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Astrid Gerhardt: Bürowelt. Effizienz durch Architektur

Rezensiert von Dr. Antje Flade, 14.04.2015

Cover Astrid Gerhardt: Bürowelt. Effizienz durch Architektur ISBN 978-3-95853-012-6

Astrid Gerhardt: Bürowelt. Effizienz durch Architektur. Der Mensch und sein Wohlbefinden im gestalteten Arbeitsplatzumfeld. Pabst Science Publishers (Lengerich) 2014. 301 Seiten. ISBN 978-3-95853-012-6. D: 30,00 EUR, A: 30,90 EUR, CH: 40,90 sFr.

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Thema

Es wird der Frage nachgegangen, wie ein menschenfreundliches Arbeitsplatzumfeld beschaffen ist. Es gehören dazu die informations- und kommunikationstechnische Ausstattung, das soziale Umfeld, der Arbeitsraum und das Bürogebäude. Das Buch enthält einen ausführlichen theoretischen Teil und einen detaillierten Bericht über eine empirische Studie zum Arbeitsplatzumfeld von Büroarbeitern.

Autorin

Astrid Gerhardt ist Architektin, die sich mit der Vermittlung von Architektur an Kunden befasst, wobei virtuelle Darstellungen eine große Rolle spielen. Sie ist freiberuflich tätig. Die in dem Buch dargestellte Forschungsarbeit wurde von ihr als Dissertationsschrift an der Universität Koblenz-Landau vorgelegt.

Aufbau

Das Buch besteht aus vier Teilen.

  1. Der erste Teil enthält ein knappes einleitendes Kapitel, in dem die Autorin ihre persönliche Motivation, sich mit diesem Thema zu befassen, und den Aufbau des Buches darstellt.
  2. Der umfangreiche zweite theoretische Teil erstreckt sich über vier Kapitel, wobei das Blickfeld sukzessive verengt wird. Es beginnt mit den veränderten Anforderungen an die Wissensarbeit, darauf folgt ein Abriss der Architekturpsychologie und schließlich sind Büroumwelten im Fokus. Im sechsten Kapitel werden die Fragestellungen und Hypothesen der Untersuchung formuliert.
  3. Der dritte empirische Teil besteht aus drei Kapiteln. Im siebten Kapitel wird die Methodik geschildert, Kapitel 8 geht auf spezifische Hypothesen ein, das neunte Kapitel befasst sich mit der Auswertung und den Ergebnissen.
  4. Im vierten Teil werden die Ergebnisse interpretiert und zusammengefasst. Auch die Literaturangaben, das Tabellen- und Abbildungsverzeichnis sowie die Anlagen, darunter der verwendete Fragebogen, werden dem vierten Teil zugeordnet.

Inhalte

Das erste Kapitel beginnt mit einer Schilderung, was die Autorin als Architektin veranlasst hat, über Arbeitsplatzumfelder zu forschen. Es waren Zweifel an der verbreiteten Annahme, dass Menschen in Zukunft keinen eigenen Büroschreibtisch mehr benötigen und diesen auch nicht vermissen werden, weil sie orts- und zeitunabhängig tätig sein können.

Im zweiten Kapitel geht es um den Wandel der Arbeitswelt und die veränderten Anforderungen an die Büroarbeit. Die Autorin stellt dazu die Ergebnisse einer europaweiten Expertenbefragung aus dem Jahr 2004 vor, in der Megatrends ermittelt wurden, darunter die fortschreitende Globalisierung und die zunehmende Bedeutung digitaler Kommunikation. Dann stellt sie das Konzept „New Work“ (neue Arbeitswelt) vor, mit dem der grundlegende Wandel in der Arbeitswelt beschrieben wird. Der „Mobile Worker“, der seinen Arbeitsplatz in Form eines Laptops mit sich führt, ist Teil dieses Konzepts.

Das Arbeitsplatzumfeld ist dementsprechend nicht nur der Raum im Büro oder das Bürogebäude, sondern jeder Raum, in dem am Laptop gearbeitet werden kann. Wissensarbeit bedeutet, aus Informationen ein Produkt zu machen und dieses zu kommunizieren. Die Erfolgskriterien Wohlbefinden und Effizienz werden definiert, wobei die Autorin zwischen effizienten Räumen und effizienten Menschen unterscheidet. Ein Ansatz, um die Gebäudeeffizienz zu erhöhen bzw. Kosten zu sparen, ist das Desk Sharing, bei dem sich mehrere Mitarbeiter einen Arbeitsplatz teilen.

Im dritten Kapitel werden knapp und kurz architekturpsychologische Konzepte wie Umweltaneignung, Umweltwahrnehmung, Komfort und Territorialität usw. vorgestellt.

Im vierten Kapitel stellt Gerhardt eine Arbeitsplatztypologie vor, die von stationär bis flexibel reicht, wobei stationär bedeutet: Nutzung eines festen Arbeitsplatzes im Büro. Flexibilität kann im Hinblick auf den Arbeitsort sowie der Anwesenheit im Büro bestehen. Charakteristische Merkmale der New Work sind räumliche Mobilität, zeitliche Flexibilität und dezentrale Organisationsstrukturen. Mobile Workers entscheiden selbst, wo und wann sie arbeiten. Old Work meint im Vergleich dazu, in festgelegten Strukturen an einem bestimmten Ort zu einer festen Zeit zu arbeiten.

