Barbara Brüning: Philosophieren mit Kindern
Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 31.03.2015

Barbara Brüning: Philosophieren mit Kindern. Eine Einführung in Theorie und Praxis. Lit Verlag (Berlin, Münster, Wien, Zürich, London) 2015. 197 Seiten. ISBN 978-3-643-12839-3. 19,90 EUR.
Philosophie ist die Frage nach der Wahrheit
Der griechische Philosoph Aristoteles hat die philosophia als das Streben nach Weisheit bezeichnet, und zwar vom anthrôpos, dem menschlichen Lebewesen, das mit Vernunft ausgestattet ist, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden vermag und ein gutes, gelingendes und glückliches Leben erreichen will. Die vorsokratischen Philosophen hielten meist eine verinnerlichte Ausschau nach den Urgründen der Welt, was sich z. B. in der vielleicht auch nur schön erfundenen Geschichte verdeutlicht, die vom Astronomen und Philosophen Thales von Milet überliefert ist, der so intensiv und weltvergessen zu den Sternen schaute, dass er die Wirklichkeit übersah und in einen Brunnen fiel. Mit der Aufforderung Kants, habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen, hat sich die Aufmerksamkeit mit der Frage „Wer bin ich?“ hin zum Menschen und konkret hin zum menschlichen Denken und Handeln gerichtet: „Was kann ich wissen? – Was soll ich tun? – Was darf ich hoffen?“ (vgl. dazu: Jos Schnurer, Wer philosophiert – lebt!, 28.01.2014, www.socialnet.de/rezensionen/174.php). Das leitete im philosophischen Denken einen Perspektivenwechsel ein, der sich z. B. artikuliert in der Forderung, eine „Philosophie der Praxis“ und damit eine „Lebenslehre“ zu entwickeln (Claus Baumann / Jan Müller / Ruwen Stricker, Hrsg., Philosophie der Praxis und die Praxis der Philosophie, www.socialnet.de/rezensionen/16849.php).
Entstehungshintergrund und Autorin
Über sich, die Mitmenschen, die Welt, die Wirklichkeiten und Imponderabilien des Lebens nachzudenken, stellt eine intellektuelle Herausforderung dar, über die jeder Mensch verfügt, weil er – und da sind wir wieder bei den antiken Philosophen – ein vernunftbegabtes Lebewesen ist. Von dieser Denkrichtung bis hin zu den Fragen, wie der Mensch als zôon politikon, als auf ein friedliches, gerechtes, humanes und nachhaltiges Zusammenleben mit den Mitmenschen und der Natur angewiesenes Geschöpf sein individuelles und kollektives Leben gestaltet, führt der gerade Weg hin zu der Herausforderung für Bildung und Erziehung von Kindern. Erziehung ist zu verstehen als „Gesamtprozess des sozialen Lebens, innerhalb dessen Einzelpersonen und gesellschaftliche Gruppen es lernen, in ihrer eigenen Gesellschaft und im Rahmen der gesamten Weltgemeinschaft ihre persönlichen Fähigkeiten und Einstellungen, ihr Können und ihr Wissen bewusst und bestmöglich zu entfalten (vermögen)“, wie dies in der von der UNESCO, der Bildungs-, Wissenschafts- und Kulturorganisation der Vereinten Nationen formiert wird (Deutsche UNESCO-Kommission, Empfehlung zur „internationalen Erziehung“, Bonn 1990, S. 16); was bedeutet, dass Fragen nach dem „Wer bin ich? Und wenn ja, wie viele?“ (Richard David Precht, 2007) zum familiären und institutionalisierten, allgemeinbildenden, fächerbezogenen und -übergreifenden Bildungs- und Erziehungsauftrag gehören. Philosophieren mit Kindern hat in der letzten Zeit eine neue Aufmerksamkeit gefunden, und war von früher Kindheit an (Dieter Sinhart-Pallin / Mechthild Ralla, Handbuch zum Philosophieren mit Kindern. Kindergarten, Grundschule, freie Einrichtungen, 2015, www.socialnet.de/rezensionen/18377.php; Kristina Calvert, 48 Bildkarten zum Philosophieren mit Kindern, 2015, www.socialnet.de/rezensionen/18376.php).
In diese intellektuelle Aufbruchstimmung gesellt sich auch die Philosophiedidaktikerin von der Universität Hamburg, Barbara Brüning, mit ihrer Einführung in die Theorie und Praxis des Philosophierens mit Kindern. Sie legt damit ihren theoretischen und praktischen Erfahrungsschatz einer rund 30jährigen Auseinandersetzung mit Fragen zum Philosophieren mit Kindern vor.
