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Hans Joas: Sind die Menschenrechte westlich?

Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 21.04.2015

Cover Hans Joas: Sind die Menschenrechte westlich? ISBN 978-3-466-37126-6

Hans Joas: Sind die Menschenrechte westlich? Kösel-Verlag (München) 2015. 96 Seiten. ISBN 978-3-466-37126-6. D: 10,00 EUR, A: 10,30 EUR, CH: 14,90 sFr.

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Der Mensch ist ein sakrales Lebewesen

Der Soziologe und Sozialphilosoph von der Berliner Humboldt-Universität, Hans Joas, hat mit seiner Frage, ob, bezogen auf die Ansprüche der Allgemeingültigkeit, Unveränderbarkeit und Unveräußerlichkeit der von den Vereinten Nationen am 10. Dezember 1948 proklamierten Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, rationale Letztbegründungen möglich sind, Zustimmung und Widerspruch erfahren. Mit seiner „affirmative(n) Genealogie des Universalismus der Werte“ rüttelt er zwar nicht an den Grundfesten der humanen Werte-Vorstellungen, wie sie in der Präambel der Menschenrechtsdeklaration zuvorderst zum Ausdruck gebracht werden, dass „die Anerkennung der allen Mitgliedern der menschlichen Familie innewohnenden Würde und ihrer gleichen und unveräußerlichen Rechte die Grundlage der Freiheit, der Gerechtigkeit und des Friedens in der Welt bildet“; vielmehr geht es ihm darum, auf die Trennbarkeit von Genesis und Geltung im Argumentationsprozess um die Begründbarkeit von Menschenrechten zu verweisen: Es „kann nämlich die Geschichte der Entstehung und Ausbreitung von Werten selbst so angelegt werden, dass sich in ihr Erzählung und Begründung in spezifischer Weise verschränken“ (Hans Joas, Die Sakralität der Person. Eine neue Genealogie der Menschenrechte, 2011, www.socialnet.de/rezensionen/12425.php). Mit dem Begriff „Sakralität“ weist er die eher oberflächliche und unsachgemäße Debatte zurück, ob „die Menschenrechte eher auf religiöse oder auf säkular-humanistische Ursprünge zurückzuführen sind“ und zudem vom westlichen Gedankengut bestimmt seien; Sakralität, Heiligkeit verdeutlicht für Joas vielmehr, „den Glauben an die Menschenrechte und die universale Menschenwürde als das Ergebnis eines spezifischen Sakralisierungsprozesses aufzufassen…, in dem jedes einzelne menschliche Wesen mehr und mehr und in immer stärker motivierender und sensibilisierender Weise als heilig angesehen und dieses Verständnis im Recht institutionalisiert“ wird.

Die UNESCO, die Bildungs-, Wissenschafts- und Kulturorganisation der Vereinten Nationen, hat aus Anlass des 60jährigen Bestehens der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, 2008 eine Bestandsaufnahme über die Zielsetzungen zur Verwirklichung der Menschenrechte überall auf der Erde und den Wirklichkeiten der Infragestellung dieser globalen Ethik und der zahlreichen Menschenrechtsverletzungen vorgenommen und appelliert, dass der für eine humane Existenz der Menschheit unverzichtbare Perspektivenwechsel von einer Kultur des Krieges hin zu einer Kultur des Friedens längst nicht erreicht und eine „universelle Verantwortung“ dafür gefordert sei: „Der lange Kampf um die Eroberung ‚aller Rechte für alle‘ ist noch lange nicht beendet“ (UNESCO-Kurier 10/1998; vgl. auch: Jos Schnurer, Zum 60. Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948, 11. 12. 2008, www.socialnet.de/materialien/46.php).

Zur Bedeutsamkeit und der Verpflichtung zur Durchsetzung der in der Menschenrechtsdeklaration aufgegebenen Menschenrechte, liegen zahlreiche Forschungsergebnisse vor. Hervorzuheben ist dabei die umfangreiche Studie des Freiburger Historikers Jan Eckel, der drei Deutungslinien der neueren Menschenrechtsgeschichte aufzeigt. Zum einen sieht er ein polyzentrisches Vorgehen in der Menschenrechtspolitik, zum zweiten erkennt er ein ambivalentes Agieren und Taktieren bei den (dominanten) Mächten; und zum dritten weist er eine diskontinuierliche Entwicklung nach (Jan Eckel, Die Ambivalenz des Guten. Menschenrechte in der internationalen Politik seit den 1940ern, 2014, www.socialnet.de/rezensionen/17721.php).

