Cyrilla van der Donk, Bas van Lanen et al.: Praxisforschung im Sozial- und Gesundheitswesen
Rezensiert von Prof. Dr. Brigitte Wießmeier, 27.07.2015
Cyrilla van der Donk, Bas van Lanen, Michael T. Wright: Praxisforschung im Sozial- und Gesundheitswesen. Verlag Hans Huber (Bern, Göttingen, Toronto, Seattle) 2014. 343 Seiten. ISBN 978-3-456-85350-5. D: 29,95 EUR, A: 30,80 EUR, CH: 39,90 sFr.
Thema
Forschung in der praktischen Sozialen Arbeit und im Gesundheitswesen ist keineswegs neu. Partizipative Praxisforschung von Praktikerinnen und Praktikern gemeinsam mit den jeweiligen Zielgruppen und nicht selten in Zusammenarbeit mit einer Hochschule der angewandten Wissenschaften ist dagegen keineswegs alt und ausgewiesen. Eine Handlungsanleitung soll den noch unerfahrenen Mitarbeitenden im Sozial- und Gesundheitswesen motivierend und informierend zur Verfügung stehen.
Autorinnen und Autor
Die Originalausgabe erschien 2011 von dem Autorenduo van der Donk (Erziehungswissenschaftlerin) und van Lanen (Sozialarbeiter) in den Niederlanden und wurde dann mit Wright überarbeitet und für die deutschsprachigen Interessierten angepasst und übersetzt. Wright wurde 2010 an der Kath. Hochschule Berlin für Methoden empirische Sozialforschung berufen und vertritt dort besonders partizipative Qualitätsentwicklung im Sozial- und Gesundheitswesen.
Entstehungshintergrund
Internationale Erfahrungen machten die Autoren und die Autorin auf die Lücke auf den Buchmärkten Deutschlands und den Niederlanden aufmerksam und sie versuchen, mit diesem umfangreichen Buch für in der Praxis Forschende, eine Brücke zu schlagen. Aus ihrer Sicht ist Praxisforschung eine Antwort auf die Kritik an der Ökonomisierung des Sozial- und Gesundheitswesens, die Qualität und Qualitätssicherung keineswegs ablehnt und ganz besonders nicht die Grundprinzipien eines Sozialstaates (S. 13). Partizipation von Mitarbeitenden und ggf. auch von „Kunden“ in derartigen Praxisfeldern wird im Sinne einer gemeinsamen Verantwortung unterstützt.
Aufbau
Die Struktur des Buches erschließt sich auch einem ungeübten Leser schnell, zumal Geleitwort, Vorwort und Einleitung zur inhaltlichen Einführung in die Praxisforschung führen. Die möglichen Einrichtungen für Praxisforschung werden vorgestellt und ab dem 3. Kapitel wird der im Zentrum stehende handlungsleitende Zyklus der Praxisforschung kapitelweise in seinen sieben Schritten mit sechs Kernaktivitäten dargestellt. Innerhalb dieser Kapitel fallen die Praxisbeispiele sowie die angebotenen Übungen durch Markierungen auf, und auch durch die jeweiligen konsequenten Kapitelzusammenfassungen wird der gewünschte Lerneffekt unterstützt.
Inhalt
Die Kernaktivitäten im Praxisforschungsprozess werden als orientieren, ausrichten, planen, erheben, analysieren und berichten markiert und können von einem Entwurf eines innovativen Konzeptes vervollständigt werden. Diese zyklischen Aktivitäten werden einzeln auf jeweils etwa 30 Seiten sehr kleinteilig und anschaulich dargestellt. Diese Kapitel sind in sich abgeschlossen, was den Nachschlagcharakter unterstreichen würde, allerdings gewisse Redundanzen mit sich bringt.
So gibt es qualitativ sehr unterschiedliche Ausführungen, denn einmal werden Techniken gut nachvollziehbar vorgestellt, die teilweise allerdings eher unter Grundlagen wissenschaftlichen Arbeitens fallen (Brainstorming, Mindmapping…). Langjährig Berufstätige mögen diese Auffrischung möglicherweise gerne annehmen.
