Jos Willems, Brigit Appeldoorn et al.: Als Paar getrennt - Als Eltern zusammen
Rezensiert von Mag. Dagmar Bojdunyk-Rack, 23.07.2015
Jos Willems, Brigit Appeldoorn, Maaike Goyens: Als Paar getrennt - Als Eltern zusammen. Wie eine gemeinsame Erziehung nach der Trennung gelingt. Patmos Verlag (Ostfildern) 2015. 208 Seiten. ISBN 978-3-8436-0573-1. D: 16,99 EUR, A: 17,50 EUR, CH: 24,50 sFr.
Thema
Wenn Eltern sich trennen, leiden die Kinder oft am meisten. Welche Möglichkeiten gibt es, dass Eltern auch nach der Trennung für ihre Kinder da sind? Wie kann es gelingen, sich als Paar zu trennen, aber als Eltern zusammen zu bleiben?
Autorinnen und Autor
- Brigit Appeldoorn ist Beziehungsberaterin und Patchwork-Coach. Sie vermittelt zwischen Eltern während und nach einer Trennung mit besonderem Augenmerk auf das Wohl der Kinder.
- Jos Willems war Rechtsanwalt und ist nun Vorsitzender des Vereins „Eine neue Familie“, die sich für Stiefeltern beziehungsweise „Pluseltern“, wie es im Niederländischen heißt, engagiert.
- Maaike Goyens war Anwältin für Familienrecht und ist jetzt Vermittlerin bei Scheidungen und Familienangelegenheiten. Die beiden zuletzt genannten AutorInnen leben in Patchworkfamilien.
Aufbau
In 16 Kapiteln wird auf Chancen, Herausforderungen, Stolpersteine und Hürden des dritten Weges – nämlich als Paar getrennt, aber als Eltern auch nach der Trennung/Scheidung zusammen zu bleiben - eingegangen.
Inhalt
In diesem Buch geht es dem AutorInnenteam darum aufzuzeigen, welche Möglichkeiten es nach einer Trennung oder Scheidung gibt, als Eltern für die gemeinsamen Kinder da zu sein. Sie beschreiben zunächst unterschiedliche Möglichkeiten, wie nach der Trennung gelebt werden kann:
- Das Nestmodell: In Familien, die dieses Modell praktizieren, bleiben die Kinder in ihrer vertrauten Umgebung, während sich die Eltern in der Betreuung abwechseln.
- Die Einelternfamilie: Die Kinder leben fast ständig bei einem Elternteil. In neun von zehn Fällen sind das die Mütter. Die Väter haben in diesen Fällen nur ein Umgangsrecht.
- Die Patchworkfamilie: Von dieser spricht man, wenn es einen gemeinsamen Alltag mit den neuen PartnerInnen der Eltern, ev. auch deren Kindern und „neuen“ gemeinsamen Kindern gibt.
- Das Paritätsmodell: Den Kindern wird ermöglicht, nahezu gleich viel Zeit bei ihrer Mutter und ihrem Vater zu verbringen, indem sie bei beiden abwechselnd wohnen.
- Als Paar getrennt, als Eltern zusammen: Dieses Modell wird als sog. dritter Weg beschrieben, wie Elternschaft nach einer Trennung gelebt werden kann. Der dritte Weg bedeutet, dass die Kinder nicht unter den Eltern aufgeteilt werden, sondern sie viel mehr nach wie vor ihr Leben miteinander teilen.
Wie es gelingen kann diesen Weg zu gehen, wird anhand theoretischer Überlegungen und Interviews mit betroffenen Familien erläutert.
Voraussetzung, dass dieser dritte Weg gegangen werden kann, ist eine ganz bewusste Entscheidung, vollwertige Eltern zu bleiben. Ausgangspunkt der Überlegungen ist, dass Kinder nicht so sehr unter der eigentlichen Scheidung, sondern unter den permanenten Streitigkeiten ihrer Eltern und vor allen unter der Vielzahl der Veränderungen und Ungewissheiten, die im Zuge der Scheidung auf sie zukommen, leiden. Aufgabe von Eltern ist es daher, den Streitereien im Beisein der Kinder ein Ende zu setzen und dafür zu sorgen, dass die Veränderungen für die Kinder im Rahmen bleiben. Wenn Kinder in dieser Zeit auch noch ihr vertrautes Zuhause zu verlieren, so ist dies für die meisten zu viel. Folgende Lebens- und Wohnmodelle kommen den Bedürfnissen der Kinder entgegen:
- Emotional als Eltern zusammenbleiben. Emotional zusammenzubleiben bedeutet, bestimmte Aktivitäten, die vor der Scheidung ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb der Familie geschaffen haben, in gewissem Maße beibehalten werden.
- Emotional und räumlich (in zwei Wohnungen) zusammenbleiben. Dieses Modell bedeutet, dass die Eltern weiterhin nahe beieinander wohnen und die festgelegten Aufenthaltsregelungen flexibler handhaben und nur als groben Rahmen sehen. Die Kinder können ihre Eltern sehen, wann immer sie das Bedürfnis dazu haben. Die geschlossene Familienkonstellation wandelt sich bei diesem Modell in eine offene.
