Oliver Razum, Hajo Zeeb et al. (Hrsg.): Global Health. Gesundheit und Gerechtigkeit
Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 05.02.2015

Oliver Razum, Hajo Zeeb, Olaf Mueller, Albrecht Jahn (Hrsg.): Global Health. Gesundheit und Gerechtigkeit. Verlag Hans Huber (Bern, Göttingen, Toronto, Seattle) 2014. 286 Seiten. ISBN 978-3-456-85434-2. D: 39,95 EUR, A: 51,40 EUR, CH: 66,90 sFr.
Globale Gesundheit: Illusion oder Vision?
Jeder Mensch hat das Recht auf einen für die Gesundheit und das Wohlergehen von sich und seiner Familie angemessenen Lebensstandard, einschließlich ausreichender Ernährung, Bekleidung, Wohnung, ärztlicher Versorgung und notwendiger sozialer Leistungen, sowie ferner das Recht auf Sicherheit im Falle von Arbeitslosigkeit, Krankheit, Invalidität, Verwitwung, Alter oder von anderweitigem Verlust seiner Unterhaltsmittel durch unverschuldete Umstände. Das wird in Artikel 25 der „globalen Ethik“, wie die von den Vereinten Nationen am 10. Dezember 1948 proklamierte Allgemeine Erklärung der Menschenrechte als allgemeingültige und nicht relativierbare Menschheitsnorm bezeichnet wird, zum Ausdruck gebracht. Die am 7. April 1947 als Sonderorganisation der Vereinten Nationen gegründete World Health Organisation (WHO) setzt sich zum Ziel, „einen möglichst guten Gesundheitszustand für alle Menschen ohne Unterschied der Rasse, der Religion, der politischen Anschauung und der wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Stellung zu erreichen“. Sie versteht „Gesundheit“ nicht nur als Freisein von Krankheit oder Gebrechen, sondern als einen Zustand des völligen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens (Klaus Hüfner, Die Vereinten Nationen und ihre Sonderorganisationen. Strukturen, Aufgaben, Dokumente, UN-Texte 35, Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen / Deutsche UNESCO-Kommission, Bonn 1986, S. 354). In allen Bestandsaufnahmen zur Lage der Welt, angefangen von den Berichten an den Club of Rome, bis hin zu den Millennium Development Goals von 2000 / 2011 / 2015, wird die existentielle, globale Bedeutung der Werte Menschenwürde, Freiheit und Gerechtigkeit mit den gesellschaftlichen und staatlichen Aufgaben einer Gesundheitspolitik verbunden. „Es geht nicht mehr nur um einzelne prioritäre Gesundheitsprobleme, sondern es gilt, in allen Ländern der Welt universell zugängliche Gesundheitssysteme aufzubauen“. Durch die sich immer interdependenter und entgrenzender entwickelnde (Eine?) Welt erhält die Bedeutung von Public Health als bevölkerungs- und wohlstandsbezogene Aufgabe mit Global Health eine neue Dimension. Sie stellt sich als internationale Perspektive und Herausforderung nicht nur für Professionen in den Gesundheits- und Sozialdiensten dar, richtet sich nicht nur an in globalen Entwicklungszusammenhängen Tätige, sondern fordert Aufmerksamkeit von allen, denen die Schaffung einer gerechten, sozialen und humanen Weltzivilisation ein Anliegen ist.
