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Helmut Bremer, Mark Kleemann-Göhring et al.: Weiterbildung und Weiterbildungs­beratung für „Bildungsferne“

Rezensiert von Prof. Dr. Jochen Schmerfeld, 29.09.2015

Cover Helmut Bremer, Mark Kleemann-Göhring et al.: Weiterbildung und Weiterbildungs­beratung für „Bildungsferne“ ISBN 978-3-7639-5496-4

Helmut Bremer, Mark Kleemann-Göhring, Farina Wagner: Weiterbildung und Weiterbildungsberatung für „Bildungsferne“. Ergebnisse, Erfahrungen und theoretische Einordnungen aus der wissenschaftlichen Begleitung von Praxisobjekten in NRW. W. Bertelsmann Verlag GmbH & Co. KG (Bielefeld) 2015. 174 Seiten. ISBN 978-3-7639-5496-4.

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Thema

Das Thema Weiterbildung hat vor dem Hintergrund der Kampagnen für ‚Lebenslanges Lernen‘ und speziell für die in diesem Bericht fokussierten Gruppen der Bildungsfernen bzw. Bildungsbenachteiligten eine hohe Bedeutung für Forschung und Konzeptentwicklung in der Erwachsenenbildung und Weiterbildung.

AutorInnen

  • Helmut Bremer ist Professor für Erwachsenenbildung an der Universität Duisburg-Essen.
  • Mark Kleemann-Göhring ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Duisburg-Essen.
  • Farina Wagner ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Potsdam

Entstehungshintergrund

Das Projekt „Weiterbildungsberatung im sozialräumlichen Umfeld“ wurde vom Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes NRW gefördert und durchgeführt von der Universität Duisburg-Essen (Fakultät für Bildungswissenschatten, Fachgebiet Erwachsenenbildung/Politische Bildung) in Kooperation mit der Landesarbeitsgemeinschaft für eine andere Weiterbildung NRW, dem Landesverband der Volkshochschulen von NRW, der Landesarbeitsgemeinschaft für katholische Erwachsenen- und Familienbildung in NRW und der Landesorganisation für evangelische Erwachsenenbildung NRW

Das Projekt wurde angeregt durch eine Evaluationsstudie des Deutschen Institut für Erwachsenenbildung (DIE), die auf das Problem der ungleichen Weiterbildungsteilnahme hingewiesen hat, das von der Weiterbildungskonferenz NRW aufgegriffen wurde, die eine Entwicklung neuer Konzepte und Formate für benachteiligte Zielgruppen angeregt habe. Schließlich hätten zwei vom Land NRW geförderte Projekte gezeigt, „dass für die Erreichung „bildungsferner“ Zielgruppen die Implementierung „aufsuchender Strategien“ in die Arbeit von Weiterbildungseinrichtungen sinnvoll ist.“

Die Projektbeteiligten entstammten dem Arbeitszusammenhang der AG Bildungsgerechtigkeit des Gesprächskreises für Landesorganisationen der Weiterbildung in NRW.

Aufbau

Das Buch gliedert sich in drei große Teile.

  1. Im ersten Teil: Weiterbildung, Weiterbildungsberatung und ‚Bildungsferne‘: Forschungsstand, theoretische Bezugnahmen und pädagogische Konzepte“ werden die theoretischen Grundlagen und konzeptionellen Ansätze für Bildungsberatung mit ‚Bildungsfernen‘ vorgestellt.
  2. Im zweiten Teil: „Blick in die Praxis: Projektaktivitäten zu Weiterbildung, Weiterbildungsberatung und ‚Bildungsferne‘ in NRW“ werden die Projekte, die im Rahmen des Forschungsprojekts evaluiert und begleitet wurden, beschrieben.
  3. Der letzte Teil wirft einen „Blick über den Tellerrand: Weiterbildung/Weiterbildungsberatung und ‚Bildungsferne‘ in Forschungs- und Praxisprojekten“, hier werden weitere Projekte kurz vorgestellt, die sich ebenfalls im Feld der Weiterbildungsberatung von ‚Bildungsfernen‘ betätigen.