Raumtypologisch wird zwischen Klein- und Großraumbüros, Gruppen- und Kombibüros sowie non-territorialen Büros, bei denen die Mitarbeiter keinen persönlichen Schreibtisch mehr haben, unterschieden. Sie verfügen lediglich über einen eigenen Roll-Container und eine IT-Ausstattung. Gerhardt spricht hier von Bürolandschaften, deren Vorbilder Business Lounges in Flughäfen, Bibliotheken und Hotels usw. sind. Die Tauglichkeit der offenen Bürokonzepte lässt sich an der Verbesserung des Wohlbefindens, der Kommunikation und der Zusammenarbeit ablesen.

Im fünften Kapitel berichtet die Autorin über Untersuchungen zur Gestaltung von Büroarbeitsplätzen, wobei sie feststellt, dass es nur wenige Studien zu non-territorialen Büros und keine über Mobile Workers gibt. Die Betrachtung der Untersuchungen zu traditionellen Arbeitsplätzen liefert für Gerhardt eine Art Baseline. Auch wenn non-territorale Arbeitsplätze in Zukunft Standard sein werden, so werden doch soziale Bindungen und Identitäten ihre Bedeutung behalten. Die Frage ist, wie ein zufriedenstellendes Arbeitsumfeld des Mobile Workers beschaffen sein sollte.

Im sechsten Kapitel steuert die Autorin auf ihre eigene empirische Studie zu. Zielgruppe sind Wissensarbeiter, d.h. all diejenigen, die Informationen in Wissen umsetzen. Es werden vier Hypothesen formuliert: (1) der eigene feste Arbeitsplatz ist nach wie vor wichtig; (2) das Bürogebäude ist nach wie vor wichtig; (3) subjektives Wohlbefinden, Effizienz und Kommunikation korrelieren positiv; (4) es besteht ein Zusammenhang zwischen Gesundheit und Arbeitsplatzmerkmalen.

Mit dem siebten Kapitel beginnt der empirische Teil. Mit vorangehenden offenen Interviews, Beobachtungen und Bürobegehungen an verschiedenen Orten wurde die Studie vorbereitet und eine Grundlage für die Konzeption des Fragebogens geschaffen, der mit Hilfe des Facettenansatzes strukturiert wurde. Es wurde eine Stichprobe von Mitarbeitern dreier Firmen sowie Wissensarbeitern aus allen Erdteilen befragt. Die drei Firmen repräsentierten die Situation in Kleinraumbüros, in Großraumbüros und in Firmen mit non-territorialen Arbeitsplätzen. Der Link für die weltweite Online-Befragung wurde über deutsche Vertretungen, Wirtschaftsorganisationen und Stiftungen im Ausland hergestellt.

Im achten Kapitel werden nochmals die bereits in Kapitel 6 formulierten vier Hypothesen dargestellt und erläutert.

Im neunten Kapitel wird die empirische Studie samt der angewendeten statistischen Auswertungsverfahren ausführlich beschrieben. Differenziert nach Kontinenten und Arbeitsplatztyp werden die informations- und kommunikationstechnische Ausstattung sowie die Nutzungshäufigkeiten, die subjektive Wichtigkeit von Merkmalen des Arbeitsumfeldes und des Bürogebäudes, die Ergebnisse faktorenanalytischer und weiterer statistischer Auswertungen geschildert. Sodann werden in jeweils einem Teilkapitel die vier Hypothesen überprüft.

Den festen persönlichen Arbeitsplatz möchten vor allem diejenigen, die in dieser Form arbeiten, auch in Zukunft nicht missen. Die Autorin sieht einen Zusammenhang zwischen Wohlgefühl und einem festen persönlichen Büroarbeitsplatz. Weniger wichtig finden den festen Arbeitsplatz die Mobile Workers.

Das Bürogebäude wird nach wie vor als wichtiger Ort angesehen, wobei sich stationäre und mobile Mitarbeiter nicht unterscheiden. Es ist sowohl ein Ort der Arbeit als auch der Kommunikation und des Austausches.

Wohlbefinden und Effizienz sind, wie aus dem Buchtitel hervor geht, die zentralen Themen der Forschungsarbeit. Entsprechend der dritten Hypothese wird ein signifikanter Zusammenhang zwischen Wohlfühlen, Effizienz und Kommunikation festgestellt, wobei die Autorin an dieser Stelle nicht zwischen stationärem und non-territorialem Arbeitsplatz differenziert.

Was die vierte Hypothese betrifft, zeigt sich ein Zusammenhang zwischen der ökologischen Beschaffenheit des Arbeitsplatzumfelds (Helligkeit, Sauberkeit, Raumluftqualität, Akustik usw.) und gesundheitlichen Symptomen. Wenn das Sick Building Syndrom auftritt, dann in erster Linie bei Mitarbeitern mit einem stationären Arbeitsplatz.

