Frank Eckardt: Stadtforschung. Gegenstand und Methoden
Rezensiert von Prof. Dr. Uwe Helmert, 11.05.2015

Frank Eckardt: Stadtforschung. Gegenstand und Methoden. Springer VS (Wiesbaden) 2014. 244 Seiten. ISBN 978-3-658-00823-9. D: 19,99 EUR, A: 20,55 EUR, CH: 25,00 sFr.
Thema
Das Lehrbuch möchte den Studierenden aus dem Bereich der Stadtforschung ermöglichen, für ihre Abschlussarbeiten und Studienprojekte eine Orientierung zu finden und ihnen in den unterschiedlichen Phasen des Forschungsprozesses Zugriff auf bestehendes Wissen und Erfahrungen aus der Stadtforschung zu bieten. Der Schwerpunkt liegt dabei auf den eher praktischen Aspekten. Theoretische Ausführungen werden lediglich übersichtsartig dargestellt.
Autor
Dr. Frank Eckardt ist Professor für Sozialwissenschaftliche Stadtforschung am Institut für Europäische Urbanistik der Bauhaus Universität Weimar.
Aufbau und Inhalt
Das Buch hat 245 Seiten. Es behandelt die folgenden acht Inhaltsbereiche und ist gegliedert in 16 Kapitel.:
- Wie erforscht man eine Stadt?
- Die Stadt als Forschungsthema
- Die Stadt als Forschungsgegenstand
- Städtische Problemfelder
- Die Philosophie der Stadtforschung
- Forschungsdesigns der Stadtforschung
- Voraussetzungen der Stadtforschung
- Methoden der Stadtforschung: Quellenrecherchen, verschiedene Interview-Formen, Befragungen und Beobachtungen, Visuelle, Partizipative und Künstlerische Stadtforschung
Zu Beginn werden Themen, Gegenstände und Probleme der Stadtforschung erörtert. Eine Schwierigkeit der Stadtforschung liegt in ihrem enormen Potential begründet, nämlich ihrer Vielschichtigkeit und Vieldeutigkeit.
Der Autor beschäftigt sich in Kapitel 2 mit den folgenden zentralen Themen der Stadtforschung: Städte als gebaute Architektur, die geplante Stadt, die politische Stadt, Stadtgesellschaft, Kultur und Urbanität, sowie die Narrative des Städtischen.
In Kapitel 3 geht es um die Stadt als Forschungsgegenstand. Es werden die folgenden Forschungsgenstände der Stadt erläutert: Artefakte, die Straße, öffentliche Räume, Nachbarschaften, Planungsprozesse, Stadtpolitik sowie lokale Diskurse.
Inhalt von Kapitel 4 sind die städtischen Problemfelder. Dabei werden fünf Aspekte angesprochen: Steuerungs- und Planungsfähigkeit, Demokratiedefizite, Soziale Ungleichheiten, Exklusion und Ästhetisierung.
In Kapitel 5 beschäftigt sich der Autor mit der Philosophie der Stadtforschung. Vielen Studierenden aus nicht-akademischen Ausbildungsgängen fehlt die Gelegenheit im Rahmen von Seminaren oder anderswie sich einmal ganz grundsätzlich zum Thema Forschung eine eigene Meinung zu bilden. Im Folgenden werden daher übergeordnete Ansätze aus der Wissenschaftstheorie dargestellt. Den Studierenden verwirrt es oft, dass es nicht nur ein einziges Wissenschaftsverständnis gibt, sondern mehrere, die sich auch noch widersprechen. Für spezifische Forschungsprojekte empfiehlt sich die Verfolgung eines einzelnen „Paradigmas“, für die Stadtforschung insgesamt allerdings ist ein „transparadigmatischer“ Wettstreit zwischen den unterschiedlichen Wissenschaftsverständnissen notwendig. Im Folgenden geht dar Autor näher auf die folgenden wissenschaftlichen Forschungsansätze in der Stadtforschung ein: Positivistische Ansätze, Konstruktivistische Ansätze, Kritische Ansätze, Feministische Ansätze sowie Neo-pragmatische Ansätze.
Die Forschungsdesigns in der Stadtforschung werden in Kapitel 6 behandelt. Der Begriff Forschungsdesign meint, dass im Vornherein festgelegt werden muss, in welcher Art und Weise und in welcher Reihenfolge Methoden in der Umsetzung der Forschungsfrage angewendet werden sollen. In vielen Wissenschaftsdisziplinen gibt es es deshalb bestimmte Vorstellungen, wie ein Forschungsvorhaben umgesetzt werden muss. In der Stadtforschung als einem transdisziplinären Forschungsfeld kann dagegen nicht davon gesprochen werden, dass es solche fest etablierten Forschungsdesigns gibt. Die Praxis besteht oftmals in einem Mix von unterschiedlichen Methoden. Nicht jede und jeder kann alle Methodiken ausführen. Ein gezieltes Methodentraining ist daher immer zu empfehlen. Je mehr Erfahrungen mit einer Methode gewonnen werden, desto besser lassen sich deren Erfolgschancen einschätzen und somit sind bestimmte „Kinderkrankheiten“ vermeidbar. Es werden die folgenden Ansätze und Methoden genauer erläutert: Deduktive und induktive Ansätze, Quantitative und qualitative Ansätze, Grounded Theory, Argumentative Kohärenz sowie Ordnung und Innovation.