Zu 1.

Die Grundintention der vorgestellten Projekte lasse „sich in eine Tradition einordnen, wonach Erwachsenenbildung eng verbunden ist mit Demokratie, Emanzipation und Forderungen nach gesellschaftlicher Teilhabe für alle“ (13). Dies geschehe vor dem Hintergrund der u.a. durch die PIAAC-Studie empirisch bestätigten Erkenntnis, dass Weiterbildung die Selektivität des Bildungssystems nicht kompensiere, sondern eher noch verstärke.

Angesichts einer Vielzahl von Begriffen wie Bildungsbenachteiligte, Bildungsferne, Bildungsarmut oder Bildungsungewohnte, die noch dazu mehrdeutig in diesem Zusammenhang verwendet würden, sei in diesem Projekt mit einer relativ klaren Definition von Bildungsfernen gearbeitet worden: gemeint seien damit Menschen, „die aufgrund verschiedener sozialer Benachteiligungen wenig an institutionalisierter Bildung teilnehmen und aus diesen Gründen über weniger gesellschaftliche Teilhabechancen verfügen“.(17) Weiterhin gehen die Autoren davon aus, dass Bildungsferne das Ergebnis wechselseitiger Distanzierung sei: „Nicht nur die Individuen haben Distanz zu institutionalisierter (Weiter-)Bildung, sondern umgekehrt hat auch die institutionelle Weiterbildung soziale und kulturelle Distanz zu diesen Adressat_innen.“ (17)

Das Merkmal Migration sei nicht gleichbedeutend mit ‚Bildungsferne‘ Am stärksten ausgeprägt sei ‚Bildungsferne‘ dagegen bei den unterprivilegierten Milieus. Diese Adressaten seien nur dann zu erreichen, wenn ein Weiterbildungsangebot auch aus ihrer Sicht sinnvoll sei: „wenn die Psychologik der Adressat_innen mit der Sachlogik des Lerngegenstands zusammengebracht werden kann“ (24). Besonders bei dieser Gruppe sei es sinnvoll, ein umfassendes Bildungsverständnis zugrunde zu legen: „Für Bildungsarbeit mit Benachteiligten ist das deshalb relevant, weil hier das Ansetzen an lebensweltlichen Problemlagen besonders wichtig ist.“ (25)

Das Konzept der aufsuchenden Bildungsarbeit wird präferiert: „Aufsuchende Bildungsarbeit für bildungsferne Zielgruppen erfordert es, eine Nähe zu deren Alltag herzustellen, quasi ‚Brücken‘ in die Lebenswelt zu bauen.“ (25) Die aufsuchende Bildungsarbeit stelle besondere Anforderungen an die pädagogische Reflexivität, was unter Umständen Organisationsentwicklungsmaßnahmen und Fortbildungsanstrengungen der Erwachsenenbildungseinrichtungen erfordere.

Das Ideal der Teilnehmerorientierung sei durchaus ein brauchbares Konzept. „Mit Blick auf bildungsferne Milieus muss dies aber eine Kenntnis der Lebenswelten und alltäglichen Problemlagen der Betreffenden und eine Sensibilität dafür einschließen und darf keineswegs einer unspezifischen Selbststeuerung folgen“ (29)

Gerade bei den bildungsfernen Gruppen sei die Schnittmenge zwischen Bildungsarbeit und Lebenshilfe besonders groß, weswegen es nötig sei, die Abgrenzung zwischen Erwachsenenbildung und Sozialer Arbeit zu hinterfragen. „Man muss die notwendige Niedrigschwelligkeit in die Ausgangslage mit einbeziehen und als Teil der methodisch-didaktischen Strategie betrachten“ (31)

Dazu sei ‚pädagogische Reflexivität‘ nötig, hier vor allem als Milieukompetenz zu verstehen. Das umfasse sowohl die Fähigkeit die eigene Milieuzugehörigkeit mit ihren Implikationen sich bewusst zu machen wie die Fähigkeit sich „auch auf die Logiken und Notwendigkeiten anderer Milieus einlassen zu können.“ (33)

Sprachliche Barrieren seien sowohl bei der Arbeit mit Menschen mit Migrationshintergrund wie mit funktionalen Analphabeten und Menschen mit Schwächen in der Schriftsprachkompetenz zu beachten.

