Gerd Lehmkuhl, Franz Resch et al. (Hrsg.): Psychotherapie des jungen Erwachsenenalters
Rezensiert von Prof. Dr. phil. habil. Barbara Bräutigam, 12.02.2016
Gerd Lehmkuhl, Franz Resch, Sabine C. Herpertz (Hrsg.): Psychotherapie des jungen Erwachsenenalters. Basiswissen für die Praxis und störungsspezifische Behandlungsansätze. Kohlhammer Verlag (Stuttgart) 2015. 309 Seiten. ISBN 978-3-17-022698-2. 69,99 EUR.
Thema
Dieses Buch beschreibt schulenübergreifende psychotherapeutische Behandlungsvoraussetzungen und Grundlagen für die Zielgruppe Adoleszenter und junger Erwachsener sowie in der Folge verschiedene klinische Störungsbilder auf diese Altersgruppe bezogen. Dabei werden im ersten Teil primär allgemeine Aspekte der therapeutischen Beziehung und der erforderlichen therapeutischen Kompetenzen im Umgang mit dieser Zielgruppe erörtert. Die klinischen Störungsbilder im zweiten Teil werden anhand von Fallvignetten unter diagnostischen und prognostischen Gesichtspunkten sowie hinsichtlich des altersbezogenen therapeutischen Vorgehens dargestellt. Bei fast allen Störungsbildern wird abschließend gesondert auf die besonderen Schwierigkeiten und häufigen Fehlerquellen in der Behandlung eingegangen.
Herausgeber und Entstehungshintergrund
Prof. Dr. Gerd Lehmkuhl leitet die Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie der Uniklinik Köln, Prof. Dr. Franz Resch die Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie des Universitätsklinikum Heidelberg und Prof. Dr. Sabine C. Herpertz die Klinik für Allgemeine Psychiatrie des Universitätsklinikum Heidelberg.
Das Buch reagiert auf die in der psychotherapeutischen Praxis sowie in der Psychotherapieforschung bestehende Lücke hinsichtlich der Beachtung von sensiblen und störanfälligen Entwicklungsprozessen im jungen Erwachsenenalter und versucht, „Antworten auf die besonderen Fragestellungen in der therapeutischen Arbeit mit Adoleszenten und jungen Erwachsenen zu finden“ (8).
Aufbau
Das Buch ist in zwei Teile gegliedert.
- Der erste Teil beschäftigt sich mit den Behandlungsgrundlagen und -rahmen. In acht Kapiteln werden im wesentlichen Entwicklungsmerkmale dieser Altersgruppe, Wirkfaktoren in der Behandlung, therapeutische Basisfertigkeiten, die therapeutische Beziehung, der therapeutische Rahmen und typische Probleme im Behandlungsverlauf erläutert. Der erste Teil schließt mit zwei konkreten Beispielen für spezifische Behandlungsmodelle für diese Zielgruppe ab.
- Der zweite Teil umfasst störungsspezifische Behandlungsansätze und nimmt insgesamt zehn klinische Störungsbilder bzw. Problematiken in den Blick. Dazu zählen depressive Störungen, Zwangsstörungen, Persönlichkeitsstörungen, schizophrene Störungen, Angststörungen, Anorexia nervosa, Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörungen, autistische Störungen, selbstverletztendes und suizidales Verhalten sowie Suchtstörungen.
Inhalt
In dem ersten Beitrag wird quasi einleitend von zweien der Herausgeber – Franz Resch und Gerd Lehmkuhl – das Konzept der Entwicklungsaufgaben nach Havighurst (1972) und der entwicklungspsychpathologischen Risiken (Resch 1999) bezogen auf die Altersgruppe der 18- 30jährigen aufgegriffen und empfohlen neben der Symptomerfassung insbesondere, „jugendtypische Aspekte der Ausgestaltung psychischer Probleme in den Blick zu nehmen“ (25).
Im zweiten Beitrag konzentriert sich Inge Seiffge-Krenke nach einer knappen Übersicht über die globalen Wirksamkeitsfaktoren auf die spezifischen Wirkmerkmale analytischer Therapie und geht dann auf die Besonderheiten in der Behandlung junger Erwachsener ein. Dabei legt sie besonderes Augenmerk auf die Entpathologisierung einer verlängerten Adoleszenz. Weiterhin beschreibt sie sehr plastisch die Trennungsängste der Eltern von ihren jugendlichen Kindern und setzt sich auch kritisch mit überfürsorglichen „Helicopter-Therapeuten“ auseinander. In der therapeutischen Beziehung sei ihrer Ansicht nach ein Spezifikum mit dieser Altersgruppe, dass der Therapeut bei aller Abstinenz, klar gegenüber den Patienten Stellung beziehen und emotional spürbar sein solle.
Die nächsten Beiträge konzentrieren sich auf die therapeutischen Basisfertigkeiten (Lehmkuhl & Resch) und auf die therapeutische Haltung (Koch & Lehmkuhl, U.). Zentral erscheinen hierbei die Abstimmung medikamentöser, soziotherapeutischer und Angehörige miteinbeziehender Konzepte sowie bezogen auf die therapeutische Beziehung die Beachtung bestimmter Risikoverhaltensweisen, die diese Zielgruppe oftmals an den Tag lege. Stippel & Koch widmen sich dem Thema häufiger Krisen und Probleme im Behandlungsverlauf und betonen die Wichtigkeit des „Sich Einstellen des Therapeuten“ (66); sie merken an, dass Eltern in dieser Altersgruppe oftmals als ein Störfaktor in der Therapie aufträten.
