Johanna Otto, Norbert Sendzik et al.: Kommunales Netzwerkmanagement
Rezensiert von Prof. Dr. Elmar Hinz, 08.08.2016

Johanna Otto, Norbert Sendzik, Hanna Järvinen, Nils Berkemeyer, Wilfried Bos: Kommunales Netzwerkmanagement. Forschung, Praxis, Perspektiven. Waxmann Verlag (Münster, New York) 2015. 224 Seiten. ISBN 978-3-8309-3222-2. D: 29,90 EUR, A: 30,80 EUR, CH: 40,90 sFr.
Thema
Anders als bei anderen öffentlichen Aufgaben ist im politischen System Deutschlands für Schulen eine zweigeteilte Zuständigkeit vorgesehen: Kommunale Aufgabe ist es, Schulen zu bauen, zu erhalten und mit Nicht-Lehrpersonal auszustatten. Zwar beteiligen sich die Länder mit Investitionszuschüssen am Schulbau, in ihren Aufgabenbereich fallen aber hauptsächlich die Ausstattung mit Lehrpersonal sowie die Definition des Unterrichtsstandards u.a. durch Lehrpläne. In einem weiten Qualitätsverständnis, das sämtliche Input-, Prozess- und Output-Faktoren berücksichtigt, wird die öffentliche Leistung Schulausbildung also von Ländern und Kommunen gemeinsam erstellt. Als Dienstleistung ist darüber hinaus zu bedenken, dass mit dem externen Faktor Schüler zudem ein Input in den Produktionsprozess einzubeziehen ist, dessen Mitwirkung nicht unmittelbar beeinflusst werden kann. Andere Aufgaben im Bildungsbereich – insb. Kindergärten – liegen allein in kommunaler Zuständigkeit.
Seit den 1990er Jahren werden in den Verwaltungswissenschaften Ansätze zur Verbesserung der öffentlichen Leistungsproduktion diskutiert: Die Übertragung von Verantwortung und Ressourcen an die Akteure, die die Leistung erstellen, ist ein wichtiges Element davon. In Schulen sind davon das Lehrpersonal bzw. die Schulleitungen betroffen. Veränderungen im deutschen Bildungswesen scheinen zudem ein Kommunales Bildungsmanagement (KGSt 2004) notwendig zu machen.
Zwar ist seit Beginn der Diskussion ökonomischer Steuerungsansätze für die Verwaltung bekannt, dass öffentliche Leistungen häufig in Netzwerken erstellt werden. Aber erst seit der Suche nach Substanz hinter dem Begriff Governance sind Netzwerke und ihre unterschiedlichen Ausprägungen der Steuerung zwischen Markt und Hierarchie verstärkt untersucht worden. Viele dieser Erhebungen beschreiben einzelne Netzwerke in unterschiedlichen Aufgabenfeldern, suchen teilweise Erklärungen und geben manchmal gestalterische Impulse. Häufig sind diese Beiträge jedoch entweder theoretisch-abstrakt oder praktisch-simplifizierend und somit wenig hilfreich zur Gestaltung von Steuerung.
Eine Studie zum kommunalen Netzwerkmanagement im Bildungsbereich – wie im Zusammenhang mit dem Titel der Reihe des vorliegenden Bandes zu erschließen ist – könnte also in mehrfacher Hinsicht ertragreich sein: am Beispiel der öffentlichen Aufgabe Schule könnte untersucht werden, ob zwischen Land und Kommune die Leistungserstellung durch ein Netzwerk besser gesteuert wird. Der freiwillige Anteil der Kommune im Rahmen ihrer Schulträgerschaft würde dabei wachsen. Außerdem wäre zu prüfen, wie weitere kommunale Bildungsaufgaben in dieses Netzwerk integriert werden. Das Autorenteam des Bandes erörtert diese Fragen, indem zunächst die Entwicklung kommunaler Schulträgerschaften programmatisch und empirisch aufgearbeitet wird. In einem zweiten Teil werden Gestaltungsempfehlungen für die Netzwerkarbeit zusammengetragen.
