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Sabine Fischer, Peter Rahn (Hrsg.): Kind sein in der Stadt. Bildung und ein gutes Leben

Rezensiert von Prof. Dr. Detlef Baum, 26.06.2017

Cover Sabine Fischer, Peter Rahn (Hrsg.): Kind sein in der Stadt. Bildung und ein gutes Leben ISBN 978-3-8474-0653-2

Sabine Fischer, Peter Rahn (Hrsg.): Kind sein in der Stadt. Bildung und ein gutes Leben. Verlag Barbara Budrich GmbH (Opladen, Berlin, Toronto) 2017. 141 Seiten. ISBN 978-3-8474-0653-2. D: 22,00 EUR, A: 20,50 EUR, CH: 27,90 sFr.

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Thema

Aufwachsen in modernen Gesellschaften ist ohnehin schwieriger geworden. Nicht nur, dass man als Eltern und Erzieher/innen mit der Pluralität von Lebensstilen und Wertvorstellungen konfrontiert ist, die Erziehung komplizierter machen. Auch die Kindheit als Ensemble der gesellschaftlichen Erwartungen, wie Kinder zu sein haben, macht das Hineinwachsen in die Gesellschaft schwieriger. Kind sein bedeutet heute vor allem mit den Einflüssen der Konsumgesellschaft und dem daraus entstehenden Erwartungsdruck zurecht zu kommen und mit den Spannungen, Ambivalenzen und Widersprüchen umgehen zu können, die sich aus einer modernen urbanen Lebensweise ergeben.

Die Stadt ist der verdichtete Ausdruck der modernen Gesellschaft. Ihr urbaner Lebensstil erwächst geradezu aus der Heterogenität der Menschen, der Vielfältigkeit der Lebensstile und Wertvorstellungen und den damit verbundenen Ambivalenzen und Widersprüchen. Und die Stadt entwickelt eine Dynamik von Integration und Ausschließung und von Privilegierung und Benachteiligung, die zur Folge hat, dass nicht alle die gleichen Chancen haben, an dieser urbanen Lebensweise in gleicher Weise teilzuhaben und nicht allen gelingt Integration und ein gutes Leben in gleicher Weise. Damit sind auch unterschiedliche Bedingungen des Aufwachsens und unterschiedliche Sozialisationschancen für Kinder verbunden, die auch zu einer Verfestigung privilegierter und benachteiligter Lebensbedingungen führen.

Herausgeber und Herausgeberin

Dr. Sabine Fischer ist Professorin für Pädagogik an der Evangelischen Hochschule Darmstadt.

Dr. Peter Rahn ist Professor für Wissenschaft der Sozialeren Arbeit an der Hochschule Ludwigshafen.

Autorinnen und Autoren

Die Autorinnen und Autoren kommen aus den Bereichen der Sozial- und Heilpädagogik, der Pädagogik, der Soziologie, der Politik- und Wirtschaftswissenschaft, der Theologie und der Stadtforschung.

Aufbau

Das Buch umfasst nach einer Einleitung der Herausgeberin und des Herausgebers acht Beiträge, die vorgestellt werden und ein Verzeichnis der Autorinnen und Autoren. Jeder Beitrag schließt mit einer ausführlichen Literaturliste.

Inhalt

Zur Einleitung (Sabine Fischer, Peter Rahn)

In ihrer Einleitung umreißen S. Fischer und P. Rahn das Thema des Buches. Sie umschreiben die Anforderungen an heutige Kindheit und fragen nach den nötigen Ressourcen, die Kinder brauchen, um mit den unterschiedlichen Anforderungen zurecht zu kommen. Weiter fragen sie, was passiert, wenn diese Ressourcen nicht vorhanden sind, weil Kinder in benachteiligten Lebensverhältnissen aufwachsen. Und was bedeutet dies alles vor allem, wenn Kinder in der Stadt aufwachsen, deren Dynamik einen Lebensstil erzeugt, der diese Benachteiligung strukturelle erzeugt und verstärkt? Eine der zentralen Ressourcen, die für die soziale Integration notwendig ist, ist Bildung, und der mangelnde Zugang zur Bildung versperrt den Zugang zu Teilhabe, zu sozialen Räumen, Institutionen und Märkten und damit zu einer urbanen Lebensweise.

