Friederike von Gross, Dorothee M. Meister et al. (Hrsg.): Medienpädagogik – ein Überblick
Rezensiert von Prof. Dr. Anna Zembala, 05.06.2015
Friederike von Gross, Dorothee M. Meister, Uwe Sander (Hrsg.): Medienpädagogik – ein Überblick. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2015. 448 Seiten. ISBN 978-3-7799-3239-0. D: 29,95 EUR, A: 30,80 EUR, CH: 40,10 sFr.
Thema
Mit insgesamt 16 Artikel von 23 Autoren lädt die neue Publikation ein, sich mit den aktuellen Entwicklungen der medialen Phänomene im Kontext pädagogischer Diskurse und pädagogischer Praxis auseinander zu setzen. Ist dies wirklich erforderlich: Jedes Jahr eine medienpädagogische Abhandlung zu diesen Themen auf den Markt bringen? Die im Sammelband „Medienpädagogik – ein Überblick“ besprochenen Fragestellungen zeigen unmissverständlich, dass das notwendig und unverzichtbar ist.
Die Pädagogen können keine Konzepte oder Grundlagen ihrer Arbeit bestimmen ohne einen Bezug auf die vorhandene, aktuelle Lebenssituation ihrer Zielgruppen zu nehmen. Da die mediale Entwicklung rasante Züge aufweist, ist es angebracht, diese stets zu hinterfragen. Darüber hinaus eröffnet die kontinuierliche Begleitung medialer Erscheinungsformen in ihrem sozialen Kontext eine weitere Chance, den wissenschaftlichen Austausch selbst stets und aktuell zu reflektieren.
Im Vergleich zu anderen Sammelbänden besticht die neue Veröffentlichung durch einen gelungenen Mix unterschiedlicher Artikel. Dabei überzeugt die Vielfalt der wissenschaftlichen Schwerpunkte: von einem Überblick über die Aufgaben bis hin zu Auseinandersetzungen mit gegenwärtigen Situationen medialer Ereignisse.
Eine umfassende Besprechung der geschichtlichen Verläufe medienpädagogischer Diskussionen (Heinz Moser: „Die Medienpädagogik im deutschsprachigen Raum“) leitet in die Thematik ein. Hier finden die Leser eine Beleuchtung der kontrovers behandelten Debatten über Medienkompetenz und Medienbildung. Ein Vergleich der medienpädagogischen Theorien aus der Schweiz, Österreich und Deutschland mit den angloamerikanischen Diskursen, sowie Hinweise auf die schulische Medienbildung runden den einleitenden Rückblick ab. Abschliessend konstatiert der Autor „(dass) sich die Medienpädagogik trotz aller Schwierigkeiten zu einer funktionierenden Community von Wissenschaftlern und Medienpraktikern entwickelt hat, die den gesamten deutschsprachigen Raum umspannt.“ (S.28).
Aufbau
Insgesamt gliedert sich der Sammelband in drei Teile.
Zu Teil 1. Themen der medienpädagogischen Felder
Der erste Teil widmet sich den Themen der medienpädagogischen Felder und umfasst:
Mediendidaktik (Michael Kerns und Annabel Preußler), wo auf Lerntheorien im Kontext der Effektivität des Lernens und Lehrens mit Medien näher eingegangen wird und die Geschichte des Faches skizziert wird;
Mediensozialisation (Sabine Kaiser), mit einer Zusammenfassung aktuell geführter Diskussionen, die weiterer „Klärung des Verhältnisses Medien-Subjekt-Gesellschaft“ bedürfen und „statt sich auf situativ bedingte Einflüsse zu fokussieren“ viel mehr „innovative Medienpraktiken in Studien zu Mediensozialisation“ brauchen, dann auch die Erwachsenen in Blick nehmen und langfristig die Relevanz der Medienaneignung untersuchen sollten (S. 72);
Medienethik (Christian Schicha), wo der Autor einen Spagat zwischen der medienethischen Regeln und den negativen ökonomischen Konsequenzen bei Missachtung dieser wagt: „Medien sind öffentliche Güter. Ihre Entstehung und Verbreitung unterliegt der Kontrolle und Kritik der Kunden und Mitarbeiter. Bei der Verbreitung medialer Inhalte werden Wahrhaftigkeit, Transparenz und Verantwortungsbewusstsein seitens der internen und externen Öffentlichkeit erwartet. Wer medienethische regeln missachtet, verliert Vertrauen, woraus auch negative Konsequenzen resultieren können.“ (S.92-93).
