Janine Radice von Wogau, Hanna Emmermacher et al. (Hrsg.): Therapie und Beratung von Migranten
Rezensiert von Dipl.-Sozialwirt Prof. Roderich Kulbach, 26.10.2004

Janine Radice von Wogau, Hanna Emmermacher, Andrea Lanfranchi (Hrsg.): Therapie und Beratung von Migranten. Systemisch-interkulturell denken und handeln. [Praxishandbuch]. Beltz Psychologie Verlags Union (PVU) (Weinheim) 2004. 279 Seiten. ISBN 978-3-621-27542-2. D: 34,90 EUR, A: 35,90 EUR, CH: 59,00 sFr.
Einführung in das Thema
Migration, also Zu- und Abwanderung sind ein konstitutives Merkmal entwickelter Industriegesellschaften. Trotz unendlicher Vielfalt der Motivationen und Hintergründe für eine Migration lassen sich über kulturelle Grenzen hinweg Regelhaftigkeiten in den Prozessverläufen der Anpassung und emotionalen Verarbeitung feststellen. Wichtig ist es, auf die Anfangsmotivation für Migration zu verweisen, die in der Regel als aktiver Schritt zur Problembewältigung zu bezeichnen ist: Notbeseitigen, gesellschaftliche Zwänge abschütten, Risiken eingehen usw. Hohen Erwartungen folgen jedoch nicht selten Enttäuschungen. Die vorliegende Schrift behandelt nicht nur diese Enttäuschungen und den therapeutischen Umgang mit ihnen sondern liefert auch Erklärungen und theoretische Zugänge zu systemischer interkultureller Beratung und Therapie.
Aufbau und Inhalt
Das Buch ist als Praxishandbuch konzipiert und soll dazu beitragen, die Entwicklung interkultureller Fähigkeiten und Kompetenzen auf eine breitere Basis zu stellen. Die Autorinnen und Autoren sind ausgewiesene Fachleute aus dem sozialen- bzw. medizinischen-therapeutischen Bereich. Sie kommen aus Deutschland und der Schweiz. Die Schrift ist in einen Grundlagenteil und einen Praxisteil gegliedert.
Im Grundlagenteil werden Informationen unter anderem zu folgenden Gebieten gegeben:
- Systemisch-interkulturelles Denken und Handeln
- Migration und Integration
- Systemische Theorien in interkultureller Beratung und Therapie
- Umgang mit Kultur und interkultureller Kompetenz in der Beratung
- Zur Bedeutung der Sprache
- Zum (mangelhaften) Zugang von Migranten zum Gesundheitssystem.
Die Praxisfelder reichen von der interkulturellen Sozialarbeit über die Beratung in Ehe-, Familien- und Lebensfragen bis zum schulpsychologischen Dienst oder die Psychiatrie. Fallbeispiele verdeutlichen vielfach die Vorgehensweise. Die Beiträge geben einen guten Überblick über die besonderen interkulturellen Herausforderungen in den ausgewählten Praxisfeldern sowie über die entsprechenden Auswirkungen auf die Aufgabenvielfalt bzw. strukturellen Gegebenheiten. Die Auswahl der Gebiete erscheint jedoch etwas zufällig. So überwiegen Spezialdienste für Zugewanderte. Mitarbeiterinnen aus Regeldiensten, wie den städtischen Beratungsstellen für Eltern, Kinder und Jugendliche können jedoch auch von der Schrift partizipieren, werden aber immer auf ihre besondere Situation verweisen. Diese ist vor allem dadurch gekennzeichnet, dass KlientInnen mit Migrationshintergrund selten den Weg zu ihnen finden. Beispiele, wie hier Abhilfe geschaffen werden kann, hätten dieses Teil des Buches bereichert.
Diskussion
Gerade in letzter Zeit sind viele Beiträge als Buch oder Artikel zur systemischen Vorgehensweise bei Beratung und Therapie von Migranten und Migrantinnen erschienen. Offensichtlich bietet diese Methode besonders erfolgreiche Zugangswege auf diesem Gebiet. Dies ist auch leicht einzusehen, bezieht doch die systemische Vorgehensweise bei der Frage nach den Gründen für Störungen immer auch den sozialkulturellen Kontext mit ein. Damit wird die früher vielfach vorherrschende Sichtweise der Migranten als defizit-behaftete Individuen aufgegeben. Dies sollte nicht nur individuell gesehen werden sondern Anlass sein, Migration trotz aller gewöhnungsbedürftigen gegenseitigen Anpassungsprozesse als Gewinn auch für die Aufnahmegesellschaft zu bewerten.
Fazit
Zusammenfassend kann die vorliegende Schrift daher einerseits als wichtige Bereicherung für das Verständnis interkulturellen Zusammenlebens bezeichnet werden und andererseits als außerordentlich hilfreich für die Beraterin und Therapeutin in der Praxis.
Rezension von
Dipl.-Sozialwirt Prof. Roderich Kulbach
Ev. Fachhochschule Bochum, Fachbereich Sozialarbeit
Lehrgebiet: Sozialmanagement, Verwaltung und Organisation. EFQM - Assessor
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