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Michael Urban, Marc Schulz et al. (Hrsg.): Inklusion und Übergang

Rezensiert von Prof. Dr. Anja Seifert, 27.02.2015

Cover Michael Urban, Marc Schulz et al. (Hrsg.): Inklusion und Übergang ISBN 978-3-7815-2013-4

Michael Urban, Marc Schulz, Kapriel Meser, Sören Thoms (Hrsg.): Inklusion und Übergang. Perspektiven der Vernetzung von Kindertageseinrichtungen und Grundschulen. Julius Klinkhardt Verlagsbuchhandlung (Bad Heilbrunn) 2015. 304 Seiten. ISBN 978-3-7815-2013-4. D: 21,90 EUR, A: 22,60 EUR, CH: 31,50 sFr.

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Thema

Die Beiträge des Sammelbandes setzen sich auf einer theoretischen wie empirischen Ebene mit dem bildungspolitisch relevanten Thema der Inklusion in Bezug auf frühkindliche Übergänge und eine verbesserte Vernetzung von Kindertageseinrichtungen und Grundschulen auseinander. Sie zeigen hier insbesondere die Komplexität und den Professionalisierungsbedarf auf im Hinblick auf das geforderte Beobachten, Diagnostizieren und Dokumentieren von Bildungs- und Lernprozessen.

Herausgeber und Autor/innen

Die Herausgeber des Buches sind Dr. Michael Urban, Professor für Erziehung und Bildung im Kontext sozialer Marginalisierung am Institut für Sonderpädagogik der Goethe-Universität Frankfurt/Main, Dr. Marc Schulz, Professor für Soziologie der frühen Kindheit und Familie an der Fachhochschule Köln, Kapriel Meser, Diplom-Soziologe und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Fakultät für Erziehungswissenschaften an der Universität Bielefeld sowie Sören Thoms, Diplom-Sozialwissenschaftler und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sonderpädagogik der Leibniz Universität Hannover.

Die Verfasser/innen der einzelnen Beiträge arbeiten an unterschiedlichen Fachhochschulen und Universitäten in Deutschland, der Schweiz und in Australien.

Entstehungshintergrund

Bei der vorliegenden Veröffentlichung handelt es sich um eine Publikation zu dem abgeschlossenen wissenschaftlichen Projekt mit dem Titel „Prozessorientiere Verfahren der Bildungsdokumentation in inklusiven Settings – Potentiale zur Gestaltung des Übergangs vom Kindergarten zur Grundschule“, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung sowie des Europäischen Sozialfonds gefördert wurde.

Aufbau

Das Buch ist eingeteilt in fünf Oberkapitel, die die unterschiedlichen Dimensionen der Thematik Inklusion und Übergang aufzeigen:

  1. Kontextualisierungen und Theorieperspektiven
  2. Bedeutung und Perspektive der Familien im Transitionsprozess
  3. Zwischen inklusiver und selektiver Gestaltung von Übergängen
  4. Professionelle Kompetenzen im Kontext inklusiver Übergänge
  5. Beobachten – Diagnostizieren – Fördern

Ausgewählte Inhalte

Simone Seitz und Nina-Kathrin Finnern thematisieren in ihrem Beitrag „Inklusion anschlussfähig machen – Inklusion als gemeinsame Herausforderung für Kindertageseinrichtung und Grundschule“ die Schwierigkeit anschlussfähiger Bildungsprozesse insbesondere für Kinder mit einem diagnostizierten sonderpädagogischen Förderbedarf.

Neben Regelkindertagesstätten gibt es auch weiterhin spezielle heilpädagogische Einrichtungen, im Zuge der Inklusion wird jedoch die Mehrheit der Kinder mit Behinderung bereits heute in einer Regeleinrichtung betreut.

Kindergartenkinder werden bereits im letzten Kindergartenjahr adressiert als zukünftige Grundschulkinder, indem ihnen im Hinblick auf den Übertritt in die Schule ein besonderes Lernangebot gemacht. „Hieraus ergeben sich Widersprüche zwischen dem konzeptionellen Anspruch von Kindertageseinrichtungen, jedem Kind mit individualisierten, auf das Subjekt abgestimmten hohen Erwartungen zu begegnen, auf der einen Seite und dem, Kindern schulrelevante Kompetenzen zu vermitteln auf der anderen Seite.“ (S.28) Beim Übergang vom Elementar- zum Primarbereich zeigt sich das Dilemma des Übergangs, einerseits Kontinuität herstellen zu wollen, andererseits eine Selektionsschwelle darzustellen. Praktiken der Differenzherstellung zwischen Kindern mit und ohne Behinderung lassen sich zwar auch für den Elementarbereich aufzeigen, in der Grundschule indes sind sie noch stärker und „zum Teil stärker organisational anhand von äußerer Differenzierung“ (S. 31) als zuvor. Damit bleibt auch durch die Ratifzierung der UN-Konvention die Anschlussfähigkeit inklusiver Bildungsstrukturen für Kinder mit Behinderung eine strukturelle und konzeptionelle Herausforderung.