Hinsichtlich der passenden Lerntheorie beziehen sich die Autoren auf Holzkamp: „Die Leistung des Ansatzes von Holzkamp und der daran anzuknüpfenden Überlegungen zum situierten und erfahrungsbezogenen Lernen liegt vor allem darin, dass Weiterbildungseinrichtungen und Lehrende dazu angehalten werden, sich in die Subjekte und ihre Lebenssituation hineinzudenken und Lernen aus deren Perspektive in den Blick zu nehmen.“ (38) Der Ansatzpunkt für Bildung und Beratung müsse in der Lebenswelt der Adressaten gesucht werden: „Die lebensweltlichen Problemlagen, aus denen Beratungsbedarfe bei diesen Gruppen erwachsen, betreffen eher Fragen der alltäglichen Lebensführung und -bewältigung als Bildungsthemen im engeren Sinne.“ (39) Weiterhin wurde bemerkt, dass ‚Bildungsferne‘ ihre Anliegen eher nicht klassischen Beratungssettings artikulieren, also eher ‚zwischen Tür und Angel‘.

Insbesondere in einer aufsuchenden Bildungsarbeit sei die räumliche Dimension bereits mitgedacht. ‚Geh-Strukturen‘ „schließen immer aber auch ein ‚Gehen‘ zu den physischen Lebenswelten und möglichen Lernorten von Bildungsbenachteiligten bzw. ‚-fernen‘ ein.“ (44)

Zu 2.

Die beteiligten Projekte werden in diesem Kapitel einzeln vorgestellt.

Deren wissenschaftliche Begleitung sei als formative Evaluation darauf angelegt gewesen, den beteiligten Projekten eine Reflexionsebene zu bieten, aber auch ihre Arbeit aus der Distanz zu analysieren. Dazu seien folgen Formen der Begleitung und Evaluation praktiziert worden: Teilnahme an Projektbesprechungen, Hospitation in und Evaluation von Modellseminaren, Beteiligung an Workshops, Befragung von Kursleitenden, Expert_inneninterviews und Recherche zu affinen Projekten.

Dabei habe sich die aufsuchende Bildungsarbeit und die Einbindung von „Beziehungsarbeiter_innen“ als erfolgreich erwiesen, „um Zugang zu den Lebenswelten ‚bildungsferner‘ Zielgruppen zu erhalten, Bildungsbedarfe zu eruieren und Weiterbildungsangebote zielgruppengerecht zu entwickeln“ (69f). Hier habe sich gezeigt, dass durch die Verbindung von Bildungsarbeit, „sozialarbeiterisch unterstützter Lebenshilfe“ und Niedrigschwelligkeit der Angebote die Zielgruppe erreicht worden sei.

Die Ausrichtung der Arbeit auf bildungsferne Gruppen mache in den Einrichtungen Organisationsentwicklungsmaßnahmen nötig, die die folgenden Bereiche betreffen würden: Implementierung von aufsuchender Bildungsarbeit, Fortbildung der Mitarbeitenden, das Bildungsverständnis sowie die Finanzierung.

Modellseminare seien in den folgenden Bereichen durchgeführt worden: Arbeit mit Erwerbslosen, mit Migrant_innen und in der Familienbildung sowie Fortbildungsangebote für „Brückenmenschen“ und „Vertrauensmenschen“. Dabei sei zum Thema Beratung festgestellt worden: Beratungsanliegen würden häufig in Kursen thematisiert und situativ bearbeitet. Bildungsferne würden weniger systematisch erreicht. In niedrigschwelligen Angeboten zeige sich ein erhöhter Beratungsbedarf, der häufig mit Problemen der alltäglichen Lebensführung verbunden sei. Angesprochen würden Kursleitende. Ein erweiterter Zugang zur Zielgruppe erfordere andere Kooperationen und Vernetzungen.

