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Michael Borg-Laufs (Hrsg.): Soziale Online-Netzwerke in Beratung und Therapie

Rezensiert von Prof.in Dr.in Daniela Cornelia Stix, 19.05.2015

Cover Michael Borg-Laufs (Hrsg.): Soziale Online-Netzwerke in Beratung und Therapie ISBN 978-3-87159-917-0

Michael Borg-Laufs (Hrsg.): Soziale Online-Netzwerke in Beratung und Therapie. dgvt-Verlag (Tübingen) 2015. 494 Seiten. ISBN 978-3-87159-917-0. D: 38,00 EUR, A: 39,10 EUR, CH: 50,90 sFr.
Reihe KiJu - Psychologie und Psychotherapie im Kindes- und Jugendalter.

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Thema

Der Herausgeber geht davon aus, dass Kinder und Jugendliche erwarten, von ihren BeraterInnen und PsychotherapeutInnen verstanden und ernst genommen zu werden – auch bezüglich ihrer Nutzung von Sozialen Online-Netzwerken. „Altväterliche Ressentiments in Bezug auf diese inzwischen für so viele Menschen hoch relevante Interaktionsgestaltung sind in einer professionellen Hilfebeziehung fehl am Platz“ (S. 12). Dies, so betont der Herausgeber, bedeute nicht, die Augen vor negativen Auswirkungen und Gefahren zu verschließen, aber vor allem bedeute dies auch, nicht vor lauter Gefahren die positiven Effekte zu übersehen (vgl. S. 13).

Vielmehr seien Beratung und Psychotherapie aufgefordert, sich mit der Lebenswelt Soziales Onlinenetzwerk auseinanderzusetzen um sie zu verstehen und sich in ihr bewegen zu können und letztlich gezielt intervenieren zu können. Dies ist das Ziel des Sammelbands. Die/Der LeserIn erhält einerseits „basales Grundlagenwissen“ und andererseits eine „wissenschafts- und praxisorientierte vertiefte Auseinandersetzungen mit Facebook und Co“ (S. 15).

Aufbau

Der Sammelband ist in drei Hauptteile gegliedert:

  1. Grundlagen und aktueller Erkenntnisstand zu Sozialen Online-Netzwerken
  2. Praxis in Beratung und Therapie
  3. Institutioneller Umgang mit Sozialen Online-Netzwerken.

Es schließt sich ein Anhang an, in dem Marita K. Wambach-Schulz Facebook-Neulinge kleinschrittig in Facebook einführt.

Zu I (Grundlagen und aktueller Erkenntnisstand zu Sozialen Online-Netzwerken)

Ingrid Francisca Reichmayr eröffnet das Kapitel mit ihrem Beitrag Das Medienhandeln von Jugendlichen im Kontext Sozialer Onlinenetzwerke (S. 21-38). Sie verknüpft das jugendliche Medienhandeln mit verschiedenen Entwicklungsaufgaben (Identitäts-, Beziehungs- und Informationsmanagement sowie die Entwicklung von Werten und Einstellungen und Autonomieerfahrungen). Sie appelliert dafür diejenigen zu unterstützen, die die Sozialen Online-Netzwerke nicht für diese Aufgaben nutzen können.

In Medienpessimismus – die ersten 2.500 Jahre: Eine Tour d´Horizon (S. 39-62) greift Klaus Hansen die der Technologie bzw. deren Nutzung zugeschriebenen negativen Konsequenzen seit Beginn des Buchdrucks auf.

Benedikt Eisermann geht in seinem Beitrag Bei Facebook nicht gemeinsam und dazu noch einsam? (S. 63-69) der Frage des Sozialen nach. Ausgehend von Max Webers Definition stellt der Autor fest, dass Facebook-Kontakte durchaus als Sozialkontakte bezeichnet werden können und dass die Facebook-Nutzung nicht zu sozialer Isolation führt.