Drei Fragen stehen im Vordergrund des Interesses:

  • Was bedeutet Kind sein in der Stadt?
  • Wo liegen aktuelle Herausforderungen städtischen Lebens für Kinder?
  • Wie ist es um die Qualität der Bildungsmöglichkeiten von Kindern bzw. um die Handlungsmöglichkeiten und Aneignungsräume bestellt?

Zu: Bildung .. und das gute Leben von Kindern. Eine sozialpädagogische Betrachtung (Peter Rahn)

Dass Bildung die wichtigste Voraussetzung eines gelingenden Lebens ist, ist sicher inzwischen in allen Disziplinen angekommen. Dabei wird einmal auf die formale Qualifizierung abgehoben, die notwendig ist, um eigenverantwortlich und selbständig ohne fremde Hilfe sein eigenes Leben reproduzieren zu können. Zum andern geht es aber auch um informelle, nicht-formale Bildung, um die Aneignung von Wissen in nicht institutionalisierten Lernprozessen, um Bildungsräume wie die Straße oder der öffentliche Raum der Stadt.

Der Autor geht dabei zunächst auf ein ganzheitlich-emanzipatorisches Bildungsverständnis der Sozialen Arbeit ein, das in der Dialektik dieser beiden Bildungsprozesse gesehen werden kann. Er geht dabei auf die Bildungsverständnis des Bundjugendkuratoriums ein, das das sich selbst bildenden Subjekt im Zentrum seiner Sichtweise sieht. Dies wird ausführlich entfaltet, bevor der Autor zur Frage der Bildung im Kontext von Ungleichheit und Gerechtigkeit kommt. Soziale Arbeit hat in diesem Zusammenhang im Fokus, dass für die Bildung nicht die soziale Herkunft entscheidend sein darf. Im Sinne der Gerechtigkeit muss Soziale Arbeit die Folgen sozialer Ungleichheiten zumindest kompensieren können – so der Autor.

Und was macht das gute Leben von Kindern aus? Was auch immer das gute Leben ausmacht, es geht um Wohlergehen, Glück, aber darüber hinaus auch um soziale Sicherheit im Sinne der Entwicklung von Perspektiven, die man für gut hält. Dazu werden einschlägige Protagnisten dieser These wie Thiersch, Liebel oder Rosa zitiert.

Zu: Kind sein in der Stadt (Baldo Blinkert)

Was macht Kindheit in der Stadt aus bzw. was macht die Stadt mit Kindern? Dies sind die Ausgangsfragen von Blinkert, wenn er zunächst auch die Aktionsräume für Kinder in der Stadt beschreibt. Dabei ist wichtig, die Bedeutung und Funktion der Räume in spezifischen Entwicklungsstufen des Kindes zu analysieren. Ein Aktionsraum ist der Raum außerhalb der Wohnung in einem Wohnumfeld und hat die Eigenschaften der Gefahrlosigkeit, der Zugänglichkeit und der Gestaltbarkeit und er muss Interaktionschancen bieten. Der Autor stellt dann graphisch diese Räume in der Stadt vor und fragt dann nach der „normalen Entwicklung“. Dann stellt er die Ergebnisse einer Studie vor, die in fünf baden-württembergischen Städten durchgeführt wurde. Dabei werden das Alter der Kinder mit der Frage der autonomen Kindheit korreliert und die Aktionsqualität des Wohnumfelds im Zusammenhang mit dem Habitus der Kinder ausführlich diskutiert.

Was heute nicht mehr im öffentlichen Raum der Stadt geht und warum „Straßenkindheit“ immer weniger oder gar nicht mehr geht und es deshalb auch zu einer Art Verhäuslichung der Kindheit geht, ist dann eine weitere Frage des Autors.

Die Raumqualität hängt mit den sozialen Ressourcen zusammen, mit denen Kinder aufwachsen. Nicht nur, dass sie als besser situierte Kinder in besseren Wohnviertelen aufwachsen. Viel bedeutender ist der Einfluss der Aktionsraumqualität auf die Formierung und Prägung sozialer Kompetenzen. Darauf weist Blinkert unter Verweis auf empirische Ergebnisse in einem ausführlichen Abschnitts seines Beitrages hin. Und sicher ist das Wohnumfeld als Aktionsraum auch ein Lernraum. Gerade der städtische Raum bietet eine breite Palette von Lernmöglichkeiten, die auch beschrieben werden.

