Annika Göbel-Reinhardt, Nicole Lundbeck: Erziehungs- und Bildungspartnerschaften in Kitas
Rezensiert von Prof. Dr. Sabine Mönch-Kalina, 07.08.2015
Annika Göbel-Reinhardt, Nicole Lundbeck: Erziehungs- und Bildungspartnerschaften in Kitas. Qualitative Forschungsergebnisse für eine erfolgreiche Praxis. Springer VS (Wiesbaden) 2015. 264 Seiten. ISBN 978-3-658-07877-5. D: 49,99 EUR, A: 51,39 EUR, CH: 62,50 sFr.
Thema
Mit der Untersuchung der Erziehungs- und Bildungspartnerschaften in Kitas widmet sich dieses Buch einem hochaktuellen Thema der frühpädagogischen Praxis. Ausgehend von dem Programm Kita!Plus des Landes Rheinland-Pfalz werden die Voraussetzungen und Zielstellungen der Zusammenarbeit mit den Erziehungsberechtigten dargelegt und dabei der Fokus auf Kindertagesstätten in Wohngebieten mit besonderem Entwicklungsbedarf, auch der Kinde, gelegt. Im Zentrum steht die qualitative Untersuchung der Qualität der pädagogischen Prozesse hinsichtlich der Interaktion zwischen Eltern und pädagogischen Fachkräfte, der Situationen und der Abläufe in den Kitas. Daraus abgeleitet werden generalisierende Qualitätskriterien für das Gelingen von Erziehungs- und Bildungspartnerschaften vorgestellt und alternative Zugangswege zu schwerer erreichbaren Eltern aufgezeigt.
Autorinnen
Annika Göbel-Reinhardt ist Sozialpädagogin (M.A.) und seit 2011 in Irland im frühpädagogischen Bereich tätig.
Nicole Lundbeck ist ebenfalls Sozialpädagogin (M.A.) und arbeitet seit 2010 in Köln im Elementar- und frühpädagogischen Bereich
Entstehungshintergrund
Das Programm Kita!Plus des Landes Rheinland-Pfalz eröffnet Kindertagesstätten, ihre Kompetenzen in Bezug auf die Zusammenarbeit mit den Eltern und Familien zu intensivieren und auszubauen. Eine Säule dieses Programms ist die Stärkung der Kitas im Sozialraum. Dieses Programm hat die Autorinnen motiviert, die Umsetzung im Hinblick auf die Zusammenarbeit zwischen Eltern und Kitas insbesondere auch unter dem Aspekt der besonderen Anforderungen in Wohngebieten mit besonderem Entwicklungsbedarf zu untersuchen und daraus Anforderungen und Voraussetzungen für Erziehungs- und Bildungspartnerschaften abzuleiten.
Aufbau
Nach der Einleitung mit einer ausführlichen Darstellung der Problemstellung, der Zielsetzung und des Aufbaus folgt ein umfangreicher theoretischer Teil, in dem das Programm Kita!Plus, die konzeptionellen Grundlagen der pädagogischen Arbeit sowie verschiedene Aspekte für die Betrachtung von Erziehungs- und Bildungspartnerschaften in Kindertagesstätten dargelegt werden. In diesem Abschnitt werden auch die rechtlichen Grundlagen, die Bildungspläne der Länder, Fragen der Sozialraumorientierung und der Evaluation und Qualität in Kindertagestätten behandelt.
In dem folgenden, empirischen Teil werden die Methodik und Instrumente der Untersuchung vorgestellt und deren Ergebnisse referiert. Daraus ziehen die Autorinnen im vierten Abschnitt generalisierende Schlussfolgerungen und leiten nach einer Reflexion der Untersuchung deren Relevanz für die soziale Arbeit ab. Vor dem abschließenden Resümee und Ausblick werden die Folgerungen für die Praxis aufgelistet und alternative Zugangswege vorgeschlagen.
Inhalt
Im ihrer Einleitung geben die Autorinnen einen ersten Eindruck über die Aktualität und Bedeutung einer gelingenden Erziehungs- und Bildungspartnerschaft für das Wohl und für die förderliche Entwicklung jedes einzelnen Kindes, über Problemstellung, Zielsetzung und Aufbau der Untersuchung.