Die Kursleitendenbefragung habe ergeben: Alle befragten Kursleitenden hätten angegeben auch beratend tätig zu sein, sie benötigten Fortbildung zur Psychologie der Beratung und zu rechtlichen Inhalten. Weiterhin sei mehr Zeit nötig um nachhaltige Prozesse zu ermöglichen.

Zur Vertiefung der Netzwerkarbeit seien Workshops durchgeführt worden, an denen Vertreter_innen von Institutionen aus der Bildungs- Sozial- und Kulturarbeit sowie der Arbeitsverwaltung teilgenommen hätten. Je nach Projektstandort seien passende Vernetzungsstrategien daraus entwickelt worden.

Die Ergebnisse der Expert_inneninterviews ließen sich so zusammenfassend verdichten:

Themen und Anliegen der Zielgruppe seien existenzielle Probleme, Familien- und Partnerschaftsprobleme und weiterbildungsbezogene Anliegen. Als zentrale Beratungskompetenzen seien genannt worden: Milieukompetenz, interkulturelle Kompetenz, individuelle Beratungskompetenz und Professionalität.

Zu 3.

Hier sind die Ergebnisse einer Recherche, „inwiefern Themen und Aspekte der Projektkontexte (…) bereits in anderen Projekten oder Arbeitszusammenhängen aufgegriffen und bearbeitet wurden“ zusammengestellt worden (93).

Zu 4. (Schlussbemerkungen)

In diesem Kapitel werden die wichtigsten Aussagen zusammenfassend resümiert, dabei Themen wie aufsuchende Bildungsarbeit, Revitalisierung der pädagogischen Beziehung (Vertrauen als Basis für Bildung und Beratung), die Notwendigkeit der Selbstreflexion der Weiterbildner_innen und Berater_innen und die Entwicklung der in diesem Bereich aktiven Organisationen noch einmal genannt und in ihrer Bedeutung für die Arbeit mit Bildungsfernen betont.

Diskussion

Insbesondere im ersten theoretischen Teil werden relativ unspezifisch zur Problematik der Weiterbildungsberatung mit Bildungsfernen bereits gut bekannte Konzepte der Erwachsenen- und Weiterbildung referiert. Der Bezug zur Problematik der Weiterbildungsberatung mit Bildungsfernen wird allerdings immer deutlich. Während der Bereich der Bildungsarbeit ausführlich behandelt wird, kommt die Beratung etwas zu kurz, obwohl hier eine besondere Problematik in Hinblick auf die Zielgruppe vorliegen dürfte. Insgesamt liest man viel Altbekanntes, auch für die aktuelle Situation der Erwachsenenbildung Wichtiges, aber neue Erkenntnisse findet man leider keine. Die durchgehend deutliche Parteinahme für die Zielgruppe ist sympathisch, reicht aber wohl nicht hin, um deren besondere Problemlagen in aller Schärfe in den Blick zu bekommen. So wird auch möglicherweise eine weitere Chance vertan, in der Anstrengung um eine größere Bildungs- und Chancengerechtigkeit einen Schritt voran zu kommen.

Fazit

Es werden einige klassische Konzepte der Erwachsenenbildung behandelt, auch ein Bezug zur Sozialen Arbeit und dem dort aktuell favorisierten Konzept der Sozialraumorientierung versucht. Für wen das neu ist, der wird sich hier informieren können. Alle anderen werden dieses Buch allenfalls kursorisch lesen um festzustellen, dass sie nichts Neues erfahren.

Rezension von
Prof. Dr. Jochen Schmerfeld
Professor für Pädagogik an der Katholischen Hochschule Freiburg

Es gibt 21 Rezensionen von Jochen Schmerfeld.

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ISSN 2190-9245