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Thomas Klie: Demenz und Recht

Rezensiert von Dr. phil. Dipl.-Psychol. Sven Lind, 18.08.2015

Cover Thomas Klie: Demenz und Recht ISBN 978-3-86630-386-7

Thomas Klie: Demenz und Recht. Würde und Teilhabe im Alltag zulassen. Vincentz Network (Hannover) 2015. 214 Seiten. ISBN 978-3-86630-386-7. D: 29,00 EUR, A: 29,90 EUR, CH: 39,90 sFr.

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Thema

Demenz und Recht sind zwei Seinsweisen des menschlichen Lebens. Demenz ist eine Hirnerkrankung, die vor allem im Alter gehäuft auftritt. Diese Erkrankung macht die Betroffenen hilflos und damit schutzbedürftig. Das Recht bietet den notwendigen normativen Rahmen für die Gewährleistung der erforderlichen Leistungen für diese Personengruppe u. a. in Gestalt des Sozialgesetzbuches XI (Pflegeversicherungsgesetz). Darüber hinaus enthält das Recht eine Reihe von Schutzrechten wie z. B. das Betreuungsrecht und das Heimgesetz, die den normativen Gestaltungsraum mit den entsprechenden Garantien für eine angemessene Lebensführung bilden sollen. Nur so sind Würde, Wohlbefinden und Lebenszufriedenheit der Demenzkranken gewährleistet. Die vorliegende Publikation beschäftigt sich mit dieser Thematik aus der Sicht eines Juristen. Es handelt sich dabei um Arbeiten, die bereits zuvor in Fachzeitschriften und Ratgebern veröffentlicht wurden.

Autor

Professor Dr. habil. Thomas Klie lehrt Rechts- und Verwaltungswissenschaften an der Evangelischen Hochschule in Freiburg. Darüber hinaus leitet er das Zentrum für zivilgesellschaftliche Entwicklung und das Institut für angewandte Sozialforschung. An der Alpen-Adria-Universität in Klagenfurt ist er zusätzlich als Privatdozent tätig. Rechtsfragen der Altenhilfe stellen einen Schwerpunkt seiner Arbeit seit einigen Jahrzehnten dar.

Aufbau und Inhalt

Nach Vorwort und Einführungen in Rechtsfragen für Demenzkranke und die Behindertenrechtskonvention werden in 33 kurzen Abhandlungen mit einem jeweiligen Serviceteil (Allgemeine Anmerkungen, Rechtsquellen, weiterführende Hinweise und Literatur) folgende Themenbereiche in der alphabetischen Reihenfolge dargestellt:

  • Betreuung,
  • Bewegung,
  • Datenschutz,
  • Einwilligungs- und Rechtsfähigkeit,
  • Ernährung,
  • freie Wahl des Wohnortes,
  • Freiheit und Freiheitseinschränkung,
  • Haftung und Verantwortung,
  • Humor,
  • Kommunen,
  • Lebensqualität,
  • Mitwirkung und Teilhabe,
  • nächtliche Assistenz,
  • osteuropäische Hilfen,
  • Partnerschaft,
  • Patientenverfügungen und Entscheidungen am Lebensende,
  • Pflegenoten,
  • Pflegestufe,
  • Scheidung,
  • Schuldfähigkeit – Straftaten von Menschen mit Demenz,
  • Sexualität,
  • Solidarität – Generationenvertrag,
  • Sprache und Verständigung,
  • Sterbehilfe,
  • Straßenverkehr,
  • Teilhabe vor Pflege,
  • Testierfähigkeit,
  • Unterhaltspflicht,
  • Urlaub und Reisen,
  • Verbraucherschutz,
  • Verhinderungspflege,
  • Wahlrecht und
  • Wohngemeinschaften.

Die Position des Autors und zugleich auch sein Hauptanliegen werden in den einleitenden Abschnitten dezidiert vorgestellt. Es geht vorrangig darum, Demenzkranke als Behinderte mit all den damit verbundenen rechtlichen Implikationen und umfänglichen Leistungsansprüchen anzuerkennen. Als Orientierungsrahmen hierzu dient ihm die Behindertenrechtskonvention. Es fehlt jedoch die fachlich Begründung, warum Demenzkranke rechtlich zugleich Behinderte, Kranke und Pflegebedürftige mit entsprechenden Leistungsansprüchen sein können. Er konstatiert nur: „ So lädt das Recht ein, Menschen mit Demenz als Mensch mit Behinderung zu sehen und Demenz als eine Lebensform in der Vielfalt von Lebensformen.“ (Seite 15). Entsprechend dieser Sichtweise werden das Recht auf Teilhabe und die damit verbundenen Leistungen für die Demenzkranken eingefordert. Komplementär hierzu negiert der Autor die Demenz als eine massive degenerative neurologische Erkrankung, die zu Defiziten in der Alltagsbewältigung in Gestalt der Hilfe- und Pflegebedürftigkeit führt, wenn er dazu auffordert, Abschied zu nehmen von der „Aufpasserrolle“ und der „Pathologisierung“ (Seite 22). Geradezu programmatisch hierzu ist seine Forderung „Macht Demenzkranke nicht zu Pflegefällen!“ (Seite 24).