Aufbau und Inhalt
Die Autorin gliedert das Einführungswerk in vier Kapitel und beschließt es mit einer als Anhang bezeichneten, ausgewählten Auswahlbibliographie von theoretischer Literatur, Zeitschriften, Lehrbüchern und Lernmaterialien. Im ersten Kapitel stellt sie „Didaktisch-methodische Grundlagen des Philosophierens mit Kindern“ vor; im zweiten diskutiert sie „Kognitive, entwicklungspsychologische und emotionale Voraussetzungen des Philosophierens mit Kindern“, im dritten thematisiert sie „Philosophisches Grundwissen“, und im vierten Kapitel präsentiert sie „Praktische Module für Grundschule und Kindergarten“.
Mit einem kurzgefassten Überblick über die historischen bis aktuellen Lernorte, der Auseinandersetzung mit der pädagogischen Entwicklung vom kindgemäßen Philosophieren, den vielfältigen, im wissenschaftlichen Prozess entstandenen Methoden des Philosophierens, bis hin zu der zeitgemäßen Nutzung von Medien, beginnt Barbara Brüning ihre Einführung. Jedem Kapitel ordnet sie zum Schluss ein Quellenverzeichnis zu, in dem sie relevante Literatur zu den Aspekten des Philosophierens mit Kindern benennt.
Bedeutsam bei der Darstellung von Notwendigkeiten und Möglichkeiten, wie mit Kindern philosophiert werden kann, sind Fragen zu den kognitiven, entwicklungspsychologischen und emotionalen Voraussetzungen bei Kindern. Die bekannte Erklärung, dass jeder Mensch ein Philosoph, so wie auch jeder Mensch ein Künstler sei (Joseph Beuys), bedarf natürlich der Erläuterungen, die von der Autorin im zweiten Kapitel geliefert werden. Dabei hebt sie die Fähigkeit und Tugend hervor, die Menschen neben ihrer kognitiven Kompetenz in besonderer Weise benötigen (aber im Bildungs- und Erziehungsprozess eher eine nachrangige Bedeutung haben), Empathie. Wissensaufnahme, -vermittlung und -verwertung funktionieren ja nicht allein über die Kognition, schon gar nicht über den „Nürnberger Trichter“, sondern vor allem beim kindlichen Lernen über emotionale und spielerische Formen.
Die Fragen nach Sinn, im alltäglichen, individuellen und kollektiven Leben von Kindern, lassen sich mit den von Immanuel Kant gestellten Fragen – Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Was ist der Mensch? – in ein didaktisches Konzept bringen, und zwar in eines, das Kinder mit ihren Fragen ernst nimmt. Auf kaum einem methodischen Gebiet des Lernens kommt es deutlicher und grundlegender darauf an, im Dialog „auf Augenhöhe“ zu kommunizieren, wie beim Philosophieren mit Kindern.
Dass die Forderung, mit Kindern zu philosophieren, nicht ein theoretisches Konstrukt ist und bleibt, vermittelt die Autorin mit dem vierten Kapitel, in dem sie praktische Beispiele zu den vier philosophischen Fragen einbringt. Es sind aus dem Denken und Erleben von Kindern entnommene Themen, die gewissermaßen auf der Straße liegen, über die Kindern entweder in spielerischen und kommunikativen Zusammenhängen selbst schon nachgedacht haben, und die für sie neu sind, wie etwa das Beispiel "Neu-Atlantis“, das sie zur Welterklärung herausfordert, oder ihnen mit der Methode des „sokratischen Gesprächs“ neue Denkabenteuer eröffnet.
Fazit
Mit Kindern philosophieren, das ist eine pädagogische Herausforderung, die bei der Bildung und Erziehung von (Klein-)Kindern in der Familie und in den Kitas selbstverständlich (?) geleistet wird, beim schulischen Lernen in der Grundschule auch noch eine Chance beim fächerverbindenden und -übergreifenden Lernen hat, jedoch in den weiterführenden Schulen nicht selten scheitert an den ge- und verfächerten Lernorganisationen. Der Ruf nach einer ganzheitlichen, projektorientierten Bildung wird zwar so nach und nach hörbarer; doch durchgesetzt hat sich diese Lernauffassung bisher nicht. Mit einer Didaktik und Methodik des Philosophierens mit Kindern und Jugendlichen könnte hier eine Bresche geschlagen werden. Barbara Brüning präsentiert mit dem Buch ihre Erfahrungen aus ihrer Jahrzehnte langen, wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Bildungsherausforderung „Philosophieren mit Kindern“. Sie fokussiert ihre Arbeit vorwiegend auf das Lernen mit Kleinkindern: „Dabei geht es darum, dass Kinder auf Fragen an die Welt, die sie selbst stellen, gemeinsame, gut durchdachte und begründete Antworten suchen und finden.
Das Buch sollte in der Aus- und Fortbildung von Eltern, ErzieherInnen und Lehrkräften von Grundschulen zu einem Standardwerk werden. Und es wäre zu wünschen, die didaktischen und methodischen Aspekte zum Philosophieren mit Kindern auch auf Schülerinnen und Schüler der weiterführenden Schulen und Erwachsenenbildungseinrichtungen auszuweiten. Denn: Philosophieren ist humanes Leben!
Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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