Die Folgerungen für eine Politik für Kinder in Blick auf Verbesserungsmöglichkeiten der Raumgestaltung werden dann vom Autor formuliert, verbunden mit konkreten Vorschlägen.

Zu: Gesellschaftsräume: Wo sind die Kinder? Argumente für eine kindergerechte Struktur- und Prozessqualität im Alltag (Gabriela Muri Koller)

Was wären kindergerechte Räume in der Stadt und wo tauchen Kinder im öffentlichen Raum der Stadt auf? Und wenn sie präsent sind, haben wir wirklich eine Kultur entwickelt, in der Kinder selbstverständliche Akteure im öffentlichen Raum sind oder nur (lästige) Anhängsel ihrer Eltern oder anderer erwachsener Bezugspersonen? So lässt sich vielleicht die Fragestellung der Autorin zunächst auch beschreiben. Die Komplexität einer urbanen Lebensweise und eine für die Stadt typische Dynamik von Integration und Ausgrenzung, Segmentierung und sozialräumlicher Segregation prägen die Lern- und Entwicklungsbedingungen und -chancen für Kinder auf unterschiedliche Weise. Die Autorin geht zunächst auch auf die Rahmenbedingungen und Spannungsfelder ein, in der heutige familiale Sozialisation stattfindet, wobei Familien in sozialräumliche Kontexte einer Stadtgesellschaft eingebunden sind, deren Dynamik sie sich nicht einfach entziehen können. Was also macht den Alltag als Lebensraum und Lernumgebung aus, in der Kinder eingebunden sind? In der Dialektik von institutionalisierten Lernprozessen, informellen Bildungs- und Aneignungsprozessen entstehen Friktionen, Spannungen und Widersprüche, und Kinder lernen mit den damit verbundenen Spannungen entweder umzugehen oder sie lernen es nicht und können daran auch zerbrechen. Die Autorin geht mit diesen Überlegungen um, zitiert geeignete empirische Forschung und gibt einen Überblick über die Forschungslage.

Kinder bilden sich selbst und es kommt darauf an, Ressourcen als Rahmenbedingungen von Bildung zu vernetzen. Es kommt darauf an, Arbeit und Familie besser zu vernetzen, Arbeitszeiten flexibler zu gestalten und den erhöhten Freizeitmöglichkeiten Rechnung zu tragen. Eine derartige Vernetzung würde Rahmenbedingungen eines guten Lebens und Aufwachsens schaffen. Dies wird vor dem Hintergrund von Armut und Benachteiligung und den damit zusammenhängenden Lebensumständen noch einmal deutlicher, wo das gute Leben so nicht gelingt. Die Autorin geht dann zum Schluss auf spezifische gesellschaftspolitische Herausforderungen und Handlungsebenen ein. Dazu gehören Öffentlichkeitsarbeit und Sensibilisierung, eine spezifische Raumpolitik verbunden mit Sozialraumentwicklung, Schulen, Bildungs- und Betreuungsinstitutionen auf Quartiersebene, Veränderung und Entdecken von Räumen, anstatt Angst zu haben, geschlechterspezifische Raumaneignung, Alltagspraktiken als Lernfelder und schließlich die Stadtplanung und die sozialwissenschaftliche Stadtforschung.

Zu: Partizipation in institutionellen Kontexten (Sabine Fischer)

Die Autorin nähert sich ihrem Thema über die UN-Kinderrechtskonvention von 1979, in der Kindern zugestanden wird, Experten ihrer Belange zu sein, und ein Recht auf Autonomie, Selbstverantwortung und Mitbestimmung zuerkannt wird. Die Autorin klärt dann zunächst den Partizipationsbegriff und lotet das Partizipationspotential bei Kindern und Jugendlichen aus. Wann und wo können sie etwa ihre eigenen Lebensbedingungen mitgestalten und wann und wo machen sie die Erfahrung, als Experten ihrer eigenen Lebenswirklichkeit anerkannt zu sein und als Akteure auf ihre Lebensbedingungen Einfluss nehmen zu können? Dazu bemüht die Autorin zunächst auch die Forschung und geht auf einige empirischen Ergebnisse ein, um dann nach der Beteiligung von Kindern in der Praxis zu fragen. Dabei stellt die Autorin fest, dass Partizipation im Spannungsfeld der gesellschaftlichen Erwartungen und institutionellen Anforderungen ambivalent, wenn nicht sogar widersprüchlich ist. Das Kind im Schonraum den Aufwachsens soll gleichzeitig als kompetenter Akteur wahrgenommen werden. Dies wird ausführlich erörtert.

