Stiftung Kindergesundheit (Hrsg.): Kinder gesund betreut. Curriculum zur Gesundheitsförderung [...]
Rezensiert von Dr. Cengiz Deniz, 17.09.2015
Stiftung Kindergesundheit (Hrsg.): Kinder gesund betreut. Curriculum zur Gesundheitsförderung in der Kinderbetreuung für Kinder unter drei Jahren. Kallmeyer Verlag (Seelze/Velber) 2014. 360 Seiten. ISBN 978-3-7800-4825-7. D: 59,95 EUR, A: 61,70 EUR, CH: 79,00 sFr.
Thema
Das Handbuch befasst sich mit der Gesundheitsbildung und -förderung von Kindern unter drei Jahren. Es stellt ein Curriculum für Aus-, Fort und Weiterbildung von Erzieherinnen und Erziehern zur Verfügung. Des Weiteren soll das Buch eine Unterstützung zur Umsetzung der Bildungs- und Erziehungspläne der Länder leisten (cf. S. 11).
Entstehungshintergrund
Das Buch wurde unter der Federführung der Stiftung Kindergesundheit (www.kindergesundheit.de) herausgegeben und mit den Mitteln des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) gefördert.
Herausgeberin / Herausgeber
An diesem Werk haben mehrere renommierte Institutionen und Persönlichkeiten mitgewirkt.
- Univ.-Prof. Dr. med. Berthold Koletzko (Gesamtprojektleitung)
- Dipl. oec. troph. Hildegard Debertin
- Tina Pickert, M.A. M.A.
- Dr. med. Astrid Rauh-Pfeiffer, MPH
Staatsinstitut für Frühpädagogik (IFP)
- RDin/Jur. Eva Reichert-Garschhammer (Projektleitung am IFP)
Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL)
- Dr. med. Uta Nennstiel-Ratzel, MPH (Projektleitung am LGL)
Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU)
- Univ.-Prof. Dr. Bernd Belohradsky (Projektleitung Infektiologie)
Weitere Kooperationspartner der Publikation sind:
- Bayerisches Staatsinstitut für Frühpädagogik München (IFP)
- Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL)
- Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU)
- Zentrum für Forschung, Weiterbildung und Beratung (ZFWB),
- Arbeitsstelle für Praxisberatung, Forschung und Entwicklung e.V. (apfe) an der Evangelischen Hochschule (ehs) in Dresden
Entstehungshintergrund
Mit der Verabschiedung des Kinderförderungsgesetzes (KiFöG) im Jahre 2008 wurde Eltern ein Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz ermöglicht. Parallel zu diesem quantitativen Ausbau der Kitaplätze ist das Handbuch entstanden, um der Gesundheitsförderung und der Gesundheitsprävention in der Vorkitazeit einen entsprechenden Stellenwert beizumessen.
Aufbau
Das Handbuch besteht aus sechs Hauptkapiteln und jeweils mehreren Unterkapiteln, diese werden unten nacheinander vorgestellt. Im Unterkapitel „Rahmenbedingungen des Handbuches“ werden die einzelnen Kapitel zusammenfassend inhaltlich wiedergegeben, so kann man sich recht schnell gleich zu Anfang einen Einstieg in die jeweiligen Kapitel verschaffen.
- Einführung in das Handbuch
- Gesundheitsmanagement in der Kita und Kindertagespflege
- Verantwortungsvoller Umgang mit Erkrankungen, Unfällen und Auffälligkeiten
- Gesundheitsbildung mit Kindern
- Bildung und Gesundheit von Anfang an
- Anhang
Inhalt
Zu A Einführung in das Handbuch
In diesem Kapitel wird im Anschluss an Ottawa-Charta der WHO aus dem Jahre 1986 die Haltung vertreten und umfangreich beschrieben, dass Bildung und Gesundheit zu den Menschenrechten zählen, es gilt in der pädagogische Arbeit mit Kindern diese umzusetzen. Dieser Anspruch wird z.B. durch die KIGGS-Studie (2006) untermauert. Eine auf Personal- und Kindergesundheit basierte Kitapraxis fördert die Umsetzung dieses Anspruchs. Das Ziel dieses Kapitels ist die sinnhafte Verknüpfung von Bildung und Gesundheit, was man auch früher gewusst hat, aber mit diesem Handbuch will man die Umsetzung mit vielfältigen Angeboten verstärkt fördern, denn „alle Kitas wollen gute Kitas sein“ (S. 22).
