Thorsten Möller: Supervisorisches Selbstverständnis
Rezensiert von Jutta Wergen, 03.08.2015

Thorsten Möller: Supervisorisches Selbstverständnis. Eine systematische Analyse der Supervision im Kontext ihrer Geschichte ; systemische Perspektiven. Verlag Dr. Kovač GmbH (Hamburg) 2015. 283 Seiten. ISBN 978-3-8300-8242-2. D: 99,80 EUR, A: 102,60 EUR, CH: 135,00 sFr.
Thema
Das supervisorische Selbstverständnis hängt von der Entwicklung der Supervision seit ihren Anfängen und der Entwicklung des Beratungsformates Supervision in Abgrenzung zu anderen Beratungsformaten ab. Der Autor zeigt auf, wie sich das supervisorische Selbstverständnis im Kontext der Geschichte der Supervision entwickelt und verändert hat. Um diese Frage zu beantworten, wird die Geschichte der Supervision in Deutschland in vielen Facetten untersucht und zur Supervision in England und in den USA abgegrenzt.
Entstehungshintergrund
Die Publikation ist 2014 als Dissertation im Fachbereich Bildungswissenschaften der Universität Koblenz-Landau angenommen worden.
Aufbau
Nach der Einleitung wird zunächst die Begriffsgeschichte der Supervision dargestellt und die unterschiedlichen Phasen der Geschichte der Supervision abgegrenzt. Dabei werden auch die Entwicklungen und die Anfänge der Supervision in England und in den USA aufgezeigt. Vor allem wird aufgezeigt, wie sich die Supervision in den USA institutionalisiert, differenziert und im Kontext von Gruppen und Organisationen darstellt. Ein Exkurs im zweiten Kapitel sind die Supervisionsformate in den USA, die sich unter anderem zum Beispiel als administrative Supervision oder klinische Supervision herausgebildet haben.
Der Hauptteil des Buches besteht aus dem Kapitel, das die Phasen der Supervisionsgeschichte in Deutschland beschreibt, wobei die Anfänge der Supervision, die Supervision in der NS-Zeit, die Professionalisierungsschritte der Supervision, die Ausbildung der Supervisoren, die Supervision im Kontext gesellschaftlicher Veränderungen, die Profilbildung der Supervision und die Supervision im Spannungsfeld des Marktes dargestellt werden. Ebenfalls in diesem Kapitel die Reflexion supervisorischer Konzepte, Formate bzw. Nachbarformate der Supervision wie zum Beispiel Coaching und Organisationsberatung.
Abschließend bildet der Autor sechs Thesen, die sich aus seiner Untersuchung ergeben und ursächlich für das supervisorische Selbstverständnis sind. Schließlich enthält das Buch eine Zusammenfassung der zentralen Befunde sowie eine Schlussbemerkung.
Inhalte
Thorsten Möller geht in seiner Dissertation der Frage nach, was das supervisorische Selbstverständnis ist, wie es entstanden ist und wie sich Supervisoren selbst heute in einer Profession definieren, die sich im Laufe der Geschichte entwickelt und verändert hat.
Die These, von der der Autor ausgeht ist, dass die Supervision ein Konstrukt ist, dass in unterschiedliche Kontexte eingebunden ist, nämlich: In die Profession der Sozialen Arbeit, gesellschaftspolitischen Entwicklungen, Ökonomisierung und in die Theorien, Methoden sowie der Supervision als Beratungsformat (S. 11).
Auch die Diskussionen die Definition und die um Deutungen des Begriffs „Supervision“ wirken sich auf die Entwicklung das supervisorischen Selbstverständnisses aus, die es im Prinzip gibt, seitdem Menschen über Arbeit kommunizieren und reflektieren (S. 32).
In England und den USA entstand die Supervision als Unterstützung kommunikativer bzw. freiwilliger Helfer und Helferinnen bei der sozialen bzw. karitativen Arbeit. Dabei ergab sich, dass die Supervision Ergebnis einer „Entwicklung(en) (wurde), mit denen funktionale Notwendigkeiten einhergingen“ (S. 54).
