Marcel Schär, Christoph Steinebach (Hrsg.): Resilienzfördernde Psychotherapie mit Kindern und Jugendlichen
Rezensiert von Prof. Dr. Christian Schulte-Cloos, 10.08.2015
Marcel Schär, Christoph Steinebach (Hrsg.): Resilienzfördernde Psychotherapie mit Kindern und Jugendlichen. Grundbedürfnisse erkennen und erfüllen.
Beltz Verlag
(Weinheim, Basel) 2015.
264 Seiten.
ISBN 978-3-621-28149-2.
D: 39,95 EUR,
A: 41,10 EUR,
CH: 51,90 sFr.
Mit E-Book und Arbeitsmaterialien.
Thema
Das Thema Resilienz ist im psychologisch- pädagogischen Kontext sicherlich wesentlich, spricht es doch die allgemeine Fähigkeit an, trotz belastender Lebensbedingungen Wege der Bewältigung zu suchen und zu finden und sich so gegen krankmachende Überbelastung zu schützen. Ein Mangel an diesem Fähigkeitskomplex kann psychische und physische Störungen bedingen, verschlimmern und chronifizieren. Es ist folglich richtig und wichtig, sich in pädagogisch- psychologischen Kontexten gerade in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen darum zu kümmern, Resilienz zu fördern und auf diese Weise mehrfach präventiv zu wirken. Das vorliegende Buch gibt hierzu Anregungen.
Herausgeber und Entstehungshintergrund
Das Buch ist ein Herausgeber-Werk: beide Herausgeber haben sich bemüht, für die Themen des Buches Fachleute zu finden; letztlich sind neben den Herausgebern zwölf AutorInnen mit Fachartikeln beteiligt ( u.a Borg- Laufs, Klemenz, Petermann, Schneewind ).
Die Herausgeber selbst sind Psychologen und lehren und forschen an der Züricher Hochschule für angewandte Wissenschaften im Bereich angewandte Psychologie.
Aufbau
Die Herausgeber und die Autoren machen deutlich, dass es ihnen nicht darum geht, eine neue Therapieschule zu kreieren – vielmehr gilt das Interesse in einem therapieschulenübergreifenden Sinn einen Erklärungs- und Handlungsrahmen zu zeichnen, der zwischen den Richtungen konsensfähige Grundkonzepte anwendungsorientiert vorstellt.
Ausgangspunkt der Überlegungen ist einerseits die mittlerweile umfassend akzeptierte Bedeutung der Grundbedürfnisse des Menschen und die Qualität deren Befriedigung im Lebenslauf, andererseits eine gewisse Abkehr von einer zu einseitig pathologisch orientierten Sichtweise in der Klinischen Psychologie und Psychotherapie. In einem solchen Kontext können dann quasi als Annäherung Symptome als maladaptive Bewältigungsformen für erfahrene Defizite gesehen werden- eine Sichtweise, die Rapport und Motivation der Klienten unterstützt- wichtig gerade auch bei der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen.
Das Buch ist in drei Teile mit insgesamt 15 Kapiteln aufgeteilt:
- der erste Teil fokussiert auf das Konzept der Grundbedürfnisse und dessen Bedeutsamkeit für psychotherapeutische Fragestellungen.
- Teil 2 widmet sich den Themen Resilienz und Ressourcenaktivierung,
- Teil 3 nimmt die Besonderheiten psychotherapeutischer Arbeit mit Kindern und Jugendlichen in den Fokus.
Für ein ausführliches Inhaltsverzeichnis, aus dem auch die Autorenschaft der einzelnen Kapitel deutlich wird, siehe www.beltz.de/fileadmin/beltz/inhaltsverzeichnisse/978-3-621-28149-2.pdf.
Ausgewählte Inhalte
Im Folgenden soll zu jedem der Teile des Buches auf ein Kapitel ausführlicher eingegangen werden.
Nach einen einführenden Kapitel beschäftigt sich Sabine Wüthrich im 3. Kapitel des Teil 1 des Buches mit der Förderung von Selbstwirksamkeit und Selbstwert – einem der Grundbedürfnisse sensu Epstein, Deci&Ryan und auch Grawe. Selbstwirksamkeit wird definiert als die Überzeugung, selbst etwas zu bewirken zu können, Kontrolle auszuüben und Aufgaben und Anforderungen mit eigenen Kompetenzen gewachsen zu sein. Selbstwert meint die (mehr oder weniger bewusste und sprachlich formulierbare) Bewertung der eigenen Fähigkeiten anhand von Standards, die normativ vorgegeben und/oder selbst vorgegeben werden- dies auch in Sinne eines idealen Selbst. Hierbei entwickelt und verändert sich Selbstwert auf dem Hintergrund dreier Einflussbereiche. dem sog. Größen-Selbst, durch Bindung und Identifikation mit den Eltern und durch die Anerkennung und Selbstanerkennung erbrachter Leistungen.
