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Klaus Pickshaus: Rücksichtslos gegen Gesundheit und Leben

Rezensiert von Prof. Dr. Malte Thran, 01.09.2015

Cover Klaus Pickshaus: Rücksichtslos gegen Gesundheit und Leben ISBN 978-3-89965-609-1

Klaus Pickshaus: Rücksichtslos gegen Gesundheit und Leben. Gute Arbeit und Kapitalismuskritik - ein politisches Projekt auf dem Prüfstand. VSA-Verlag (Hamburg) 2014. 173 Seiten. ISBN 978-3-89965-609-1. D: 16,80 EUR, A: 17,30 EUR, CH: 24,50 sFr.

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Thema

Der Band behandelt unter kapitalismuskritischen Vorzeichen das arbeitspolitische Projekt Gute Arbeit des DGB und dessen Implementierung in verschiedenen politischen Gremien und Prozessen.

Autor

Klaus Pickshaus ist Leiter des Bereichs Arbeitsgestaltung und Qualifizierungspolitik im Vorstand der IG Metall, alternierender stellvertretender Vorsitzender der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin und seit vielen Jahren in verschiedenen arbeitspolitischen Gremien, u.a. der Initiative Neue Qualität der Arbeit und im DGB, aktiv.

Aufbau und Inhalt mit Diskussion

Im einleitenden, ersten Kapitel hält Pickshaus wesentliche Argumente zur Rolle des Arbeits- und Gesundheitsschutzes im Kapitalismus und zu seiner besonderen Implementierung in der deutschen Sozialpolitik fest. Dabei betont er mit Karl Marx, dass der Verschleiß der Arbeitskraft nicht durch individuelle Verfehlungen einzelner Unternehmer bewirkt wird, sondern in den „immanenten Gesetzmäßigkeiten“ der kapitalistischen Produktion begründet liegt (15f). Die systematische Rücksichtslosigkeit gegenüber der nationalen Arbeitskraft, auf deren Erhalt das gesellschaftliche Gesamtkapital angewiesen sei, mache die politische Regulierung des Produktionsverhältnisses notwendig, erfordere gesetzliche Beschränkungen, die Rücksicht erzwingen (17). Mit dem Beispiel der Steigerung der Intensität der Arbeit in Folge der gesetzlichen Festlegung des Normalarbeitstages belegt Pickshaus sein Argument, dass mit den gesetzlichen Schranken keinesfalls die Gründe für eine rücksichtslose Vernutzung von Arbeitskräften beseitigt seien. Den Gewerkschaften schreibt Pickshaus in diesem Kontext eine dekommodifizierende Funktion zu, sie seien ein Beitrag zur Reduktion der Warenförmigkeit der Arbeitskraft. In Deutschland wurden über die gesetzliche Regulierung des Arbeitsschutzes verschiedene rechtliche Akteure installiert, das im Zusammenhang mit dem bundesdeutschen Sozialversicherungssystems den Warencharakter der Arbeitskraft zurücknehme; ein System, das Pickshaus durch neoliberale Entwicklungen und den Finanzkapitalismus (19-21) bedroht sieht.

Die These von der Dekommodifizierung der Arbeitskraft durch Gewerkschaften (18) ist problematisch. Zwar ist in der Tat durch den gewerkschaftlichen Zusammenschluss die Konkurrenzsituation zwischen den Anbietern der „Ware Arbeitskraft“ (zumindest partiell) aufgehoben, was augenscheinlich wird in der gemeinsamen Niederlegung der Arbeit im Streik. So gesehen ist Solidarität ein Kernmerkmal jeder Gewerkschaft, als jede einzelne ArbeitnehmerIn für das gemeinsame Interesse an der Verbesserung von Lohn und Arbeitsbedingungen ihr partikulares Interesse zurücknimmt und zusätzliche Belastungen wie z.B. den Streik als entscheidendes Mittel der Durchsetzung der gemeinsamen Interessen und dessen Finanzierung (Streikkasse) in Kauf nimmt. Den Arbeitsmarkt charakterisiert daher die Besonderheit, dass über Tarifverträge die Macht der Arbeitgeberseite beschnitten ist, Löhne und Arbeitsbedingungen individuell frei auszuhandeln. Mit diesen die ArbeitnehmerInnen vor ruinöser Ausbeutung schützenden Regulierungen wird aber nicht der prinzipielle Warencharakter der Arbeitskraft tangiert, die gewerkschaftliche Korrektur des „ungezügelten“ Arbeitsmarktes lässt sich nicht bruchlos mit der Kategorie der Dekommodifizierung fassen. Denn die Ware Arbeitskraft bleibt nach wie vor der zu handelnde „Gegenstand“, auch wenn die Bedingungen seiner Handelbarkeit eingeschränkte bzw. besondere sind. Werden die Verkaufsbedingungen dieser besonderen Ware im Tarifvertrag geregelt, handelt es sich eben immer noch um eine zu einem fixierten Tarif und einheitlichen Bedingungen zu handelnde – Ware.