In Deutschland kam die Supervision als Folge der Sozialen Arbeit oder auch der Psychotherapie zu Zeiten der Weimarer Republik auf, wobei ihre Entwicklung während der NS-Zeit komplett unterbrochen war und auch wichtiger Akteure das Land verließen. Erst danach, als sich die Soziale Arbeit als Profession sich ab den 1960 er Jahren neue orientierte, konnte sich auch in Deutschland die Supervision wieder entwickeln, was sich auch in den Hochschulen als wissenschaftlicher Untersuchungsgegenstand weiter fortsetzte. Die Frage, die das Feld der Supervision beschäftigte war, wie sich Supervision und Psychotherapie voneinander abgrenzen, ob es um Krankheit und Heilung oder um Reflexion und lernen ging (S. 153) unabhängig von Einzel- oder Gruppensupervision.
Aktuell wird der Begriff Supervision vielfältig diskutiert. Unterschiedlicher Professionsbegriffe unterstützen dabei, die Supervision zu positionieren. Notwendig wird dies dadurch, dass sich auch das Feld der Beratung weiter ausdifferenziert. Das betrifft nicht nur die Beratungsformate, wie zum Beispiel Organisationsberatung und Coaching, sondern auch unterschiedliche Verfahren wie zum Beispiel Psychoanalyse, Psychodrama, TZI, systemische Beratung usw.
Entscheidend für das supervisorische Selbstverständnis ist nun, wie sich die unterschiedlichen Formate und Verfahren entwickeln und miteinander und mit dem Format der Supervision in Beziehung stehen.
Als zentrale Ergebnisse der Studie entwickelt der Autor Thorsten Möller sechs Thesen, die die Kontexte und Entwicklung des heutigen supervisorischen Selbstverständnises beschreiben.
- Zunächst stellt er fest, dass sich die wesentliche Entwicklung des heutigen supervisorischen Selbstverständnises in Deutschland nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges entwickeln konnte (S. 235).
- Eine weitere These ist, dass das supervisorische Selbstverständnis eng mit der Sozialen Arbeit verknüpft ist (S. 237), sich quasi aus dieser Profession heraus entwickelte.
- Die dritte These dass sich das supervisorische Selbstverständnis an den Dynamik in der Arbeitswelt orientiert (S. 239), berücksichtigt, das sich die Arbeitswelt weiter ausdifferenziert hat und sich neben der Sozialen Arbeit für die Supervision weitere Einsatzfelder ergeben haben, zum Beispiel die Organisationsberatung sowie die Ausweitung auf den Profit-Sektor, der traditionell eher nicht zum Adressaten der Supervision gehörte.
- These vier beschreibt dass sich die Supervision auch einen ökonomischen Bedingungen des Beratungsmarktes orientieren muss. Dabei sieht der Autor die Gefahr einer die „Deprofessionalisierung“ (S. 242) der Supervision, wenn Sie sich an die Nachbarformate Coaching und Organisationsberatung annähert, die eine geringere formale Professionalisierung aufweisen.
- Die fünfte These dreht sich um die Etikettierung der Supervision, wobei der Autor davon ausgeht dass die Zukunft des Supervision davon abhängt, welche Etikettierung Sie sich zuschreibt bzw. ihr zugeschrieben wird (S. 243). Denkbar wären vier unterschiedliche Szenarien, die sich neben der Besinnung auf die Tradition der Supervision in der Sozialen Arbeit im Non-Profit-Bereich auch auf die Entwicklung der Supervision im Non-Profit-Bereich oder Profit-Bereich neben Coaching und Organisationsberatung richten (S. 244-246).
- In einer sechsten These postuliert der Autor, dass sich das supervisorische Selbstverständnis an berufspolitischen Interessen orientiert (S. 246). Dabei handelt es sich um den immer bedeutsamer werdenden Beratungsmarkt außerhalb der sozialen Profession, der sich zum Beispiel durch die professionelle Führungskräfteentwicklung im Management oder die Strategieberatung von Organisationen entwickelt und in dem die Beratungsformate Coaching und Organisationsberatung immer gewichtiger werden.