Selbstwert ist wesentlich abhängig vom empathischen Reagieren der Eltern und führt in gelungenen Bindungsbeziehungen zur zunehmenden Selbstregulation auf Seiten des Kindes. Verständlich, dass Selbstwert moderierend auf Selbstwirksamkeit und dann auch (i.S. der Selbststeuerung) auf Willenshandlungen Einfluss nimmt, wie die Autorin nachfolgend ausführt. So kann im ungünstigen Fall niedriger Selbstwert sich passiv in Vermeidungsreaktionen, Versagensängstlichkeit oder überzogenen Ansprüchen an sich selbst äußern oder -in einem eher aktiven Modus- zu Defiziten in Frustrationstoleranz, Wutausbrüchen, Dominanzstreben oder der ständigen Suche nach Bestätigung führen. Dass dies alles zu weitreichenden Folgen in der sozialen Umgebung mit Rückwirkung auf Selbstwert und Selbstwirksamkeit führen kann, versteht sich von selbst. Wütherich verdeutlicht die konsequente Therapiearbeit zunächst metaphorisch anhand des Märchens von Froschkönig und dann im folgenden Fallbeispiel. Sie macht deutlich, dass Rahmen für die Symbolisierung mit Medien (Puppenspiel, Sprachspiel, Rollenspiele, Malen/Zeichnen) geschaffen werden müssen, die Kontakt und Beziehungsarbeit parallel zu einer gewissen Diagnostik der Schwierigkeiten des Kindes ermöglichen. Der Elternarbeit kommt eine besondere Bedeutung zu – man denke nur an den Transfer auf die häusliche Situation. Am Fallbeispiel wir das Vorgehen konkretisiert und die Interventionen in einem Fazit bewertet.
Steinebach leitet im 6. Kapitel den 2. Teil des Buches mit einem Grundsatzartikel zum Thema Resilienz- und Ressourcenförderung ein. Er hebt als Hintergrund hervor, dass in der Arbeit nicht nur mit beeinträchtigten Kindern es unzureichend erscheint, negative Symptome zu mindern- gleichzeitig müssen auf der positiven Seite der Persönlichkeit Bedingungen aufgebaut werden, die Gesundheit herstellen und erhalten helfen.
„Resilienz“ meint ganz allgemein die positive Bewältigung und nachhaltige Entwicklung einer Person nach Belastungen. Sie wird gefördert durch „Schutzfaktoren“ (Umwelt, Familie, Schule, Peers, Gesellschaft und allgemein Informations- und Beratungsquellen) und basiert natürlich auch und in Wechselwirkung mit physiologisch-neurologischen Prozessen auf genetischer und epigenetischer Basis.
Der Autor verweist auf Deci & Ryan , um zu verdeutlichen, dass Motivation auf Seiten der Persönlichkeit Kompetenzerleben, Unabhängigkeit und Bezogenheit auf andere bedarf, um wirksam zu werden – wenn diese Ziele/Bedürfnisse durch Handeln realisiert werden können, sind gerade auch Kinder und Jugendliche motiviert, ihre Fähigkeiten einzusetzen. Der Autor sieht diese Bedingungen gut im Ansatz der Positiven Psychotherapie (allerdings ohne Hinweis/Bezug auf Seligman…) realisiert, den er im Folgenden vorstellt. Ziele hierbei sind und werden exemplifiziert: Wohlbefinden (Umweltorientierung, Befriedigung von Grundbedürfnissen), Optimale Entwicklung (Berücksichtigung der Interaktion von Person und Umwelt, Interindividuelle Unterscheide, erfolgreiche Bewältigung). Unter dieser Zielperspektive wird im nächsten Ansatz „Diagnostik“ thematisiert, wobei der Autor für bestimmte Persönlichkeitsbereiche sogenannte Leitfragen vorschlägt- leicht nachzuvollziehen in der Frage „Wo sieht das Kind seine Stärken? Wie sieht das Kind sich selbst?“ etwa für den Bereich Selbstwert. Interventionen betreffend empfiehlt Steinebach ein Vorgehen in zwei Strängen sensu Grawe : Aktivierung von Ressourcen im Therapieprozess selbst und Problembearbeitung. Die Besonderheiten der therapeutischen Beziehung in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen stellt der Autoren nachfolgend heraus und schließt seinen Beitrag mit Anmerkungen zur Evaluation und einem Fazit vor dem Literaturverzeichnis ab.