Im zweiten Kapitel schildert Pickshaus aktuelle Entwicklungen, die zum Abbau von schützenden Regulierungen und allgemein zur Prekarisierung von Beschäftigungsverhältnissen führten. Indirekte, autonomiefördernde Steuerungsmethoden brächten es mit sich, dass die profitinteressierte Marktorientierung von den Beschäftigten verinnerlicht werde und ein „Arbeiten ohne Ende“ (24) aus der eigenmotivierten Selbstoptimierung der Beschäftigten heraus folge. Zu beobachten sei hier, dass sich „anstelle alter Kommandostrukturen nun des stummen Zwangs der ´Satansmühle des Marktes´ (Polanyi) bedient“ (25) werde. Mit der Unterordnung der Produktion unter ihr äußere Imperative einer shareholder-value-Ökonomie seien kurzfristige Kalkulationen über den Schutz der Belegschaften gestellt worden, zudem bedrohe auch der Wandel des Staates zum Wettbewerbsstaat den Arbeits- und Gesundheitsschutz, der zunehmend als Hindernis in der Standortkonkurrenz betrachtet werde (28).

Im dritten Kapitel widmet sich Pickshaus der „Revitalisierung von Arbeitspolitik“, die mit der Gründung der Initiative Neue Qualität der Arbeit (INQA) und der Entwicklung des DGB-Indexes Gute Arbeit verbunden war. Die Neuausrichtung der Arbeitspolitik wurde notwendig vor dem Hintergrund des Anstiegs der psychischen Belastungen bei der Arbeit, der gesteigerten Autonomie, die neue Belastungen mit sich bringe sowie einer Tendenz zur Prekarisierung von Arbeitsverhältnissen (30f). Das darauf bezogene politische Eingreifen musste, wie Pickshaus schildert, den „technikorientierten“ Arbeitsschutz „durch eine Arbeits- und Organisationsprozessorientierung […] ergänzen“, durch Beteiligungsorientierung „die Betroffenen als Experten in eigener Sache von Beginn an als Veränderungssubjekte“ einbeziehen und drittens der Entgrenzung der Arbeit, vor allem der zunehmenden Aufhebung der Grenzen von Freizeit und Arbeitszeit und damit verbundenen Ausweitung der Arbeitszeit, entgegentreten (32f). Für das gewerkschaftliche Projekt „Gute Arbeit“ wurden dafür zunächst bestimmte Inhalte definiert, die eine gute Arbeit ausmachen, um über Befragungen die Arbeitsqualität aus Sicht der Beschäftigten erfassen zu können.

Zu den definierten Aspekten guter Arbeit gehört auch die Dimension des Einkommens (39, 45). Es ist bemerkenswert, dass in Bezug auf die Qualität des durch abhängige Beschäftigung zu erzielenden Einkommens nie die Kategorie „gut“ benutzt wird, obwohl doch gerade von „Guter Arbeit“ die Rede ist. Stattdessen ist – nicht nur bei Pickshaus - von „ausreichend und verläßlich“ (57), einer „gesicherten und auskömmlichen Erwerbstätigkeit“ (56), einer „leistungsgerechten“ (45) Bezahlung, einem „Niveau“, von dem sich „leben läßt“ (45) die Rede. In Bezug auf die Rente wird diese reduzierte Anspruchshaltung ebenfalls deutlich, denn die Rente solle „zum Leben reichen“ – warum denn nicht die Präzisierung: zu einem guten Leben?