In diesem Rahmen wird darauf verwiesen, dass Organisationsentwicklung und Vernetzung wichtige Kriterien darstellen, um eine erhöhte Wirkung von Bildung und Erziehung in der Betreuung der Kinder unter drei Jahren zu erzielen. Einzelmaßnahmen würden wenig Wirkung zeigen. In diesem Sinne wird Gesundheitserziehung als eine Querschnittsaufgabe gesehen.
Abschließend werden nationale und internationale rechtliche und politische Grundlagen aufeinander bezogen und es wird eruiert, inwieweit diese für Bildungspläne der Länder sowie für die Aus-, Fort- und Weiterbildung genützt werden können.
Das Kapitel schließt mit einer ausführlichen Liste rechtlicher Regelungen für Kita und Kindertagespflege, einer Liste von Initiativen und Netzwerken im Bereich der Gesundheitsbildung.
Zu B Gesundheitsmanagement in der Kita und Kindertagespflege
Dieses Kapitel befasst sich mit Gesundheitsmanagement in der Kita und Kindertagespflege. Im Einzelnen werden die Themen gesundheitsfreundliche Bildungsräume, Hygieneeinhaltung und Umgang mit Lebensmitteln in der Betriebsführung, gesunde Ernährung, Unfallprävention und Sicherheit, gesunder Babyschlaf, Sonnenschutz und Hitze, Zahn- und Mundgesundheit sowie Gesundheit des pädagogischen Personals sehr ausführlich dargestellt.
Das Kapitel verbindet damit mehrere Themen miteinander, die ohnehin zusammengehören. So z.B. wird nicht nur die Gesundheit der Kinder, sondern auch die des Personals mitberücksichtigt. Es handelt sich mit zu den umfangreichsten Kapiteln (87 Seiten) des Handbuches, woraus die Relevanz Themas Gesundheitsmanagement zu erkennen ist.
Als leserfreundlich hervorzuheben sind die vielen zusammengefassten Inhalte in einem Informationskasten, was dazu dient, um einen schnellen Einblick in das jeweilige Thema zu bekommen bzw. auch hilfreich ist, wenn man gezielt einen Überblick zu einem bestimmten Aspekt sich verschaffen möchte.
Zu C Verantwortungsvoller Umgang mit Erkrankungen, Unfällen und Auffälligkeiten
Diesem Kapitel sind ebenso 87 Seiten gewidmet, es werden drei große Themenkomplexe hier besprochen:
- Erkrankung,
- Unfälle und
- Auffälligkeiten.
Dieser Themenkomplex wird durch folgende Unterthemen behelligt:
- Medikamentengabe an Kinder,
- Infektiologie und Impfungen,
- Erste Hilfe,
- Verhalten in Notfällen,
- Früherkennung und Prävention von sprachlicher Auffälligkeiten,
- Früherkennung und Prävention von motorischen Entwicklungsverzögerungen,
- Kindeswohlgefährdung sowie
- Vermeidung eines Schütteltraumas.
Das Kapitel greift auch die demografische Entwicklung in Deutschland auf und thematisiert in diesem Zusammenhang bewusst die Spracherwerbskompetenz von Kindern, die zweisprachig aufwachsen. Für sie wird eine HNO-ärztliche bzw. sprachtherapeutische Abklärung (S. 202) vorgeschlagen, wenn das Kind nach sechs Monaten Kontakt mit der deutschen Sprache immer noch keine deutschen Wörter verwendet, bzw. im Alltag wiederkehrende Aufforderungen nicht versteht. Es gibt jedoch keine Begründung dafür, warum diese so wichtige Maßnahme nur für Kinder mit Deutsch als Zweitsprache empfohlen wird und nicht allgemein für alle Kinder, wobei die hier vorgenommene Differenzierung nicht kritisiert wird, sondern der Fokus liegt auf Umgang mit den Ergebnissen. Es gilt die Sprachförderpraxis in diesem Zusammenhang kritisch-konstruktiv zu hinterfragen, und dabei insbesondere lebensweltliche Kontexte der Familien und der Kinder gezielt zu berücksichtigen.