Autorinnen und Autoren
Das Autorenteam setzt sich aus fünf Autoren zusammen.
- Dr. Johanna Otto ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Schulentwicklungsforschung der Technischen Universität Dortmund. Dort befasst sie sich mit Regionalisierung und Netzwerken im Bildungsbereich.
- Norbert Sendzik ist ebenfalls wissenschaftliche Mitarbeiter am Institut für Schulentwicklungsforschung. Seine Forschungsinteressen sind Educational und Regional Governance – auch aus international vergleichender Perspektive – sowie kommunale Bildungsberichterstattung.
- Auch Dr. Hanna Järvinen ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Schulentwicklungsforschung der Technischen Universität Dortmund. Sie befasst sich mit Netzwerken im Bildungsbereich.
- Prof. Dr. Nils Berkemeyer ist Inhaber des Lehrstuhls für Schulpädagogik und Schulentwicklung an der Universität Jena. Er forscht zu Gerechtigkeit und Governance im Schulsystem.
- Prof. Dr. Wilfried Bos ist Inhaber des Lehrstuhls für Bildungsforschung und Qualitätssicherung an der Technischen Universität Dortmund.
Entstehungshintergrund
Der Titel ist als sechster Band in der Reihe „Netzwerke im Bildungsbereich“ erschienen. Am Beispiel des Projekts „Schulen im Team – Transferregion Dortmund“ wird eine schulträgergestützte Schulentwicklung untersucht.
Aufbau
Das Buch ist in zwei Abschnitte aufgeteilt und hat insgesamt 18 Kapitel. Die Kapitel 1 bis 9 (144 Seiten) und damit fast der gesamte erste Abschnitt sind der Dissertation von Johanna Otto entnommen. Mit Literaturverzeichnis und Anhang hat der Text 223 Seiten. Alle Kapitel sind kleinteilig untergliedert.
Inhalt
Im ersten Teil werden die kommunale Schulentwicklung und Handlungsfelder eines kommunalen Netzwerkmanagements erörtert (Kapitel 2 und 3) und am Beispiel des Projekts „Schulen im Team – Transferregion Dortmund“ (Kapitel 4) qualitativ und quantitativ untersucht (Kapitel 6 bis 8).
Neben der deskriptiven Darstellung, wie sich in verschiedenen Bundesländern seit 1997 Schulträger im Rahmen von vier Programmen entwickelt haben, wird im Kapitel 2 die sehr viel stärkere institutionelle Vernetzung von Schulen, kommunaler Ebene und Aufsichtsbehörde am Beispiel des US-amerikanischen Bildungssystems skizziert.
Am Beispiel regionaler Bildungsbüros wird im Kapitel 3 kurz erläutert, dass die deutsche Schul- und Bildungslandschaft als System beschrieben werden kann, das als Netzwerk handelt. Paraphrasierend wird insb. auf einen betriebswirtschaftlichen Ansatz zum Netzwerkmanagement zurückgegriffen, der auf den Untersuchungsgegenstand angewendet und ergänzt wird. Demnach sollen auch durch die Netzwerke der kommunalen Schulentwicklung von regionalen Bildungsbüros Synergien erschossen, Wissen erzeugt und Innovation angestoßen werden. Durch die in einem Netzwerk eingebundenen, unterschiedlichen Interessen sind dabei allerdings immer Spannungsverhältnisse zu bewältigen.
Nach der Beschreibung des Projektes „Schulen im Team – Transferregion Dortmund“ von mehreren Schulen zur Unterrichtsentwicklung in Duisburg und Essen (Kapitel 4) wird das Forschungsinteresse formuliert: Erkenntnisziel ist, wie das mit dem Projekt betraute, von Land und Kommune getragene Regionale Bildungsbüro arbeitet, von den beteiligten Schulen wahrgenommen wird und Erfolge erzielt (Kapitel 5).