Nichtsdestotrotz ist hier festzuhalten, dass auch die relativierten Ansprüche an die „gute“ Arbeit noch „gegen die neoliberale Ansage ´Hauptsache Arbeit´“ (68) stehen. Denn selbst diese Residualansprüche auf einen kontinuierlichen Verkauf der „Ware Arbeitskraft“, für den es das dauerhafte Einkommen, den Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit, die Möglichkeiten zur Weiterbildung etc. brauche, werden in der betrieblichen Wirklichkeit bzw. auf dem Arbeitsmarkt, wie es nicht nur der DGB-Index Gute Arbeit dokumentiert, meist nicht oder nur unzureichend verwirklicht. Die Ergebnisse sind ernüchternd: Pickshaus zitiert eine INQA-Studie, die ergab, dass 84% der ArbeitnehmerInnen in ihrem eigenen Beschäftigungsverhältnis ein „bedenklich hohes Fehlbeanspruchungsniveau“ erkennen und mit ihm „kein existenzsicherndes Einkommen“ gewährt bekommen (38). Bezugnehmend auf den Buchtitel muss man dies zurecht als (neue oder alte?) „Rücksichtslosigkeit“ gegen „Gesundheit und Leben“ bezeichnen, und so wird auch deutlich, dass sich hinter dem harmonisch klingenden „Fahnenwort“ „Gute Arbeit“ faktisch ein gewerkschaftlicher Abwehrkampf verbirgt, der sich „gesundheitsgefährdenden und sozial unverträglichen Arbeits- und Leistungsbedingungen“ (70) entgegenstellt.

Das vierte Kapitel behandelt „Gute Arbeit als politisches Projekt.“ Hier weist Pickshaus zunächst die unter Schlagworten wie „Wettbewerbsvorteil Gesundheit“ (49) vorgetragenen „erweiterten Wirtschaftlichkeitsrechnungen“ als zielführende Strategie, den Arbeits- und Gesundheitsschutz voranzubringen, zurück. Im Rahmen dieser idealen, um den profitfördernden Faktor Gesundheit „erweiterten“ Kalkulationen werden die Gesichtspunkte Profit und Gesundheit zur Übereinstimmung gebracht. Pickshaus wendet dagegen ein, dass aus einzelbetrieblicher Sicht Gesundheit stets ein „problematischer Kostenfaktor“ bleibe, da „einzelbetriebliche und gesamtgesellschaftliche Rationalität […] nicht deckungsgleich“ (49) seien. Er kritisiert die „wettbewerbspolitische Vereinnahmung“ (50), die „den Arbeitsschutz einem kurzfristigen, betriebswirtschaftlichen Kosten-Nutzen-Kalkül“ (50) unterwerfe. Die Vereinbarkeit von Arbeitsschutz und Rentabilität könne also nicht – bzw. zumindest nicht prinzipiell – so erreicht werden, dass Gesundheit in die einzelwirtschaftliche Rechnung hineinkalkuliert werde. Vielmehr bedürfe es gewerkschaftlichen Widerstands und staatlicher Eingriffe, um dem Arbeits- und Gesundheitsschutz gegen betriebliche Kalkulationen Geltung zu verschaffen. Eine Vereinbarkeit der Interessen von Kapital und Arbeit sei also durchaus möglich, lasse sich aber eben nur auf der Ebene der genannten „gesamtgesellschaftlichen Rationalität“ (49) erreichen; diese könne dann nurr in der Form einer dauerhaften staatlichen Verpflichtung der einzelnen Betriebe realisiert werden. In diesem Kontext brauche es eine „Arbeitspolitik von unten“ (52), in der Betriebsräte als „geschützte individuelle und kollektive Reflexionsräume“ (53) eine zentrale Rolle spielen und ArbeitnehmerInnen als Experten ihrer Arbeit u.a. über „Gesundheitszirkel“ und aktivierende Befragungen (55) bei der Gestaltung ihrer Arbeit mitbestimmen können.

Vor dem Hintergrund von Ergebnissen der Beschäftigtenbefragung der IG Metall über Entgrenzung der Arbeit – ein Ergebnis: 51% der Befragten klagten über Arbeitshetze und Zeitdruck – werden mögliche arbeitspolitische Strategien diskutiert. Für diese sei eine „Machtressourcenverstärkung“ der Gewerkschaft unabdingbar (67), wobei Pickshaus unter Bezugnahme auf verschiedene Sozialwissenschaftler betont, dass diese Macht nicht gegen, sondern in politischen Entscheidungsprozessen betätigt werde. In der „institutionellen Macht“ (67) verfügten die Gewerkschaften über eine eigenständige Machtressource, die es durch Kommunikationsarbeit zu stärken gelte. Dies bringe allerdings auch das Risiko der Vereinnahmung mit sich, mit dem kommunikativen Erfolg des Projekts „Gute Arbeit“ gehe auch eine „Instrumentalisierung“ (70) bzw. eine „Enteignung des Begriffs“ (47) einher; gegen diese müsse auf dem ursprünglichen Gehalt des Konzepts Guter Arbeit beharrt werden. Im Anschluss werden drei unterschiedliche arbeitspolitische Strategien typologisiert – der Cost-Cutting-Ansatz, der „Wettbewerbsfähigkeit durch weniger Kosten, insbesondere Arbeitskosten, zu realisieren sucht“ (72) und allgemein zu wenig zufriedenstellenden sozialpolitischen Ergebnissen führe; der „innovations- und wettbewerbsorientierte Ansatz“ (73), in dem Produktivität durch Innovationen gesteigert werden solle und somit auch Kriterien der nachhaltigen Beschäftigungsfähigkeit mitberücksichtigt würden; der „arbeitskraftzentrierte Ansatz“ (74) schließlich gehe „von unten“ aus und ziele darauf ab, die Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten zu optimieren. Pickshaus favorisiert den arbeitskraft-zentrierten Ansatz, der der Gute-Arbeit-Strategie zugrunde liege.