Im Beitrag Facebook – Konstruktion der Lebenswirklichkeit junger Menschen (S. 71-91) betrachtet Marita K. Wambach-Schulz Facebook aus einer systemtheoretischen Perspektive. Nach der Definition von Systemen, Sinn, Kommunikation und Beobachtung kommt sie zu der Erkenntnis, dass Facebook ein „Kommunikationssystem der besonderen Art“ (S. 79) ist.

Carolin Goldenthal untersucht das Zusammenspiel von Online- und Offline-Identität Jugendlicher (S. 93-110) und stellt fest, dass sich On- und Offline-Aktivitäten stark ergänzen. In einem zweiten Teil zeigt die Autorin auf an welchen Punkte Facebook die Identitätsentwicklung fördern bzw. behindern kann.

Mit Körpersprachlichen Inszenierungen von Frauen auf Facebook (S. 111-135) befasst sich Katja Menzel. Anhand einer eigenen Fotoanalyse von weiblichen Facebook-Profilbildern untersucht sie weibliche Inszenierungen und Darstellungen. Dabei kommt sie zu der Erkenntnis, dass „die Selbstdargestellten sich in erster Linie (mutmaßlich) relativ unreflektiert in ihrer Privatheit präsentieren“ sowie in ihren körpersprachlichen Inszenierungen Frauenbilder idealisieren, so dass „der Ausdruck ‚Selbstdarstellung‘ an dieser Stelle fast nicht sinnvoll erscheint“ (S. 134).

Auf die Besonderheiten des Cybermobbing, Erscheinungsformen, Verbreitung, die Rollen und Motive der Beteiligten sowie rechtliche Möglichkeiten gegen Cybermobbing vorzugehen, gehen Carolin Hentschel & Nadine Kappel in ihrem Beitrag Cybermobbing: Der geteilte Spott (S. 137-166) ein.

Petra Göbbels nimmt in ihrem Beitrag Gender. Jugend und Facebook – wie sich die Geschlechter in Sozialen Online-Netzwerken unterscheiden (S. 167-184) eine geschlechtersensible Perspektive ein. Sie analysiert die Internetnutzung von Jungen und Mädchen sowie deren Selbstdarstellungen und Sprache im Internet. Daraus leitet sie Konsequenzen für eine gendersensible Onlineberatung ab.

Anhand vieler Beispiele die sie im Rahmen einer eigenen Studie sammelte veranschaulicht Olivia Takin in ihrem Beitrag Warum? Motive für das Posten von Statusmeldungen (S. 185-223) vielfältige Anlässe und Motivdimensionen, die Menschen ihre Belange posten lassen.

Zu II (Praxis in Beratung und Therapie)

Carolin Goldenthal überträgt in ihrem Beitrag Soziale Online-Netzwerke im beraterisch-therapeutischen Prozess (S. 227-245) die verschiedenen Phasen des Therapieprozesses auf die Einsatzmöglichkeiten von Sozialen Online-Netzwerken.

Das Thema Peers und Freundschaften sowie Soziale Online-Netzwerke als Möglichkeit diese zu gestalten greift Simone Lüpertz in ihrem Beitrag Das Thema „Freundschaft“ in der Psychotherapie mit juvenilen PatientInnen unter Einbezug Sozialer Online-Netzwerke (S. 247- 262) auf. Die „wertvollen Anhaltspunkte“, die Facebook bei der „Realisierung von Therapiezielen“ (S. 251) liefern könne, zeigt die Autorin in verschiedenen Praxisbeispielen auf.

Der Beitrag Facebook und Krisenintervention bei sich selbst verletzendem Verhalten und Suizidgedanken (S. 263-288) von Iris Schulte-Pankoke ist im wesentlichen ein Erfahrungsbericht. Die Autorin – die die Nutzung auch durchaus kritisch sieht – zeigt, wie die Online-Krisenintervention via Facebook ergänzend in den therapeutischen Prozess eingebettet werden kann.

Mit ältere Menschen und deren Mediennutzung setzt sich Michael Borg-Laufs in Soziale Online-Netzwerke und ältere Menschen (S.289-297) auseinander. Im Fokus des Artikels steht die Stärkung des sozialen Kapitals durch Soziale Online-Netzwerke und die Möglichkeit diese Ressourcen im therapeutischen Prozess einzubeziehen.

