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Tilmann Moser: Großmütter, Mütter und Töchter

Rezensiert von Prof. Dr. phil. habil. Barbara Bräutigam, 07.05.2015

Cover Tilmann Moser: Großmütter, Mütter und Töchter ISBN 978-3-95558-114-5

Tilmann Moser: Großmütter, Mütter und Töchter. Psychoanalytisch-körpertherapeutische Fallgeschichten. Brandes & Apsel (Frankfurt) 2015. 220 Seiten. ISBN 978-3-95558-114-5. D: 24,90 EUR, A: 25,60 EUR, CH: 35,50 sFr.

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Thema

Tilmann Moser beschreibt in diesem Buch Fallvignetten von ihm behandelter weiblicher Patientinnen und schildert die therapeutischen Prozesse mit ihnen. Er begründet die Fallauswahl in der Weise, dass er solche ausgewählt habe, in denen die transgenerationalen Verstrickungen zwischen Großmüttern, Müttern und Töchtern eine besonders starke Rolle gespielt hätten. Daneben lässt er immer wieder die Bedeutsamkeit haptisch geprägter Interventionen einfließen.

Autor und Entstehungshintergrund

Dr. Tilmann Moser ist Psychoanalytiker und Körperpsychotherapeut. Er hat Literaturwissenschaften und Soziologie studiert und von 1969 – 1978 als Jura-Dozent an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main gearbeitet. Seit 1978 arbeitet er als Psychoanalytiker in privater Praxis. Er hat zahlreiche Publikationen zu Körperpsychotherapie, Psychoanalyse, Nationalsozialismus und Religion verfasst, zu seinen bekanntesten Büchern zählen u. a. „Gottesvergiftung“ (1976) und „Bekenntnisse einer halb geheilten Seele“ (2004).

Aufbau

Der Autor befasst sich nach einer kurzen Einleitung zum einen mit der Bedeutung der Hand in der analytischen Körperpsychotherapie und zum anderen mit der Verbundenheit oder viel mehr mitunter sehr pathologischen Verstrickungen zwischen Großmüttern, Müttern und Töchtern. Dann folgen 14 unterschiedlich lange und sehr heterogen gestaltete Fallgeschichten. Moser schließt mit theoretischen Überlegungen u. a. zu Verliebtheit, omnipotenter Liebe, dem Thema des Anschauens und des „Schnupperns“ – sein Schlusskapitel überschreibt er mit „Schlussbetrachtung mit Anfängergedanken“.

Inhalt

Bereits in der Einleitung macht der Autor deutlich, dass die beschriebenen Fallgeschichten sich darum bemühen, „therapeutisches Verhalten in sehr verschiedenen Übertragungs- und Gegenübertragungskonstellationen darzustellen und zu diskutieren, ohne den Anspruch, perfekt gefühlt oder gehandelt zu haben.“ (10). Die anfangs beschriebene Bedeutung der Hand in der analytischen Körperpsychotherapie macht sich in sehr vielen beschriebenen therapeutischen Interventionen von Moser bemerkbar, während die transgenerationale Verstrickung zwischen drei Generationen nur partiell aufblitzt aber nicht systematisch in den Blick genommen wird.

Tilmann Moser setzt sich insgesamt über jede Art von beschreibbarer Systematik bei der Schilderung der therapeutischen Prozesse hinweg und überlässt sich und den Leser ganz der Eigenlogik der geschilderten Fälle. Neben den z. T. sehr eindrücklichen und mitfühlenden Beschreibungen der Leidensgeschichten seiner Patientinnen thematisiert Moser ausführlich seine eigenen Reaktionen und Gegenübertragungsphänomene und bietet zahlreiche Deutungen der von ihm wahrgenommenen Konflikte und Mangelerfahrungen an.

In seinen theoretischen Überlegungen beschäftigt sich Moser vor allem mit den intimen und oftmals massiv abgewehrten Nähewünschen seiner Patientinnen, die sich in Verliebthteit aber auch in Sehnsucht nach dem Angeschaut werden, dem Riechen dürfen und dem realen Gehaltenwerden wollen ausdrücken. Dabei stellt Moser klar, dass „die therapeutische Beziehung der höchste Wert in dem Geschehen ist und dass eine Verwechslung oder gar eine Antwort auf erwachsener Ebene oder gar deren erotisches Ausleben eine Katastrophe nach sich ziehen und die Chance der Behandlung zerstören würde“ (155).

Diskussion

Das Buch liest sich flüssig und dennoch z. T. irritierend. Moser bedient sich einer sehr bilderreichen Sprache, die manchmal anrührt und manchmal sehr manieriert wirkt. Wenn man vom Titel angesprochen auf ein systematisches Verständnis transgenerationaler Mechanismen in der weiblichen Generationenfolge hofft, wird man enttäuscht; andererseits erhält man sehr intime Einblicke in die Innenwelten der Patientinnen, die von extrem viel psychischer Not gekennzeichnet sind und bei denen gut vorstellbar ist, wie hilfreich u. a. die von Moser beschriebenen körpertherapeutischen Interventionen gewesen sein mögen. In manchen Fallvignetten stutzt man aber auch angesichts Mosers dann doch sehr eigener und therapeutisch wenig enthaltsamer Vorgehensweise – beispielsweise wenn er nach seiner Weigerung, die Stundenfrequenz einer Patientin zu verringern, weil, „wir das Stilltrauma noch nicht wirklich angehen konnten“ (60) und diese daraufhin die Behandlung abbricht, ihr noch mehrere Briefe schreibt, und um ein klärendes Abschlussgespräch bittet. Das Buch liest sich insgesamt faszinierend – ein Unbehagen bleibt.

Fazit

Ein interessantes und sicher insbesondere für „Moserfans“ auch sehr lesenswertes Buch. Es beeindruckt, wie sehr Moser einen Einblick in sein eigenes Berührtsein gibt und z. T. auch seine eigenen Ärgerimpulse thematisiert – und es verstören die manchmal drastischen Wertungen gegenüber seinen Patientinnen sowie manche der geschilderten eingreifenden Interventionen. Insgesamt ein anregendes aber auch zwiespältiges Buch!

Rezension von
Prof. Dr. phil. habil. Barbara Bräutigam
Professorin für Psychologie, Beratung, Psychotherapie an der Hochschule Neubrandenburg, E-Mail braeutigam@hs-nb.de; Homepage: http://www.hs-nb.de/ppages/braeutigam/
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Es gibt 19 Rezensionen von Barbara Bräutigam.

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Zitiervorschlag
Barbara Bräutigam. Rezension vom 07.05.2015 zu: Tilmann Moser: Großmütter, Mütter und Töchter. Psychoanalytisch-körpertherapeutische Fallgeschichten. Brandes & Apsel (Frankfurt) 2015. ISBN 978-3-95558-114-5. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/18203.php, Datum des Zugriffs 30.09.2023.


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