Jörg Baur, Peter Berker u.a. (Hrsg.): Supervision in der Beobachtung
Rezensiert von Volker Jörn Walpuski, 24.11.2016

Jörg Baur, Peter Berker, Margret Nemann (Hrsg.): Supervision in der Beobachtung. Forschungs- und praxisbezogene Perspektiven.
Verlag Barbara Budrich GmbH
(Opladen, Berlin, Toronto) 2015.
240 Seiten.
ISBN 978-3-8474-0644-0.
D: 29,90 EUR,
A: 30,80 EUR,
CH: 40,00 sFr.
Schriften der KatHO NRW.
Thema
Supervision steht, ob als Supervisor_in oder Supervisand_in, unter dem Anspruch, eine hochwertige und zielführende Beratung zu sein. Der Band liefert Beiträge aus unterschiedlichen Perspektiven, die supervisorische Praxis im Spannungsfeld Person/Rolle/Organisation zu untersuchen, zu begründen und wissenschaftlich zu fundieren wie legitimieren.
Entstehungshintergrund/Herausgeber/Autoren
17 Beiträge von Dozent_innen, Lehrsupervisor_innen und Absolvent_innen des Masterstudiengangs Supervision der Katholischen Hochschule (KatHO) NRW haben zu diesem Sammelband beigetragen, dessen Herausgeber der Studiengangsleiter Professor Dr. Jörg Baur gemeinsam mit seinem Professorenkollegen Peter Berker und seiner -kollegin Margret Nemann sind
Der Band knüpft an „Supervision in Bewegung“ (2008) an, das hier bereits besprochen wurde (vgl. www.socialnet.de/rezensionen/7143.php).
Aufbau
Der Sammelband ist in fünf Abschnitte gegliedert.
- Der Abschnitt Persönlichen Betrachtungen fasst drei Redebeiträge zusammen, die anlässlich akademischer Feiern persönliche und biografische Sichtweisen und Reflexionen auf Supervision thematisieren.
- Im Abschnitt Beobachtungsfeld Supervisionsforschung sind vier Beiträge versammelt, die „beispielhaft für einen Professionalisierungstrend, der Praxis und Forschung zu vereinen sucht“ stehen sollen.
- Der dritte Abschnitt Theologisch-kirchliche Perspektiven bündelt drei kirchlich-katholische Sichtweisen und belegt die Nähe von supervisorischen und theologisch-kirchlichen Fragestellungen.
- In den Bildbeobachtungen, so der Titel des vierten Abschnitts, fokussieren die beiden Beiträge auf künstlerisch-bildnerische Methoden in der Supervision.
- Der abschließende Abschnitt Perspektiven auf Arbeit und Gesundheit liefert fünf Beiträge zur Diskussion über psychische Belastungen am Arbeitsplatz und die entlastenden Wirkungen von Supervision.
Inhalt
Die 17 Beiträge nehmen sehr unterschiedliche Themenstellungen auf der Grundlage unterschiedlicher Forschungssettings, Theoriemodelle und Supervisionsverständnisse in den Blick. In Reihenfolge des Inhaltsverzeichnisses sind dies:
Peter Berker verabschiedete mit seinen an den Anfang gestellten Gedanken Über die allmähliche Verfertigung der Supervision unter Aufnahme von Heinrich von Kleist 2013 einen Studienjahrgang.
Lothar Krapohl zieht in seinen Persönlichen Ansichten und Einsichten zur Ökonomisierung der Bildung und des Sozialen und ihren Folgen für die Supervision ein Fazit aus 30 Jahren supervisorischer Lehre und Praxis am Ende seiner Tätigkeit als Studiengangsleiter. Darin plädiert er unter anderem für eine (intensivierte) ethische Fundierung der Supervision sowie die Notwendigkeit einer Unabhängigkeit hin. Zudem markiert er die Bologna-induzierten Schwierigkeiten prozessorientieren Lernens in akademischen Kontexten.
Margret Nemann will mit ihrem Beitrag Auf die Haltung kommt es an! Zur supervisorischen Relevanz der Tugenden (einer überarbeitete Fassung ihrer Antrittsvorlesung von 2009) die Tugendethik für die Supervision nutzbar machen.
Jörg Baur legt das Konzept dar, wie im Masterstudiengang Supervision: Evaluation der Entwicklung supervisorischer Kompetenzen von Studierenden stattfindet und denkt damit im gleichen Zug über supervisorische Kompetenzentwicklung nach.
Gisela Keil untersucht empirisch Affekte in Teamentscheidungsprozessen in einem Jugendamt unter systemischen wie gruppendynamischen Blickwinkeln auf der Grundlage von Affekttheorien.