Felicita Bergmann liefert in ihrem Beitrag Die Unterstützung aggressiver und impulsiver Jugendlicher bei der Gestaltung ihrer Online-Kontakte (S. 299-332) zum einen umfangreiche Informationen zu dem Phänomen der Cyber-Aggression (Definition, Auftreten, Gefährdung, Besonderheiten). Zum zweiten erhält die/der LeserIn zahlreiche praktische Tipps, Materialien und Methoden für die praktische therapeutische und beraterische Arbeit.

Mit Hilfe für sozial unsichere KlientInnen mittels internetbasierter sozialer Netzwerke (S. 333-350) beschäftigen sich Rebecca Reich, Thomas van Dongen & Paulina Breker. In dem Beitrag geht es um das ängstlich vermeidende Verhalten vor allem bzgl. sozialer Situationen. Es werden Faktoren, die zu sozialer Verunsicherung führen dar- und Soziale Online-Netzwerke als Hilfsmittel vorgestellt. Der Beitrag schließt mit einem Leitfaden für den verhaltenstherapeutisch-pädagogischen Prozess in fünf Schritten.

Wie Soziale Online-Netzwerke genutzt werden um Kontaktregelungen zu umgehen zeigt Julia Bollinger in ihrem Beitrag Problematische Kontakte in sozialen Medien am Beispiel der Situation von Pflegekindern sowie Trennungs- und Scheidungskindern (S. 351-384). Sie zeigt einerseits auf, wie der unkontrollierte und ggf. ungewollte Kontakt Kinder überfordern und Probleme verstärken kann und gibt andererseits Hilfestellungen zum Schutz vor ungewünschten Kontakten (z.B. durch diverse Einstellungen bei Facebook).

Mit der Mobbingprävention und der therapeutischen Arbeit mit Betroffenen setzt sich Svenja Pilipp in Mobbing in Sozialen Online-Netzwerken: Präventive und therapeutische Arbeit mit Betroffenen (S. 385-400) auseinander. Der Beitrag enthält außerdem zahlreiche Informationen über weitere Hilfsangebote.

Martina Schlund fordert eine zeitgemäße Sexualpädagogik. In ihrem Beitrag Sexualpädagogik goes Web 2.0 (S. 401-422) fokussiert sie zum einen den jugendlichen Umgang mit Sexualität im Web und zeigt des Weiteren Möglichkeiten auf wie Sexualerziehung aussehen sollte. Der Beitrag schließt mit einem sexualpädagogischen Leitfaden.

Wie Chatprotokolle in Beratung und Therapie mit Jugendlichen (S. 423-430) eingesetzt werden können veranschaulichen Justine Lang & Michael Borg-Laufs anhand eines Fallbeispiels. Im Fallbeispiel veranschaulichen die Protokolle den Verlauf partnerschaftlicher Auseinandersetzungen und werden zur Reflexion von Emotionen eingesetzt. Aus Grund ihrer Erfahrungen appellieren die Autoren, diese wichtige Bühne sozialer Kontaktgestaltung als selbstverständliche zu begreifen und im Therapieprozess nicht außen vor zu lassen (vgl. S. 430).

Zu III (Institutioneller Umgang mit Sozialen Online-Netzwerken)

Holger Vorstheim beschreibt in seinem Beitrag „Werden Sie unser Fan!“ – Soziale Institutionen auf Facebook: Ja – Nein – Vielleicht? (S. 433-450) die Chancen und Risiken von Fanseiten. Er benennt vorab zu klärende Fragen (Ziele, Zielgruppe, Mehrwert etc.), thematisiert Datenschutz in der öffentlichen Kommunikation und zeigt, wie man gegen Missbrauch und Betrug vorgehen kann.

Mit so genannten „Selbstmordforen“ befasst sich Thilo Alsen in Suizidprävention durch Online-Foren (S. 451-479). Neben den NutzerInnen und Formen der Foren sowie den darin behandelten Themen, richtet der Autor seinen Fokus auf die präventive Arbeit mit den Foren. Dazu stellt er die Ergebnisse einer eigenen Onlinebefragung vor, in der er das Handeln der User untersuchte.