Im fünften Kapitel werden aktuellen Entwicklungen auf das Konzept Gute Arbeit bezogen. Dabei wird in Bezug auf Folgen der Finanzkrise die Demokratisierung der Wirtschaft als Weg der Krisenintervention bestimmt (79), es bedürfe einer „Demokratiepolitik am Arbeitsplatz“ (80). Die arbeitspolitische Strategie der Guten Arbeit müsse zudem die modernen Entgrenzungssymptome wie das mit hoher medialer Aufmerksamkeit betrachtete Phänomen „Burnout“, das stellvertretend für einen Anstieg der psychischen Belastungen bei der Arbeit steht, miteinbeziehen. Für Pickshaus liegt, unter Bezugnahme auf den Stress-Report der BAuA, dieser Anstieg in autonomiefördernden Managementstrategien begründet, zudem in Stress durch verdichtete Arbeitsprozesse (84), in „Termin- und Leistungsdruck“ sowie in Multitasking, Monotonie und ständigen Unterbrechungen des Arbeitsprozesses (82f). Betriebliche Gesundheitsförderung nimmt im Rahmen der Gute Arbeit Strategie eine wichtige Rolle ein, die Beteiligungsorientierung bei Gefährdungsbeurteilungen wird allerdings noch erschreckend selten umgesetzt. Eine DGB-Index Befragung aus dem Jahr 2008 ergab, dass nur bei 29% der befragten Beschäftigten überhaupt eine Gefährdungsbeurteilung vorgenommen wurde (93)! Wobei, dies ist wichtig zu betonen, in Betrieben mit Betriebsrat bzw. Personalrat mehr als doppelt so häufig Gefährdungsbeurteilungen durchgeführt wurden als in Betrieben ohne Betriebsrat (93). Psychische Belastungen wurden dabei noch seltener erfasst, und gerade für die Ermittlung dieser steigenden Gefährdungen der ArbeitnehmerInnen sei logischerweise Beteiligungsorientierung unbedingt notwendig (95).

Mitbestimmung der Beschäftigten brauche es auch, wenn „Restrukturierungen“ umgesetzt werden, die aus arbeitspolitischer Sicht, auch unter Bezugnahme auf den im Arbeitsschutzgesetz definierten Präventionsvorrang, nicht erst nach ihrer Umsetzung, sondern von vorneherein auf ihr Gefährdungspotential für ArbeitnehmerInnen hin betrachtet werden müssten (103). Weitere Herausforderungen für die Arbeitspolitik erkennt Pickshaus in der Abwehr von Verlängerungen der Arbeitszeit, die angesichts des erreichten Standes der Intensität der Arbeit in hohem Maße die Gesundheit der Beschäftigten gefährdeten. Auch neue, entgrenzende Arbeitszeitformen werfen Regulierungsbedarfe auf, und auch hier könne eine „Grenzziehung nur mit aktiven Einsatz der Beschäftigten“ (110) umgesetzt werden. Prekarisierung der Arbeit schließlich sei auch eine bedrohliche Entwicklung, schlechte Bezahlung und befristete Beschäftigung führen zu Stress und psychischen Belastungen der Beschäftigen (114).

Die aus seiner Analyse abgeleiteten Anforderungen an Arbeitsschutzstandards und regulierende Interventionen erläutert Pickshaus im sechsten Kapitel. Hier wird zunächst konstatiert, dass seit den 80er Jahren die Deregulierung der Arbeit im Zuge „neoliberaler Deregulierungsreformen“ (124) stattfinde, zu der auch die „Erosion der Tarifverträge“ (124) zu zählen sei. Wichtig ist dabei der Hinweis, dass hier nicht von einer Globalisierung als namenlosem Sachzwang ausgegangen werden könne, der unmittelbar Arbeitsprozesse verändere, diese werden „durch die Politik und die Akteure der Unternehmenspolitik“, weshalb diese auch die „Adressaten für notwendige Schutzregelungen“ bleiben, „die die Gesellschaft ihnen ´aufzwingen´ muss.“ (126) Flexibilisierung der Arbeit, die über befristete Beschäftigungsverhältnisse ebenso wie in Bezug auf Arbeitszeit z.B. mit Arbeitszeitkonten umgesetzt wurden, braucht arbeitspolitische Regulierung, die „sich durchaus positiv auf Flexibilisierung beziehen“ (137) kann, um sie mit den Bedürfnissen nach selbstbestimmter Arbeits(zeit)gestaltung der Beschäftigten zu vereinbaren. Aktuelle arbeitspolitische Maßnahmen wie die Anti-Stress-Initiative und die Kampagne „Gute Arbeit – gut in Rente“ werden des Weiteren vorgestellt.

