Jesper Juul: Das Familienhaus
Rezensiert von Ulrike Koch, 03.08.2015
Jesper Juul: Das Familienhaus. Wie Große und Kleine gut miteinander auskommen. Beltz Verlag (Weinheim, Basel) 2015. 224 Seiten. ISBN 978-3-407-22942-7. D: 11,95 EUR, A: 12,30 EUR, CH: 17,20 sFr.
Thema
Wie der Untertitel verrät, geht es um das Miteinander in Familien. Vertiefend betrachtet, geht es um die Beziehungskonstellationen in denen die Familienmitglieder agieren. Es ist aber auch ein „[…] Rundgang durch die einzelnen Räume des Familienhauses […]“ (Cover-Rückseite). Hierbei dienen die Räume bzw, deren Funktionen als Bezugsgröße (vgl. S. 7f. Vorwort von Monika Øien) Neben den Beziehungen und Räumen geht v.a. auch um grundlegende Werte, die laut Jesper Juul eine „[…] konstruktive Wirkung auf das Zusammenleben zwischen Erwachsenen und Kindern haben.“ (S. 243, Nachwort).
Autor
Jesper Juul wurde 1948 in Dänemark geboren. Er fuhr mit 15 Jahren zur See, arbeitete als Koch und Kellner, studierte Religion und europäische Ideengeschichte. Der häufig als Querdenker beschriebene Pädagoge machte eine Ausbildung zum Familientherapeuten und entwickelte eine eigene Therapie- und Beratungsform für Familien. Jesper Juul engagiert sich für traumatisierte Kinder, Flüchtlinge und Kriegsveteranen aus Kroation. Er schrieb bis heute über 40 Bücher. Jesper Juul ist vor allem aber auch Vater.
Mitautorin
Monika Øien ist eine in Norwegen bekannte Journalistin, TV-Moderatorin und Studienrätin. Sie ist Mutter eines Sohnes und Stiefmutter zweier Söhne ihres Mannes aus einer vorhergehenden Beziehung.
Entstehungshintergrund
Das in Interviewform verfasste Buch ist das Ergebnis eines gemeinsamen Entschlusses von Jesper Juul und Monika Øien. Gemeinsam wollte beide ein Familienbuch für Eltern und Stiefeltern schreiben.
Zielgruppe
Der Autor und die Mitautorin richten sich mit dem Buch vor allem an Eltern und Stiefeltern. Selbstverständlich ist es auch ein Buch für Fachleute aus pädagogischen und familientherapeutischen Berufen und für alle, die sich für das Thema Familienhaus interessieren.
Aufbau und Inhalt
Wie bereits erwähnt handelt es sich um die schriftliche Version eines Interviews zwischen Autor und Mitautorin. In zehn Kapiteln befassen sich Jesper Juul und Monika Øien mit dem familiären Miteinander von Erwachsenen und Kindern und nehmen als Bezugsgröße die unterschiedlichen Räume eines Familienhauses in den Blick.
Vorwort (S. 7ff.) Mit dem Vorwort gibt Monika Øien einen Einblick in die Fragen, die sie als Elternteil und als Teil der Gesellschaft (vgl. S. 7) bewegen und skizziert kurz die grundlegende Ausgangssituation für das Interview.
Ein Haus mit allen Gefühlen (S. 11 – 35) Ausgehend von der Frage, was ein Zuhause ist, betont Jesper Juul zunächst die Wirkung der Faktoren Atmosphäre und Harmonie: es geht v.a. um das, was notwendig ist, um eine Beziehung als sinnvoll – oder eben nicht – zu erleben. Jesper Juul erfasst hierbei neben der Wandlung der Moral auch den Aspekt des sich gegenseitigen Bewertens – dies v.a. mit Blick auf „[…] vermeintliche Wahrheiten […]“ (S. 16). Im Verlauf des Interviews öffnet sich Monika Øien immer wieder auch im Hinblick auf ihre eigene Familiengeschichte. So fragt sie, die selbst Stiefmutter ist, den Experten nach dem, wie sich Stiefeltern in einer neuen Familiensituation und -konstellation gegenüber ihren Stiefkindern verhalten sollen (S. 18f.). Auch Sexualität (S. 19ff.), Konsumverhalten (S. 22ff.), das Gefühl von Liebe (S. 24) und die Faktoren Vertrauen (S. 27 f.), Verantwortung (S. 28f.) und Grenzen (S. 34f.) finden in dem Austausch Beachtung.
Das Schlafzimmer. Wenn aus einem Duo ein Trio wird. (S. 37 – 55) Zentral stehen die Veränderungen, die ein Neugeborenes in die Paarbeziehung bringt im Mittelpunkt des weiteren Gesprächs zwischen Jesper Juul und Monika Øien. Neben den neuen Rollen als Vater und Mutter (S. 38f.) sprechen der Experte und die Journalistin über die Bedeutung des ersten Kindes für die Paarbeziehung (S. 39) als solches und darüber, wie sich das Erstgeborene fühlt, wenn sich ein Geschwisterkind (S. 40) anmeldet. Auch mögliche Krisensituationen und Konfliktarenen im Familienhaus werden thematisiert (S. 41 – 55).
