Stefan Gillich (Hrsg.): Profile von Streetwork und Mobiler Jugendarbeit
Rezensiert von Dipl. Soz.-Arb. Monica Wunsch, 03.08.2004

Stefan Gillich (Hrsg.): Profile von Streetwork und Mobiler Jugendarbeit. Antworten der Praxis auf neue Herausforderungen.
Burckhardthaus Laetare Körner Medien UG
(München) 2004.
186 Seiten.
ISBN 978-3-89774-333-5.
13,50 EUR.
CH: 24,30 sFr.
Band 9 der Beiträge der Arbeit des Burckhardthauses, Gelnhausen.
Zum Thema
Der vorliegende Band beinhaltet die Dokumentation des 18. bundesweiten StreetworkerInnen-Treffens vom 23. bis 27. Juni 2003 im Burckhardthaus/Gelnhausen. Das jährlich stattfindende Treffen wird in Kooperation mit der Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Streetwork / Mobile Jugendarbeit durchgeführt. Das Treffen dient dem praxisbezogenen fachlichen Austausch und der Weiterentwicklung von Streetwork / Mobiler Jugendarbeit.
Der gesellschaftspolitische Wandel und die damit einhergehende Sparwut der Kommunen an Sozialleistungen drängt innerhalb der Jugendhilfe insbesondere sog. freiwillige Leistungen in finanziell prekäre Ausgangspositionen. Im Kontext der Sozialkürzungen ist die Erweiterung der Polizeigesetze und der Ausbau ordnungs- und sicherheitspolitischer Maßnahmen zu sehen: die Vertreibung unerwünschter Personen aus den Innenstädten, das Erteilen von Platz- und Aufenthaltsverboten, der vermehrte Einsatz von Überwachungskameras und privaten Sicherheitsdiensten. Diese Art des gesellschaftlichen Umbaus impliziert die weitere Ausgrenzung und soziale Isolation marginalisierter Personengruppen, den Ausschluss von materieller, kultureller, politisch-institutioneller Teilhabe. Die Verflechtungen und wechselseitigen Verstärkungen der Ausgrenzungsfaktoren blockieren den Zugang zu gesellschaftlich favorisierten Lebenszielen.
Der Entsolidarisierung entgegenzutreten und sich für die Interessen der gesellschaftlich Ausgegrenzten einzusetzen und das eigene Profil daran auszurichten, ist Aufgabe von Streetwork und Mobiler Jugendarbeit.
Aufbau und Inhalt
Die Dokumentation des fünftägigen Treffens wird eröffnet mit einem Einführungsbeitrag von Prof. Dr. Johannes Stehr zum Thema "Streetwork / Mobile Jugendarbeit zwischen Bewährtem und neuen Herausforderungen". Sie enthält zwölf weitere Fachbeiträge, Berichte der Arbeitsgruppen, Beiträge aus den deutschsprachigen Teilen der Schweiz und Belgiens und aus Oberösterreich sowie eine Zusammenfassung einer aktuellen Untersuchung über die Praxis von Streetwork und Mobiler Jugendarbeit (2003).
Der Beitrag von Johannes Stehr beleuchtet "den Zusammenhang zwischen Prozessen sozialer Ausschließung und der gegenwärtigen Sicherheits- und Ordnungspolitik" (S. 18), die aktuelle Orientierung Sozialer Arbeit an der vorherrschenden Präventionslogik, Raumorientierung und der Konzentration auf den "devianten Jugendlichen" (S. 26) und die dadurch aufgeworfenen Widersprüche. Er mahnt die Akteure von Streetwork / Mobile Jugendarbeit an, ihre Arbeit nicht vom ordnungspolitischen Diskurs funktionalisieren zu lassen sondern aktiv am politischen Geschehen teilzuhaben und ein Gegengewicht zu bilden, an den "bewährten Maximen der akzeptierenden und parteilichen Jugendarbeit" (S. 29) festzuhalten und einer stetigen Diskreditierung ihrer Zielgruppen entgegenzuwirken.
Darauf folgen die Berichte:
- NeueinsteigerInnen (Jutta Zier, Klaus Thieme). Dieser Beitrag gibt Einblick in die Grundlagen der Straßensozialarbeit, in die Arbeitsprinzipien und Rechtsgrundlagen.
- Profilbildung in Streetwork / Mobile Jugendarbeit (Frank Dölker). Welche Faktoren ein professionelles Handlungsprofil definieren und warum eine so große Diskrepanz zwischen Empfehlungen und Standards der BAG Streetwork/Mobile Jugendarbeit und alltäglichen pädagogischen Handlungsbegründungen besteht, sind die Hauptfragen, die hier diskutiert werden.
- Bewältigungsstrategien von auffälligen Jugendlichen/Jugendgruppen (Heike Morbach, Bernd Willms). Devianz verstanden als Konstruktion gesellschaftlicher Bewertungs- und Zuschreibungsprozesse, Sozialer Ausschluss als Absicht und Folge von Abwertungsprozessen, Bewältigungsstrategien, die "Arbeitslose Jugendliche ohne Perspektive" anwenden, um sich von der Zuschreibung einer negativen sozialen Identität abzugrenzen und zu behaupten, sind Inhalt dieses Beitrags.
- Aikido-Prinzipien im Streetwork - Begreifbares Miteinander als zentrale Qualität (Harald Heinrich, Klaus Böhm).
