Joachim Storck, Irmgard Plößl (Hrsg.): Handbuch Arbeit. Wie psychisch erkrankte Menschen [...]
Rezensiert von Dipl.-Hdl. Dr. phil. Klaus Halfpap, 11.05.2015
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Joachim Storck, Irmgard Plößl (Hrsg.): Handbuch Arbeit. Wie psychisch erkrankte Menschen in Arbeit kommen und bleiben. Psychiatrie Verlag GmbH (Köln) 2015. 3., vollständig überarbeitete Auflage. 440 Seiten. ISBN 978-3-88414-593-7. D: 39,95 EUR, A: 41,20 EUR, CH: 53,90 sFr.
Thema
Mit dem neuen treffenden Titel erscheint in dritter Auflage das „Handbuch Berufliche Integration und Rehabilitation“ überarbeitet, aktualisiert und wesentlich erweitert. Der übernommene Untertitel zeigt den thematischen Schwerpunkt nun auch im Kontext der Inklusionsdebatte sowie der jungen Erwachsenen mit psychischen Erkrankungen und aus der Sicht der Arbeitgeber. Es will Leitfaden für alle Experten sein, die an diesem Prozess im allgemeinen Arbeitsmarkt beteiligt sind. Es soll auch Mut machen, „das zu nutzen, was es gibt, notwendige Hilfen einzufordern und auf Qualität zu achten“ sowie Durchhaltevermögen aufzubringen – stellen die Herausgeber in ihrem Vorwort fest.
Autorenschaft
Die 40 Autorinnen und Autoren aus Deutschland und der Schweiz sind in den Bereichen der Wissenschaft und Praxis der Rehabilitation tätig als z. B. Psychologe, als Sozialpädagogin, als Arzt, als Erzieherin und Gestaltungstherapeutin, als Soziologin, als Sozialpädagoge, als Journalistin, als Sozialwissenschaftler, als Professorin für Arbeits- und Organisationspsychologie, als Sportlehrerin, als Sozialarbeiter, als Ergotherapeutin, als Verwaltungswirtin.
Namentlich seien hier nur die Herausgeber (und Autoren) genannt: Joachim Storck u. a. als ehemaliger Geschäftsführer der Gesellschaft für psychosoziale Einrichtungen in Mainz sowie Dr. Irmgard Plößl als Psychologin und Psychotherapeutin in Stuttgart.
Entstehungshintergrund
ist die Inklusionsdebatte und der Versuch, „den aktuellen Stand der ‚Kunst‘ darzustellen, wie es Menschen mit Psychiatrie-Erfahrung gelingen kann, eine (bezahlte) Arbeit zu finden und in Arbeit zu bleiben“ – so die Herausgeber (S. 12).
Aufbau
Die 46 Beiträge sind folgenden Teilen zugeordnet:
- Inklusion, Empowerment, Barrierefreiheit (15 ff.)
- Bedeutung von Arbeit – Grundlagen (41 ff.)
- Die Sicht der Nutzerinnen und Nutzer (103 ff.)
- Die Sicht der Arbeitgeber (129 ff.)
- Rechtliche Rahmenbedingungen und die Sicht der Leistungsträger (169 ff.)
- Methoden und Handwerkszeug der Beruflichen Beratung und Planung (221 ff.)
- Vorbereitung auf Berufliche Teilhabe: Trainingsprogramme und Massnahmen zur Qualifizierung, Beruflichen Bildung und Eingliederung (265 ff.)
- Junge Erwachsene mit psychischer Erkrankung (339 ff.)
- Formen der Beruflichen Teilhabe – angepasste Arbeit (373 ff.)
Weitere Angaben folgen zur Literatur (414 ff.), zu Internetadressen (426 f.), ein Stichwortverzeichnis (433 ff.) sowie einführend im Überblick Downloadmaterialien (10).
