Fredrike Bannink: Handbook of positive supervision
Rezensiert von PD Dr. phil. Dipl.-Psych. Thomas von Lengerke, 17.11.2015

Fredrike Bannink: Handbook of positive supervision. For supervisors, facilitators, and peer groups. Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG (Göttingen) 2015. 203 Seiten. ISBN 978-0-88937-465-2. D: 34,95 EUR, A: 36,00 EUR, CH: 46,90 sFr.
Autorin
Fredrike P. Bannink hat eine eigene Praxis für Therapie, Training, Coaching und Mediation in Amsterdam, Niederlande, und einen Master of Science in Conflict Resolutation and Governance von der dortigen Universität. Sie ist u. a. Dozentin und Trainerin in Unternehmen für lösungsfokussierte Gesprächsführung und Positive Psychologie, Mitbegründerin und Präsidentin der Abteilung für Lösungsfokussierte Kognitive Verhaltenstherapie der Niederländischen Gesellschaft für Verhaltens- und Kognitive Therapie (VGCt), Mental Health Trainerin für Ärzte ohne Grenzen (Doctors without Borders) und Gründungsmitglied von Mediatoren ohne Grenzen (Mediators beyond Borders).
Thema
Die Mehrzahl der in den vergangenen Jahren erschienenen Bücher zur Positiven Psychologie (darunter auch die auf socialnet.de rezensierten Bände von Auhagen 2004 www.socialnet.de/rezensionen/2099.php, Bannink 2012 www.socialnet.de/rezensionen/14143.php, Steinebach et al. 2012 www.socialnet.de/rezensionen/14142.php sowie Blickhan 2015 www.socialnet.de/rezensionen/19141.php) sind relativ breit konzipierte Einführungen in die theoretischen Grundlagen und/oder praktischen Anwendungsfelder dieser jungen Disziplin.
Im vorliegenden Band richtet Fredrike P. Bannink unter positiv-psychologischer Perspektive ihr Augenmerk nunmehr auf die Supervision als spezifische Interventionsform. Versteht man Supervision als „…wissenschaftlich fundiertes, praxisorientiertes und ethisch gebundenes Konzept für personen- und organisationsbezogene Beratung in der Arbeitswelt“ (Deutsche Gesellschaft für Supervision, 2012; siehe http://www.dgsv.de/wp-content/uploads/2011/12/grundlagenbroschuere_2012.pdf), bei dem ein in der Regel erfahrene(ne)s Mitglied einer Profession einen Kollegen oder ein Team zu Zwecken der Kompetenzförderung und Qualitätssicherung betreut, stellt sich die Frage, ob dieses Konzept die Angebote der Positiven Psychologie – vor allem ihre Ressourcenorientierung – bereits hinreichend rezipiert und aufgenommen hat. Ausgehend von ihrer Einschätzung, dass in der Supervision bisher ein Problemlöseparadigma mit Supervisoren als Troubleshooter vorherrscht („traditionelle Supervision“), verneint Bannink diese Frage und legt im vorliegenden Band eine Konzeption „positiver Supervision“ vor, die auf vier Säulen ruht: Zielformulierung („goal formulation“), Kompetenzfindung („finding competencies“), Fortschrittsbearbeitung („working on progress“) sowie Reflexion und Feedback („reflection and feedback“).
Aufbau und Inhalt
Der Band besteht im Kern aus zwei Teilen mit insgesamt zwölf Kapiteln:
- Part I „Theory“ und
- Part II „Practical Applications“.
Nach Darstellung der traditionellen „Troubleshooter“-Supervision, die aus Banninks Sicht zu sehr einem Problemlöseparadigma verhaftet ist, das die Entwicklung positiver Ergebnisse verhindert, und ersten Grundlagen der Positiven Supervision (Definition und Rolle des Supervisors, Fragestrategien und die Rolle der Wünsche von Supervisanden) in Kapitel 1 stellt Bannink in Kapitel 2 ihren Ansatz der Positiven Supervision im Überblick dar. Sie betont nochmals, dass das Spezifische dieses Ansatzes die Zielanalyse (vs. Problemanalyse) ist, und dass positive Supervisoren Ratschläge und Empfehlungen im Grunde nur nach Aufforderung durch den/die jeweilige/n Supervisanden gibt, und ansonsten eine professionelle Einstellung des Nichtwissens und der Führung „von hinten“ („leading from one step behind“) einnimmt. Den Prozess positiver Supervision beschreibt Bannink dann durch die vier o. g. Säulen, die durch den Aufbau eines guten Arbeitsverhältnis („positive start with building rapport“) und Follow-up-Sessions ergänzt werden. Nach einem Abschnitt zu „Solution-Talk“ beschreibt Bannink dann die Positive Psychologie mit positiven Emotionen als einem ihrer Schwerpunkte sowie die lösungsorientierte Kurztherapie als Hintergründe des Ansatzes.