In den Kapiteln 6 bis 8 wird sehr deskriptiv über die inhaltsanalytische Auswertung von Arbeitstagebüchern und Lerntandems der Mitarbeiter des Bildungsbüros, Befragungsergebnisse von Lehrkräften der beteiligten Schulen sowie Netzwerktreffen (nichtteilnehmende Beobachtung) berichtet. Der entwickelte Bezugsrahmen zum Netzwerkmanagement wird für den inhaltsanalytisch untersuchten Einzelfall Dortmund bestätigt. Weiter wird hervorgehoben, dass insb. das Veranstaltungsmanagement auch eine konzeptionelle Tätigkeiten ist. Warum dennoch einige der beteiligten Schulen mit den koordinierenden Tätigkeiten des Bildungsbüros unzufrieden sind, bleibt ungeklärt. Ergänzend wird über die Erfolgsbedingungen, nicht den Erfolg zweier von dem Bildungsbüro betreuten Netzwerke aus Dortmund berichtet (Kapitel 7): Kurz gesagt ist dabei alles förderlich, was die Kooperation im Netzwerk begünstigt (u.a. gemeinsame Öffentlichkeitsarbeit, Methoden zur Konsensbildung, klare Aufgabenteilung). Hinderlich sind folglich der fehlende Rückhalt bei den Netzwerkpartnern, fehlende Ressourcen sowie eine zu starke Unterschiedlichkeit der Netzwerkpartner. Ergänzt mit Daten aus Duisburg und Essen wird dann im Kapitel 8 untersucht, ob nicht am Netzwerk beteiligte Akteure wie z. B. andere Lehrer von den Ergebnissen der Netzwerkarbeit profitieren: Für den Transfer scheinen die jeweiligen Vertreter des Netzwerkes vor Ort besonders wichtig zu sein. Allerdings müssen die Ergebnisse vor Ort angepasst werden. Letztlich wird die Tätigkeit des Regionalen Bildungsbüros zwar unterstützend wahrgenommen, bezüglich des Gesamterfolges (Lernleistung der Schüler) bleiben die vor Projektende befragten Lehrer aber zurückhaltend.
So lautet auch das in den Kapiteln 9 und 10 formulierte Fazit, dass Regionale Bildungsbüros zwar die Unterrichtsentwicklung in Netzwerken unterstützen. Für ihre praktische Arbeit wurden aber u.a. mit Hilfe des betriebswirtschaftlichen Ansatzes zum Netzwerkmanagement Optimierungspotentiale identifiziert. Außerdem sei die theoretische Auseinandersetzung fachspezifisch zu vertiefen.
Im zweiten Teil werden praktische Hinweise zum Aufbau schulischer Netzwerke gegeben. In einfachen Worten und direkter Anrede werden z. B. Bewerbungsverfahren für potenzielle Netzwerkpartner (Kapitel 12.1), Netzwerkzusammenstellung (Kapitel 12.2) und finanzielle Ressourcen (Kapitel 12.3) angesprochen. Da sich im ersten Teil Veranstaltungen als besonders wichtig für Regionale Bildungsbüros erwiesen haben, befasst sich das Kapitel 13 mit der Organisation von Veranstaltungen. Nachdem Stolpersteine und Konflikte der Netzwerkarbeit angerissen worden sind (Kapitel 15), werden im Kapitel 16 einige Hinweise zur Öffentlichkeitsarbeit gegeben. Abschließende Erfahrungen der Praxis präsentieren die Autoren als „Anfängerlehrstück“ (S. 193).
Der Anhang zeigt in dem untersuchten Projekt verwendete Materialien.
Diskussion
Nur in Zusammenschau von Buchtitel und Buchreihe erschließt sich, welche kommunalen Netzwerke betrachtet werden. Wie durch den Einband versprochen, enthält der Band zwar theoretische und empirische Erkenntnisse über Regionale Bildungsbüros. Dass aber Teile einer Dissertation um einige Hinweise zur Netzwerkarbeit dieser Bildungsbüros ergänzt werden, erschließt sich dem Leser erst auf den zweiten Blick.