Inhalt
Vorangestellt wird der Hinweis, dass in vielen Beiträgen auf z. B. spätere vertiefende bzw. thematisch ähnlich akzentuierte Beiträge verwiesen wird. Ab Teil III werden die jeweiligen Themenaspekte durch ein einführendes Beispiel ausführlich eingeleitet. Verständlich ist sicherlich, dass hier nur einige Themenaspekte wiedergegeben sowie die Namen der Autorinnen/Autoren (außer die der Herausgeber) nicht genannt werden können.
Plößl/Storck fordern in ihrem einführenden Beitrag „Barrieren abbauen – Empowerment fördern“ (16 ff.): ersteres bei der Angst auf Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite, letzteres durch Überwinden der Barrieren und Stärkung der Selbstbefähigung, Zuversicht und Hoffnung geben. Storck legt anschließend klar: „Inklusion ist machbar“ (26 ff.) – insbesondere durch Werkstätten im Wandel und Persönliche Budgets sowie inklusive berufliche Bildung.
Der umfangreiche II. Teil wird mit einem mehrseitigen praktischen Fall eingeleitet, in dem ein später Schwerbehinderter trotz mehrerer psychischer Erkrankungen aufruft, „mutig nach vorne zu schauen und sich gute Unterstützung zu holen“ (44) und einen angemessenen Arbeitsplatz zu finden – wie er beim Integrationsfachdienst (IFD) und mit einer Selbsthilfegruppe. Im dann folgenden ersten Beitrag in diesem Kontext wird die „Bedeutung von Arbeit für psychisch erkrankte Menschen“ herausgearbeitet (46 ff.). Die wichtige Frage „Was ist gute Arbeit?“ wird leider nur sehr knapp beantwortet (55 ff.).Sehr differenziert wird jedoch auf die Frage eingegangen: „Was bringt und hält psychisch erkrankte Menschen in Arbeit? Inklusion durch Supported Employment“ (58 ff.). „Zur Struktur und Entwicklung des Arbeitsmarktes“ (66 ff.), dem „brutalsten Tauschplatz der Welt“, wird geschlussfolgert, dass es immer wieder Chancen gibt auch an „Beschäftigungsmöglichkeiten außerhalb des regulären allgemeinen und besonderen Arbeitsmarktes“ (72) zu kommen. Sehr interessant ist die ausführliche Analyse (auch im historischen Rückblick) der „Erwerbsarbeit für psychisch kranke Menschen im gesellschaftlichen Wandel“ (73 ff.) auf dem Weg zu einer Tätigkeitsgesellschaft (84 ff.). Dieser Teil wird abgerundet mit der Schilderung der „Rehabilitations-Landschaft: Wege, Meilen und Stolpersteine“ (87 ff.), bei der die Integrationsfachdienste besondere Bedeutung haben.
Die Sicht der Nutzenden wird im III. Teil zum Zentrum der Betrachtung – wiederum nach einem ausführlichen Beispiel einer Studentin, die im September 1998 mit 28 Jahren Lehrerin werden wollte – und nun nach ihrem siebten Wiedereinstieg in die Arbeit ab 2001 in einem Wohnheim für psychisch Erkrankte arbeitet (104 ff.). Mit der Anreicherung durch mehrere weitere Porträts wird theoretisch der Frage nachgegangen: „In Arbeit kommen, in Arbeit bleiben – was können Psychiatrie-Erfahrene tun, damit das gelingt?“ (108 ff.). Wichtig ist der Abbau von „Barrieren – im Kopf und in der sozialen Realität“ (117 ff.). Bedeutsam wird zunehmend der „EX-IN-Genesungsbegleiter – ein neues Berufsbild in der Psychiatrielandschaft“ (123 ff.); hinter dieser Abkürzung steht Experienced Involvement, d. h. die „Einbeziehung Psychiatrie-Erfahrener“ (124).