Im zehnten Kapitel im abschließenden vierten Teil werden die Ergebnisse nochmals reflektiert. Hervorgehoben wird, dass alle Befragten den ökologischen Umweltfaktoren höchste Wichtigkeit beimessen. Es wird erneut auf die unterschiedlichen Einschätzungen der stationären und der mobilen Mitarbeiter in Bezug auf die künftige Bedeutung eines persönlichen Büroarbeitsplatzes hingewiesen.

Diskussion

Die Studie greift die aktuelle Frage auf, wie in Zukunft die Büroarbeit aussehen wird. Die Antwort darauf fällt sehr vage aus. Betont wird, dass der feste persönliche Arbeitsplatz sowie das Bürogebäude ihre Bedeutung behalten werden. Dass die Einschätzungen der stationären und der mobilen Mitarbeiter unterschiedlich sind, wird nicht genügend diskutiert, obwohl gerade bei diesem Ergebnis deutlich wird, dass die jeweils bestehende Arbeitssituation zur positiv bewerteten Normalsituation wird.

Problematisch ist die Überstrapazierung des Begriffs Kultur, indem von kontinentalen Kulturen statt Kontinenten und von Firmenkulturen statt von Organisationsstrukturen die Rede ist.

Problematisch ist auch die unbekümmerte Generalisierung. Pro Kontinent wurden im Mittel weniger als 60 Mitarbeiter befragt. Bezogen auf die Größenordnung eines Kontinents sind das sehr kleine Stichproben. Da diese zudem auch kaum repräsentativ sein dürften, ist jede Art von Generalisierung fragwürdig.

Eine zentrale Frage ist, inwieweit Mitarbeiter, die über einen stationären persönlichen Arbeitsplatz verfügen, sich wohler fühlen als die Mobile Workers. Der hier eingesetzte Chi-Quadrat-Test erbringt zwar ein signifikantes Ergebnis, was besagen würde, dass der stationäre Arbeitsplatz das Wohlbefinden erhöht, doch dieser Test ist an dieser Stelle nicht angebracht, weil die erwartete Häufigkeit in etlichen Zellen kleiner als 5 ist. Weil es eine zentrale Fragestellung ist, hätte hier eine entsprechend sorgfältige Auswertung erfolgen müssen.

Auf manche Überschriften folgen nur wenige Sätze. Es sind mehr oder weniger Auflistungen, ohne dass Querverbindungen hergestellt werden. Die allzu starke Untergliederung sowie das Einfügen von Sonderbetrachtungen z. B. im neunten Kapitel führt zu einer Addition und nicht zu einem Gesamtbild. Ähnliches gilt für die architekturpsychologischen Konzepte, die im dritten Kapitel in äußerster Knappheit vorgestellt werden. Sie erscheinen ebenfalls als bloße Auflistung und werden nicht zu einer architekturpsychologischen Plattform verbunden, die sich als theoretische Basis eignet.

Nicht ersichtlich ist, warum die schon im sechsten Kapitel aufgestellten Hypothesen nochmals in Kapitel 8 darstellt werden. Diese Redundanz findet sich nicht im Literaturverzeichnis, in dem eine wichtige Quelle: VOC (2006), im Literaturverzeichnis nicht genannt wird.

Die Autorin bindet sich allzu stark an ihre vier Hypothesen, die – wie insbesondere die vierte Hypothese zum Sick Building Syndrom – von der aktuellen Frage des non-territorialen Arbeitens wegführen. Sie verliert sich in den Ausführungen über ihre statistischen Auswertungen, die für den normalen interessierten Leser nicht immer leicht nachzuvollziehen sind. Dass das Sick Building Syndrom bei Mitarbeitern mit festem Arbeitsplatz und nicht bei den Mobile Workers auftritt, ist nicht anders zu erwarten. Dies hätte durchaus als ein positiver Punkt eines mobilen Arbeitsplatzumfeldes diskutiert werden können.

Fazit

Die Autorin greift mit ihrer Arbeit eine aktuelle Fragestellung auf, denn im Zuge der Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologie verändert sich zweifelsohne auch die Arbeitswelt, was in dem Auftauchen der Mobile Workers sichtbar zutage tritt. Untersuchungen dazu sind rar und auch komplex, wie der im Anhang wieder gegebene Fragebogen zeigt. Das Buch ist für einen breiten Leserkreis weniger geeignet, jedoch denjenigen zu empfehlen, die sich als Forscher oder Gestalter mit der Frage auseinandersetzen, wie das Internet die Arbeitswelt verändern wird.

Rezension von
Dr. Antje Flade
Autorin und Psychologin
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Es gibt 55 Rezensionen von Antje Flade.

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Zitiervorschlag
Antje Flade. Rezension vom 14.04.2015 zu: Astrid Gerhardt: Bürowelt. Effizienz durch Architektur. Der Mensch und sein Wohlbefinden im gestalteten Arbeitsplatzumfeld. Pabst Science Publishers (Lengerich) 2014. ISBN 978-3-95853-012-6. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/18509.php, Datum des Zugriffs 06.11.2024.


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