- Emotional und räumlich unter demselben Dach zusammenbleiben.
Worauf Eltern achten müssen, die sich für den dritten Weg entscheiden, beschreibt das AutorInnenteam in den nächsten Kapiteln.
Wie Studien belegen, hoffen Kinder von Eltern, die sich auf trennen, noch lange Zeit, dass ihre Eltern wieder zusammenkommen werden. Bei Eltern, die nach Trennung weiterhin unter einem Dach wohnen oder wegen noch viel gemeinsam unternehmen, kann diese Hoffnung der Kinder noch stärker sein. Die Kinder verstehen nicht, wo die Elternbeziehung endet und die partnerschaftliche Beziehung beginnt. Daher müssen die Eltern in diesem Punkt nicht nur sehr eindeutig sein, sondern auch regelmäßig darauf zurückkommen.
Wer sich auf traditionelle Weise trennt, hat den Vorteil, dass er das Zusammentreffen mit seinem Ex-Partner weitgehend vermeiden kann und so sich auch das Konfliktrisiko verringert. Doch wegen ihrer Kinder müssen auch diese Paare weiterhin in Kontakt miteinander bleiben, und damit besteht die Gefahr, dass es in Anwesenheit der Kinder zu Konflikten kommt. Der große Vorteil von Eltern, die sich in welcher Form auch immer, für den dritten Weg entscheiden, ist ihre andere Einstellung und Mentalität. Weil sie sich voll und ganz für das Wohlbefinden ihrer Kinder entscheiden und deshalb noch viel miteinander unternehmen, ist bei ihnen das Bewusstsein, dass sie auch die Konsequenzen ihrer Situation übernehmen müssen, stärker ausgeprägt.
Eine Trennung bedeutet auch für die Erwachsenen einen Abschied, ein Loslassen, es heißt Distanz zum Partner zu herzustellen. Wie gut man Abstand gewinnen kann, hängt von dem Maß ab, in dem es gelingt, das eigene Leben in die Hand zu nehmen und sich für das eigene Glück verantwortlich zu fühlen. Während und nach einer Trennung ist dies aber eine große Herausforderung, da man mit so vielen Emotionen, praktischen Problemen und Unsicherheiten konfrontiert ist, sodass wenig Raum für den Aufbau eines neuen, eigenen Lebens da ist. Für Eltern, die sich dafür entscheiden nach der Trennung als Elternpaar zusammenzubleiben ist jedoch das Bemühen um emotionale Distanz wichtiger ist als der räumliche Abstand. Um eine Trennung akzeptieren zu können braucht es Zeit, die sich beide Elternteile nehmen müssen, um schrittweise und konstruktiv an einer gemeinsamen zukünftigen Elternschaft zu arbeiten. Die größte Herausforderung liegt darin, gleichzeitig Distanz zueinander zu gewinnen und eine neue Form des Zusammenlebens aufzubauen. Die gemeinsame Erziehung der Kinder nach der Trennung kann nur gelingen, wenn man sich von dem Idealbild seines Partners verabschiedet und sich auf seine Qualitäten als Elternteil konzentriert. Um den dritten Weg erfolgreich beschreiten zu können, muss man zumindest der festen Überzeugung sein, dass der Ex-Partner ein guter Vater oder die Ex-Partnerin eine gute Mutter ist. Je mehr Respekt füreinander da ist, desto besser. Nicht selten entsteht aus diesem Respekt eine neue Form der Freundschaft zwischen den Eltern.
Im nächsten Kapitel wird auf die Gefühle der Kinder nach einer Trennung/Scheidung näher eingegangen und die Vorteile, die der dritte Weg für Kinder bietet, herausgearbeitet.
Je mehr sich die Ängste und Spannungen in der Beziehung der Eltern verstärken, desto unsicherer werden auch die Kinder. Das einzige, das die Angst und die Verwirrung der Kinder beseitigen kann, ist Klarheit darüber, was in Zukunft sein wird. Wenn es Eltern gelingt, ihren Kindern ihre neue Lebensweise zu erklären, wird bei diesen selten Wut aufkommen. Sie werden spüren, wie sehr sich ihre Eltern um sie bemühen und nach der besten Lösung suchen. Wütende Reaktionen sind eher zu erwarten, wenn das Vertrauen der Kinder verletzt wurde. Eltern verschweigen oft bestimmte Dinge, um ihre Kinder zu schützen. Doch wenn die Kinder die Wahrheit schließlich herausfinden, ist ihr Vertrauen zerstört. Was sie trifft und wütend macht, ist dann weniger die neue Erkenntnis als die Tatsache, dass ihre Eltern sie nicht für voll genommen haben. Das Verschweigen ist schlimmer als der eigentliche Kummer. Kinder denken oft, der Grund für die Scheidung ihrer Eltern zu sein. Wenn die Familie auch nach der Trennung der Eltern noch unter einem Dach wohnt, werden sich solche Schuldgefühle selten ergeben.