Im 12. Kapitel im 3. Teil des Buches setzt sich Klemenz mit der Frage auseinander, inwieweit Gesprächsführung grundbedürfnisorientiert erfolgen kann. Auch er bezieht sich zunächst auf die Grundbedürfnisse nach Grawe, betont aber gleichzeitig Metabedürfnisse, durch die mehrere Grundbedürfnisse gleichzeitig befriedigt werden können – einem Beispiel der Bindungsforschung entsprechend hinreichend stabile und belastbare Beziehungen zu engen Bezugspersonen oder auch das häufige Erleben positiver Emotionen. Fähigkeiten des Kindes sollten bewusst vom Therapeuten im Setting aktiviert werden, um Kindern die Gelegenheit zu geben selbstwertdienlich ihre Stärken demonstrieren zu können. Der Autor verdeutlicht das Vorgehen aus einem transkribierten Tonband-Protokoll, wie es bei einem Erstgespräch mit einem 10 jährigen Jungen mit Verweigerung des Schulbesuchs entstanden ist. Klemenz empfiehlt für die Arbeit z.B. in der Erziehungsberatung, Jugendliche aufzufordern und zu bitten ins Erstgespräch etwas mit zubringen, womit sie sich gerne beschäftigen und demonstriert, wie diese „Mitbringsel“ die Beziehungsaufnahme erleichtern können und gleichzeitig einen Einstieg in die Ressourcendiagnostik ermöglichen. Die Beziehungsgestaltung vertiefend verweist der Autor auf Caspar und betont, dass auch problematisches Verhalten des Kindes im Therapiesetting motiviert ist durch Bedürfnisbefriedigung und nicht normativ bewertet werden darf. Überhaupt gelt die Regel, dass zunächst die zwischenmenschlichen Bedürfnisse des Jugendlichen im Setting einigermaßen befriedigt sein müssen, bevor man sich mit Problemverhalten des Jugendlichen zielführend beschäftigen können.
Diskussion und Fazit
Den Herausgebern ist es gelungen, die unterschiedlichen Autoren mit ihren unterschiedlichen theoretischen Zugängen unter dem Fokus Resilienz und Ressourcen für junge Klienten so zusammen zu bringen, dass ein gut lesbares, praxisorientiertes Buch entstanden ist. Bewusst werden vertiefende theoretische Auseinandersetzungen mit Verweis auf weiterführende Literatur zurückgestellt. Die einzelnen Kapitel bleiben überschaubar und imponieren auch durch die Inserts, in denen wesentliche Inhalte hervorgehoben werden. Die Verdeutlichung an Praxisbeispielen vertieft das Verständnis. Mag sein, dass ein großer Teil der Inhalte durch andere Ansätze gerade den Praktikern bekannt ist, in der Rahmung bezüglich der Grundbedürfnisse wir das Thema Resilienz und Ressourcen auch für den in der Praxis arbeitenden Therapeuten bestätigend und eigene Kompetenz erweiternd leicht und leserfreundlich zugänglich. Die Literaturverweise ermöglichen Vertiefung, wo diese gewünscht und notwendig ist, die auch was zukünftige Forschung und Evidenzfragen angeht kritische Haltung der Autoren fördert die Reflexion auch bei den möglichen Anwendern.
Schön, dass es mittlerweile im Beltz-Verlag fast Standard ist, dem Buch einen Zugangscode für das E-Book beizugeben.
Das Buch kann als anregend- bestätigende Literatur in Ausbildung und Praxis der Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie, aber auch im Kontext der Erziehungsberatung gerne empfohlen werden.
Rezension von
Prof. Dr. Christian Schulte-Cloos
Hochschullehrer Hochschule Fulda, Fachbereich Sozialwesen, seit 31.8.2011 pensioniert
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Es gibt 90 Rezensionen von Christian Schulte-Cloos.
Zitiervorschlag
Christian Schulte-Cloos. Rezension vom 10.08.2015 zu:
Marcel Schär, Christoph Steinebach (Hrsg.): Resilienzfördernde Psychotherapie mit Kindern und Jugendlichen. Grundbedürfnisse erkennen und erfüllen. Beltz Verlag
(Weinheim, Basel) 2015.
ISBN 978-3-621-28149-2.
Mit E-Book und Arbeitsmaterialien.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/18386.php, Datum des Zugriffs 25.01.2025.
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