Entstehungshintergrund und Herausgeberteam
In zahlreichen Berichten und Studien wird der Gedanke – DIE EINE WELT BEGINNT BEI UNS – als individuelle und kollektive, solidarische Herausforderung für einen Perspektivenwechsel dargestellt, wie ihn die Weltkommission „Kultur und Entwicklung“ 1995 eindrucksvoll dargelegt hat: „Die Menschheit steht vor der Herausforderung umzudenken, sich umzuorientieren und gesellschaftlich umzuorganisieren, kurz: neue Lebensformen zu finden“ (Deutsche UNESCO-Kommission, Unsere kreative Vielfalt, 2. erweit. Ausgabe, Bonn 1997, S. 18). Im Bereich der internationalen Entwicklungskooperation richten sich Aufmerksamkeit und Aktivitäten auf die lokalen und globalen ökonomischen, ökologischen, politischen, sozialen und kulturellen Entwicklungen der Individuen und Gemeinschaften auf der Erde. In der Zusammenschau von Theorie und Praxis entsteht eine wissensbasierte, empathische Entwicklungszusammenarbeit (Michael Bohnet,: 40 Jahre Brücken zwischen Entwicklungsforschung und Entwicklungspolitik, 2011, www.socialnet.de/rezensionen/13866.php), die ergänzt und belegt wird durch konkrete Erfahrungsberichte und Reflexionen von Praktikern (Siegfried Pater, Abenteuer Gerechtigkeit. In einem halben Jahrhundert um die Welt, 2012, www.socialnet.de/rezensionen/16848.php).
Die Gesundheitswissenschaftler Oliver Razum von der Universität Bielefeld, Hajo Zeeb von der Universität Bremen, Olaf Müller und Albrecht Jahn von der Heidelberger Ruprecht Karls Universität geben den Sammelband heraus. Sie knüpfen damit an die 2006 erschienene wissenschaftliche Einführung in das Fachgebiet Global Health, an das Lehrbuch „Public Health“ (2012) und das „Handbuch Gesundheitswissenschaften“ (2012) an und erweitern die Thematik durch Fokussierungen auf die sich global rapide entwickelnden positiven und negativen, gesundheitsrelevanten Fragestellungen und Herausforderungen.
Aufbau und Inhalt
Die Berichte von 37 Autorinnen und Autoren aus deutschen Universitäten und Hochschulen, von Expertinnen und Experten aus internationalen Organisationen und aus der Entwicklungszusammenarbeit werden im Sammelband in vier Teile gegliedert: Im ersten Teil geht es um die Darstellung von politischen Dimensionen und mittelbaren Ursachen zum Thema: „Gesundheitliche Ungleichheit“; im zweiten um „Prinzipien und Lösungsansätze im internationalen Vergleich“, im dritten um „Prioritäre und neue Public-Health-Probleme“, und im vierten Teil werden „Lösungsstrategien am Beispiel relevanter Public-Health-Themen“ vorgestellt. Ein ausführliches Glossar zu interdisziplinären Perspektiven von Global Health und ein Sachregister erleichtern den Zugang zur Thematik. In den quantitativ unterschiedlichen Beiträgen werden die jeweiligen Aspekte und Fragenkomplexe angeschnitten bis ausführlich analysiert, immer aber ergänzt durch Literaturhinweise, die eine weitere Auseinandersetzung ermöglichen.
Oliver Razum führt in die sieben Beiträge im Teil 1 des Sammelbandes mit dem Hinweis ein, dass Gesundheit als weitweit gültiges und durchzusetzendes Menschenrecht nicht nur lokale und medizinische Lösungsansätze erforderlich macht, sondern: „Gesundheitliche Ungleichheit hat eine internationale politisch-historische Dimension und mittelbar wirtschaftliche Ursachen“. Hans Jochen Diesfeld und Claudia Beiersmann von der Universität Heidelberg vermitteln mit ihrem Beitrag „Von Rudolf Virchow zu den Millennium-Entwicklungszielen“ einen historischen Überblick über die Entwicklung der „öffentlichen Gesundheitspflege“, wie sie vom Berliner Medizinalreformer Rudolf Virchow in das öffentliche, nationale Bewusstsein gebracht wurde, mit der Gründung der WHO (1948) einen internationalen, globalen Anspruch erhielt, und schließlich mit den UN-Entwicklungszielen als (empfohlene) Menschheitsverpflichtungen ausgewiesen werden.
Claudia Beiersmann und Albrecht Jahn diskutieren die Millennium-Entwicklungsziele unter den Gesichtspunkten ihrer Vorsätze und der Bilanz, wie sie bei der geplanten „Post-2015-Agenda“ zu ziehen ist. Es zeigen sich zwar einige Fortschritte bei den acht formulierten MDGs, etwa dass Armut und Hunger in der Welt verringert werden konnte, dass in der Primarschulausbildung einige Erfolge zu verzeichnen sind, dass sich weltweit die Kindersterblichkeit reduziert hat…; doch es wird deutlich, dass die für 2015 angestrebten Ziele nur ansatzweise erreicht werden können.