In den untersuchten Netzwerken wird die schulträgergestützte Schulentwicklung auf Unterrichtsentwicklung beschränkt. Jenseits der offenbar teilweise kommunal gestellten Mitarbeiter der Regionalen Bildungsbüros ist der kommunale Schulträger mit seinen Interessen in dem Netzwerk nicht präsent. Die in der Untersuchung fokussierten Akteure sind das Bildungsbüro und die an dem Projekt beteiligten Schulen. Da eine detaillierte Analyse dieses kommunalpolitischen Handlungsfeldes fehlt, bleibt z.B. die Frage unbeantwortet, was Probleme der Schulentwicklung oder der kommunalen Bildungspolitik sind und ob das Netzwerk sie hätte lösen können. Für solche Fragestellungen liegen außerdem in anderen Handlungsfeldern erprobte Analyserahmen wie der akteurszentrierte Institutionalismus vor. Mit der Konzentration auf diese zwei zentralen Akteure stelle sich auch die Frage, warum der Untersuchungsgegenstand überhaupt als Netzwerk betrachtet wird.
Zwar werden zur kommunalen Schulentwicklung einige deutsche Projekte und anglo-amerikanische Entwicklungen skizziert. Unberücksichtigt bleiben die verwaltungswissenschaftliche Wirklichkeit der Schulentwicklungsplanung, eine reflektierte Betrachtung der auf dem Einband angekündigten Dezentralisierungsdebatten im Bildungssystem sowie eine angemessene Aufarbeitung der heute hauptsächlich im anglo-amerikanischen Raum betriebenen Netzwerkforschung. Dort liegen differenzierte Meta-Analysen über die öffentliche Leistungsproduktion in Netzwerken und ihr Management vor (u.a. Popp et al 2014: Inter-Organizational Networks, Koliba et al 2011: Governance networks in public administration and public policy, Milward / Provan 2006: A Manager´s Guide to Choosing and Using Collaborative Networks). Insbesondere werden dort die ebenenübergreifende Evaluation und eine z.B. nach Output und Outcome differenzierte Erfolgskontrolle allgemein beschrieben sowie die Steuerungsmöglichkeiten durch Manager erörtert. Diese Erkenntnisse könnten mit den in dem Titel erwähnten Spezifika auf Regionale Bildungsbüros übertragen werden. Dabei könnte auch berücksichtigt werden, dass betriebswirtschaftliche Ansätze zum Netzwerkmanagement zwar Tätigkeiten des Managements nennen. Die dabei zu Grunde gelegten Annahmen und Theorien ökonomischen Handelns wären aber zu reflektieren: dann lassen sich fördernde und hemmende Faktoren des kooperativen Handelns zwischen Markt und Hierarchie konkret identfizieren.
Das Untersuchungsdesign ist anspruchsvoll, wird methodisch exakt abgearbeitet und fast ausschließlich deskriptiv berichtet. Leider wird nur bisweilen in den Empfehlungen für die Praxis auf die Untersuchungsergebnisse Bezug genommen und der letztlich durch die Untersuchung bestätigte Referenzrahmen für die Praxis nutzbar gemacht.
Zu begrüßen und unbedingt zu vertiefen ist die mit dem verwendeten Referenzrahmen angedeutete, interdisziplinärer Öffnung der Bildungsforschung: zur spezifischen Konkretisierung allgemeiner Erkenntnisse des Netzwerkmanagements ist eine disziplinübergreifende Zusammenarbeit unerlässlich.
Fazit
Wer sich intensiv mit Regionalen Bildungsbüros befasst, wird durch diese Studie ausführlich über das Projekt „Schulen im Team – Transferregion Dortmund“ informiert und erhält so möglicherweise Anregungen, wie Bildungsnetzwerke untersucht werden könnten. Netzwerkforschern kann das reichhaltige Datenmaterial der Kapitel 6 bis 8 für eigene Analysen hilfreich sein. Zwar wird wegen seiner Fokussierung auf ein Projekt dieser Titel für kommunale Entscheidungsträger nicht geeignet sein. An der schulischen Entwicklung durch Unterricht interessierte Praktiker können aber insb. dem zweiten Teil schneller Anregungen zur Netzwerkarbeit entnehmen als der allgemeinen Managementliteratur.
Rezension von
Prof. Dr. Elmar Hinz
Dipl.-Kfm.
Professor für Verwaltungswissenschaften an der FH Nordhausen
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