Martin Welker, Monika Taddicken et al. (Hrsg.): Handbuch Online-Forschung
Rezensiert von Dr. Miriam Damrow, 03.05.2016

Martin Welker, Monika Taddicken, Jan-Hinrik Schmidt, Nikolaus Jackob (Hrsg.): Handbuch Online-Forschung. Sozialwissenschaftliche Datengewinnung und -auswertung in digitalen Netzen. Herbert von Halem Verlag (Köln) 2014. 588 Seiten. ISBN 978-3-86962-090-9. D: 36,00 EUR, A: 36,90 EUR, CH: 59,30 sFr.
Thema
Der vorliegende Band führt in internetgestützte Datengewinnung und Datenauswertung für Sozialwissenschaftler*innen ein.
Aufbau
Der Sammelband ist in sechs Teile mit insgesamt 25 Beiträgen untergliedert.
Im ersten Teil, betitelt Einführung, sind zwei Artikel versammelt. Martin Welker eröffnet mit seinem Artikel zur Normalisierung und Ausdifferenzierung von Online-Forschung die Einführung (S. 14-41). Monika Taddicken und Martin Welker analysieren Spezifizierung und Differenzierung der Onlineforschung im Zeitverlauf der GOR-Fachkonferenz anhand von Themen, Methoden und Erstautoren (S. 42-58).
Der zweite Teil trägt den Titel Grundlagen und beinhaltet 4 Beiträge. Eröffnet wird der 2.Teil mit dem Artikel von Martin Welcker zu Operationalisierung, Messung und Skalierung – Spezifika der Online-Forschung (S. 61-75). Thomas Zerback und Marcus Maurer diskutieren Repräsentativität in Online-Befragungen (S. 76-103), während Anja Göritz das Thema der Online-Panels vertieft (S. 104-122). Im letzten Beitrag erörtern Michael Eble, Marc Ziegele und Pascal Jürgens das Thema von Forschung in geschlossenen Plattformen des Social Web (S. 123-149).
Der dritte Teil ist zweigliedrig. Unter dem Titel Erhebungsverfahren werden zum einen Befragungen, zum anderen Inhaltsanalysen differenziert.
- Im Teil der Befragungen wird anhand von drei Beiträgen das Thema konturiert. Monika Taddicken und Bernad Batinic vertiefen in ihrem Artikel die standardisierte Online-Befragung (S. 151-175). Kai Kaspar, Nadine Kasten und Timo Gnambs untersuchen qualitative Online-Befragungen (S. 176-193), Veronika Karnowski und Andreas Fahr gehen in ihrem Beitrag der mobilen Online-Befragung nach (S. 194-212).
- Im Teil der Inhaltsanalysen beginnen Patrick Rössler, Lena Hautzler und Marco Lünich mit ihrem Beitrag zur Online-Inhaltsanalyse (S. 214-232). Till Keyling widmet sich in seinem daran anschließenden Beitrag der automatisierten Inhaltsanalyse (S. 233-254). Christian Nuernbergk und Julia Neubarth untersuchen Netzwerkanalysen in der sozialwissenschaftlichen Online-Forschung (S. 255-283). In eine ähnliche Richtung gehen auch die darauf folgenden Beiträge. Tobias Bürger und Mark Dang-Anh verweisen auf Twitter Analytics (S. 284-302), während Martin Welker Logfile-Analysen im Einsatz aufzeigt (S. 303-324).
Der vierte Teil des Buches, betitelt Anwendungen, versammelt acht Beiträge. Gabriele Ritter und Sven Dierks erläutern das AGOF-Verfahren und diskutieren Herausforderungen und Weiterentwicklung (S. 327-344). Louisa Klarenberg und Holger Geissler erörtern die Online-Mitarbeiterbefragung (S. 345-362), während Florian Alber und Olaf Hofmann Kundenbefragung online darlegen (S. 363-383). Susanne König diskutiert Online-Befragungen von Kindern (S. 384-401). Das Thema der Online-Experimente vertiefen Thoma Roessing, Timo Gnambs und Barbara Strassnig (S. 402-423). Frauke Zeller hingegen untersucht den Komplex von Online-Forschung und Big Data (S. 424-451), Klaus Janowitz den Bereich von Netnographie (S. 452-468). Web-Monitoring als Instrument des Vertriebs stellen Patrick Brauckmann und Madeleine Baldauf vor (S. 469-483).
Im fünften Teil des Buches zum Themenkomplex Datenschutz und Ethik sind zwei Beiträge aufgeführt. Almut Pflüger und Heiko Dobel referieren in ihrem Beitrag zum Thema Datenschutz in der Online-Forschung (S. 485-518). Nele Heise und Jan-Hinrik Schmidt erörtern die Ethik der Online-Forschung (S. 519-539).