Kapitel 7 befasst sich mit den Voraussetzungen der Stadtforschung. Diese hängen natürlich sehr stark davon ab, inwieweit dafür Ressourcen vorhanden und Handlungsspielräume für eine relativ freie Forschung gegeben sind. Bevor mit einem Forschungsprojekt begonnen werden kann, sollten unbedingt die Rahmen des Projekts (Einbindung, Zieldefinition, formulierte und unausgesprochene Erwartungen, Zeit- und Arbeitspensum) geklärt werden. Zum Projektmanagement gibt es mittlerweile viele Ratgeber, aber erfahrungsgemäß haben Bücher weniger direkten Einfluss auf unseren Lernprozess als eigene Erfahrungen und das Beobachten von anderen. Viele Probleme der Stadtforschung sind keine wissenschaftlichen, und darüber hinaus manchmal auch sehr menschliche. Außer den üblichen Problemen des Zusammenlebens scheint wissenschaftliches Arbeiten eine gewisse Eitelkeit zu produzieren, die das Zusammenarbeiten noch mehr erschwert. Außerdem sind Hochschulen und Forschungseinrichtungen nach Meinung des Aurors schlechte Arbeitgeber. Nirgendwo sind Arbeitsverhältnisse so prekär. Im Weiteren geht es in diesem Kapitel um folgende Aspekte: Kontexte der Forschung, Zugang zur Stadt, die Person(en) der Stadtforschung, Vergleichende Stadtforschung, Kriterien der Stadtforschung sowie Ethik. Der spannendste Teil des Forschens ist nach Meinung des Autors der Methodenteil des Projekts. Aber auch Arbeiten ohne Empirie können gute Stadtforschung sein. Entweder sie evaluieren die Forschungsarbeiten anderer (Sekundärforschung), oder aber sie wollen bewusst eine innerakademische Debatte entzünden, die durch ein neues, anderes oder kritisches Lesen von wissenschaftlichen Texte Erkenntnisse gewinnen soll. Obwohl in dem vorliegenden Lehrbuch keine Präferenz für bestimmte theoretische Schulen oder einzelnen Theorien Ausdruck verliehen werden soll, wird an dieser Stelle eine Einschränkung vollzogen: Transdisziplinarität hat die größten Chancen, umgesetzt und erfolgreich zu sein, wenn sie durch gemeinsame Forschungsaktivitäten ermöglicht wird, in der die Problemdefinition in einem konkreten städtischen Kontext hervorgebracht wird. Aus diesem Grund beschränkt sich das Lehrbuch auf jene Forschungskonzeptionen, die eine Primär-Empirie beinhalten, d.h. mit den Worten des Chicagoer Stadtsoziologen Robert Park, wo sich der Studierende selbst noch die Schuhe schmutzig macht.
In den Kapiteln 8-15 werden die folgenden Methoden der Stadtforschung zusammenfassend dargestellt: Quellen und Texte: Quellenqualität, Hermeneutik, Quellenkritik und Archivarbeit / Experten-Interviews: Vorsicht Experten, Kontaktaufnahme, Das Interview, Evaluation und Leitfäden / Focus-Group Interviews: Das Besondere der Gruppe, Idealer Ablauf, Die Frauen von „San Tomás“, Das Narrativ eines Konflikts / Andere Interview-Formen und Befragungen: Narrative Interviews, Semi-Strukturierte Interviews, Befragungen und Umfragen / Beobachtung: Beobachtungspraktiken, Beobachtungsprozesse, Von der Beobachtung zur Ethnografie, Stadt-Ethnografie / Visuelle Stadtanalyse: Das Visuelle als Methode, Bildinterpretation, Fotografieren, Dialogisches Fotografieren, Film, Video und Internet / Partizipative Stadtforschung: Engagierte Stadtforschung, Action Research und Andere Partizipationsformen / Künstlerische Stadtforschung: Künstlerische Forschung, Neue Wege.
Diskussion
Es wird vermisst, dass der Autor bei der Erläuterung des Forschungsprozesses nicht auf die Bedeutung der Hypothesenbildung bei wissenschaftlichen Studien eingeht.
Zielgruppen
Das Lehrbuch wendet sich an Studierende der Architektur, Stadtplanung, Urbanisation, Kunst, Medien- und Kulturwissenschaften sowie den Ingenieurwissenschaften.
Fazit
Das Lehrbuch ist gut konzipiert und sehr verständlich geschrieben. Es vermittelt einerseits Übersichtswissen darüber, auf welche Weise unterschiedliche Herangehensweisen aus den Sozialwissenschaften genutzt werden können, um konkrete Probleme in Städten in einer systematischen und realistischen Weise zu untersuchen. Andererseits will das Buch zu grundlegenden Fragestellungen der Stadtforschung Positionen vermitteln, die zu einem besseren interdisziplinären Verständnis führen sollen.
Rezension von
Prof. Dr. Uwe Helmert
Sozialepidemiologe
Es gibt 101 Rezensionen von Uwe Helmert.