Paul Ackermann, Ragnar Müller: Bürgerhandbuch. Politisch aktiv werden [...]
Rezensiert von Prof. Dr. Wolfgang Berg, 05.08.2015
Paul Ackermann, Ragnar Müller: Bürgerhandbuch. Politisch aktiv werden - Öffentlichkeit herstellen - Rechte durchsetzen. Wochenschau Verlag (Frankfurt am Main) 2015. 4., überarbeitete und erweiterte Auflage. 312 Seiten. ISBN 978-3-7344-0107-7. D: 26,80 EUR, A: 27,60 EUR, CH: 36,90 sFr.
Thema
„Demokratie heißt, sich in die eigenen Angelegenheiten einzumischen“ (Max Frisch). Wenn Bürgerinnen und Bürger ihre Interessen verfolgen wollen, brauchen sie Wissen darüber, wo und wie sie sich an Meinungs- und Willensbildungsprozessen beteiligen können.
Autoren
Dr. Paul Ackermann war Professor an der PH Ludwigsburg, Dr. Ragnar Müller ist Geschäftsführer einer Nichtregierungsorganisation (Agora Stuttgart).
Entstehungshintergrund
Nachdem das Handbuch 1998 erstmals erschienen ist, liegt es nun überarbeitet und erweitert in der 4. Auflage vor.
Aufbau
Nach einer Einführung zum Begriff des Bürgers folgen 13 Kapitel, sog. Bausteine, die Basiswissen und Handlungsmöglichkeiten (sog. Tipps zum Tun) enthalten. Dabei sind die Bausteine teils mehr auf Themen (Menschenrechte, Extremismus. Nachhaltigkeit), teils auf Handlungsformen (Medien nutzen, Öffentlichkeit herstellen), teils auf bestimmte Teilhabestrukturen (kommunale Planung, Bürgerhaushalt) ausgerichtet. Zwei Bausteine widmen sich der unmittelbaren Praxis in Verbänden, Vereinen, Bürgerinitiativen.
Inhalt
Ausgangspunkt ist die Feststellung, dass Bürgerinnen und Bürger nicht nur über die Rechte (und Pflichten), die sich aus der Staatsangehörigkeit ergeben, sondern auch auf der europäischen und globalen Ebene, im Internet und als Verbraucher politisch aktiv sein können. Neben die institutionellen Formen der Partizipation, von der Petition bis zur Volksabstimmung, sind viele andere legale (Demonstration) wie auch illegale (Besetzung, Blockade) getreten. In der Bundesrepublik Deutschland sind Volksabstimmungen auf kommunaler Ebene möglich, auch in den Landesverfassungen vorgesehen, auf Bundesebene nur in einem Ausnahmefall (Neugliederung des Bundesgebietes).
Schon lange, auch im Zuge der Globalisierung, ist eine Zivilgesellschaft entstanden, die Lobbies, Vereine, Verbände und Nichtregierungsorganastionen umfasst.
Der Bürger und die Bürgerin haben vielfach mit Verwaltungsvorgängen zu tun, Behörden sorgen für Ordnung, erbringen Leistungen, erarbeiten Planungen. Die „Bürokratie“ ist an Recht und Gesetz gebunden, jeder Verwaltungsakt braucht eine gesetzliche Grundlage. Der sog. Bürgerhaushalt ist ein Ansatz von Transparenz, der die Expertise der Bürgerschaft nutzen und deren Vorschläge berücksichtigen soll.
Nachhaltigkeit ist der verantwortliche Umgang der heutigen Generation mit den begrenzten Ressourcen dieser Erde. Für künftige Generationen muss die Substanz erhalten, nur die Erträge dürfen verbraucht werden. Entwicklung wird oft als ökonomisches Wachstum missverstanden.