In den folgenden Kapiteln 3-7 stellt die Autorin den Prozess der positiven Supervision in seinen einzelnen Schritten bzw. Säulen ausführlich und im Einzelnen dar. Ausgehend vom Aufbau eines guten Arbeitsverhältnisses ist die erste positiv-psychologische Theorie, die Bannink im Kapitel 3 zur Zielformulierung aufgreift, die Hope Theory von C. Richard Snyder, in der die Zielgerichtetheit menschlichen Handelns eine zentrale Rolle einnimmt. Sie unterstreicht die Bedeutung positiv formulierter Ziele („Was will ich?“, nicht: „Was will ich nicht?“) u. a. mit Hilfe der Metapher, dass Menschen auf Einkaufslisten meist das schreiben, was sie kaufen möchten, und nicht das, was sie nicht kaufen möchten – und damit in der Regel ganz gut fahren. Zu den Techniken der Zielfindung, die sie darstellt, gehören Wunderfragen, das Mentale Kontrastieren und Wenn-Dann-Trainings zur Formulierung von Plänen (Implementationsintentionen nach Peter M. Gollwitzer). Wie in den folgenden drei Kapiteln stellt Bannick dann weitere praktische Anwendungen („applications“) dar.
Kapitel 4 „Finding Competence“ geht von der Frage „What works?“ und damit von bisherigen Erfolgen und erworbenen Fähigkeiten aus, um die Erreichung der zuvor definierten Ziele möglichst ressourcenorientiert zu gestalten. Als Methoden, um Stärken und Kompetenzen zu identifizieren, stellt Bannink den Values in Action (VIA)-Survey of Character Strengths von Neal H. Mayerson und Martin E. P. Seligman, Fragentechniken, die Identifikation unproblematischer Ausnahmen und 19 weitere Anwendungen vor.
Die nächste Säule, „Working on Progress“, wird in Kapitel 5 behandelt. Wiederum aufbauend auf bisherigen Erfolgen betont Bannink die Bedeutung einer Wachstumsmentalität („growth mindset“), beschreibt die Nützlichkeit skalierender Fragen, stellt Möglichkeiten des Umgangs mit Stagnation dar, und schildert weitere 20 Anwendungen.
Kapitel 6 widmet sich der Säule „Reflection“, die aus meiner Sicht als gemeinsame Qualitätskontrolle im Supervisionsprozess verstanden werden kann. Entsprechend enthält das Kapitel auch Hinweise auf Strategien, die Super-Supervisoren und -Supervisanden (also solche, die erfolgreich sind) verfolgen. Nach 22 Anwendungen, die die Reflektion unterstützen können, schließt das Kapitel mit einem Abschnitt zum Feedback durch Supervisanden ab.
Nach Kapitel 7, das sich den „Follow-up Sessions“ widmet und dabei u. a. die wichtigen Themen der Aufrechterhaltung von Verhaltensveränderungen und des Abschlusses von Supervisionsprozessen aufgreift, geht Bannink in Kapitel 8 auf Fragen der Arbeitsbeziehung zwischen Supervisoren und Supervisanden ein, auf die hier aus Platzgründen nicht detailliert eingegangen werden kann. Daher soll es genügen, die grundsätzliche Unterscheidung von drei Beziehungstypen zu zitieren, die sich über die Rolle des Supervisanden als Besucher („visitor“), Beschwerdeführer („complainant“) oder Kunden („customer“) definieren, und darauf hinzuweisen, dass Bannink zahlreiche Tipps zum Umgang mit Meinungsverschiedenheiten und Konflikten gibt.
Die letzten Kapitel widmen sich weiteren Themen rund um die Supervision wie z. B. Berichte, den Einsatz von audiovisuellen Medien, Supervision via E-Mail und Skype sowie Psychotherapie für Supervisoren (Kapitel 9), geben Antworten auf 22 FAQ von Supervisoren (Kapitel 10), dokumentieren Erfahrungsberichte von fünf Supervisanden (Kapitel 11), und geben dem Leser Fragen an die Hand, wie er mit dem Gelesenen weiter verfahren möchte (Kapitel 12).