Aus aktuellem Anlass wird das Thema Kindeswohlgefährdung an dieser Stelle aufgegriffen. Das Kindeswohl bzw. der Umgang mit Kindeswohlgefährdung ist inzwischen u.a. im SGB VIII weitestgehend definiert, aber dennoch handelt es sich um eine Auslegung, insbesondere wenn man die Lebens- und Bildungshintergründe der Beteiligten in die Diskussion einbezieht. Das Thema Kindeswohl kann auf das o.g. Beispiel bezüglich des Spracherwerbes übertragen werden. Die Frage ist demnach: was ist passiert bzw. was wurde unterlassen, dass das Kind trotz sechsmonatigem aktiven Umgang mit der deutschen Sprache nicht in der Lage ist, adäquat Deutsch zu verstehen und zu sprechen. Somit befinden wir uns im pädagogischen Terrain des Kindeswohls. Dieses Thema ist jedoch nicht das Hauptanliegen dieses Handbuches, jedoch hat es auf einen sehr wichtigen Aspekt aufmerksam gemacht, was intensiver zu verfolgen wäre.
Zu D Gesundheitsbildung mit Kindern
Gesundheit ist das höchste Gut, was ein Mensch haben kann, sagt die Volksweisheit, was vermutlich auf informell erworbenes Wissen beruht. In diesem Kapitel wird dieses Thema behandelt. Zunächst werden Bewegung und Stärkung der motorischen Kompetenzen und nacheinander folgende Themen besprochen: Entspannung und Stressbewältigung, Kompetente Begleitung der Körperpflege und Sauberkeitsentwicklung, Stärkung der Kinder im Umgang mit Gefahren und Risiken, Transparente Bildungspraxis: Individuelle Lern- und Entwicklungsdokumentation.
Alle diese Themen sind wichtig. Dennoch soll an dieser Stelle das Thema Individuelle Lern- und Entwicklungsdokumentation besonders gewürdigt werden, da jedes Kind ein eigenständiges Individuum ist und eine spezifische Lernentwicklung vollzieht. Es gilt also das Individuum entsprechend seiner Entwicklung pädagogisch zu fördern, dieser Aspekt wird im Handbuch hinreichend behandelt. An dem für jedes Kind zu führenden Beobachtungsbogen kann die individuelle Entwicklung, aber auch der jeweilige Lern- und Förderbedarf abgelesen werden – diese Aspekte sind vom höchsten pädagogischen Wert.
Zu E Bildung und Gesundheit von Anfang an
Der Einstieg in das Handbuch erfolgte mit dem Thema Gesundheitsförderung und es schließt ab mit Bildung und Gesundheit von Anfang an. Im Abschlusskapitel werden folgende Themen behandelt: Gesundheit als durchgängiges Prinzip im pädagogischen Alltag, Bildungs- und Gesundheitspartnerschaft mit Eltern, Bindung und Beziehung als Voraussetzung für Bildung und gesunde Entwicklung sowie Bessere Bildungs- und Gesundheitschancen durch Kooperation und Vernetzung.
Im Anschluss an Ottawa-Charta der WHO aus dem Jahre 1986 wird resümiert, dass Partizipation im Gesundheitswesen als Schlüsselelement der Bildung, Demokratie und Qualitätsentwicklung zu verstehen ist (S. 259).
Zu F Anhang
Das Werk stellt im Sinne des Titels ein Handbuch zu sein, entsprechende praxisorientierte Kopiervorlagen über Ernährung, Medikation, Bildungs- und Betreuungsvertrag sowie Aus- und Weiterbildung zur Verfügung, die in der Praxis gut genutzt werden können. Es ist eine große Hilfe.