Zu: Aufwachsen in der Stadt – inklusives Lernen (Daniela Kobelt Neuhaus)

Wie gelingt Inklusion unter den Bedingungen kultureller Vielfalt und Diversität, sozialstruktureller Differenzierung und der Heterogenität der Menschen, die in einem verdichteten Raum einer Stadt leben und aufwachsen? Und vor allem: Was meint Inklusion in der Vielfalt der Diskurse, in denen Inklusion eine Rolle spielt?

Die Autorin beschäftigt sich mit diesen Fragen, erläutert zunächst den Inklusionsbegriff und stellt den Diskursrahmen vor, der in den verschiedenen Disziplinen Bedeutung hat. Diese Diskurse finden einmal vor dem Hintergrund der Feststellung statt, dass Kindheit in der Stadt mit Risiken und Chancen verbunden ist. Zum anderen verweist die Autorin auf eine Reihe von Eigenheiten und Problemen, die mit der Struktur der Stadt und der Dynamik der städtischen Lebensweise verbunden sind. Die urbane Lebensweise ist nicht auf Kinder ausgerichtet, die öffentlichen Räume bieten kaum angemessene Anregungs- und Bewegungsmöglichkeiten, die Lebensräume der Kinder außerhalb der Wohnung sind voller Gefahren und Gefährdungen und führen zu einer Verhäuslichung der Kindheit.

Weiter geht die Autorin auf inklusive Bildung in den Kindertagesstätten und in anderen auf Kinder und Jugendliche ausgerichteten Bildungsangeboten ein. Neben institutionellen Hilfen auf kommunaler Ebene geht es der Autorin aber auch um die Haltung und das entsprechende Bewusstsein. Dabei spielt die Ausbildung von Vorurteilen eine zentrale Rolle. Schließlich geht es um die persönliche Reflexion und Auseinandersetzung mit eigenen Einstellungen und vermittelten Stereotypen. Diese Haltung wird auf der Beziehungsebene, der didaktischen und der professionellen Ebene virulent.

Kinder lernen am Modell – und das ist eine Chance für Inklusion. Inklusion bedarf der Anerkennung und Kinder in der Stadt müssen lernen, mit der Vielfalt der Menschen und Kulturen zurecht zu kommen und mit Fremdheit umgehen zu können. Die für die Stadt typische Diversität, Differenzierung und Heterogenität kann nicht aufgelöst werden, aber ihre Folgen können bearbeitet werden und insofern ist der Sozialraum der Stadt auch immer ein Lernraum.

Zu: Bildung und Kinderarmut (Karl August Chassé)

Nach einer kritischen Sicht auf den 14. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung (2013) geht es dem Autor um einen Überblick über die Kinderarmut in Deutschland und um die Beziehungen von Armut und Alltagsbewältigung, Armut und Gesundheit, Armut und Bildung sowie Armut und sozialer Teilhabe und Persönlichkeitsentwicklung.

Zunächst geht der Autor auf die Armut in Deutschland ein und problematisiert diese im Verhältnis zum Reichtum eines der wohlhabendsten Länder der Welt. Dabei erläutert er auch Definitionen und Messmethoden der Armut. Weiter geht er auf die Lebenslagen armer Kinder als Unterversorgungslagen ein, erkennt auch, dass Kinder mit ihrer Armut anders umgehen als die Erwachsenen und erläutert die Mehrdimensionalität der Kinderarmut.

Im Folgenden geht der Autor ausführlich auf die Themen Alltag und Gesundheit, Bildung und Bildungschancen, soziale Teilhabe und Persönlichkeitsentwicklung ein, und kommt dann zu der kommunalen Ebene und der Sozialen Arbeit. Denn es geht in der Tat um die Frage, wie der unmittelbare Nahraum als Lebensraum der Kinder verändert werden kann – und da ist die kommunale Ebene gefordert, und das auf zwei Ebenen: auf der Ebene der Gestaltung unmittelbarer Wohn- und Lebensverhältnisse und sozialer Räume und auf der Ebene der (sozial)pädagogischen Hilfen. Und es geht um die Frage, wie soziale Verortung gelingen kann, wie also Kinder sich sozial integriert fühlen, Anerkennung erfahren, sich zugehörig fühlen, Vertrauen in die unmittelbare Lebensumwelt haben und das Gefühl haben für andere von Bedeutung zu sein. Auch dies wird ausführlich begründet.