Diskussion
Formal ist der Band sehr ansprechend gestaltet und durch ein übersichtliches Design für meinen Geschmack gut zu lesen; lediglich eine Nummerierung der Teilkapitel wäre vielleicht noch hilfreich gewesen. Die Formate „Case“ (Fallbeispiel), „Exercise“ (Übung) und „Summary“ (Kurzzusammenfassung am Ende jedes Kapitels) verdeutlichen die Inhalte und geben Möglichkeiten zu ihrer aktiven Aneignung. Auch die acht Anhänge enthalten hilfreiches Material, u. a. einen Fragebogen für Supervisoren zur Selbstreflektion im Hinblick auf die Berücksichtigung der Supervisanden-Perspektive (s. u.). Das Literaturverzeichnis ist zwar nicht außerordentlich lang, enthält jedoch aktuelle Referenzen bis 2014 und liefert gute Hinweise zum Nach- und Weiterlesen.
Eine der Stärken des in diesem Band dargestellten Ansatzes ist es, einem nachvollziehbaren und kohärenten Konzept zu folgen und sich durch vielfältige Bezüge auf Vorhandenes (neben der Positiven Psychologie und vielen ihrer Konzepte z. B. die lösungsorientierte Kurztherapie, das Konzept der Implementationsintentionen sowie Ergebnisse der Psychotherapieforschung) zugleich davor hütet, lediglich alten Wein in neuen Schläuchen zu präsentieren. Sicher, dies gelingt nicht immer perfekt: So fehlt mir im Kapitel „Finding Competence“ doch etwas der Bezug zum Konzept der Selbstwirksamkeitserwartung von Albert Bandura, dem Bannink in ihrem Band zur Praxis der Positiven Psychologie (Bannink 2012) noch ein ganzes Kapitel gewidmet hatte. Auch ist der Begriff „character strengths“, den Bannink aus der Arbeitsgruppe des VIA-Instituts um Neal H. Mayerson und Martin E. P. Seligman zitiert, aus meiner Sicht eher unangemessen, da mich schon in meinem eigenen Psychologie-Studium überzeugt hat, dass die moderne Psychologie von Persönlichkeit und nicht von Charakter sprechen solle. Denn: Der Begriff „Charakter“ ist traditionell ethisch konnotiert, was angesichts zahlreicher anderer ethisch relevanter Konstrukte der Positiven Psychologie wie z. B. Glück, Sinn, Solidarität, Ziele und Zivilcourage m. E. zu unnötigen (Vor-)Urteilen bzw. Bewertungen hinsichtlich einzelner Persönlichkeitseigenschaften verleitet (mal abgesehen davon, dass „Charakterstärken“ als Begriff eigentlich einen Pleonasmus darstellt).
Insgesamt ist der vorliegende Band jedoch in angemessener Weise wissenschaftlich fundiert und stellt nicht zuletzt durch die zahlreichen Anwendungshinweise ein hilfreiches Handbuch für Supervisoren dar. Als Beispiel sei der bereits o. g. Fragebogen für Supervisoren zitiert (S. 199; meine Übersetzung):
- Was würden Deine Supervisanden sagen, was Du tust, um sie dabei zu unterstützen, Optimales zu erreichen?
- Was würden sie noch sagen? Was würden Sie noch sagen?
- Was würden Deine Supervisanden sagen, was Du für sie veränderst bzw. ausmachst?
- Wie nützlich würden Deine Supervisanden die Sitzungen mit Dir auf einer Skala von 0 bis 10 einschätzen (10 = maximaler Nutzen und 0 = das Gegenteil)?
- Was würden sie zu diesen Einschätzungen sagen (und warum schätzen sie die Nützlichkeit nicht geringer ein)?
- Was würden sie sagen, wäre anders, und wie würdest Du Dich anders verhalten, wenn die Nützlichkeitseinschätzung ein oder zwei Skalenpunkte höher läge?
- Wie könntest Du Dich aus ihrer Sicht auf dieser Skala steigern?
- Was würden sie als das bisher Nützlichste und Hilfreichste in Deiner Arbeit mit ihnen benennen?
Fazit
Für mich als Hochschullehrer – und damit in der Rolle, in der ich vor allem supervidiere – liefert dieser Band neben einer grundsätzlichen Orientierung durch einen fokussierten und systematischen Supervisions-Ansatz viele hilfreiche Hinweise für meine alltägliche Arbeit. Die Relevanz positiv formulierter Ziele, Mittel und Prozesse (also metaphorisch die Einkaufsliste, auf der steht, was gewollt wird, und nicht was nicht gewollt wird) in der Kombination mit der konsequenten Orientierung an der Supervisanden-Perspektive (die sicherlich einen bedeutsamen Grad an Selbstreflexionsfähigkeit voraussetzt) überzeugt am Ende. Bleibt zu hoffen, dass auch dieser Band in absehbarer Zeit in deutscher Übersetzung zur Verfügung stehen wird.
Rezension von
PD Dr. phil. Dipl.-Psych. Thomas von Lengerke
Stv. Leiter der Forschungs- und Lehreinheit Medizinische Psychologie der Medizinischen Hochschule Hannover
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