Die Sicht der Arbeitgeber wird im IV. Teil Zentralthema der vier Beiträge nach Schilderung des bisherigen Lebensweges der labilen Petra M. mit manisch-depressiver Erkrankung nach abgebrochenem Studium und einer Ausbildung als Buchhändlerin sowie psychotherapeutischer Behandlung nach 2001 und „moralischem Aufbau“ durch den IFD seit 1999 (130 ff.):
- „Erfahrungen von Arbeitgebern“ – insbesondere der Schweiz – (133 ff.),
- „Arbeitgeber gewinnen, Menschen mit psychischer Erkrankung vermitteln“ (142 ff.),
- „Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen: Sicht eines Unternehmens“ aus Rheinland-Pfalz – insbesondere durch ein betriebliches Gesundheitswesen – (153 ff.),
- „Was Arbeitgeber, Kolleginnen und Kollegen tun können“ - insbesondere z. B. durch das H-I-L-F-E-Konzept oder durch ein „Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM)“ (159 ff.).
Martin M. ist „jung, flexibel und belastbar“ (170 ff.), psychisch krank und instabil, kann fließend Englisch, kam mit einer manischen Episode nach dem Abitur in die Klinik, hat 2007 eine Berufsausbildung zum Bürokaufmann abgeschlossen, war später als SAP-Sachbearbeiter tätig und ist jetzt arbeitslos. Mit diesem hier (auch wieder) sehr verkürzt wiedergegebenen bisherigen Lebenslauf wird der V. Teil eingeleitet. Es folgen die Darstellungen der „Rechtliche(n) Grundlagen der beruflichen Integration von Menschen mit psychischen Behinderungen“ (174 ff.), der Antwort auf die Frage von Storck „Schwerbehindertenausweis: Ja oder Nein?“ (186 ff.), der „Aufgaben und Möglichkeiten des Jobcenters“ (192 ff.) sowie der „Aufgaben und Möglichkeiten der Agenturen für Arbeit“ (203 ff.). Der Beitrag „Unterstützungsleistungen des Integrationsamts“ (212 ff.) rundet diesen Buchteil ab.
Auch Teil VI wird mit der Schilderung eines praktischen Falls von Bärbel L. „Ich will mit Kariere nichts mehr reißen“ begonnen und mit folgenden Beiträgen mit praktischen Bezügen und Konkretisierungen vertieft:
- „Berufliche Beratung für Menschen nach psychischer Erkrankung“ (225 ff.)
- „Arbeitsdiagnostik im Kontext beruflicher Rehabilitation und Integration“ (234 ff.)
- „Hilfe- und Teilhabeplanung im Bereich Arbeit“ (248 ff.)
- „Zusammenhang zwischen Erkrankung, Rehabilitation und Arbeit (ZERA) – ein Schulungsprogramm“ (257 ff.)
„Ich bin seit fünf Jahren Lagerarbeiter in einem großen juristischen Verlag und das soll bis zur Rente in acht Jahren auch so bleiben“ sagt Heinz Z. und „Ich sorge für Ordnung“ (266 ff.). So beginnt das Einführungsbeispiel von Teil VII. „Allgemeine Grundlagen der Rehabilitation“ (269 ff.) mit ausführlichen begrifflichen Erläuterungen sowie u. a. der Darstellung des „Kölner Instrumentariums“ werden bearbeitet. „Arbeit beginnt in der Klinik“ (286 ff.) betitelt das Autorenteam seinen Beitrag danach. Ausführlich werden am Beispiel des Beruflichen Trainingszentrums Köln (BTZ Köln) die „Wiedereingliederung in Arbeit – Methodik und Ergebnisse“ erläutert (296 ff.). Die Erfahrungen zeigen, „dass Menschen mit Psychiatrie-Erfahrung für sich klären können, wie ihre beruflichen Chancen sind“ sowie dass „angemessen bezahlte Arbeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erreichbar ist“ (311). „Berufliche Rehabilitation – dezentral, gemeindenah und modular“ wird am Beispiel der ATRIUM eGmbH in Mainz und anderer Maßnahmen erläutert (312 ff.). Interessant ist, dass im „Berufsbildungsbereich in der Werkstatt für behinderte Menschen“ (323 ff.) „besonderes Augenmerk“ u. a. auf die Kompetenzbereiche sozialkommunikative und personale Fähigkeiten sowie Methodenkompetenz gelegt wird. Die Stärkung der „Integrationsfachdienste – Vermittlung für Menschen mit Psychiatrie-Erfahrung“ (330 ff.) „ist eine wichtige Aufgabe für die Zukunft“ (336), was in einem späteren Beitrag konkretisiert wird: „Das Angebot ‚Übergang Schule-Beruf‘ am Beispiel ZsL Mainz e. V.“ (365 ff.).