In jedem Baustein erklären so die Autoren die Sachlage, etwa Strukturen und Prinzipien, um sodann die Handlungsmöglichkeiten des Bürgers und der Bürgerin anzuzeigen. Dazu gehören die rechtlichen Möglichkeiten (von der Verfassungsbeschwerde bis zur Klage vor dem Verwaltungsgericht). Ausführlich erklären sie die Möglichkeiten, sich im Netz gründlich zu informieren (mehrere Suchmaschinen nutzen!), sich zu organisieren (Verband) und zu agieren (Inhalte in Facebook teilen, durch Blogs Themen setzen usf.).
Diskussion
Das vorliegende Bürgerhandbuch präsentiert – übrigens in gut lesbarer, gefälliger Form – Basiswissen, einem Sozialkundebuch ähnlich. Das gilt auch für viele Schaubilder (z.B. Wappen und Hauptstädte der Bundesländer). Es bleibt dabei jedoch keineswegs bei der Institutionenkunde stehen, sondern geht auch auf die Bürgergesellschaft ein.
Die europäische Ebene wird häufig erwähnt, aber nicht wirklich inhaltlich erfasst (Was ist „REACH“?). Der Vergleich der EU mit dem Schnabeltier ist völlig unpassend; um die Mitwirkung von Regierungen an der Gesetzgebung zu erklären, hätte der Hinweis auf den Bundesrat genügt.
Manche Beteiligungswege werden zu knapp abgehandelt oder gar nicht gewürdigt, so etwa die Betriebs- oder Personalräte, Beiräte in Kindergärten und Schulen, Kinder- und Jugendhilfeausschüsse, Seniorenbeirat etc. Die Ratschläge im Umgang mit Behörden haben leicht servilen Anklang.
Gerade da, wo die Bausteine inhaltliche Bedeutung haben, ziehen sich die Autoren auf Literaturlisten zurück. Während sie zurecht darauf hinweisen, dass man mit dem Verbot rechtsextremer Parteien sensibel und vorsichtig umzugehen habe, bieten sie Handlungsmöglichkeiten nicht explizit an. Was tun gegen Neo-Nazis? Was ist mit Gegendemonstrationen (auch Lichterketten, Rock gegen Rechts usf.)? Leider im Literaturverzeichnis versteckt ist der Hinweis auf Argumentationstrainings! Demokratische Akteure setzen doch auf Aufklärung, Rationalität, Deliberation.
Andererseits ist es natürlich auch praktisch, für Details vielfach auf Publikationen der Bundeszentrale für Politische Bildung zu verweisen, die meist auch online verfügbar sind. Häufig werden auch Publikationen des Wochenschauverlags empfohlen oder dessen Grafiken verwendet.
Sehr zu loben ist die lockere, anregende Seitengestaltung, auch mit Zitaten, farbig unterlegt die Auszüge aus dem Grundgesetz. Manche Karikatur ist entbehrlich, das Register überaus nützlich.
Schließlich stellt sich die Frage, an wen sich das Handbuch richtet. Es ist zweifelsohne eine gute, solide Zusammenschau.Wer aktiv ist oder werden will, weiß freilich schon, weshalb und damit meistens wo und wie. Maßgeblich sind ja immer die Ziele, Werte, Interessen, Überzeugungen, für die sich jemand engagiert.
Fazit
Das vorliegende Handbuch ist eine gut lesbare Übersicht über die Möglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger, sich für die eigenen Überzeugungen und Interessen einzusetzen.
Rezension von
Prof. Dr. Wolfgang Berg
Hochschule Merseburg
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Es gibt 128 Rezensionen von Wolfgang Berg.
Zitiervorschlag
Wolfgang Berg. Rezension vom 05.08.2015 zu:
Paul Ackermann, Ragnar Müller: Bürgerhandbuch. Politisch aktiv werden - Öffentlichkeit herstellen - Rechte durchsetzen. Wochenschau Verlag
(Frankfurt am Main) 2015. 4., überarbeitete und erweiterte Auflage.
ISBN 978-3-7344-0107-7.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/18740.php, Datum des Zugriffs 06.12.2024.
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