Diskussion

Den Ankündigungen in dem Sammelband „handlungsbezogenes Wissen vermitteln“ und den „aktuellen Wissensstand aufarbeiten“ zu wollen, wird der Herausgeber durchaus gerecht. Insgesamt wird ein breites Spektrum an Themen behandelt, wobei allerdings der Fokus überwiegend auf der therapeutisch-beraterischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen liegt.

Als erfrischend sticht daher auch der Beitrag von Borg-Laufs aus der Menge heraus, da er darin auch die Mediennutzung älterer Menschen – ein bislang relativ wenig thematisiertes Feld – aufgreift. Teilweise redundant wirkten die Einleitungen einiger Beiträge. Sie erörtern sehr grundlegend die Hintergründe von Sozialen Online-Netzwerken und/oder deren Relevanz für die Zielgruppe (vgl. Beiträge von Goldenthal, Göbbels, Bollinger, Vorstheim). In Teil II hätte eine noch stärkere Fokussierung auf die Praxiserfahrungen vorherrschen dürfen. Insbesondere die Beiträge, die sich auf eigene Forschung beziehen (vgl. Beiträge von Takin, Menzel, Alsen), habe ich als besonders bereichernd und spannend empfunden.

Insgesamt sind die Beiträge sowohl in Quantität als auch in Qualität sehr unterschiedlich; wobei sich die Qualität vor allem auf die Tiefe, mit der ein Thema bearbeitet wurde, bezieht (vgl. Beiträge von Eisermann und Wambach-Schulz).

Fazit

Die/Der LeserIn des Sammelbands erhält einerseits Grundlagen- und Hintergrundwissen zu Sozialen Online-Netzwerken im Allgemeinen und Facebook im Speziellen. Andererseits enthält der Sammelband Praxisreflexionen sowie ebenfalls wissenschaftliche Auseinandersetzungen zu relevanten Themen bei der therapeutisch-beraterischen Arbeit mit Facebook und Co.

Das Buch ist in der Reihe Psychologie und Psychotherapie im Kindes- und Jugendalter erschienen und greift überwiegend juvenile Themen auf. Nichts desto Trotz – das betont der Herausgeber – ist das Thema Soziale Online-Netzwerke ebenso für erwachsene Menschen relevant, so dass sich einige Beiträge auch mit Erwachsenen oder älteren Menschen als KlientInnen der therapeutisch-beraterischen Arbeit auseinandersetzen.

Zu empfehlen ist der Sammelband daher grundsätzlich einer breiten Leserschaft: (a) aus unterschiedlichen Professionen (Psychologie, Erziehungswissenschaft, Soziale Arbeit uvm.) (b) aus Wissenschaft oder Praxis, (c) LeserInnen mit Vorerfahrung/-kenntnissen bezüglich Social Media oder „Neulingen“.

Rezension von
Prof.in Dr.in Daniela Cornelia Stix
ist Dipl.-Sozialpädagogin/-arbeiterin (FH) und Medienwissenschaftlerin (M.A.) und als Professorin für Soziale Arbeit an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg tätig. Ihre Arbeitsschwerpunkte umfassen die Themen Digitalität und Digitalisierung der Sozialen Arbeit, Natur- und Erlebnispädagogik sowie die Kinder- und Jugendarbeit.
Website
Mailformular
https://orcid.org/0000-0001-9211-7748

Es gibt 21 Rezensionen von Daniela Cornelia Stix.

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Zitiervorschlag
Daniela Cornelia Stix. Rezension vom 19.05.2015 zu: Michael Borg-Laufs (Hrsg.): Soziale Online-Netzwerke in Beratung und Therapie. dgvt-Verlag (Tübingen) 2015. ISBN 978-3-87159-917-0. Reihe KiJu - Psychologie und Psychotherapie im Kindes- und Jugendalter. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/18592.php, Datum des Zugriffs 11.10.2024.


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