Juliane Tissen fragt nach Lust auf Veränderung? Wie Dialog und musikalische Improvisation Teamprozesse in Bewegung bringen können. Damit erschließt sie Methoden der Musiktherapie für die Supervision.
Hannah Anita Schulz verdichtet für den Beitrag ihre grundlegende und systematische Dissertation über Sinndimensionen in der Supervision, indem sie sich von unterschiedlichen Seiten und Kontexten mit Herkunft und (heutigem) Gebrauch des Wortes in supervisorischen Kontexten auseinandersetzt.
Hubertus Lutterbach versucht mit seinem Beitrag Introspektion und Selbstthematisierung in Beichte und Supervision. Eine Kontinuitätsgeschichte? die Frage zu beantworten, wie die Introspektion der Antike durch die Institution der Beichte in die Neuzeit (und damit die Supervision) getragen wurde.
Margret Nemann positioniert sich in ihrem Nachdenken Wider die Tyrannei des Erfolgs und der Machbarkeit – Supervision im Horizont eines christlichen Menschenbildes als glaubende Supervisorin und expliziert ihre supervisorische Haltung im Gegenüber zu „eindimensionalen Imperativen der Postmoderne“.
Bernward Winter und Hans-Bernd Köppen setzen sich in ihrem Gemeinschaftswerk mit Interner Supervision und organisationalem Lernen – Chancen und Grenzen am Beispiel des Bistums Münster unter Aufnahme von Argyris, Schön und Senge auseinander. Damit liefern sie die Anfrage, wie Supervision solche Lernprozesse unterstützen kann und damit zum Instrument der erfolgreichen Organisationsentwicklung wird.
Wolfgang Domma fundiert in seinem Beitrag Von der Sprache der Bilder und den Bildern der Sprache zunächst theoretisch Bildnerische Methoden in der Supervision, und zeigt anschließend anhand von Praxisbeispielen Einsatzmöglichkeiten auf.
Andrea Rose erschließt in ihrer Arbeit „Das müsste man malen können…“ oder Ausdrucksmalen als kreativer Prozess in der Supervision leibliches Wissen und innere Bilder als implizites Wissen für Supervisionsprozesse und zeigt anschließend anhand von Fallbeispielen Einsatzmöglichkeiten auf.
Jörg Baur untersucht aus vielen Perspektiven in seinem Beitrag Spätmoderne Selbstoptimierungskultur und ihre Bedeutung für die Supervision – eine Mehrebenenperspektive den ‚dual use‘ von Supervision in Kontexten der Selbstoptimierung. Er wirft die Frage nach ‚guter‘ Supervision auf und entwickelt drei Kategorien: administrative, therapeutische und edukative Supervision. Damit fordert er eine stärkere berufsethische Diskussion.
Saskia Erbring entwickelt mit Antonovskys salutogenetischem Ansatz Ein systemisches Verständnis von Gesundheit in der Supervision und schlägt vor, Gesundheit als Inhalt von Supervision stärker in der Supervisionsausbildung zu berücksichtigen.
Jörg Baur liefert mit seinem Text Fallsupervision als Beitrag zur gesundheitsstärkenden Resilienzförderung im beschäftigungsorientierten Fallmanagement von Jobcentern einen fundierten Überblick über die Bedingungen und Arbeitsansätze von Supervision in Teilbereichen von Jobcentern (die Leistungsabteilungen sind ausgeklammert), ohne den resilienzfördernden Aspekt auszuführen.
Roland Brake argumentiert für Supervision in einem somatischen Krankenhaus zugunsten der Patient_innen und der Stärkung kommunikativer wie empathischer Kompetenzen von Ärzt_innen.
Silke Doppelfeld und Renate Zwicker-Pelzer nehmen gemeinsam die Supervision von Pflegekräften im Gesundheitswesen in den Blick, die sie gegenwärtig häufig zwischen Krisenintervention und Statuserhalt verorten. Folgerichtig fordern sie von Supervision Beiträge zu einer Anerkennungskultur sowie Hierarchie- und Professionsreflexion vor dem Hintergrund von Organisationsdynamiken und -strukturen.
Diskussion
Das Thema der wissenschaftlichen Legitimation von Supervision, unter anderem durch eine belegbar beschreibbare Wirkung, zieht sich durch das Buch hindurch und spiegelt damit die Fachdiskussion wider.
Gleichzeitig wird Supervision immer wieder kritisch im Kontext von Ökonomisierung und Instrumentalisierung angefragt und eine berufsethische Diskussion zur Positionierung der Supervision angeregt.