Zu: Interkulturelle Öffnung. Ein Thema auch für die Kinder- und Jugendhilfe (Karin Weiss, Antonio Baranelli)

Wir sind längst zu einer Zuwanderungsgesellschaft geworden. Die Integration unter den Bedingungen kultureller Diversität verändert unser Integrationsverständnis und eine Reihe von Initiativen und Maßnahmen sind mit der Integration in Schule, Beruf, Kindertagestätten beschäftigt. Sind die Regelinstitutionen der Kinder- und Jugendhilfe auch darauf vorbereitet? fragen K. Weiss und A. Baranelli in ihrem Beitrag. Dabei wird zunächst der Diskurswandel in der integrationspolitischen Debatte entfaltet, den man grob als einen Wandel von der Frage nach den Integrationsfolgen zu dem Blick auf die Ressourcen und Potenziale der Zugewanderten beschreiben kann und als einen Wandel zu einer interkulturellen Öffnung.

Die Autorin und der Autor gehen dann auf die Situation der Kinder und Jugendlichen mit einer Migrationsgeschichte in der Kinder- und Jugendhilfe ein und diskutieren Zahlen und empirisches Material und sie gehen kritisch auf deren Interpretationen und Hintergründe der empirischen Entwicklung ein.

Weiss und Baranelli diskutieren dann den Begriff der interkulturellen Öffnung im Zusammenhang mit interkulturellen Kompetenzen. Sie beschreiben dann einige Elemente einer interkulturellen Öffnung wie z.B. die Umsetzung eines interkulturellen Leitbildes in den Organisationen, die Sichtbarkeit dieser Orientierung, Maßnahmen der Personal- und Organisationsentwicklung, die Förderung der interkulturellen Kompetenzen der Mitarbeiter, einen höheren Anteil der Beschäftigten mit einer Migrationsgeschichte u. v.a. Das Gleiche machen sie mit den interkulturellen Kompetenzen, zu denen z.B. das Wissen über fremde Kulturmuster und über Kulturen sowie kulturelle Standards gehört, wie auch das Wissen über Machtasymmetrien und Deutungshoheiten, die Reflexion der eigenen Fremdbilder und viele andere Kompetenzen. Sie gehen dann noch auf das Erkennen der Folgen eigenen Handelns und Barrieren einer interkulturellen Öffnung ein.

Zu: Über Kinderleben in der Stadt: Widersprüche und Impulse (Arnd Götzelmann)

Dieser Beitrag versteht sich als eine reflexive Zusammenschau der voran gegangenen Beiträge zu „Kind sein in der Stadt“. Die Absicht des Autors ist, die Beiträge zu bündeln und auf Widersprüche und Spannungen hinzuweisen, die sich für das urbane Leben eines Kindes ergeben. Dabei weist er auf Aspekte hin, die aus seiner Sicht die Beiträge jeweils prägen und die ein Spannungsverhältnis ausdrücken. Selbstbildung und institutionelle Bildung (Rahn), Aktions- und Beschleunigungsraum (Blinkert), Freiraum und Enträumlichung (Muri Koller), Selbst- und Fremdbestimmung (Fischer), Inklusion und Exklusion (Kobelt Neuhaus), Armut und Reichtum (Chassé), Thematisierung und Dethematisierung von Migration (Weiss, Baranelli). Weiter wird in einigen Beiträgen der Widerspruch von Straßen- und Medienkindheit und der von Interkulturalität und Religionsverlust thematisiert. Diese Spannungsfelder werden im Folgenden ausführlich diskutiert und jeweils mit Impulsen versehen, die sich aus Sicht des Autors aus den Beiträgen ableiten lassen.