Zu Teil 2. Fragen des Aufwachsens mit Medien
Der zweite Abschnitt des Buches nimmt die Fragen des Aufwachsens mit Medien in den Blick:
Frühe Kindheit (Gudrun Marci-Boehnke und Marion Weise) erläutert die entwicklungspsychologischen Aspekte, den familiären Kontext gegenwärtiger Medienpraxis und Medienaneignung von Kindern, neben zahlreichen Einblicken in die konvergenten Medienwelten familiärer Nutzung oder der Besprechung von primären und sekundären Erfahrungen und ihrer Bedeutung für das Aufwachsen. Entscheidend ist hier die grundlegende Annahme, dass Medialität für das Menschsein konstitutiv ist und daher nicht nur ein pädagogisches Thema darstellt (S. 98);
Medienaneignung und Medienkompetenz in der Kindheit (Helga Theunert) geht auf zahlreiche Stationen der Medienaneignung vom Säuglings- bis zum Jugendalter ein und diskutiert dabei die Einflussfaktoren und Zusammenhänge, die diese Stationen im positiven aber auch negativen beeinflussen können und schliesst mit einem Konzept von Förderung der Medienkompetenzen in der Kindheit ab;
Medien und ihre Chancen und Herausforderungen für das Jugendalter (Friederike von Gross) beleuchtet nicht nur die heutige mediale Ausstattung und Mediennutzung junger Menschen, sondern bespricht auch die (Selbst-)Sozialisationsprozesse: „ Im Rahmen der Mediensozialisation finden viele Lernprozesse informell und selbstgesteuert statt. Heranwachsende bewältigen einen Großteil ihrer Entwicklung erfolgreich in Eigenregie und mit Unterstützung der Peergroup.“(S.186); die größte Chance besteht demnach darin, diese „informelle(n) Lernprozesse mit zielgerichteten (non-)formalen Inhalten zu verknüpfen“ (S. 186), Jugendlichen wertschätzend begegnen und ihnen relevante, pädagogisch bedeutende Inhalte zu vermitteln.
Zu Teil 3. Vorstellung aktueller Anforderungen und Probleme
Die Vorstellung aktueller Anforderungen und Probleme finden die Leser in dem dritten Teil, der sich aus folgenden Themen zusammensetzt:
Medienkompetenz (Gerhard Tulodzecki), wo die umfangreiche Geschichte der medienpädagogischen Konzepte in Hinblick auf die Bestimmung einer Medienkompetenz- und einer Medienbildung-Definition in einer Vorstellung komplexer Kompetenz-Standard-Modelle mündet: „Zur Charakterisierung anzustrebender Kompetenzniveaus nach einzelnen Bildungsabschnitten lassen sich Bildungsstandards festlegen, die auf einem transparenten und reflektierten Kompetenzmodell beruhen sollen.“ (S.223);
Zur Entwicklung von Medienkritik (Sonja Gauguin und Uwe Sander) geht der Frage nach, was einen kritisch-reflexiven Umgang mit Medien bedingt: „Formal gesehen werden Kinder umso medienkritischer, je älter, gebildeter, geschulter sie sind. Welche Form die kritische Beurteilung annimmt, ist auf jeden Fall eine Frage von Entwicklung - und der Unterstützung dieser Entwicklung.“ (244-245);
Medienbildung (Stefan Iske) führt in die gegenwärtig geführte Diskussion um die Ausformulierung der theoretischen Fundierung dieses Begriffs ein, stellt acht unterschiedliche Positionen vor und stellt fest, dass das Konzept der Strukturalen Medienbildung nach Jörissen und Marotzki „den am weitesten entwickelten theoretischen und empirischen Ansatz“ (S. 266) vorweist;