Im siebten Kapitel schließlich betont Pickshaus die Wichtigkeit und Aktualität von Kapitalismuskritik.

Insgesamt werden in dem Werk aus einer gewerkschaftsorientierten Perspektive eine Vielzahl von spannenden Fragen aufgeworfen und unterschiedliche, ergänzende theoretische Ansätze auf Aspekte des Projekts „Gute Arbeit“ bezogen, deren umfassende Diskussion hier den Rahmen dieser Rezension sprengen würden. So wäre es u.a. auch interessant, das Verhältnis von „Finanzmarkt-Kapitalismus und seinem Shareholder-Value-Regime“ (71) und Realwirtschaft und seine Auswirkungen auf die Qualität der Arbeit näher zu diskutieren, die These von der „Dominanz der Kurzfristökonomie“ (31) zu reflektieren und die unterschiedlichen arbeitspolitischen Strategien sowie die Strategien zur Verbesserung gewerkschaftlicher Einflussnahme auf die politische und ökonomische Gestaltung von Arbeitsprozessen in Hinblick auf gewerkschaftliche Macht und deren Grenzen zu betrachten.

Fazit

Klaus Pickshaus leistet nicht nur eine detaillierte und kenntnisreiche Darstellung der Strategie Gute Arbeit im Kontext aktueller arbeits- und sozialpolitischer Entwicklungen in Deutschland, die er mit kapitalismuskritischen Diskursen verbindet. Er liefert vor allem auch ein wichtiges Plädoyer dafür, dass ein zeitgemäßes Verständnis von Arbeits- und Gesundheitsschutz (als Kernfrage „Guter Arbeit“) nicht als leidige Pflicht betrachtet werden darf, die externen Experten überlassen bleiben könne, während die Beschäftigten von diesem Projekt immer nur – im positiven oder negativen Sinne – betroffen sind. Wenn man das Ziel der Beteiligungsorientierung ernst meint, dann braucht es nicht nur eine Aktivierung und Einbeziehung der ArbeitnehmerInnen für die Beurteilung und in die Gestaltung ihrer Arbeit. Es braucht dazu auch, dies zeigt die Analyse deutlich, eine Fundierung dieser Partizipation auf der Basis von gesundheitsbezogenen Präventions- und Handlungskompetenzen, um Belastungen zu erkennen und sie im Sinne der ArbeitnehmerInnen bewältigen zu können. Zu diesen Kompetenzen kann meines Erachtens auch ein kritisches Grundwissen über die Entstehung von Gefährdungen in modernen Arbeitsprozessen gezählt werden. Pickshaus stellt dabei einen möglichen Weg dar, wie aus gewerkschaftlicher Sicht über die Nutzung von Beteiligungsinstrumenten eine „Widerstandsperspektive“ (157) entwickelt werden kann, die sich den „Zumutungen für die menschliche Arbeitskraft“ (156) entgegenstellt, um eine für alle Beschäftigten gute Arbeit zu erreichen. Die Zielstellung wird dabei klar formuliert: „Es geht um ein neues und erweitertes Verständnis von Mitbestimmung und Beteiligung im Sinne einer Wirtschaftsdemokratie.“ (158)

Rezension von
Prof. Dr. Malte Thran
Professur für Sozial- und Kulturpolitik, Fachbereich Soziale Arbeit.Medien.Kultur, Hochschule Merseburg

Es gibt 4 Rezensionen von Malte Thran.

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Zitiervorschlag
Malte Thran. Rezension vom 01.09.2015 zu: Klaus Pickshaus: Rücksichtslos gegen Gesundheit und Leben. Gute Arbeit und Kapitalismuskritik - ein politisches Projekt auf dem Prüfstand. VSA-Verlag (Hamburg) 2014. ISBN 978-3-89965-609-1. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/18720.php, Datum des Zugriffs 20.09.2024.


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