Diskussion
Geprägt haben das supervisorische Selbstverständnis die 1970er Jahre, in denen sich sowohl die Soziale Arbeit als auch die Psychotherapie in Deutschland rasant weiterentwickelten. Aushandlungsprozesse fanden zunächst zwischen Supervision und Psychotherapie statt, heute gibt es weitere Beratungsformate bzw. „Nachbarformate“, mit denen sich Gemeinsamkeiten und Unterschiede finden lassen. Die Kontexte, in denen sich die Supervision bewegt, sind vielfältig und weiten sich auf neue, nicht-traditionelle Märkte aus.
Die Supervision unterliegt wie alle anderen Profession auch, den Aushandlungsprozessen der Akteure. Dabei wird sie, je nach Interessenlage der Akteure konstruiert, begründet und entwickelt. Obwohl die Supervision so alt ist, wie Menschen über ihre Arbeit reden und ihre Arbeits-Handlungen reflektieren, gab es in der professionellen Supervision in Deutschland, im Gegensatz zu der Supervision in England und Amerika, doch einen starken Bruch, der durch die NS-Zeit bedingt ist. Erst seit den 1970 er Jahren hat sich die Supervision als Profession entwickelt. Damit ist sie trotzdem älter und weiter als die sogenannten Nachbarformate wie Coaching und Organisationsberatung.
Aushandlungsprozesse unterliegen in erster Linie und in der Regel ökonomischen Interessen. Dabei geht es um Definitionsmacht und Verteilung von Ressourcen. Das ist auch auf dem Beratungsmarkt nicht anders. Weitere Akteure der Supervision finden sich auch im Feld der Wissenschaft, die das Thema dort besetzen, erforschen, dessen Bedeutung begründen und die Entwicklung der Supervision damit auch beeinflussen.
Fazit
Die Ergebnisse der vorliegenden Studie verdeutlichen, dass sich das supervisorische Selbstverständnis in unterschiedlichen Kontexten entwickelt. Dabei geht es um die Legitimation und die Zukunft der Supervision. Entscheidend ist, dass sich die Supervision in Zukunft weiter strategisch positioniert und gegen die Nachbarformate abgrenzt. Das bedeutet auch, sich auf ihre lang andauernde Geschichte der Supervision zu besinnen. Problematisch ist aktuell, dass sowohl für Berater/innen und Ratsuchende immer weniger deutlich ist, worin sich die einzelnen Beratungsformate Supervision — Coaching — Organisationsberatung unterscheiden bzw. nach welchen Kriterien die Ratsuchenden bzw. Auftraggeber diese Formate anfragen sollten.
Die Unterschiede zwischen Supervision und Coaching lösen sich immer weiter auf, formal mag es Unterschiede in Zielgruppe und Ausrichtung geben, dennoch ist Coaching fast in allen Professionen angekommen und bezieht sich nicht mehr nur auf Personen mit Führungsfunktionen im Management, sondern nimmt auch beispielsweise in der Jugendarbeit, als Wissenschaftscoaching in der Hochschule, im Gesundheitsmanagement und in weiteren Bereichen als Beratungsformat zu.
Die Dissertation von Thorsten Möller zeigt auf, wie sich das supervisorische Selbstverständnis in Deutschland entwickelt hat. Insbesondere der Ansatz der systemischen Perspektiven bietet die Möglichkeit, aus allen Richtungen auf die Supervision zuschauen. Der Autor zeigt auf, dass „das supervisorische (…) Selbstverständnis das Resultat eines Diskurses“ ist (S. 249) — und dass dieser Diskurs weitergeführt werden muss und wird.
Interessant ist das Buch für alle, die sich mit Beratungsformaten beschäftigen, die sich tiefergehend mit dem Thema Supervision, mit der Geschichte und den Aushandlungsprozessen im Beratungsformat Supervision beschäftigen und die Frage des supervisorischen Selbstverständnises stellen.
Rezension von
Jutta Wergen
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Zitiervorschlag
Jutta Wergen. Rezension vom 03.08.2015 zu:
Thorsten Möller: Supervisorisches Selbstverständnis. Eine systematische Analyse der Supervision im Kontext ihrer Geschichte ; systemische Perspektiven. Verlag Dr. Kovač GmbH
(Hamburg) 2015.
ISBN 978-3-8300-8242-2.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/18489.php, Datum des Zugriffs 28.11.2023.
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