Das Babyzimmer. Nähe und Gefühle. (S. 57 – 80) V.a. kulturelle Beziehungsideologien und wissenschaftliche Kenntnisse über Beziehungen und Bindung zwischen den Elternteilen und ihren Kindern stehen am Anfang dieses Kapitels. Jesper Juul und Monika Øien sprechen darüber hiernach über Verantwortung (S. 60f.) und Einschlafprobleme (S. 65 – 70). Weitere Gesprächsinhalte sind die kindlichen Kompetenzen (S. 71ff.) und die Kommunikation im Miteinander (S. 74 – 80).
Das Kinderzimmer. Spiel und Selbständigkeit. (S. 81 – 127) Die Journalistin und der Familientherapeut lenken ihr Gespräch nun auf die Ablösungs- bzw. Verselbständigungsphase des Kindes. Insbesondere das Verhalten der Eltern steht hier im Mittelpunkt. Jesper Juul erklärt: „Wenn man diese Phase als Trotzalter bezeichnet, problematisiert man etwas, das ein Geschenk ist.“ (S. 84). Im Weiteren geht es darum zu klären, wie Kinder etwas über sich selbst lernen (S. 86 – 92). Dies auch im Hinblick auf die kindlichen Entwicklungserfolge. Neben den Erwartungen der Gesellschaft an die Eltern in der Rolle als „Lehrmeister“ (vgl. S. 92) stehen auch die von den Kindern (angenommenen) Erwartungen der eigenen Eltern im Fokus (S. 93- 98). Unter dem Aspekt Leistungsdruck sprechen der Autor und die Mitautorin über mögliche Hilfeinstanzen, wobei v.a. Religion bzw. über den Glauben an eine höhere Macht (S. 98 – 103) gesprochen wird. Darüber hinaus geht es auch um den Sinn und Zweck des familiären Miteinanders (S. 104 – 109) und die Art der Eltern, wie diese mit ihren Kindern über ihre Erwartungen an diese kommunizieren (S. 110ff.) finden Beachtung. Immer wieder geht es auch um Spielräume des eigenen Handelns und es geht um die Verantwortung hierfür. Dies bezogen auf die Eltern und ebenso auf die Kinder.
Das Jugendzimmer. Protest und Verantwortung. (S. 129 – 167) Jesper Juul geht zu Beginn (S. 130f.) auf die andere Rolle ein, die seiner Meinung nach Eltern pubertierender Kinder einnehmen sollten. Auch an dieser Stelle wird auf den Aspekt Vertrauen – v.a. mit Blick auf das Handeln des nun Jugendlichen – (S. 131ff.) näher eingegangen. Jesper Juul geht u.a. auch auf die Versuchungen der heutigen Zeit (S. 134f.) ein. Der Experte und die Journalistin sprechen ausführlich über die Verantwortung der Jugendlichen, Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen (S. 138ff.). Dies auch vor der Frage, in welchem Maße Jugendliche soziale Verpflichtungen – v.a. innerhalb der familiären Gemeinschaft – übernehmen sollten (S. 141f.) „Viele gute Absichten sind für die Katz, weil Eltern nicht sicherstellen, dass ihre Worte das Kind auch erreichen. […]“ (S. 144). Jesper Juul spricht nicht nur an dieser Stelle von einer Einladung zum Gespräch, damit Kommunikation funktioniert, Ein weiterer Aspekt sind die Herausforderungen an die Teenager beiderlei Geschlechts, wobei neben den schulischen Anforderungen auch wieder die Art des wechselseitigen Austauschs im Mittepunkt steht (S. 149 – 160). An dieser Stelle lenkt Monika Øien den Fokus auch auf Jugendliche deren Eltern sich haben scheiden lassen (S. 161 – 167).
Das Bad. Körper und Gesundheit. (S. 169 – 187) Auch in diesem Kapitel geht es darum, wer wann für welche Entscheidungen verantwortlich ist. Jesper Juul beginnt mit der Beantwortung der Kleiderfrage (S. 170ff.) und geht anschließend auf Fragen zur Ernährung und Gesundheit (S. 172 – 180) ein. Auch Sexualität (S. 181 – 185) und die Frage nach dem Sinn und Zweck von Aufklärungsgesprächen (S. 185) werden thematisiert.