Der Bielefelder Gesundheitswissenschaftler Dietrich Plaß und Hajo Zeeb stellen mit dem Beitrag „Globale Krankheitslast“ Daten zum Gesundheitszustand der Weltbevölkerung vor, informieren über Methoden für deren Erfassung, nehmen Abschätzungen zur globalen Krankheitslast vor, verweisen auf Risikofaktoren und formulieren Trends für die absehbare, globale Gesundheitsentwicklung.
Der Bielefelder Demograf Ralf E. Ulrich informiert über die „Globale Bevölkerungsentwicklung“. Er zeigt auf, dass „hohes Bevölkerungswachstum, Bevölkerungsrückgang und demographische Alterung ( ) nationalen Gesellschaften und der internationalen Gemeinschaft im 21. Jahrhundert beträchtliche Anpassungsleistungen abfordern (werden)“, und „die divergierende Bevölkerungsdynamik in den verschiedenen Gruppen von Nationalstaaten ( ) zukünftig… eine zusätzliche Herausforderung an die internationale Kooperation und die friedliche, konstruktive Lösung von Interessenkonflikten dar(stellt)“.
Eingeflochten in die jeweiligen Berichte der Teilthematiken verweisen „Schlaglichter“ auf herausragende Aspekte und Probleme. Der Bonner Dipl.- Geograf Matthias Braubach richtet das erste Schlaglicht auf „Verstädterung und Gesundheit“, in dem er die fortschreitende Urbanisierung insbesondere mit dem Wachstum der Megastädte und den damit einhergehenden Probleme von Unregierbarkeit und Landverödung aufzeigt
Patrick Brzoska und Oliver Razum thematisieren „Mobilität und Globalisierung“, und zwar in den vielfältigen Zusammenhängen von Migration bis hin zum Tourismus und den dabei auftretenden individuellen und lokal- und globalgesellschaftlichen, gesundheitlichen Einflüssen und Auswirkungen.
Die Analytikerin von der London School of Hygiene and Tropical Medicine, Johanna Hanefeld, diskutiert mit ihrem Beitrag „Globalisierung und das Recht auf Gesundheit“. Sie informiert über den Stand der internationalen Rechts- und Normgebungen und plädiert für eine intensivere Beteiligung und Mitgestaltung von Public-Health-Programmen.
Der Heidelberger Gesundheitswissenschaftler Kayvan Bozorgmehr reflektiert mit der Erkenntnis – „Armut macht krank“ – die vielfältigen Zusammenhänge von „Wirtschaftskrisen, Austerität und Folgen für Gesundheit“. Er zeigt auf, dass „negative, gesundheitliche Konsequenzen von Wirtschaftskrisen ( ) kein ‚natürliches‘ Phänomen (ist), vielmehr sind die politisch bestimmt und beeinflussbar“, und durch eine (falsche) Austeritätspolitik als Krisentherapie sich sogar als schädlich für Gesundheit erweisen können.
Den zweiten Teil „Prinzipien und Lösungsansätze im internationalen Vergleich“ moderiert Albrecht Jahn. Der Heidelberger Politikwissenschaftler Rafael Bauschke und Albrecht Jahn setzen sich mit „Global Health Governance und neue Gesundheitsinitiativen“ auseinander. Mit einer ausführlichen Definition des Begriffs „Global Health“ und den mittlerweile etablierten neuen internationalen Akteurskonstellationen und Kooperationsformen sollte es gelingen, „die WHO als einzige einzige Gesundheitsinstitution mit tatsächlich globalem Mandat zu stärken“.
Der Berliner Gesundheitswissenschaftler und Publizist Jens Holst bezieht Position zur „Gesundheitsfinanzierung“. Er plädiert für eine Risikomischung: „Das Primat des Ökonomischen über das Politische degradiert die Sozialpolitik vielfach zu einer Variablen des Staatshaushalts oder sogar privater Kapitalverwertungsinteressen“.
