Volker Brinkmann (Hrsg.): Sozialunternehmertum
Rezensiert von Laura Sturzeis, 12.01.2015
Volker Brinkmann (Hrsg.): Sozialunternehmertum. Schneider Verlag Hohengehren (Baltmannsweiler) 2014. 260 Seiten. ISBN 978-3-8340-1365-1. D: 19,80 EUR, A: 20,40 EUR, CH: 28,50 sFr.
Thema und Entstehungshintergrund
Seit einigen Jahren ist ein regelrechter Hype um soziales Unternehmertum bzw. Social Entrepreneurs ausgebrochen. Eine Ursache dürfte nicht zuletzt auch die Hoffnung auf sozialen Wandel trotz knapper öffentlicher Mittel und der anhaltenden Wirtschaftskrise sein. Diese neue Fokussierung auf Social Entrepreneurs zur Lösung sozialer Probleme bleibt auch für etablierte Einrichtungen der Sozialwirtschaft nicht ohne Folgen. Dieser Band widmet sich der Frage nach den Grenzziehungen zwischen alten und neuen Sozialunternehmen, ihren Möglichkeiten und Grenzen, sowie ihren Besonderheiten im Vergleich zu Unternehmen der freien Wirtschaft.
Herausgeber
Der Herausgeber Volker Brinkmann ist Professor für Finanzierung, Planung, Organisation und Management sozialer Dienstleistungen an der Fachhochschule Kiel.
Aufbau
Inhaltlich ist der Herausgeberband in zwei Abschnitte unterteilt:
- Sozialunternehmertum und Soziale
Innovationen
Dieser Teil ist vom Umfang der ausführlichere und thematisiert gleichermaßen den Diskurs, der sowohl auf EU- als auch auf nationaler Ebene um Sozialunternehmertum oder Social Entrepreneurship und Soziale Innovationen geführt wird, als auch Beispiele aus der Praxis sozialer Arbeit zu diesen beiden Themenfeldern. - Solidarökonomische Formen des
Sozialunternehmertums
Die Beträge dieses Abschnittes widmen sich dem Themenfeld der Genossenschaften – in historischer Perspektive als auch auf der Ebene von Fallbeispielen zu Schüler- und Wohngenossenschaften.
Ausgewählte Inhalte mit Diskussion
Stellvertretend für die Fülle der Beiträge des Herausgeberbandes werden nachfolgend einige davon detaillierter vorgestellt und diskutiert, die in den Augen der Rezensentin die interessantesten Argumentationen dieses Buches beinhalten.
Im seinem einleitenden Beitrag geht Volker Brinkmann näher auf die Begrifflichkeit des Sozialen Unternehmers ein. Während die Bedeutung der Begriffe Sozialunternehmertum und Social Entrepreneurship quasi deckungsgleich ist, vereinen sie insgesamt eine große Breite an unterschiedlichen Definitionen, die eine scharfe begriffliche Abgrenzung unwahrscheinlich macht. Eines ist jedoch klar: Die Anzahl an SozialunternehmerInnen ist im Steigen begriffen. Derzeit liegt sie in Deutschland bei 4.000, was mit einem Fördervolumen zwischen 25 bis 80 Mio. einher geht (S. 11). Sozialunternehmen gelten als Hybridorganisationen, die die Sphären des Marktes, Staates, der Familie und der Zivilgesellschaft (NPO) durchdringen. Sie erbringen ihre Leistungen an den Schnittfeldern dieser gesellschaftlichen Teilbereiche und auch ihre Finanzierungsgrundlage beziehen sie entsprechend aus verschiedenen Feldern. Der Hype um Soziale Unternehmer birgt jedoch auch die Gefahr der Entpolitisierung sozialer Dienstleistungen. Diese wird vor allem durch den Verzicht auf die Kritik kapitalistischer Strukturen von Seiten der Sozialen Unternehmer befördert. Hier streicht Brinkmann die Verantwortung des Staates hervor: „In der Mühe und Kreativität um soziale und unternehmerische Lösungen ist sozialstaatliche Steuerungsverantwortung gefragt, um gesellschaftspolitische Teilhabechancen polykooperativ durch intermediäre Synergieprozesse zwischen Marktleistungen, familialer Sorgearbeit, Selbstorganisation und staatlicher Sicherstellung zu gestalten.“ (S. 15)