Medienerziehung in der Kindergartenstätte (Henrike Friederike und Dorothee M.Meister) beleuchtet die Frage: Warum nutzen die Kindergartenstätten im Gegensatz zur Schule so selten elektronische Medien in der pädagogischen Arbeit? – anhand der Ergebnisse empirischer Forschung, des Vergleiches von Bildungsplänen verschiedener Bundesländer, Medienerziehung im Rahmen der ErzieherInnen-Ausbildung und der vorhandenen Kindergartenpraxis im Umgang mit Medien;
Medien und Geschlecht (Ulrike Becker) bespricht im Kontext von gender identity und gender performance die Herausforderung mit Stereotypen zu Brechen: „Pink für Mädchen – Action für Jungen“ (S. 320);
Medien und Sexualität (Nicola Döring) gibt einen umfangreichen Einblick in die Fragestellung, in dem die Mediensexualität, die sexualisierten Darstellungsweisen, die sexuellen Informationsangebote, die sexuellen Unterhaltungsangebote und die Prävention negativer Wirkungen von Mediensexualität besprochen werden;
Medienkonvergenz und Celebrity (Martina Schuegraf) fokussiert sich auf die neusten Phänomene der Selbstinszenierung am Beispiel von You-Tube-Berühmtheiten und weist dabei auf vier unterschiedliche Aspekte der Konvergenz - technische, ökonomisch-organisatorische, inhaltliche und nutzungsorientierte – hin;
Medien und Gewalt (Michael Kunczik und Astrid Zipfel) bespricht die Motive für die Nutzung von Mediengewalt, die aktuellen Wirkungsthesen, als auch den Forschungsstand und unterstreicht die Präventionsstrategien negativer Folgen von Mediengewalt: Coviewing, restriktive auch aktive Interventionsmaßnahmen;
Computerspiele (Johannes Fromme, Ralf Biermann und Florian Kiefer) gibt mit mehreren Schwerpunkten – auf die Geschichte, auf die Bedeutung von Computerspielen für Persönlichkeitsentwicklung und Sozialisation, auf die Themen der Gewalt und Geschlechterdarstellungen, dann auf die Suchtgefahren oder Chancen für Lern- und Lehrstrategien – einen fundierten Einblick in aktuelle Fragestellungen rund um das neue, interaktive Medium.
Fazit
Im Endergebnis ist zu sagen, dass der Sammelband trotz einiger Wiederholungen schon bekannter Diskussionen oder Forschungsergebnisse eine doch gute, aktuelle Übersicht über gegenwärtig relevante, wissenschaftliche Themen bietet. Somit kann er als ein Meilenstein medienpädagogischer Diskurse verstanden werden. Um auch einmal rückblickend feststellen zu können, welche neuen Aufgaben, Zielgruppen oder gesellschaftlichen Verpflichtung im Laufe der nächsten Jahre die Medienpädagogik bereichert und weiterentwickelt haben.
Rezension von
Prof. Dr. Anna Zembala
Kultur- und Medienpädagogin sowie Professorin an der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen (KatHO NRW) in Köln
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Es gibt 16 Rezensionen von Anna Zembala.
Zitiervorschlag
Anna Zembala. Rezension vom 05.06.2015 zu:
Friederike von Gross, Dorothee M. Meister, Uwe Sander (Hrsg.): Medienpädagogik – ein Überblick. Beltz Juventa
(Weinheim und Basel) 2015.
ISBN 978-3-7799-3239-0.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/18324.php, Datum des Zugriffs 09.10.2024.
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