Diskussion
Das Handbuch liefert ein fundiertes Curriculum zur Gesundheitsförderung der Kinder unter drei Jahren. Der hohe Förderbedarf dieser Zielgruppe ist nicht von der Hand zu weisen: Kinder bewegen sich zu wenig, sie konsumieren zu viel Medien, sie werden ungesund ernährt, ihr Knochenwachstum ist instabil, viele von ihnen wachsen in vernachlässigten Sozialräumen auf. In manchen Sozialräumen wird etwa ein Viertel von ihnen jährlich bei der Einschulung zurückgestellt, weil ihre Feinmotorik und Auffassungsgabe den Standards nicht entsprechen. Auf der einen Seite ist der volkswirtschaftliche Aspekt dabei unbedingt zu berücksichtigen, auf der anderen Seite ist genauso so wichtig, wenn zurückgestellte Kinder fragen „warum darf mein Freund in die Schule und ich nicht?“. Wer traut sich zu sagen „du bist nicht schulfähig“. Die Ursachen der schulischen Zurückstellung sind auch in der Wachstumsphase bis zum dritten Lebensjahr zu suchen. Nun ist das keine besondere Erkenntnis. Aber die Tatsache, dass diese Kinder Rechte haben, um von Anfang an gut gefördert zu werden, dass ihr Wohl nicht beeinträchtigt ist, dass sie gesund aufwachsen, ist ein starkes Argument. Der Sachstand kann aber nicht auf der Ebene dieser blasphemischen Feststellung belassen werden. Es sind gute Curriculare Konzepte gefragt, die die Zielgruppen erreichen. Das Handbuch liefert dazu vielerlei Anregungen an. Das Autorenteam hat dieses Thema gut erfasst und es gibt kaum einen Bereich, der nicht hier behandelt worden wäre. Die Frage ist – wie sonst auch sehr oft – die Umsetzung. Insofern sind nicht nur pädagogische Fachkräfte für Kinder unter drei Jahren und ihre Institutionen gefragt, sondern genauso auch z.B. die Sozialverwaltungen in Deutschland. Vielerlei NGOs sind als Kooperationspartner gefragt, um diesen pädagogischen Auftrag vernetzt umzusetzen, dass das Wohl der Kinder nicht beeinträchtigt ist und sie gesund aufwachsen.
Zielgruppen
Mit diesem Handbuch wendet man sich einerseits an Lehrkräfte an Fachschulen / Fachakademien sowie an pädagogisches Fachpersonal in Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege für Kinder unter drei Jahren, andererseits dient es als Grundlage für Aus-, Fort- und Weiterbildung von frühpädagogischen Fachkräften und Tagespflegepersonen (vgl. S. 11).
Fazit
Ohne Zweifel ist das Werk ein ambitioniertes Handbuch für die Praxis - aber auch für die Aus-, Fort- und Weiterbildung der Fachkräfte in der Kinderbetreuung unter drei Jahren. Es werden sehr viele Aspekte unter unterschiedlichsten Sichtweisen miteinander vernetzt, das zeichnet wiederrum die hohe pädagogische Qualität des Handbuchs aus. Dass die o.g. Institutionen und entsprechende fachkundige Persönlichkeiten ihr Bestes gegeben haben, ist nicht zu übersehen bzw. zu überlesen.
Eine Frage ist noch zu beantworten bzw. es resultiert aus dem Handbuch: Gerade Kinder unter drei Jahren werden immer noch überwiegend von ihren Eltern betreut. Die Frage ist insofern, WIE erfahren Eltern von den vielen qualifizierten pädagogischen Ansätzen in diesem Handbuch. Die Frage kann mit Blick auf § 16 SGB VIII (Familienbildung) beantwortet werden: Das Handbuch in der Familienbildung zielgruppenorientiert und modifiziert gezielt nutzen.
Hervorzuheben ist auch, dass jedem Kapitel eine Liste zur weiterführenden Literatur für das jeweilige Thema folgt. Des Weiteren sind vielerlei Checklisten in den einzelnen Kapiteln vorhanden, die ebenfalls eine sehr große Hilfe für die pädagogische Praxis darstellen.
Rezension von
Dr. Cengiz Deniz
Bildung, Beratung und Forschung
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Zitiervorschlag
Cengiz Deniz. Rezension vom 17.09.2015 zu:
Stiftung Kindergesundheit (Hrsg.): Kinder gesund betreut. Curriculum zur Gesundheitsförderung in der Kinderbetreuung für Kinder unter drei Jahren. Kallmeyer Verlag
(Seelze/Velber) 2014.
ISBN 978-3-7800-4825-7.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/18601.php, Datum des Zugriffs 25.01.2025.
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