Das „social business model“, das insbesondere die Europäischen Kommission seit einigen Jahren verstärkt propagiert, ist Thema des Beitrags von Wolf Rainer Wendt. Im Kern ist die Zielsetzung der Europäischen Kommission klar: Vorrangig geht es um die Stärkung der Binnenwirtschaft. Im Hinblick auf das Verhältnis von Sozialunternehmertum zur Gesamtheit wohlfahrtsstaatlicher Dienstleistungen stellt Wendt fest: „Dem „Ökosystem“ der Förderung, von dem in der Mitteilung (2011) der Europäischen Kommission die Rede ist, steht in der Sozialwirtschaft ein anderes Ökosystem in der Landschaft der humandienstlichen Versorgung gegenüber. Dieses System wird unter dem Eindruck einzelner unternehmerischer Aktivitäten nicht hinfällig, und es wandelt sich auch nicht allein durch sie. Es ist auf die Breite des sozialen Bedarfs ausgerichtet und kann deshalb nicht mit punktuellen Angeboten, so wirksam sie sein mögen, auskommen.“ (S. 24) Anders als die propagierte Marktorientierung in der Sozialwirtschaft könnte umgekehrt eine stärkere Sozialorientierung des Marktes, respektive der Unternehmen, ein interessantes neues Geschäftsfeld darstellen. „Sozialwirtschaftliche Kompetenz bietet sich an, die Erwerbswirtschaft tendenziell mit Verfahren und Arrangements sozialer Wohlfahrtsproduktion zu verbinden. (…) Die auf europäischer Ebene diskutierte Abgleichung und Differenz von sozialem Unternehmertum und Sozialwirtschaft bahnt dieser Entwicklung den Weg.“ (S. 27)
Der Beitrag von Monika Burmester erörtert die sozialpolitische Dimension des Sozialunternehmertums. Das zentrale Unterscheidungsmerkmal zwischen den „alten“, etablierten Organisationen des Sozialsektors und dem „neuen“ Konzept des Sozialunternehmertums liegt in der Marktorientierung des Letzteren. Darüber hinaus stellt das „neue“ Sozialunternehmertum zudem auch „eine Kritik an sozialstaatlichem Handeln unter Effizienzgesichtspunkten“ dar (S. 38). Wenngleich das Sozialunternehmertum neuen Typs zahlenmäßig marginal ist (und sich auch die Marktfinanzierung der Sozialen Unternehmen zumeist in der Empirie nicht nachweisen lässt, so Joachim Rock in seinem Beitrag (S. 45)), hat der anhaltende Effizienzdiskurs auch für die „alten“ Organisationen der Sozialwirtschaft durchaus Konsequenzen. „Das Verfassen von Anträgen zur Akquirierung von Fördergeldern, eine stärkere Ausrichtung auf Fundraising, das Denken und Handeln in messbaren Wirkungskategorien sind nur einige Kompetenzen, die für die Bewältigung der Arbeitsanforderungen an Bedeutung gewinnen.“ (S. 39) Der auch für andere Bereiche der Erwerbswirtschaft bereits vielfach konstatierte Wandel der Arbeitswelt, der sich durch auflösende Strukturen betrieblich organisierter Arbeit kennzeichnet, hält nun auch in der Sozialwirtschaft Einzug.
Jo Tein greift in seinem Beitrag ein Praxisbeispiel des Sozialunternehmertums auf und geht der Frage nach, inwiefern es gesellschaftliche Lösungen für soziale Probleme geben kann. Anhand der Straßenzeitung „HEMPELS“ illustriert der Autor beispielhaft, wie vor allem kleinere Sozialunternehmen, deren Finanzierungsbasis sich aus öffentlichen wie auch aus auf dem Markt erwirtschafteten Mitteln zusammensetzt, erfolgreich zur Bearbeitung gesellschaftlicher Problemfelder beitragen. Die Organisationsform des gemeinnützigen Vereins ermöglicht der Straßenzeitung einerseits das Lukrieren privater Mittel, schließt andererseits eine faire Bezahlung für die MitarbeiterInnen aber auch nicht aus. „Eine – auch gute – Vergütung von Mitarbeitern gemeinnütziger Organisationen ist damit nicht ausgeschlossen, sie darf lediglich nicht unverhältnismäßig hoch sein. Es ist hier (…) also bereits geregelt, was nach den aktuellen europaweiten Diskussionen um das Gehaltsgefüge in der Privatwirtschaft dringend geboten scheint: eine gesetzliche Begrenzung des individuellen Strebens nach grenzenloser privatnütziger Aneignung von Unternehmensgewinnen. Ein Mangel an kompetenten und engagierten sozialen Unternehmern kann trotzdem nicht konstatiert werden.“ (S. 182) Wenngleich das erläuterte Beispiel dem Autor zufolge geradezu als Paradebeispiel für Sozialunternehmertum gelten kann, so sind doch all jene Sozialunternehmen, die den Großteil ihrer Mittel am Markt erwirtschaften, eine „Randerscheinung“ in der deutschen Sozialwirtschaft. Aus diesem Grund plädiert Tein dafür, dass „die deutsche Sozialwirtschaft (…) zukünftig die Seite der wirtschaftlichen Geschäftstätigkeit am nicht staatlich finanzierten Waren- und Dienstleistungsmarkt fortentwickeln [sollte]“ (S. 188).
Während die Beiträge des ersten Teils sich mit dem ‚neuen‘ Akteurstypus des Sozialunternehmers auseinandersetzen, beleuchtet der zweite Teil des Herausgeberbandes eine bereits länger etablierte gemeinschaftliche Organisationform: das Genossenschaftswesen.