- Politische Einmischungsstrategien (Peter Stotz, Uli Vollmer). Hier werden grundsätzliche Rahmenbedingungen und mögliche wie notwendige Strategien zur Teilhabe an und Intervention im Arbeitsfeld Streetwork/Mobile Jugendarbeit, in politische Meinungsbildung und aktuelle politische Abläufe beschrieben.
- Hinweise zur Öffentlichkeitsarbeit (Barbara Scherer, Andreas Kaier). Öffentlichkeitsarbeit ist Lobbyarbeit. Im Mittelpunkt steht hier die lokale Pressearbeit. Die wichtigsten Grundsätze und Regeln auf dem Weg, die allgemeine Öffentlichkeit zu erreichen und für die Bedürfnisse der Zielgruppen von Sozialarbeit zu gewinnen.
- Drogenkonsum: Formen und Auswirkungen (Julia Elmer, Tristan Hellwig). Die bekanntesten klassischen Suchttheorien und Erklärungsansätze (individualpsychologische-, gesellschaftszentrierte-, pharmakologisch-neurobiologische Ansätze) werden vorgestellt und im Anschluss ein integratives Stufenmodell, das Suchtentstehung als multifaktoriellen Prozess betrachtet, entwickelt. Abschließend wird die inhaltliche Ausrichtung akzeptanzorientierter Drogenarbeit (nach Gerlach/Engemann) dargestellt, die Schwierigkeiten, diesen Ansatz gegen die repressive Drogenpolitik und als Erweiterung traditioneller Drogenhilfe durchzusetzen, aufgezeigt.
- Hip Hop als Medium in der Jugendarbeit (Marco Tschirner). Die verschiedenen Elemente der Hip-Hop Kultur (Rap, Djing, Graffiti und Breakdance) bieten für Jugendliche vielseitige Entfaltungsmöglichkeiten. Hip-Hop kann als "Integrationsmedium" dienen, da er unabhängig von Herkunft, sozialem Status, Alter, Geschlecht und Ethnie sehr beliebt ist. Hip-Hop als sozialarbeiterisches Angebot erfüllt gem. § 11 Abs. 3 SGB VIII sämtliche Aspekte der außerschulischen, Sport bezogenen und internationalen Jugendarbeit. Ein besonders guter und interessanter Beitrag.
Die anschließenden Berichte "Gassenarbeit, Straßensozialarbeit und Mobile Jugendarbeit in der Schweiz" (Yves Kramer), "Streetwork in der Deutschsprachigen Gemeinschaft: Ein Belgisches Modell" (Andrea Zoissl), "Der Blick nach Oberösterreich" (Michael Bauer, Lothar Jochade) beschreiben kurz und prägnant die Entwicklung und Ausrichtung von Straßensozialarbeit und Mobiler Jugendarbeit in den deutschsprachigen Teilen der drei Länder. Der Blick auf die Arbeit und Entwicklung niedrigschwelliger, aufsuchender sozialer Angebote über die Grenzen hinweg ist selten, die Fachliteratur rar. Insbesondere die Darstellung aus der Schweiz, die Erweiterung und Veränderung der klassischen Gassenarbeit (Drogenarbeit) zu multidisziplinären Angeboten von Streetwork / Mobile Jugendarbeit ist interessant und verlangt nach weiterem fachlichem Austausch. Der Beitrag aus Oberösterreich stellt schwerpunktmäßig eine Auseinandersetzung mit dem Qualitätssicherungsprozess "Total Quality Management" (TQM) dar. "Qualitätsmanagement" in der sozialen Arbeit ist aus unterschiedlichen Gründen notwendig und wichtig, mit dem TQM haben sich die KollegInnen in Österreich meines Erachtens jedoch verrannt.
Im Anschluss stellt Wolfgang Krebs "Blicke zurück. Von den Ursprüngen von Streetwork und Mobiler Jugendarbeit zum Methodenmix heute - Zusammenfassung einer aktuellen Untersuchung" klar und übersichtlich die wesentlichen konzeptionellen Gemeinsamkeiten und Differenzen der beiden Arbeitsfelder vor.
Zielgruppe und Fazit
Für alle, die sich für Straßensozialarbeit / Mobile Jugendarbeit interessieren, sei es im Studium oder im Berufsleben, ist dieses Buch empfehlenswert. Die Dokumentation gibt einen guten Überblick über den aktuellen Stand von Streetwork / Mobiler Jugendarbeit, die meisten Beiträge geben mit einem Literaturverzeichnis wichtige weiterführende Hinweise. In allen sozialen Arbeitsfeldern spiegelt sich die ökonomische Ausrichtung der (Sozial)Politik wieder. Sozialabbau mit der Tendenz zum Sozialbankrott wird freundlich "Sozialer Wandel" genannt, doch denjenigen, die die Auswirkungen direkt zu spüren bekommen, bleibt, wenn sie nicht resignieren wollen, keine andere Wahl als mit anderen nach Gemeinsamkeiten zu suchen und sich der sozialpolitischen Herausforderung zu stellen.
Rezension von
Dipl. Soz.-Arb. Monica Wunsch
Mercedes Monica Wunsch
Dipl.-Soz.Arb. (FH)
Geschäftsführender Vorstand
Zug um Zug e.V. und Tochtergesellschaften (Köln)
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