Das als theoretischer Teil bezeichnete zweite Kapitel enthält grundlegende Ausführungen zu den verschiedensten Aspekten, die die Arbeit in Kindertageseinrichtungen prägen. In der kurzen Vorstellung des Landesprogramms Kita!Plus mit insgesamt acht Säulen werden die für die Arbeit relevanten Schwerpunkte der Säule 1 – Kita im Sozialraum und der Säule 3 – Evaluation als Ausganspunkte für die nachfolgende Untersuchung etwas näher erläutert. Als konzeptionelle Grundlagen der pädagogischen Arbeit in Kindertagesstätten werden die rechtlichen Grundlagen kurz besprochen. Die Bildungspläne der Bundesländer und die Bildungs- und Erziehungs- und Qualitätsempfehlungen des Landes Rheinland-Pfalz werden vorgestellt und die dortigen Anforderungen an die Erziehungs- und Bildungspartnerschaften besonders herausgestellt.
Der Erziehungs- und Bildungspartnerschaft in Kindertagesstätten ist eine eigener Unterabschnitt gewidmet, in dem über den Perspektivwechsel der Elternarbeit, die professionelle Haltung der pädagogischen Fachkräfte als wesentliche Voraussetzungen, die rechtlichen Grundlagen in dem Beteiligtenverhältnis zwischen Kind, Eltern und Kita, Formen der Elternarbeit und der Erziehungs- und Bildungspartnerschaft mit Migrantenfamilien referiert wird. Anschließend werden die für die vorliegende Untersuchung maßgeblichen Ergebnisse eines vorherigen Projektes zur Stärkung der Erziehungskraft der Familie durch und über den Kindergarten ebenfalls dargelegt und daraus Folgerungen für das Untersuchungsdesign abgeleitet. Ebenfalls finden sich in diesem Abschnitt Ausführungen zur Sozialraumorientierung bzw. Gemeinwesenarbeit, festgemacht an der Arbeit von Familienzentren, zur Evaluation und Qualität in Kindertagesstätten und abschließend ein komprimierter Überblick über den Forschungsstand im frühpädagogischen Bereich. Zur Zusammenarbeit mit Eltern werden die wesentlichen Formen und Inhalte dieser Kooperationen mitgeteilt sowie betont, dass Familie und Kita die beiden für Kinder bedeutsamen Orte der Entwicklung sind und dass die Haltung der pädagogischen Fachkräfte qualitätsbestimmend ist. Wie pädagogische Fachkräfte mit diesen Anforderungen umgehen, ist ebenfalls Thema der Forschungsarbeit und wird mit Hilfe von drei sinngenetischen Typen von pädagogischen Fachkräfteteams (wertekernbasiert, umsetzungsorientiert und distanziert) vermittelt. Wenig untersucht sind bisher die Effekte frühpädagogischer Einrichtungen, die wesentlichen Erkenntnisse werden zum Abschluss dieses Abschnitts zusammengefasst.
Das dritte, mit über 80 Seiten umfangreichste Kapitel vermittelt als empirischer Teil sowohl das methodische Vorgehen der Untersuchung, als auch deren Ergebnisse und ihre Auswertung. Als Methodik wird ausführlich die qualitative Sozialforschung und als dessen Instrument das Experteninterview vorgestellt. Kurz wird begründet, wie der Interviewleitfaden und seine Fragestellungen entwickelt wurden. Dabei wird erläutert, warum die Eltern in vier Leitfadenkategorien und die Fachkräfte in zehn Kategorien befragt wurden. Bevor dann die Ergebnisse aus der Perspektive der Eltern und der pädagogischen Fachkräfte referiert werden, geben die Interviewberichte Eindruck über die Untersuchungssituationen bei den Interviews mit den Eltern und pädagogischen Fachkräften in den beiden Kitas, in denen die Untersuchung durchgeführt wurde. Die Interviewergebnisse werden, gegliedert nach den Hauptkategorien der Untersuchung, aufgearbeitet und zusammenfassend dargestellt.