Der sechste Teil des Buches ist als Serviceteil angelegt. Hier finden sich Akteure der Online-Forschung, ein Index sowie die Biografien der Herausgeber und Autoren.
Ausgewählte Inhalte
Wie bei Sammelbänden üblich, wird eine zufällig vorgenommene Auswahl der Beiträge rezensiert.
Martin Welker eröffnet mit seinem Beitrag „Normalisierung und Ausdifferenzierung von Online-Forschung – eine Einführung“ sowohl den Sammelband als auch den ersten Teil. Nach einem einführenden Überblick zur Entwicklung der Online-Forschung erläutert er Paradigma, Selbstverständnis und Begriff der Online-Forschung, zeigt in einer Tabelle eine erste mögliche Differenzierung auf und geht damit über zum Praxiseinsatz von Online-Forschung. Kritisch geht Welker im 4. Abschnitt zu Beispielen online-bezogener Theorien auf Online-Forschung ein: „Wenn es tatsächlich einen Schlüssel zu einer theoretisch fundierten Online-Forschung gäbe, dann müsste er hier gesucht werden“ (S. 27). Im 5. und 6. Abschnitt wird die Etablierung der Online-Forschung als interdisziplinäres wie komplementäres Feld beleuchtet. Ein Fazit rundet den ersten Beitrag ab.
Michael Eble, Marc Ziegele und Pascal Jürgens analysieren in ihrem Beitrag Forschung in geschlossenen Plattformen des Social Web Möglichkeiten und Grenzen dieser Forschung. Nach einer knappen Einführung werden Angebote und Gattungen des Social Web skizziert. Im dritten Abschnitt werden methodische Aspekte thematisiert: die Autoren diskutieren Gütekriterien (z.B. Repräsentativität), technische Aspekte (so z.B. die Realisierung der Gütekriterien, aber auch ethische Aspekte (so u.a. Voraussetzungen und Angemessenheit der Zugänge, bevor sie im Fazit auf z.T. erhebliche Herausforderungen abheben.
Monika Taddicken und Bernad Ratinic stellen in ihrem Beitrag die standardisierte Online-Befragung vor. Nach einer kurzen Einführung werden Formen der Online-Befragung differenziert und Dimensionen der Onlinebefragung in einer kurzen Übersichtstabelle vorgestellt. In diesem Abschnitt werden sowohl Formen der Rekrutierung (passiv und aktiv) als auch typische Zielgruppen und Wege der Verbreitung dargelegt. Im Abschnitt zu den Potenzialen der Online-Forschung wird eine Tabelle zum Vergleich von Online-Befragung und traditionellen Befragungsmethoden präsentiert. Weiterhin gehen beide auf Aspekte wie den zeitlichen und finanziellen Aufwand, Einsatz von Design-Elementen, aber auch Kontrolle über Befragungssituation etc. ein. Im darauffolgenden Abschnitt wird die Datengüte von Online-Befragungen fokussiert. Neben Stichprobenfehlern werden Messfehler differenziert analysiert und im 5. Abschnitt Gestaltungsempfehlungen gegeben. Ein kritisches Fazit rundet den Beitrag ab.
Patrick Rösler, Lena Hautzer und Marco Lünich widmen ihren Beitrag der Online-Inhaltsanalyse. Nach der Einleitung werden zentrale Merkmale der standardisierten (quantitativen) Inhaltsanalyse dargelegt, Anwendungsfelder der Inhaltsanalyse in der Online-Kommunikation konturiert, darin insbesondere klassische Medienangebote im Internet, Blogs und Social Networking Sites und Mikro-Blogs (z.B. Twitter) verglichen. Ein Fazit schließt den Beitrag ab.
Susanne König stellt Möglichkeiten und Probleme von Online-Befragungen von Kindern dar. Nach de Einleitung fokussiert die Autorin auf Sozialforschung mit Kindern und stellt in diesem Abschnitt insbesondere auf empirische Befunde und daraus abgeleitete Empfehlungen ab. Weitere Aspekte betreffen die Datenqualität bei Online-Befragungen von Kindern (hier: Antwortqualität) und den Einsatz von Multimedia-Elementen (z.B. auditive Reize, visuelle Reize). Ein kritisches Fazit beendet den Beitrag.