Der Marburger Epidemiologe und Versorgungsforscher Jens-Peter Reese und Oliver Rasum setzen das zweite Schlaglicht „Trinkwasser – Menschenrecht oder Handelsgut?“. Sie zeigen die Problematik auf und mahnen eine globale, nachhaltige Nutzung der Trinkwasserreserven an. Die Zürcher Ethnologin und Soziologin Ingrid Katharina Geiger setzt sich für „Diversity Management in Public Health“ ein, indem sie die Vielfalten der Sozialräume in lokalen und globalen Zusammenhängen aufzeigt und die Umsetzung von Diversity als Schlüsselfrage für Public Health verdeutlicht.
Ansgar Gerhardus vom Institut für Public Health und Pflegeforschung der Universität Bremen diskutiert Probleme und Möglichkeiten bei der „Umsetzung von Forschung in die Praxis“. Am Beispiel der Information, der Forschungsergebnisse und öffentlichen Aufklärung über HIV vollzieht der Autor eine sechsschrittige Argumentation, mit der er sich dafür einsetzt, in der Theorie-Praxis-Perspektive „wissenschaftliche Erkenntnisse mit den drei Komponenten Ressourcen, Werte und Interessen situationsspezifisch angemessen zu integrieren“.
Der Dipl.- Soziologe von der BUKO-Pharma-Kampagne, Jörg Schaaber, vermittelt mit seinem Beitrag „Unentbehrliche Arzneimittel und globale Pharmapolitik“ einen Einblick in die Praktiken des Weltarzneimittelmarktes. Der ökonomischen, kapitalistischen Marktmacht setzt er die von der UN-Konvention über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 19. 12. 1966) formulierten Grundsätze entgegen und fordert den freien, fairen und humanen weltweiten Zugang zu unentbehrlichen Arzneimitteln.
Olaf Müller koordiniert den dritten Teil: „Prioritäre und neue Public-Health-Probleme“, mit dem die globalen Entwicklungen und demographischen Veränderungsprozesse thematisiert werden. Die Berliner Gesundheitsexpertin Susanne Carai, der Ulmer Oberarzt und Tropenmediziner Peter Meissner, Albrecht Jahn, Olaf Müller und der in New Delhi im Rahmen der WHO-Programme tätige Kinderarzt Martin Weber, setzen sich mit der „Gesundheit von Müttern, Neugeborenen, Kindern und Jugendlichen“ auseinander. Im Gegensatz zu den bisher weitgehend praktizierten, ökonomisch orientierten Konzepten bei der Gesundheitsvorsorge und -versorgung setzt das Autorenteam auf eine systematische Qualitätsverbesserung der lokalen und globalen Gesundheitsdienstleistungen auf allen Versorgungsebenen.
Olaf Müller und der ebenfalls am Heidelberger Institut für Public Health tätige Florian Neuhann setzen sich mit „Malaria, Tuberkulose, HIV/Aids“ auseinander, die als die bedrohlichsten Infektionskrankheiten der Menschen gehören. Während kurzfristig „nur eine massive Stärkung der Basisgesundheitsdienste in Entwicklungsländern eine Verringerung der weiterhin hohen Krankheitslast bewirken“ können, mittelfristig „die Entwicklung wirksamer neuer Interventionen einen weiteren Rückgang globaler Morbidität und Mortalität“ in Aussicht stellen, wird langfristig nur ein weiterer globaler Ausbau der Gesundheits- und Sozialsysteme die Krankheiten beherrschbar machen können.
Olaf Müller und Oliver Razum sehen in der „Eradikation von Infektionskrankheiten“ eines der wesentlichen, globalen Ziele für Global Health. Sie definieren den im internationalen Sprachgebrauch benutzten Begriff „als eine aktive, weltweite und nachhaltige Reduktion der Inzidenz einer Infektionskrankheit auf Null“, vermitteln einen kurzen historischen Einblick in den kontroversen Diskurs und sehen im „Universal Health Coverage“ – Programm der WHO eine aussichtsreiche Chance für eine nachhaltige Verbesserung von globaler Gesundheit.
