag „Das Problem der Gewalt, der globale Aufstieg der Heterarchie und die präventive Sicherheitsordnung“ ehrt Trutz von Trotha seinen Freund Baldo Blinkert, indem er in einem Essay die soziologischen Aspekte von Heterarchie, als Komplement zur Hierarchie, nämlich für Selbststeuerung und Selbstbestimmung analysiert, das Verhältnis von politischem Herrschaftszentrum und Gesellschaft diskutiert, und mit Blick auf die westlichen Industriegesellschaften, die Entwicklung hin zu einer „präventiven Sicherheitsordnung thematisiert. Dadurch wird eine neue Ordnungsform von Gewalt wirksam, die auch eine „neue Form von Gesellschaft und Kultur“ schafft.

Im fünften Kapitel „Sicherheiten und Unsicherheiten im Kontext zivilgesellschaftlicher Perspektiven“ fragt der Freiburger Rechts- und Verwaltungswissenschaftler Thomas Klie nach „Subsidiarität in der postmodernen Gesellschaft. Ein Sicherheitsversprechen?“. Er zeigt auf, dass eine „Rückbesinnung auf das Subsidiaritätsprinzip, das Setzen auf die Selbstorganisationsfähigkeit der kleinen Einheiten, der Familien und Wahlverwandtschaften, der Nachbarschaften und kleinen örtlichen Genossenschaften ( ) günstige Voraussetzungen für eine neue Sozialstaatsdebatte (bilden)“.

Der Kultursoziologe und Wissenschaftsjournalist Friedrich Pohlmann nimmt sich das Begriffspaar „Gemeinwohl und Gemeinsinn“ vor, indem er über die unterschiedlichen Auseinandersetzungen um das Konzept des „Kommunitarismus“ reflektiert und die in der soziologischen Rezeption kontroversen Diskussionen auf die ursprüngliche Bedeutung – Familie, Schule, Nachbarschaft – zurückführt. Er arbeitet Wert- und Wertungsvorstellungen heraus, die sich in Begrifflichkeiten wie „soziales Kapital“ oder „soziales Vertrauen“ artikulieren. Mit Fritz Stern, der in seinem bemerkenswerten Buch „Kulturpessimismus als politische Gefahr“ (2005) darauf verweist, dass mit der zeitgeschichtlichen Nachschau bei kulturellen und politischen gesellschaftlichen Prozessen es zu einer „Verschiebung der Perspektive“ kommen könne, um das „absolut Böse“ zu begreifen, zeigt Pohlmann auf, dass „das bürgerliche Engagement nicht nur das Wohl der Einheit, auf das es sich unmittelbar bezieht, sondern das Wohl aller, das Gemeinwohl (fördert)“.

Der Freiburger Soziologe Hermann Schwengel fasst im sechsten Kapitel mit der Metapher „Das Runde muss ins Eckige“ die vielfältigen Forschungsaktivitäten Baldo Blinkerts zusammen, indem er deutlich macht, dass der im Sammelband geehrte Freiburger Soziologe mit seinem Jahrzehnte langem Schaffen in beispielhafter Weise tätig war und ist, dass „Interdependenz und Autonomie, Fremd- und in der Folge Selbststeuerung, das Eigene und das Fremde ( ) der Stachel im Fleisch der empirischen Forschung (bleiben)“. Eine mehrseitige Auswahl von Blinkerts Veröffentlichungen ergänzen das Plazet.

Fazit

Jubiläumsschriften und Ehrungen haben nicht selten den Geruch von Lobhudelei an sich. Das ist bei den soziologischen Beiträgen zum Thema „Sicherheiten und Unsicherheiten“ nicht der Fall. Es gelingt den Autorinnen und Autoren, die ehrenvollen und anerkennenden Verweise auf das wissenschaftliche Wirken von Baldo Blinkert in den Zusammenhang von Typologiebildung und qualitativ-quantitativer Konzeption zu den historischen wie aktuellen Aspekten und Diskursen um die existentiellen Zusammenhänge von Sicherheit und Unsicherheit, von Sicherheit und Freiheit und von Sicherheit und Risiko zu bringen. Schaut man auf den aktuellen und risikobehafteten Zustand der Menschheit und der Welt Hier und Heute, so lassen sich die soziologischen Beiträge als ein wichtiger Baustein dafür liefern, wie es gelingen kann, die (Eine?) Welt humaner, friedlicher und gerechter zu entwickeln!

Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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Es gibt 1702 Rezensionen von Jos Schnurer.

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ISSN 2190-9245