Die letzten drei Beiträge des ersten Teils beschreiben Behandlungsmodelle und -programme für junge Erwachsene. Lehmkuhl und Resch schildern einführend generell wirksame Komponenten von Therapieprogrammen wie Ressourcenakivierung und aktive Unterstützung bei der Problembewältigung; im Anschluss daran erläutern Stippel & Lehmkuhl das Modell einer psychiatrischen Ambulanz für Adoleszente in Köln und Resch & Herpertz das Modell der kooperativen Adoleszentenstation in Heidelberg.
Im zweiten Teil werden die unterschiedlichen Störungsbilder unter einem relativ einheitlichen Schema beschrieben. Einleitend werden meist zwei Fallvignetten dargestellt, die aus dem Bereich der Adoleszenz einerseits und aus dem jungen Erwachsenenalter andererseits entstammen. Daran knüpfen sich die Schilderung der spezifischen klinischen Symptome und der diagnostischen Kriterien sowie das Eingehen auf wichtige Differenzialdiagnosen und Komorbiditäten. Es schließt sich die Beschreibung typischer Verläufe und der Entstehungsbedingungen der jeweiligen Störung/Problematik an. Im Kern jedes Kapitels steht das störungs- und altersspezifische Vorgehen unter Einbeziehung des aktuellen state of the art sowie Hinweise auf Strategien für zukünftige Behandlungsansätze. Über die Hälfte der störungsspezifischen Beiträge gehen auf spezielle Probleme, Fallstricke, Fehler sowie auch auf Therapieabbrüche ein.
Diskussion
Das Buch wird seinem Anspruch, eine bestehende Lücke in der psychotherapeutischen Praxis und Forschung bezogen auf die Zielgruppe junger Erwachsener zu schließen in vielerlei Hinsicht beeindruckend gerecht. Die Relevanz sich dieser Altersgruppe in der Psychotherapie zu widmen ist evident; alle Autoren und Autorinnen sind ausgewiesene und langjährige Forscher/innen und Praktiker/innen in diesem Arbeitsfeld und stellen aktuelle und forschungsbasierte Behandlungsstandards knapp und gut verständlich dar.
Der besondere Reiz dieses Buches macht der durchgehend gelungene Versuch aus, die traditionelle Kluft zwischen Kinder- und Jugendpsychiatern einerseits und den Erwachsenenpsychiatern andererseits im Hinblick auf die Altersgruppe der jungen Erwachsenen zu überwinden – und es wird im Grunde in jedem Beitrag deutlich, warum das patientenbezogen notwendig und mehr als überfällig ist. Bedauerlich ist, dass abgesehen von einem kurzen Vorwort es weder einen einleitenden noch einen abschließenden Beitrag gibt, der das Buch als Ganzes runden würde; so bleibt der Eindruck einer zu wenig gebundenen Stückelung einzelner für sich genommen sehr guter Einzelbeiträge. Interessant wäre zudem ein Beitrag über die Finanzierungsmodelle oder auch – schwierigkeiten bei der Behandlung dieser Altersgruppen aus Sicht der Krankenkassen oder des medizinischen Dienstes gewesen.
Fazit
Dieses Buch widmet sich der psychotherapeutischen Behandlung junger Erwachsener im Alter zwischen 18 und 30 Jahren. Es beschreibt zum einen allgemeine Behandlungsgrundlagen und erforderliche Rahmenbedingungen für diese Zielgruppe und vermittelt zum anderen aktuelles forschungs- und praxisbezogenes Wissen bezogen auf einzelne Störungsbilder. Es ist ein hoch informatives und sehr lesenswertes Fachbuch und beschreibt in den einzelnen Beiträgen sehr gut und differenziert die An – und Herausforderungen in der psychotherapeutischen Arbeit mit jungen Erwachsenen. Ein kleines Manko ist das Fehlen eines einführenden und eines abschließenden Kapitels, was die Einzelbeiträge besser hätte rahmen und gewichten können.
Das Buch ist als Lehrbuch im Hochschulkontext aber auch für Praktiker_innen im psychosozialen Bereich sehr zu empfehlen!
Rezension von
Prof. Dr. phil. habil. Barbara Bräutigam
Professorin für Psychologie, Beratung, Psychotherapie an der Hochschule Neubrandenburg, E-Mail braeutigam@hs-nb.de; Homepage: http://www.hs-nb.de/ppages/braeutigam/
Website
Mailformular
Es gibt 19 Rezensionen von Barbara Bräutigam.
Zitiervorschlag
Barbara Bräutigam. Rezension vom 12.02.2016 zu:
Gerd Lehmkuhl, Franz Resch, Sabine C. Herpertz (Hrsg.): Psychotherapie des jungen Erwachsenenalters. Basiswissen für die Praxis und störungsspezifische Behandlungsansätze. Kohlhammer Verlag
(Stuttgart) 2015.
ISBN 978-3-17-022698-2.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/18841.php, Datum des Zugriffs 12.09.2024.
Urheberrecht
Diese Rezension ist, wie alle anderen Inhalte bei socialnet, urheberrechtlich geschützt.
Falls Sie Interesse an einer Nutzung haben, treffen Sie bitte vorher eine Vereinbarung mit uns.
Gerne steht Ihnen die Redaktion der Rezensionen
für weitere Fragen und Absprachen zur Verfügung.