Dabei handelt es sich im Teil VIII um das Zentrum für selbstbestimmtes Lernen behinderter Menschen in Rheinland-Pfalz. Vorher wird nach dem in diesen Teil einführenden Fallbeispiel von Melanie W. („Der Zukunft entgegen“) der für manche junge Erwachsene (Melanie ist 25 Jahre alt) problematische Weg in die Arbeitswelt (340 ff.) schwerpunktmäßig bearbeit in den Beiträgen:
- „Der schwierige Weg ins Arbeitsleben“ (343 ff.) - z. B. durch Unterstützung des Beratungscafés ‚unplugged‘ in Mainz -;
- „Aufgaben und Möglichkeiten der Agentur für Arbeit im Übergang zu Ausbildung und Beruf“ (354 ff.).
In Teil IX (Formen der Beruflichen Teilhabe) wird zusammenfassend eingeführt, dass es neben dem ersten Arbeitsmarkt besondere dauerhafte Beschäftigungsformen für diese Menschen geben muss, die einen gemeinsamen Kern haben. „Es geht um Arbeit, um richtige Arbeit. Aber immer gilt: Arbeitsbedingungen und -anforderungen müssen so gestaltet werden, dass sie zu den Menschen passen – so, wie sie sind“ (373). Frank P. - jetzt 45 Jahre alt – berichtet: „Ich bin froh, im Trott zu sein“ (374 ff.). „Unterstützte Beschäftigung – Brücke in den allgemeinen Arbeitsmarkt“ (376 ff.) hat die Vermeidung von Werkstätten zum Ziel (378). „Integrationsbetriebe“ (387 ff.) sind „(fast) normale Unternehmen“: bis Ende 2013 gab es 800 in Deutschland mit 22 000 Beschäftigten, darunter 10 500 mit Behinderung. Der „Integrationsfachdienst – Begleitung für Menschen mit Psychiatrie-Erfahrung“ sowie „Zuverdienstangebote und Zuverdienstfirmen“ (401 ff.) für vor allem dauerhaft erwerbsgeminderte Personen in vielen Bereichen, aber selbstverständlich auch die „Werkstatt für behinderte Menschen – ein besonderer Arbeitsmarkt“ (408 ff.) gehören zu dieser Gruppe der vielfältigen Arbeitsmöglichkeiten für behinderte Menschen.
Diskussion
- Lassen sich die im Behindertenbereich gewonnenen Erfahrungen tatsächlich so verdichtet und verallgemeinernd zusammenfassen, „dass das Modell der ‚männlichen Vollzeiterwerbsbiografie‘ zum gesellschaftlichen Auslaufmodell geworden ist“ (77)?
- Die Autorin fragt im letzten Beitrag „Endstation Werkstatt?“ (411) und beantwortet die Frage sinngemäß mit: nicht unbedingt. Welcher Meinung sind Sie?
Fazit
Durch fast 40 (meist) längere Praxisbeispiele werden die theoretischen und rechtlichen Ausführungen zum Thema des Buches sowie sich daraus ergebende praxisbezogene Anregungen konkretisiert und den dort Tätigen Hilfen für ihre Arbeit gegeben. Umfassend werden Möglichkeiten der beruflichen Rehabilitation und Integration psychiatrieerfahrener Menschen vorgestellt, die zeigen, was möglich ist. Die Sichtweisen der Betroffenen auf allen Ebenen und in den Institutionen werden differenziert dargestellt. Das Buch ist übersichtlich, anschaulich und gut strukturiert verfasst und gestaltet.
Rezension von
Dipl.-Hdl. Dr. phil. Klaus Halfpap
Ltd. Regierungsschuldirektor a. D.
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