Inhalt

Der Essay von Hans Joas „Sind die Menschenrechte westlich?“ ist als Antwort auf die Kritik an seiner Diktion von der „Sakralität der Person“ zu verstehen. Es sind vor allem christlich orientierte Kritiker, die Anstoß an der Joasschen weitgefassten, inter- und transkulturellen Herleitung von der „Heiligkeit des Menschen“ nehmen – und damit genau das bestätigen, was er als die „Gefahr eines westlichen Triumphalismus“ bezeichnet. Mit einer historischen Herleitung der Entwicklungen zwischen einem „mundanen“ (weltlichen) und „transzendenten“ Denken und politischem Handeln verweist Joas darauf, dass „Kulturen ( ) eben nicht einfach aus dem Religionen abzuleiten (sind)“. Am Beispiel der „Rechtfertigung der Sklaverei“ zeigt er die ökonomischen, industriekapitalistischen Interessen der Sklavenhalter in den USA und Europa auf und verdeutlicht die aktiven, religiös und moralisch begründeten Rechtfertigungen. Auf zwei weitere, in der Menschenrechtsgeschichte virulente Entwicklungen verweist Joas: Folter und Kolonialismus. Erstere Menschenrechtsverletzung als Macht- und Herrschaftsmittel gegen Widerstand und Kritik, und die koloniale Praxis als Form der Erniedrigung und Erzwingung von selbst definierten, imperialen Rechten. Dass dabei die abendländischen Moral- und Rechtsvorstellungen nicht gut wegkommen, zeigt zudem die Brüchigkeit und Ungerechtfertigtheit von westlichen Höherwertigkeitsvorstellungen und Diktionen zu Menschenrechtsfragen.

Bei der Frage allerdings, ob es sich bei den Festlegungen der Werte und Normen bei der Menschenrechtsdeklaration der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1948 um ein „westliches Oktroi“ handele, deckt Joas sicherlich für Menschenrechtsexperten überraschend auf, welche Personen maßgeblich an den Formulierungen und Begründungen beteiligt waren; nämlich nicht nur der französische Jurist René Cassin, dem das Nobelpreiskomitee dafür 1968 dem Friedensnobelpreis zuerkannte, sondern auch andere, nicht-westliche Experten, wie z. B. der Libanese Charles Malik und der chinesische Konfuzianer Peng-chun Chang. „Man kann die ‚Allgemeine Erklärung der Menschenrechte‘ deshalb das Resultat eines geglückten Prozesses der ‚Wertegeneralisierung‘ nennen“.

Fazit

Dass Werteformulierungen und -Inbesitznahme ihre Tücken haben, zeigen angesichts der (Über-)Betonung des Werts „nationale Sicherheit“ die Fälle Guantanamo und Abu Ghraib, wie zahlreiche, ethnozentrierte, fundamentalistische Politiken. Wenn in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte auch „europäische Werte“ ihren Eingang gefunden haben, ist das, angesichts der Norm und Werteposition, dass „alle Menschen ( ) frei und gleich an Würde und Rechten geboren… mit Vernunft und Gewissen begabt (sind)“ und aufgefordert sind., „einander im Geiste der Brüderlichkeit (zu) begegnen“, wie dies in Artikel 1 der Menschenrechtsdeklaration eindeutig und unmissverständlich zum Ausdruck kommt, nur selbstverständlich. Das aber sollte nicht mit dem „Tonfall sicheren Besitzes“ festgestellt, sondern als „Herausforderung zur Selbstkritik“ verstanden werden.

Hans Joas verlangt mit seinem Essay vom Leser ein hohes Maß an Vorwissen und Reflexionsfähigkeit. Seine Verteidigungsschrift für seine Überzeugung, dass die Verwirklichung der globalen Ethik der Menschenrechte mit dem Bewusstsein der Sakralität der Person möglich ist, erfordert einen intensiven Denk-, Aufklärungs- und Überzeugungsprozess darüber, dass „jedes einzelne menschliche Wesen mehr und mehr und in immer stärker motivierender und sensibilisierender Weise als heilig angesehen und dieses Verständnis im Recht institutionalisiert“ werden kann. Damit diese Vision nicht als Prophetie verstanden wird, bedarf es der Anstrengung und der Überzeugung, dass jeder Mensch, wo und wie er auch lebt, über welche Denk- und Handlungskompetenzen er auch verfügt, tagtäglich die Verantwortung für eine friedlichere, gerechtere und humane Existenz der Menschheit mit sich trägt und aufgefordert ist, das Seine dazu beizutragen.

Die kleine Schrift sollte in schulische. universitäre und außerschulische Lernprozesse für Menschenrechts- und Friedensbildung Eingang finden; sie dürfte dazu motivieren, die Forderung nach einer globalen Ethik lokal und global zu diskutieren.

Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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Es gibt 1694 Rezensionen von Jos Schnurer.

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ISSN 2190-9245