Diskussion

Alle Beiträge kreisen um die Frage, wie Kindheit in der Stadt gelingen kann und ob Bildung dazu hilfreich oder gar entscheidend ist. Nicht allen Beiträgen gelingt dabei der Bezug zur Stadt als ein spezifisch geprägter urbaner Raum, dessen Struktur und Dynamik eine spezifische Lebensweise hervorbringt, die wir mit Urbanität umschreiben. Im Grunde thematisieren die meisten der Beiträge das Aufwachsen in einer modernen Gesellschaft mit ihren Spannungen und Widersprüchlichkeiten, mit ihren Ambivalenzen und Kontingenzen, mit ihrer Vielfältigkeit der Lebensstile und Wertvorstellungen. Und die Beiträge thematisieren den Zugang zu Bildung unter den Bedingungen sozialer Ungleichheit und sozialer Benachteiligung. Die Stadt ist sicher Ausdruck dieser modernen Gesellschaft. In der sozialräumlichen Verteilung der Bevölkerung ist sie auch Ausdruck von sozialer Ungleichheit und von sozialer Privilegierung und Benachteiligung. Das muss man aber bei einigen Beiträgen erst herauslesen können.

Die Stadt wird in einigen Beiträgen mit dem öffentlichen Raum gleich gesetzt und die Wohnung und Wohnumfeld werden als wichtige Elemente der Entwicklung diskutiert. Aber das Verhältnis der beiden Bereiche wird nicht analysiert und in der Dialektik von Wohnumfeld und öffentlichem Raum, Privatheit und Öffentlichkeit verstanden. Dieses Verhältnis ist aber konstitutiv für die urbane Lebensweise. Auch der Aspekt wird nicht thematisiert, dass die Stadt als eine historisch gewachsene, von Menschen gemachte und damit veränderbare Welt dem Kind als „fertige“ bebaute und strukturierte Welt erscheint. Daraus entwickelt sich aber ein spezifischer Aspekt von Bildung als eine Verzahnung von institutionellem Wissenserwerb und (informeller Bildungs-)erfahrung, der für die gelingende Entwicklung der Persönlichkeit und Identität für das Stadtkind unentbehrlich ist. Das wird nur rudimentär diskutiert.

Als eine (sozial)pädagogische Hinführung zum Thema Stadt bieten die Beiträge eine breite Palette von Themen, Diskussionsansätzen, Anregungen und Denkanstößen. In den meisten Beiträgen finden wir auch vertiefte theoretische und analytische Zugänge zum Thema Kindheit in der modernen Gesellschaft, einige Beiträge beziehen sich wirklich auf die Stadt als ein spezifisch geprägter urbaner Raum mit seinen Eigenheiten, Widersprüchen, Spannungen, Ambivalenzen, Fremdheiten, Kontingenzen und Unerwartetem, die mit der Vielfältigkeit und Pluralität von Lebensstilen und Wertvorstellungen verbunden ist und die zur Kindheit in der Stadt gehören.

Fazit

Die Beiträge manifestieren die Vielfältigkeit, mit der Kindheit in der Stadt verbunden ist – in der Großstadt noch eher als in der ländlich geprägten Kleinstadt. Und sie zeigen auch, mit welchen Schwierigkeiten Kind sein und Aufwachsen in der Moderne verbunden ist. Die Komplexität des Urbanen wird dort deutlich, wo Kinder mit ihr konfrontiert sind und versuchen müssen, für sich einen Weg zu finden, der gangbar ist und ihnen gut tut. Wenn man die Komplexität erfasst, die die Dynamik der Stadt und der städtischen Lebensweise hervor bringt, bleibt die Frage, ob sie von allen erfasst werden kann und was dazu helfen kann, sie zu erfassen. Bildung – formale und informelle – ist eine notwendige Voraussetzung. Ob sie unter den Bedingungen des Städtischen hinreichend ist, bleibt auch bei der Lektüre diese Buches immer noch offen.

Rezension von
Prof. Dr. Detlef Baum
Professor em. Arbeits- u. Praxisschwerpunkte: Gemeinwesenarbeit, stadtteilorientierte Sozialarbeit, Soziale Stadt, Armut in der Stadt Forschungsgebiete: Stadtsoziologie, Stadt- und Gemeindeforschung, soziale Probleme und soziale Ungleichheit in der Stadt
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Es gibt 172 Rezensionen von Detlef Baum.

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Zitiervorschlag
Detlef Baum. Rezension vom 26.06.2017 zu: Sabine Fischer, Peter Rahn (Hrsg.): Kind sein in der Stadt. Bildung und ein gutes Leben. Verlag Barbara Budrich GmbH (Opladen, Berlin, Toronto) 2017. ISBN 978-3-8474-0653-2. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/18561.php, Datum des Zugriffs 11.09.2024.


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