Eltern und pädagogische Fachkräfte treten sich als Erziehungs- und Bildungspartner gegenüber. Zum Abschluss des empirischen Teils werden die zentralen Ergebnisse zusammengeführt und die Sicht der interviewten Gruppen gegenübergestellt und verglichen, auch im Hinblick auf die Unterschiede in den beiden untersuchten Kitas. Auch findet sich hier die zusammenfassende Betrachtung der gelebten Partizipation und Mitbestimmung in den Einrichtungen.
Das vierte Kapitel ist überschrieben mit generalisierender Zusammenfassung, interpretiert die Forschungsergebnisse und beantwortet die Forschungsfragen. Zunächst werden ausgewählte Voraussetzungen genannt und kurz erläutert. Dann werden noch einmal die Anforderungen und Haltungen von Eltern und an die pädagogischen Fachkräfte in den Blick genommen, bevor die Umsetzung der rheinland-pfälzischen Bildungs- und Erziehungsempfehlungen aus den Untersuchungsergebnissen reflektiert wird.
In diesem Kapitel befassen sich die Autorinnen auch mit der Frage, ob die Untersuchungsergebnisse aufgrund der geringen Fallzahl der untersuchten Einrichtungen und der Interviewten Relevanz haben können. Unter Verweis auf die Untersuchung begleitende sozialpädagogische und interdisziplinäre Gespräche wird die Generalisierbarkeit begründet und anschließend auch die Relevanz für die Soziale Arbeit beschrieben.
In ihrem fünften Kapitel folgen dann die Folgerungen der Autorinnen für die Kita-Praxis. Aufgelistet werden eine Reihe von Qualitätskriterien für Erziehungs- und Bildungspartnerschaften in Wohngebieten mit besonderem Entwicklungsbedarf, jeweils den Träger, die Einrichtung, die pädagogischen Fachkräfte und die Zusammenarbeit mit den Eltern betreffend. Für die zukünftige Intensivierung der Zusammenarbeit mit den Eltern werden abschließend alternative Zugangswege zu den Eltern aufgezeigt und zu einer Erprobung empfohlen.
Resümee und Ausblick sind das sechste und letzte Kapitel gewidmet, welches die wesentlichen Grundlagen, die Erkenntnisse aus der Untersuchung sowie zentrale Ableitungen zusammenfasst. Und auch diese Autorinnen kommen letztlich zu dem Schluss, dass gute Kitaarbeit und damit auch Erziehungs- und Bildungspartnerschaften nur gelingen können, wenn die Rahmenbedingungen stimmen.
Diskussion und Fazit
Abgeleitet aus Art. 6 GG ist die Pflicht zur Zusammenarbeit mit den Eltern schon lange in den Kita-Gesetzen der Länder verankert und auch Bestandteil der Konzepte und der Arbeit von Kitas. Sie findet sich dort unter verschiedenen Bezeichnungen wie Elternarbeit, Partnerschaft, Mitwirkung oder Mitbestimmung und in der Praxis auf vielfältige Art und Weise, institutionalisiert über Elternvertretungen, kindzentriert durch Dokumentation und Entwicklungsgespräche, familienorientiert durch Berücksichtigung familiärer Belange oder auch einrichtungsunterstützend durch die Einbeziehung der Eltern in die Aktivitäten der Kitas. Verstärkt hat sich aber in den letzten Jahren die Erkenntnis, dass die individuelle Förderung der Kinder nur in einem engen Zusammenwirken mit den Eltern und mit der Familie gelingen kann, da die Familie mindestens gleichwirksamen Einfluss auf die Kinder nimmt. All dieses war Ausgangspunkt für die vorliegende Untersuchung, fokussiert auf die Anforderungen, die das Programm Kita!Plus in Rheinland-Pfalz vor allen Dingen für Kitas in Wohngebieten mit besonderem Entwicklungsbedarf vorgesehen hat.