Im Kapitel Planen (des Forschungsprozesses) werden einerseits Methoden und Techniken angedeutet, die an anderer Stelle (Kapitel Analysieren) eine Vertiefung notwendig machen (s. Inhaltsanalyse) oder entsprechender Literaturhinweise bedürfen. Die Auflistung von Überlegungen zum Besuch in Institutionen, der hier als eigenständige Datenerhebungsmethode verstanden wird, oder der Umgang mit Datenmaterial, wie Fotos oder Bilder, lässt Interessierte wohl eher ratlos zurück, denn wie kann hier methodisch gearbeitet, d.h. ausgewertet werden? Es sei denn derartiges Material dient abschließend (lediglich) der Illustration von Ergebnissen. Der vorgestellte Untersuchungsplan bietet eine hilfreiche Orientierung, ähnlich wie auch die Struktur vom Abschlussbericht (S. 320).
Durchgängig wird der Partizipation im Forschungsprozess eine Bedeutung beigemessen, was sich u.a. in regelmäßigen Feedbacks mit der Leitungsebene ausdrücken kann. Die hierbei unweigerlich auftretende Frage nach dem Eigentum der Forschungsarbeit wird unbefriedigend mit sowohl der oder die Forschende als auch die Einrichtung beantwortet. Hier wäre ein Hinweis auf eine vertragliche Regelung wie hinsichtlich der Autorenrechte, der Öffentlichkeitsarbeit und natürlich dem Datenschutz (Dafür gibt es bereits hilfreiche Beispiele, die Konflikte vermeiden helfen.). Auch die Überprüfung, z.B. von zusammengefassten Transkripten durch Befragte, wirft weitere auch forschungsethische Fragen auf, die im Gesundheitsbereich weiter entwickelt scheinen als in der Sozialen Arbeit.
Das Kapitel zur Ergebnispräsentation erweist sich als erfrischend und ideenreich und motiviert zum Ausprobieren.
Diskussion
Praxisforschung soll allgemein aus der praktischen Arbeit heraus entwickelt, partizipativ durchgeführt werden und zuletzt mit ihren Ergebnissen einer Verbesserung von Praxis dienen. Als Zielgruppe dieses Buches werden besonders Studierende, deren Praxisanleitungen und Fachkräfte angesprochen, auch wenn Praxisforschung überwiegend die Fachkräfte ins Zentrum setzt, die ihre eigene Berufspraxis verbessern wollen. Damit wird das Verständnis von Praxisforschung als Aktionsforschung erweitert, denn Studierende sollen forschend Praxis kennenlernen, diese kritisch reflektieren und methodisch auf ihre spätere, auch forschende, berufliche Tätigkeit vorbereitet werden. Auf diesem Hintergrund sind Theorie-Praxis Spannungsfelder auszumachen, die sich auch im vorliegenden Buch zeigen. So ist die Rezensentin nicht überzeugt von der mehrfach angesprochenen eher beiläufigen Bedeutung von Fachliteratur im Forschungsprozess. Erfahrungsgemäß sind Praktikerinnen oft dankbar für eine theoretische Aufbereitung der Forschungsfrage durch Studierende (vgl. u.a. S. 53, 103f, 109, 114, 132 und dazu Büschi, Roth (2013) Innovationsimpulse in der Sozialen Arbeit, vgl. die Rezension).
Fazit
Die Praxis im Sozial- und Gesundheitswesen verlangt nach qualitätssichernden Instrumenten und verschließt sich einer Praxisforschung keineswegs, auch unter Beteiligung von Studierenden. Derartige Aktivitäten sind zu unterstützen, wobei die verschiedenen Ausgangsbedingungen in der Praxis unbedingt zu berücksichtigen sind, was im Rahmen des vorliegenden Buches vielfach gelingt. Wenn Praxisforschung als Kontinuum verstanden wird, dann kann bereits die kollegiale Reflexion beruflichen Handelns als ein Einstieg betrachtet werden (z.B. S. 55).
Rezension von
Prof. Dr. Brigitte Wießmeier
Forschungskoordinatorin
Institut für Innovation und Beratung an der Evangelischen Hochschule Berlin, INIB
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Zitiervorschlag
Brigitte Wießmeier. Rezension vom 27.07.2015 zu:
Cyrilla van der Donk, Bas van Lanen, Michael T. Wright: Praxisforschung im Sozial- und Gesundheitswesen. Verlag Hans Huber
(Bern, Göttingen, Toronto, Seattle) 2014.
ISBN 978-3-456-85350-5.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/18449.php, Datum des Zugriffs 12.09.2024.
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