Wer sich entscheidet, weiterhin zusammenzuleben, steht vor der schwierigen Aufgabe herauszufinden, wo für jeden nun die Grenzen seiner Privatsphäre liegen. Wichtig ist, sich Zeit zu geben, bis man genügend Distanz zu einander gewonnen hat.
Wenn nun ein/e neue/r PartnerIn ins Leben der Eltern kommen, so sollten Eltern, die sich nach der Scheidung für eine gemeinsame Elternschaft entschieden haben, ihre Kinder nicht mit wechselnden PartnerInnen konfrontieren. Denn erst wenn die Kinder die Trennung verarbeitet haben, sind sie bereit zu akzeptieren, dass es kein Zurück mehr gibt. Und von diesem Moment an möchten sie eigentlich nur noch, dass ihre Eltern glücklich sind. Und warum sollte dazu nicht ein/e neue/r PartnerIn dazu gehören? Je stärker das Verhältnis zwischen Eltern und Bonuseltern von gegenseitigem Respekt geprägt ist, desto eher wird zwischen ihnen eine gute Beziehung möglich sein. In dieser Phase ist es wichtig, die Entwicklung der Kinder aufmerksam zu verfolgen, um möglichst genau zu erkennen, wann sie bereit sind, eine/n neue/n PartnerIn der Eltern zu akzeptieren.
In einem weiteren Kapitel gehen die AutorInnen auf die Möglichkeit ein, dass ein Elternteil die Elternrolle nicht voll und ganz übernehmen kann oder will. Doch auch in dieser Situation gibt es eine Lösung, um den dritten Weg gehen zu können, vorausgesetzt der/die Betroffene erkennt selbst, dass er/sie weniger in der Lage ist, für die Kinder zu sorgen. Es ist für den dritten Weg zwar entscheidend, dass Vater und Mutter weiterhin ihre Elternrolle wahrnehmen, doch muss die Rollenverteilung dabei nicht völlig gleich sein. Es ist auch nicht nötig, dass beide alle Elternaufgaben übernehmen. Viel kritischer und schwerer lösbar ist eine Situation, in der ein Elternteil seine Rolle gar nicht übernehmen kann oder will.
Abschluss des Buches ist eine Zusammenfassung der Vor- und Nachteile des Modells „Als Paar getrennt, als Eltern zusammen“ und ein Plädoyer diesen Weg zu gehen.
Diskussion
Das Buch lässt sich leicht lesen, da viele Erfahrungsberichte von betroffenen Eltern (aber auch Kindern) die theoretischen Inputs auflockern. Tipps und Anregungen sowohl im Umgang mit den Kindern, als auch mit der Herausforderungen und Chancen dieses Modells, weisen auf die Intention der AutorInnen hin, bereits erprobte Wege in der Umsetzung des dritten Weges aufzuzeigen. Im Mittelpunkt der Überlegungen stehen immer die Kinder und deren Bedürfnisse auch nach einer Trennung oder Scheidung eine stabile, sichere und alltagsnahe Beziehung zu beiden Elternteilen zu haben.
Für Kinder, die sehr lange den Wunsch haben, dass ihre Eltern doch wieder zusammenkommen, nährt dieses Modell die Hoffnung, da für sie der neue Alltag nicht spürbar wird. Um den dritten Weg im Sinne der Kinder also tatsächlich zu leben, muss meiner Meinung nach einige Zeit vergangen sein. Generell ist zu bedenken, dass jedes Paar nach einer Trennung seinen ganz eigenen Weg finden muss und der dritte Weg oft eine Überforderung darstellen würde. Damit dieser gelingen kann, braucht es hohe Reflexionsbereitschaft und -fähigkeit, um die Vergangenheit abschließen zu können und den/die Ex-PartnerIn als guten Vater/gute Mutter wahrzunehmen. Ein Zusammenleben ist für Kinder sicher nur dann positiv, wenn das halb gemeinsame Leben auch harmonisch verläuft.
Fazit
Dieses Buch bietet Anregungen, die Sichtweise als Trennungseltern zu reflektieren und zu überlegen, welche Wege es im Sinne der Kinder gibt, Elternschaft nach der Trennung zu leben. Es regt an, sich mit den bekannten und gängigen Modelle der Betreuung und des Kontakts nach einer Trennung/Scheidung zu beschäftigen, gleichzeitig werden neue Perspektiven eröffnet, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Ein lesenswerter Ratgeber mit neuen Ansätzen!
Rezension von
Mag. Dagmar Bojdunyk-Rack
Geschäftsführerin RAINBOWS-Österreich
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Es gibt 17 Rezensionen von Dagmar Bojdunyk-Rack.
Zitiervorschlag
Dagmar Bojdunyk-Rack. Rezension vom 23.07.2015 zu:
Jos Willems, Brigit Appeldoorn, Maaike Goyens: Als Paar getrennt - Als Eltern zusammen. Wie eine gemeinsame Erziehung nach der Trennung gelingt. Patmos Verlag
(Ostfildern) 2015.
ISBN 978-3-8436-0573-1.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/18873.php, Datum des Zugriffs 08.09.2024.
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