Johann Brazda und Holger Blisse liefern eingangs einen kompakten historischen Abriss, der die Entstehung der Genossenschaften im Kontext der „sozialen Frage“ im 19. Jahrhundert nachzeichnet. Die Idee der Genossenschaft als gemeinschaftliche Organisationsform verwirklichte sich erstmals in „industriezeitlichen Genossenschaften“ (S. 194). England, Frankreich und Deutschland hatten hier gleichermaßen ihre Pioniere. Die Genossenschaftsidee verbreitete sich in der Folge über den ganzen Globus, was auch zu einer Vervielfältigung dessen führte, was darunter verstanden wird. Brazda und Blisse halten hierzu fest, „dass gegenwärtig der beibehaltene Begriff „Genossenschaft“ nicht mehr ein einheitliches Konzept bezeichnet. (…) Selbst in den Ländern der EU hat sich zunehmend gezeigt, dass unter Genossenschaft ganz unterschiedliche wirtschafts-, ordnungs- und sozialpolitische Konzeptionen vertreten werden.“ (S. 195) Insbesondere im Kontext der „sozialen Frage“ boten die Genossenschaften Alternativen zu den erheblichen sozialen Missständen, die damals herrschten. Wie aktuell der Genossenschaftsgedanke auch – oder gerade – heute ist, zeigt sich in den Diskussionen um alternative Wirtschaftsformen in der gegenwärtig nach wie vor krisengebeutelten Ökonomie (und Gesellschaft). „Auch die Stellung einer neuen ‚Sozialen Frage‘ könnte einen grundlegenden Wandel unserer heutigen Verhältnisse, in welche Richtung auch immer, einleiten. Ob sich dafür die bestehenden Genossenschaftstypen als eine geeignete Organisationsform anbieten oder ganz neue kooperative Lösungen (…) kann noch nicht gesagt werden.“ (S. 200)
Fabian Thiel fokussiert in seinem Betrag auf „Genossenschaften im Spannungsfeld zwischen Immobilienmarktlogik, Bodenpolitik und sozialen Investments“. Dabei konstatiert Thiel, dass „Genossenschaften nicht per se dem Sozialunternehmertum zuzurechnen [sind]. Nur wenn Gründung und Verwaltung von Genossenschaften mit ideellen Ideen (…) einhergehen wir die eG (Anm. LS: eingetragene Genossenschaft) als Ganzes zum Social Entrepreneur.“ (S. 234) Gerade die Nähe zu den Mitgliedern und deren spezifische lokale und soziale Verankerung führt oftmals dazu, dass Genossenschaften ‚das große Ganze‘ weniger als Ziel haben, denn ‚das kleine Konkrete‘. So kommt es im Bereich der Wohnungsgenossenschaften dann auch dazu, dass „[v]iele Genossenschaften (…) zukunftsträchtige strategische Felder der Stadtentwicklung wie Planungspartizipation oder Energieeffizienz (…) brach liegen [lassen].“ (S. 227) Aus diesem Grund bedarf es hier eines ordnenden wohnpolitischen Rahmens, der gleichermaßen ermöglichend (für partizipative und aufwertende Formen von Wohngenossenschaften) als auch einschränkend (gegenüber überbordenden Renditeerwartungen und privaten Gewinnstreben auf Kosten der Allgemeinheit) wirkt. „Der Ansatz einer sozial ausgewogenen Boden- und Energiepolitik ist dann umso Sozialunternehmen orientierter, je mehr durch rechtliche und ökonomische Instrumente und Bürgerpartizipation Gesellschaftsformen wie Genossenschaften, Stiftungen und Vereine zur Förderung der Erneuerbaren Energien und für eine bessere Innenentwicklung entstehen.“ (S. 235)
Fazit
Dieser Sammelband vereint eine Vielzahl an Beiträgen, die sich der (meist) kritischen Diskussion des Sozialunternehmertums widmen. Insbesondere die Bezugnahme auf die den Social Entrepreneur umgebenden Systeme (Politik, Markt und Zivilgesellschaft), sowie der Versuch der Verortung, Abgrenzung und Bewertung des Sozialunternehmertums, machen das Buch zu einer interessanten Lektüre. Die AutorInnen begehen eben nicht den Fehler, sich blind dem Hype um Soziales Unternehmertum anzuschließen. Vielmehr bieten die theoretisch bzw. historisch orientierten Beiträge neue und aktuelle Einblicke in das Thema, während die Praxisbeispiele das ‚fuzzy concept‘ Sozialunternehmertum empirisch zu fassen suchen. Diese Lektüre ist sowohl für ExpertInnen, die sich konzeptionell und/oder praktisch mit Sozialwirtschaft befassen, als auch für interessierte Laien eine gewinnbringende Lektüre.
Rezension von
Laura Sturzeis
Sozioökonomin und Programmkoordinatorin des Masterstudiums Sozioökonomie an der Wirtschaftsuniversität Wien
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Zitiervorschlag
Laura Sturzeis. Rezension vom 12.01.2015 zu:
Volker Brinkmann (Hrsg.): Sozialunternehmertum. Schneider Verlag Hohengehren
(Baltmannsweiler) 2014.
ISBN 978-3-8340-1365-1.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/18225.php, Datum des Zugriffs 12.09.2024.
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