Es gelingt der vorliegenden Veröffentlichung mit erkennbar hohem Engagement und Fachkenntnissen, die Grundsätze für gelingende Erziehungs- und Bildungspartnerschaften herauszuarbeiten, obgleich nicht hinreichend deutlich gemacht wird, welche positiven Effekte für die weitere Entwicklung der Kinder damit erwartet werden. Welche Defizite entstehen, wenn solche Partnerschaften nicht optimal ausgestaltet werden, bleibt letztlich etwas offen. Dies wäre aber gerade im Hinblick auf die eigentlich im Fokus stehenden Familien in den besonders förderbedürftigen Wohngebieten (z.B. Migrantenfamilien) notwendig und verständnisfördernd gewesen. Außerdem fehlt im Weiteren sowohl beim Design der Untersuchung als auch bei deren Auswertung die Bezugnahme auf manche der dargestellten Rahmenbedingungen (Beispiele: sinngenetische Fachkräftetypen, besondere Unterstützungsbedarfe im Sozialraum aus Sich der Eltern/der Familie).
Der empirische Teil enthält eine sehr umfassende und gelungene Darstellung der Ansätze und Instrumente der qualitativen Sozialforschung, auf die bei vergleichbaren Vorhaben gut zurückgegriffen werden könnte. Nicht verständlich wird jedoch, warum die Autorinnen weder eine Erhebung der Fakten zur Elternarbeit in den untersuchten Kitas (was wurde in einem begrenzten Zeitraum der Vergangenheit wie und wie oft auf welchem Weg und mit welcher Resonanz angeboten) vorgenommen haben, noch warum die Zahl der Einrichtungen und vor allen Dingen die Anzahl der Interviewten auf einem so geringen Level geblieben ist. Auch eine besondere Betrachtung des Wohn- oder Einzugsgebietes der jeweiligen Kita (Sozialstrukturen, Migrantenanteil etc.), aus denen die besonderen Anforderungen erkennbar geworden wären, fehlt nahezu. Die Beteiligung der Eltern wurde dem Zufall überlassen; dass es sich bei den Beteiligten um besonders typische bzw. besonders unterstützungsbedürftige Familien handelte, lässt sich nicht ohne weiteres erkennen.
Die in der Auswertung der Untersuchung zusammengestellten Schlussfolgerungen sind allesamt überzeugend und können für die Praxis richtungsweisend sein. Sie ergeben sich aber nicht zwingend aus den Interviewergebnissen, sondern auch aus verschiedenen anderen Quellen. Familien mit Migrationshintergrund oder in einer sozial schwachen Lebensposition bleiben auch bei der Auswertung nicht im Fokus; die Erkenntnisse sind grundsätzlich eher allgemein bezogen.
Eine etwas systematischere Darstellung gerade der im Vergleich gezogenen Ergebnisse hätte die Nachvollziehbarkeit und die Übertragbarkeit in die Praxis noch etwas erhöht.
Gelungen ist die Gesamtdarstellung der Qualitätsanforderungen für Erziehungs- und Bildungspartnerschaften; die vorgestellten alternativen Zugangswege geben sehr gute Anregungen.
Die vorgelegte Untersuchung ist nicht nur wichtig, motivierend und anregend, sie ist ein auch guter Startschuss: Einmal für weitere Untersuchungen z.B. zu den Effekten gelungener Erziehungs- und Bildungspartnerschaften oder zu den (Personal-, Raum,- Finanz-)Ressourcen als Rahmenbedingungen. Und dann auch für alle Kitas, die ihre eigene bisherige Elternarbeit evaluieren (lassen) und/oder neu aufstellen möchten.
Rezension von
Prof. Dr. Sabine Mönch-Kalina
Lehrgebiet Sozialrecht an der Hochschule Wismar
Website
Es gibt 4 Rezensionen von Sabine Mönch-Kalina.
Zitiervorschlag
Sabine Mönch-Kalina. Rezension vom 07.08.2015 zu:
Annika Göbel-Reinhardt, Nicole Lundbeck: Erziehungs- und Bildungspartnerschaften in Kitas. Qualitative Forschungsergebnisse für eine erfolgreiche Praxis. Springer VS
(Wiesbaden) 2015.
ISBN 978-3-658-07877-5.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/18552.php, Datum des Zugriffs 25.01.2025.
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