Der Heidelberger Epidemiologe Heribert Ramroth, der bei der WHO tätige Gesundheitswissenschaftler Andreas Ullrich, Florian Neuhann und Olaf Müller diskutieren mit ihrem Beitrag „Nichtübertragbare Erkrankungen, Verletzungen und Unfälle“ die Diskrepanz, dass einerseits im Zuge der globalen Entwicklung sich die Krankheitslast von übertragbaren Erkrankungen, Unterernährung, Kinder- und Müttersterblichkeit verringert, andererseits aber Verletzungen, Unfälle und nicht übertragbare Krankheiten (NCDs) zunehmen. Sie identifizieren Gründe und Ursachen und fordern eine stärkere Beachtung der NCDs auf den Gebieten der Forschung und Praxis.
Der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Wolfgang Krahl, vermittelt seine Erfahrungen, die er im Rahmen der internationalen Gesundheitsdienste in mehreren Entwicklungsländern gesammelt hat und zeigt mit seinem Beitrag „Psychische Gesundheit“ die „komplexe Interaktion zwischen biologischen, psychischen, sozialen, ökonomischen und kulturellen Faktoren“ auf.
Der ehemalige Entwicklungshelfer (DÜ) und bei Germanwatch e.V. engagierte Berater für Entwicklung und Gesundheit, Winfried Zacher, nimmt sich das Thema „Klimawandel und Gesundheit“ vor. „Um dem Klimaschutz als Primärprävention (kursiv, JS) … Nachdruck zu verleihen, muss der Gesundheitssektor auf die Politik einwirken“.
Stephan Böse-O´Reilly vom Münchener Institut und Poliklinik für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin, verweist mit dem dritten Schlagwort auf „Schadstoffexposition am Beispiel der Goldgewinnung in Entwicklungsländern“ und den verheerenden Folgen für die Krankheitslast der Beschäftigten.
Hajo Zeech koordiniert den vierten Teil: „Lösungsstrategien am Beispiel relevanter Public-Health-Themen“. Der Hamburger Epidemiologe und WHO-Berater Ralf Reintjes setzt sich für „Surveillance von Infektionskrankheiten“ als internationale Aufgabe ein. Als „Surveillance“ wird die Beobachtung der Verbreitung von Krankheiten oder die Gesundheit beeinflussenden Faktoren in der Bevölkerung definiert. Er wirft einen Blick in die Geschichte des globalen Beobachtungs- und Interventionssystems, vergleicht die Zielsetzungen und Wirkungsweisen der verschiedenen Konzepte und Theorien und formuliert Perspektiven und Lösungsansätze im Rahmen von europäischen und globalen Netzwerken.
Der am Gießener Institut für Ernährungswissenschaft arbeitende Gesundheitswissenschaftler Michael Krawinkel verdeutlicht mit dem Thema „Welternährung“ die vielfältigen Einflussfaktoren, die sich im Zusammenhang von Nahrungssicherheit und Globalisierung ergeben. Die (globale) Entwicklung hin zu „nutrition transition“, der Aufnahme von fettreicher, salz- oder zuckerangereicherten Nahrung, bedarf des Perspektiven- und Lebenspraxis-Wechsels hin zur Aufnahme von pflanzlichen und traditionell angebauten Lebensmitteln, und zwar sowohl in den Industrie-, als auch in den Entwicklungsländern.
Die Gesundheitswissenschaftlerin von der School of Social and Political Science der Universität Edingburgh, Heide Weishaar, und die Heidelberger Soziologin und Epidemiologin Ute Mons, setzen sich mit „Rauchen und Tabakkontrolle“ auseinander. Die nach wie vor lokal und global missachteten und weitgehend unbeachteten gesundheitlichen Gefährdungen, die durch Tabakkonsum entstehen, verdeutlichen den Interessenkonflikt zwischen dem Wirtschafts- und Gesundheitssektor. Obwohl es nationale und internationale Initiativen und Regelungen zur Bekämpfung des Rauchens gibt, z. B. das WHO-Rahmenübereinkommen zur Eindämmung des Tabakgebrauchs als völkerrechtlich bindende Norm, werden die Auseinandersetzungen mit den ökonomischen Interessen vielerorts nur halbherzig und unglaubwürdig geführt.