Mit persönlichem Lerngewinn las ich die herausstechenden Beiträge von Jörg Baur, Gisela Keil und Hannah Anita Schulz, auch, weil sie meine Tätigkeitsfelder berühren.
So beschreibt Baur profund die Rahmenbedingungen von Supervision im beschäftigungsorientierten Fallmanagement der Jobcenter, und als Praktiker dort finde ich mich sehr gut wieder. Ebenfalls sehr lesenswert ist sein Beitrag zur Selbstoptimierung, weil er darin herrschende Spannungsfelder deutlich benennt.
Keil belegt an einer Fallstudie unter Aufnahme der Theorien von Ciompi, wie sehr Emotionen und Affekte Entscheidungen mitbestimmen, diese aber gleichzeitig für die Entscheidungsfindung häufig geleugnet, negiert und abgewehrt werden.
Schulz liefert mit ihrer Untersuchung von Sinnverständnissen einen Ausgangspunkt für weitere Forschung und eine kritische Positionierung der Supervision gegen ökonomische Instrumentalisierungen.
Meinen Horizont konnten zudem Brake, Doppelfeld und Zwicker-Pelzer fundiert erweitern, indem sie mir tiefere Einblicke in die Organisation Krankenhaus und die dortigen Arbeitsbedingungen aus supervisorischer Sicht vermittelten.
Aus der Vielzahl der Beiträge seien weiterhin vier herausgehoben, die kritischer Anmerkungen bedürfen.
- Lutterbachs Beitrag mit einer interessanten Fragestellung zum Komplex Introspektion, Beichte und Supervision in einer historischen Entwicklung scheint sehr auf eine katholische Sichtweise beschränkt zu sein. Es verwundert, dass weitere Aspekte und andere Sichtweisen nicht berücksichtigt sind, darunter Foucaults Theorem der Pastoralmacht.
- Von Nemanns Beitrag wäre eine deutlich weitere Ausführung des dritten Abschnitts wünschenswert gewesen: Das supervisorische Selbstverständnis im Horizont eines christlichen Menschenbildes bleibt leider viel zu kurz, insbesondere im Vergleich zu den vorangehenden theologischen Ausführungen. Leider fanden die Diskussionen der pastoralpsychologischen Supervision keine (explizite) Berücksichtigung. Gerade hier wäre eine (kritische?) Auseinandersetzung hilfreich.
- Winters/Köppens Beitrag verspricht eine praktische Konkretion, die der abstrakte Beitrag leider nicht hält, und engt zudem auf Einzel- und Teamsupervision im Übergehen des Formats Gruppensupervision ein. Auch ein Blick auf die ausführliche Diskussion rund um interne/externe Beratung über Supervision wäre sehr hilfreich gewesen.
- Erbring schlägt vor, Gesundheit stärker in der Supervisionsausbildung zu verankern. Damit weist sie berechtigt auf weiße Flecken hin und weitet die Zuständigkeiten von Supervision aus, rückt sie aber auch näher an therapeutische Verfahren heran. Gleichzeitig begibt sie sich dadurch in Gefahr, Supervision in den Dienst von Selbstoptimierung zu stellen. Eine klarere Positionsbestimmung von Supervision zwischen Selbstoptimierung und Selbstsorge könnte hier hilfreich fortführen.
Fazit
Ein Sammelband, der an vielen Stellen lehrbuchartig gute, vertiefende Einblicke oder überblickende Zusammenfassungen in Felder und Methoden gibt oder Themenfelder skizziert. Stellenweise reizen einzelne Beiträge zu (erheblichem) Widerspruch, und punktuell hätten etwas mehr Aktualität und eine größere Breite der berücksichtigten Literatur sowie wissenschaftlicher Anspruch den Beiträgen gut getan. Dies mag dem Umstand geschuldet sein, dass rund die Hälfte der Beiträge aus Masterarbeiten heraus entstanden sind.
Rezension von
Volker Jörn Walpuski
M.A., Studiengangskoordinator für den weiterbildenden Studiengang Supervision und Beratung an der Universität Bielefeld sowie freiberuflicher Supervisor (DGSV) und Organisationsberater
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Es gibt 4 Rezensionen von Volker Jörn Walpuski.
Zitiervorschlag
Volker Jörn Walpuski. Rezension vom 24.11.2016 zu:
Jörg Baur, Peter Berker, Margret Nemann (Hrsg.): Supervision in der Beobachtung. Forschungs- und praxisbezogene Perspektiven. Verlag Barbara Budrich GmbH
(Opladen, Berlin, Toronto) 2015.
ISBN 978-3-8474-0644-0.
Schriften der KatHO NRW.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/18546.php, Datum des Zugriffs 20.03.2023.
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