Die Küche. Essen und Gespräche. (S. 189 – 214) Der Dialog zwischen Monika Øien und Jesper Juul dreht sich an dieser Stelle v.a. um die Frage, wie Mann und Frau als Paar, wie Eltern und wie Kinder in den Tag starten (sollten) und diesen auch wieder beenden. Wie schon an anderen Stellen sprechen die Journalistin und der Familientherapeut hier über Erwartungen und Erwartungsenttäuschungen (u.a. S. 194f.). Beachtung finden Themen wie: gemeinsame Mahlzeiten als Möglichkeit, dass „[…] sich die Eltern einen Eindruck davon verschaffen, wie es ihren Kindern geht.“ (S. 195f.), Tischmanieren (S. 197 – 201), Umgang mit Alkohol (S. 202f.), Umgang mit Süßigkeiten (S. 203), v.a. geht es um die Frage nach dem Nutzen eines konsequenten Handelns in der Erziehung (S. 204ff.). Ausführlich geht der Autor auf die Frage ein, wie man dem Kind Verantwortung für die eigene Ernährung beibringt (S. 208 – 212).
Das Wohnzimmer. Gemeinschaft und Atmosphäre. (S. 215 – 242) Der Familientherapeut beschreibt zunächst den Dialog als Möglichkeit herauszufinden, „[…] wer wir sind und was wir wollen.“ (S. 216). Im Weiteren stellt er die Bedeutung einer gelingenden Kommunikation zwischen Eltern und Kindern heraus (S. 217ff.), wobei er den Dialog als „[…] ein Gespräch zwischen gleichwürdigen Partnern […]“ (S. 219) beschreibt. Beachtung finden auch Aspekte wie, Entscheidungskompetenzen (S. 226f.) und Inspiration zur meditativen Selbstkenntnis (S. 228ff.). Am Ende des Kapitels geht Jesper Juul auf die Frage zur Bedeutung nach der Fähigkeit, den eigenen Willen klar ausdrücken zu können (S. 238 – 242), ein.
Nachwort (S. 243f.) Das Interview endet mit einem Nachwort, in dessen Mittelpunkt Werte und Wertvorstellungen stehen.
Dank (S. 245)
Bücher und DVDs von Jesper Juul (S. 246ff.)
Familylab – die Familenwerkstatt (S. 249 ff.) An dieser Stelle beschreibt der Autor kurz die Aufgaben und Ziele der Familienwerkstätten.
Über Jesper Juul und Monika Øien (S. 253)
Diskussion
Es lässt sich nicht wirklich kein bestimmtes Kapitel oder ein spezielles Thema des Interviews herausarbeiten. Sehr wohl aber die Art und Weise des Austausches. Betrachtet man die Ausführungen über Jesper Juul seitens Monika Øien, dann spiegelt sich der große Respekt der Journalistin für den Familientherapeuten wider. Jesper Juul gibt in seiner Art auf die Fragen von Monika Øien einzugehen durchgehend zu verstehen, dass er das Gespräch mit ihr auf Augenhöhe führt. Die Art des Gesprächs ist nicht erstaunlich vor dem Hintergrund wie der Autor Dialog definiert (vgl. S. 219). Auch, wenn es sich der Form nach um ein Interview mit einem Experten handelt, so bietet sich den Leserinnen und Lesern doch größtenteils ein Austausch zwischen einer (Stief-)Mutter und Partnerin mit einem Vater und Partner – der unbestritten ein Experte für Familientherapie ist -.
Fazit
Das Buch ist so geschrieben, dass auch Leserinnen und Leser ohne pädagogisch- oder familientherapeutisch-beruflichen Hintergrund verstehen, worum es Jesper Juul und Monika Øien geht. Es finden sich auch keine unverständlichen Fremdworte. Vor allem die Fragen von Monika Øien dürften sich schon viele (Stief-)Mütter und (Stief-)Väter gestellt haben. An manchen Stellen finde ich die Antworten von Jesper Juul zu kurz gegriffen und an manchen Stellen auch zu pädagogisiert. Mit Blick auf das gesamt Buch kann ich es empfehlen, insbesondere als „[…] Plädoyer dafür, sich mit Enthusiasmus und Gelassenheit auf das Abenteuer Familie einzulassen.“ (Cover-Rückseite)
Rezension von
Ulrike Koch
M.A., Zusatzqualifikationen als Systemische Beraterin und Kulturpädagogin. Zwischen 2009 und 2018 tätig in den Bereichen Jugendarbeit, Schulsozialarbeit, Beratung von Familien, vertiefende Berufsorientierung, Jobcoaching und zum Schluss als Sozialarbeiterin im Kinderschutz.
Mailformular
Es gibt 14 Rezensionen von Ulrike Koch.
Zitiervorschlag
Ulrike Koch. Rezension vom 03.08.2015 zu:
Jesper Juul: Das Familienhaus. Wie Große und Kleine gut miteinander auskommen. Beltz Verlag
(Weinheim, Basel) 2015.
ISBN 978-3-407-22942-7.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/18246.php, Datum des Zugriffs 23.01.2025.
Urheberrecht
Diese Rezension ist, wie alle anderen Inhalte bei socialnet, urheberrechtlich geschützt.
Falls Sie Interesse an einer Nutzung haben, treffen Sie bitte vorher eine Vereinbarung mit uns.
Gerne steht Ihnen die Redaktion der Rezensionen
für weitere Fragen und Absprachen zur Verfügung.