So wie Klie das „medizinische Paradigma“ (Seite 173), also die so genannte „Pathologisierung“ der Demenz ablehnt („Altern ist keine Krankheit“ (Seite 173)), so tritt er zugleich für die Freizügigkeit der Betroffenen ein, indem er an mehreren Stellen darauf hinweist, dass für das Heim und die Mitarbeiter keine Aufsichtspflicht gemäß § 832 BGB bestünde. Einschränkend wird aber diesbezüglich angeführt: „Gleichwohl ist man verantwortlich für eine fachgerechte Begleitung und Betreuung, für eine fundierte Risikoeinschätzung. …Es gibt auch ein Recht auf Risiko, ein mitverantwortetes Risiko.“ (Seite 66). Praxisnahe Ausführungen und Erfahrungswerte zur Orientierung in diesem hochsensiblen Bereich, der letztlich die körperliche Unversehrtheit betrifft, werden hingegen nicht angeführt.

Zu vielen Themen der Alltagsbewältigung Demenzkranker werden bezüglich der juristischen Dimensionen praxisnahe und verständliche Erklärungen und Hinweise gegeben, die den Angehörigen Hilfestellung und erste Orientierung bieten können. Der Autor drückt sich auch sehr allgemeinverständlich aus, man muss sich somit nicht mit einem schwer verständlichen Juristendeutsch herumplagen.

Diskussion

Es liegt das Buch eines Juristen vor, der Themenbereiche aus der Lebenswelt der Demenzkranken unter rechtlichen Aspekten darstellt. Sein Ziel ist es, Angehörigen und Demenzkranken die Rechte zu vermitteln, die ihnen zustehen. Hierzu hat der Autor die 33 Facetten des Alltags angeführt. Das Buch ist somit auch ein Ratgeber.

Die Beurteilung der Publikation fällt zwiespältig aus. Einerseits ist eindeutig festzustellen, dass der Autor ein profundes Wissen in den Rechtsfragen besitzt, das er auch zielgruppengerecht zu vermitteln versteht. Andererseits liegen bezogen auf die Demenz tiefgehende Problemfelder und Ungereimtheiten vor, die den Zugang und das Verständnis des Themenkomplexes Demenz und Recht erschweren:

  • Der Autor scheint den Sachverhalt nicht akzeptieren zu wollen, dass Demenzen neurologische Erkrankungen mit einem unerbittlich fortschreitenden Abbau sind. Sie vorwiegend als bloße Behinderung oder Alterserscheinung zu deklarieren, widerspricht dem wissenschaftlichen Konsens. Entweder fehlen dem Autor die erforderlichen Wissensstände oder er negiert sie aufgrund einer dogmatischen Festlegung. Pflegende Angehörige werden diese Sichtweise mit den damit verbunden rechtlichen Implikationen nicht nachvollziehen können und sind somit verunsichert.
  • Das Bestehen auf der Behindertenrechtskonvention mit dem impliziten Anspruch auf Leistungen der Behindertenhilfe kann als Position oder Denkanstoß des Autors gelten, alltägliche Praxis in der Versorgung Demenzkranker in Deutschland ist es hingegen nicht. Für einen Ratgeberband dürfen jedoch nach Ansicht des Rezensenten nur alltagstaugliche Empfehlungen und Hinweise gegeben werden. Die Vermengung des praktizierten Rechts der Gegenwart mit angestrebten Rechtsveränderungen in der Zukunft überfordert die Betroffenen. Hierdurch können Erwartungshaltungen ohne jeden Realbezug entstehen.

Fazit

Die Verflechtung von Recht und Demenz als Orientierungswissen und Ratgeber für die entsprechenden Zielgruppen konnte in dem vorliegenden Buch nicht angemessen geleistet werden. Den teils sehr praxisnahen und verständlichen Informationen fehlt der demenzspezifische Bezugsrahmen, der letztlich von den unterschiedlichen Stadien des Abbauprozesses bestimmt wird.

Rezension von
Dr. phil. Dipl.-Psychol. Sven Lind
Gerontologische Beratung Haan
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Zitiervorschlag
Sven Lind. Rezension vom 18.08.2015 zu: Thomas Klie: Demenz und Recht. Würde und Teilhabe im Alltag zulassen. Vincentz Network (Hannover) 2015. ISBN 978-3-86630-386-7. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/18322.php, Datum des Zugriffs 02.11.2024.


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