Peter Cloos, Marc Schulz, Michael Urban und Rolf Werning thematisieren in ihrem Beitrag mit dem Titel „Prozessorientierte Verfahren der Bildungsdokumentation in inklusiven Settings - Potenziale zur Gestaltung des Überganges vom Kindergarten in die Grundschule“ die Bedeutung von Beobachtungs-, Dokumentations- und Diagnoseverfahren für den Übergang in inklusiven Settings. Anhand von Ergebnissen aus einem Forschungsprojekt, in dem mit qualitativ-rekonstruktiven Forschungsmethoden gearbeitet wurde, wird aufgezeigt, dass auch prozessorientierte Verfahren der Bildungsdokumentation, die sich als ressourcenorientiert verstehen, wertende Informationen transportieren. „Sowohl Bildungs- und Lerngeschichten als auch Individuelle Entwicklungspläne beschreiben zweifelsohne Stärken und Fähigkeiten der Kinder und dennoch sind in diese Beschreibung bzw. in den Umstand, dass solche Beschreibungen angefertigt werden, zusätzliche Informationen eingelassen: die Information, dass es wichtig und sinnvoll ist, solche Fähigkeiten zu haben, dass diese Fähigkeiten Gegenstand der Beobachtung sind und dass das Resultat dieser Beobachtung festgehalten und dokumentiert wird.“ (S.100)

Das Thema Beobachtung wird auch in einem weiteren Beitrag, dem von Heike de Boer, vertiefend aufgegriffen, diesmal aus grundschulpädagogischer Perspektive. Der Beitrag „Beobachten Lernen – Lernen Beobachten: phasenübergreifendes Professionalisieren für Inklusive Praxis“ skizziert die Möglichkeiten einer „Professionalisierung des beobachtenden Blicks “ (S.199) und zeigt beispielhaft auf, wie dieser methodisch eingeübt werden kann und welche Möglichkeiten dies im Rahmen der Aus- und Fortbildung von Grundschullehrer/innen im Hinblick auf die Entwicklung einer professionellen „inklusiven Haltung“ impliziert.

Der Sammelband schließt mit der Fragestellung, wie ein gelingender „diagnostischer Informationstransfer“ beim Übergang vom Kindergarten in die Schule aussehen kann (Ute Geiling und Melanie Berger) und benennt die Desiderata in Forschung und Methoden in Bezug auf eine der mehrsprachigen Realität vieler Kinder angemessenen Sprachstandsdiagnostik und Sprachförderung (vgl. Beiträge von Barbara Geist und Barbara Voet Cornelli sowie Ulrich Mehlem, Birgit Lütje-Klose und Magdalena Spaude).

Diskussion

Das Buch zeichnet sich durch eine starke theoretische Einführung aus, die die weiteren Beiträge inhaltlich rahmt.

Ein Gewinn ist, neben einer ganzen Reihe einschlägiger deutschsprachiger Autor/innen, die u.a. zum Bereich Inklusion forschen und publizieren, der englische Beitrag von Sue Dockett aus Australien, die die Bühne der internationalen Übergangsforschung seit Jahren mitprägt.

Sue Dockett schreibt in ihrem Beitrag Starting school: A time of transition for families über den Einfluss der Überganges auf die Familie als Gesamtsystem. Sie führt hier soziale, finanzielle, kulturelle und sozial-räumliche Faktoren auf, die die individuelle Situation jeder einzelnen Familie spezifisch prägen, was beim Übergang vom Elementar- zum Primarbereich zu Mehrfachbelastungen führen kann, insbesondere wenn das zukünftige Kind als „verhaltensauffälliges“ oder „lernbehindertes“ Kind etikettiert wird.

Mit Bezug auf den Transitionsansatz, wie er in Deutschland u.a. von Wilfried Griebel/Renate Niesel vertreten wird, wird exemplarisch ein Fall einer in Australien durchgeführten Fallstudie exemplarisch vorgestellt. Sue Dockett zeigt hier auf, welch Aufgaben beim Übergang von der Kindertageseinrichtung in die Schule auf der individuellen, interaktionalen und kontextuellen Ebene vom Kind, aber auch von seiner Familie, bewältigt werden müssen und dass häufig mit dem ersten formalen Bildungsübergang weitere biographische Übergänge und Veränderungen einhergehen (Trennung, Wiederverheiratung der Eltern). „Change is an integral part of transitions. The transition to school affords opportunities to recognize the many changes that occur and to explore the support that are available or necessary to promote a positive engagement with school for children and families. At the very least, this requires acknowledgement that the transition to school is a transition for all involved – including children and families.“ (S. 61)

Die Beiträge des Sammelbandes ergänzen sich und zeigen die Komplexität der Thematik Inklusion und Übergang auf. Insgesamt gesehen wird in den Beiträgen indes die Perspektive des Elementarbereichs auf die Übergangssituation deutlicher thematisiert als die des Primarbereichs, die Frage nach der Vernetzung von Kindertageseinrichtungen und Grundschulen wird damit (aus gutem Grund) stärker im Hinblick oder mit Rückbezug auf das Selbstverständnis und die Stärken der Bildungsinstitutionen aus dem Elementarbereich thematisiert.

Fazit

Das Verdienst des Herausgeberbandes ist es, dass das aktuelle Thema Inklusion und Übergang vom Elementar- zum Primarbereich interdisziplinär und mehrperspektivisch bearbeitet wird. Vertreter/innen aus unterschiedlichen Fachdisziplinen wie der Sonderpädagogik, der Grundschulpädagogik, der Allgemeinen Pädagogik und der Kindheitspädagogik mit ihren je unterschiedlichen Fachtraditionen widmen sich in ergänzender Weise der komplexen Fragestellung und zeigen in theoretisch und empirisch angelegten Beiträgen relevante Spannungsfelder sowie Forschungs- und Professionalisierungsdesiderata auf.

Rezension von
Prof. Dr. Anja Seifert
Professorin für Grundschulpädagogik an der JLU Gießen
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Es gibt 6 Rezensionen von Anja Seifert.

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ISSN 2190-9245