Nele Heise und Jan-Hinrik Schmidt diskutieren Besonderheiten der Ethik der Online-Forschung. Nach der Einleitung werden forschungsethisch relevante Besonderheiten der Online-Kommunikation (z.B. der Notwendigkeit gezielter Herstellung von Sichtbarkeit, der Entgrenzung von Privatheit und der Verknüpfbarkeit von Informationen) dargelegt, vorliegende Richtlinien und Kodizes analysiert und zentrale forschungsethische Abwägungen vorgestellt. Zu diesen letzteren gehören u.a. Einwilligungserklärungen, die Transparenz des Vornehmens von Datenerhebungen (d.h. inwieweit sollten Nutzende über die Datenerhebung informiert werden), die Involviertheit von Plattformbetreiber etc. Lösungsmöglichkeiten (z.B. anhand einer anonymisierten Darstellung einer Konversation auf Facebook) werden ebenfalls vorgestellt.
Diskussion
Martin Welker diskutiert in seinem einführenden Beitrag sowohl Möglichkeiten als auch Grenzen der Online-Forschung, bietet eine analytische Differenzierung, kritisiert aber auch mangelnde übergreifende theoriegeleitete Bestrebungen (in) der Online-Forschung: „Die Notwendigkeit für Einzeldisziplinen, Fachgrenzen zu überschreiten, wird sich nun möglicherweise stärker konkretisieren, wenn die Problemlösungskompetenzen der jeweiligen Einzelfächer erschöpft sind“ (S. 27).
Michael Eble, Marc Ziegele und Pascal Jürgens stellen Möglichkeiten und Grenzen onlinebasierter Forschung in geschlossenen Plattformen des Social Web vor. Zentrierte Themendarstellungen beziehen dabei forschungsmethodische Zugänge, deren technische Aspekte, aber auch ethische Aspekte ein. Auffällig bleibt die weitgehende Aussparung qualitativer Datenzugänge, deren Exklusion weder erklärt noch begründet wird.
Monika Taddicken und Bernad Ratinic stellen in ihrem Beitrag zur standardisierten Online-Befragung sowohl Vor- und Nachteile gegenüber, vergleichen aber auch andere Befragungsmethoden mit der Online-Befragung und kommen zu dem Schluss, dass Vorteile der Online-Befragung dabei erheblich kleiner ausfallen bei Vergleich z.B. mit telefonischen Befragungen. Kritisch würdigen beide Autor*innen auch die Rekrutierungsmethoden.
Patrick Rösler, Lena Hautzer und Marco Lünich zeigen in ihrem Beitrag zur Inhaltsanalyse sowohl Nutzungsmöglichkeiten auf, verhehlen aber die mitunter erheblichen Schwierigkeiten nicht. Grenzen der Anwendung liegen nach Darstellung der Autor*innen in der Erfassung visueller Komponenten multimedialer Kommunikationsumgebung(en) oder in der Dominanz formaler Aspekte gegenüber inhaltlichen Aspekten. Weitere Kritikpunkte betreffen seitenübergreifende Vergleichbarkeit, die Behandlung der Kontexteinheiten, die Versionsstände von Beiträgen (in Blogs) etc.
Susanne König fokussiert auf Online-Befragungen von Kindern und legt insbesondere empirische Befunde zur Online-Forschung mit Kindern dar und leitet weitere Schlussfolgerungen (wie z.B. dem begrenzten Einsatz virtueller Figuren) ab. Erst im Fazit wird die Altersgruppe der Kinder offengelegt, andere Altersgruppen bleiben hier ausgeklammert, ohne dass deren Exklusion begründet wird.
Nele Heise und Jan-Hinrik Schmidt erörtern ethisch relevante Besonderheiten der Online-Kommunikation, zeigen Schnittstellen und Grenzen auf, fokussieren aber ebenfalls Lösungswege. Neben den dargestellten Kriterien fehlt aber ein Bezug zu jugendlichen Nutzenden (von z.B. Facebook) bzw. zu Nutzenden im Kindesalter. Beiden Zielgruppen ist die Einschätzung des Grades an Privatheit nicht immer präsent, können aber im Forschungszugang deshalb nicht automatisch aus dem Fokus ethischer Betrachtungen geraten.
Fazit
Im Handbuch Online-Forschung werden vorrangig quantitative Forschungszugänge konturiert. Neben ausführlichen Betrachtungen und Anwendungsmöglichkeiten hätte eine stärkere Berücksichtigung qualitativer Zugänge bzw. eine mixed-methods-Ausrichtung zur Ausgewogenheit des Bandes beigetragen. Insbesondere die Vernachlässigung (mitunter kontrovers) diskutierter Online-Forschungsthemen fällt etwas auf – so hätte etwa Nicola Döring von der TU Ilmenau mit ihren Forschungsthemen sicherlich Relevantes beizutragen. Auch die weitgehende Exklusion bestimmter Nutzergruppen bleibt unerklärlich – dies insbesondere vor dem Hintergrund kritischer Perspektiven, wie sie etwa von der BZgA vertreten werden.
Rezension von
Dr. Miriam Damrow
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