Hajo Zeeb lenkt das vierte Schlaglicht auf „Konflikte, Terrorismus und Public Health“. Monika Habermann, Ethnologin, Pflege- und Gesundheitswissenschaftlerin und die Gerontologin Maya Staage, beide an der Hochschule in Bremen tätig, reflektieren „Altern und Versorgung alter Menschen“. Durch die weltweit steigenden Lebenserwartungen der Menschen vollzieht sich ein demographischer Wandel, der den Blick auf „Alterung im globalen Kontext“ erforderlich macht und Fragen nach Lebensqualität, (Generationen-)Gerechtigkeit, Morbidität und Pflegebedürftigkeit stellt; und zwar sowohl im Hinblick auf lokale und globale Steuerung von Versorgungsleistungen, als auch „auf soziokulturelle und psychosoziale Zusammenhänge einer angemessenen Gesundheitsversorgung für alle“.
Stefanie Helmer vom Bremer Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie und Hajo Zeeb bringen das fünfte Schlaglicht in den Blick: „E-Health/M-Health – moderne Telekommunikationstechnologie im Kontext von Public Health“. Die vielfältigen, bisher weitgehend unbeachteten Phänomene für Krankheitslasten bedürfen einer gesteigerten, wissenschaftlichen Aufmerksamkeit.
Joachim Gardermann vom Kompetenzzentrum Humanitäre Hilfe der Fachhochschule Münster und Oliver Razum bringen mit dem 23. Beitrag über „Nothilfe versus Entwicklungszusammenarbeit“ ein kontroverses, humanes, emotionales, empathisches und politisches Thema aufs Tablett. Anhand von mehreren konkreten Beispielen der internationalen Nothilfe und Entwicklungskooperation verweisen sie auf Defizite, etwa bei der Koordination und Abstimmung von Nothilfemaßnahmen bei Natur- oder Kriegssituationen, und sie regen eine Intensivierung der Public Health-Forschung an.
Die Bielefelder Sozialwissenschaftlerin Carolin Sobiech bringt auf zehn Seiten ein Glossar, das die fachbezogenen wie interdisziplinären Perspektiven von Global Health aufzeigt und zur Kooperation anregt.
Fazit
Der Lichtzeiger für eine gerechtere, sozialere, friedlichere humane (Eine?) Welt lautet ja: „Hilfe zur Selbsthilfe“, also weg von den euro- und nordzentrierten Potenzen und „Weissseins“-Dominanzen und hin zu einer globalen Ethik, wie sie in der Präambel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte formuliert wird: „Die Anerkennung der allen Mitgliedern der menschlichen Gesellschaft innewohnenden Würde und ihrer gleichen und unveräußerlichen Rechte bildet die Grundlage der Freiheit, der Gerechtigkeit und des Friedens in der Welt“ – wird mit „Global Health“ auf den Punkt gebracht! Der Sammelband vermittelt eindrucksvoll und prägnant die vielfältigen Wertevorstellungen, die mit dem Lebensgut „Gesundheit“ einen Anker haben und deutlich machen, dass der ganzheitliche, humane Blick notwendig ist, um dem neuen Paradigma der globalen Gesundheit zur Verwirklichung (mit) zu verhelfen. Die wissenschaftlichen Zugänge orientieren sich dabei an der Überzeugung, dass eine soziale und gerechte Welt möglich ist; aber nur dann, wenn es gelingt, die Synergien zu bündeln in einer globalen, gleichberechtigten Kooperation auf Augenhöhe.
Der Sammelband dürfte nicht nur für Public- und Global Health-Engagierte und Professionen interessant sein, sondern auch für alle diejenigen, die im Einen-Welt-Gedanken weder Hirngespinste noch unerreichbare Illusionen sehen, sondern mögliche Realitäten – wenn wir Menschen das nur wollen!
Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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