Mickey Keenan, Ken P. Kerr et al.: Eltern als Therapeuten von Kindern mit Autismus-Spektrum-Störungen
Rezensiert von Dipl.-Päd. Petra Steinborn, 17.09.2015
Mickey Keenan, Ken P. Kerr, Karola Dillenburger: Eltern als Therapeuten von Kindern mit Autismus-Spektrum-Störungen. Selbständigkeit fördern mit Applied Behaviour Analysis. Kohlhammer Verlag (Stuttgart) 2012. 220 Seiten. ISBN 978-3-17-022198-7. 29,99 EUR.
Thema
Applied Behaviour Analysis (ABA) ist im angloamerikanischen Raum eine eigenständige psychologische Disziplin zur Begleitung von Menschen aus dem autistischen Spektrum. Eltern nehmen bei der Therapie eine entscheidende Rolle ein, auch weil sie sich mit hohem zeitlichen und finanziellen Aufwand einbringen müssen. Das Buch berichtet von der Arbeit der Eltern als ABA Therapeuten der eigenen Kinder und gibt eine Einführung in Grundprinzipien der Methodik.
Autoren und Autorin
AutorInnen sind Dr. Mickey Keenan, Dr. Ken P. Kerr und Prof. Karola Dillenburger. Alle drei arbeiten in Irland und sind Verhaltensanalytiker mit BCBA Zertifikat. BCBA steht für „Board Certified Behavior Analyst“. BCBA ist ein Zertifikat einer privaten irischen Fachgesellschaft, das in Deutschland nicht zur eigenständigen heilkundlichen Qualifizierung berechtigt.
Das Buch wurde von Prof. Dr. Hanns Rüdiger Röttgers und Mitarbeitenden aus dem Englischen übersetzt und für Deutschland adaptiert. Prof. Dr. Hanns Rüdiger Röttgers arbeitet im Modul Autismustherapie des Masterstudiengangs „Clinical Casework“ an der Fachhochschule Münster, einem Studiengang, der durch Teilnehmergebühren finanziert wird.
Aufbau und Inhalt
Das Buch hat einen Umfang von 223 Seiten, die sich in sieben Kapitel aufgliedern. Die einzelnen Kapitel sind von unterschiedlichen Autoren geschrieben und enden jeweils mit den verwendeten Literaturangaben. Auf jeder Seite findet man am oberen Rand den Hinweis auf den jeweiligen Kapiteltitel. Abbildungen und Tabellen vervollständigen die Texte.
- Aktueller Wissensstand und Versorgungslandschaft bei Autismus-Spektrum-Störungen in Deutschland
- Applied Behaviour Analysis: Die Elternperspektive
- Angewandte Verhaltensanalyse: „Die Therapie der Wahl“
- Funktionale Beurteilung, Funktionale Analyse und Problemverhalten
- Colins Geschichte
- Was wollen wir unseren Kindern beibringen?
- Zusammenfassung und Ausblick
- Schlussüberlegung
- Anhang 1: Colins Sprache, 4 Monate nach Therapiebeginn
- Anhang 2: Colins Wortschatz
- Anhang 3: Sprachtherapie
- Anhang 4: Colins Tag
- Register
Das erste Kapitel Aktueller Wissensstand und Versorgungslandschaft bei Autismus-Spektrum-Störungen in Deutschland gibt einen Überblick. Es wird erläutert was man unter ABA und autismusspezifischer Verhaltenstherapie (AVT) versteht, daran schließt sich die Definition von Autismus und dessen Ursachen an. Lange Jahre dachte man, dass die Ursache für Autismus in der Beziehung zwischen Mutter und Kind läge. Die sog. „Kühlschrank-Mütter“ seien verantwortlich für die Störungen bei ihrer Kinder. Damit waren Mütter gemeint, die einen angeblichen emotionalen Mangel aufweisen und dem Kind entsprechend kühl begegneten. Diese Theorie ist widerlegt! Heute weiß man aus der Neurobiologie, dass Autismus eine tiefgreifende Entwicklungsstörung ist, mit Auswirkung auf eine andere Informations- und Wahrnehmungsverarbeitung. Es wird ein Blick auf die Versorgungssituation in Deutschland mit seinen unterschiedlichen Zuständigkeiten geworfen. Aus Sicht der Autoren trifft man in Deutschland auf eine verzögerte Diagnostik, therapeutische Beliebigkeit und ungünstige Langzeitverläufe. Es wird darüber hinaus beleuchtet, wer im deutschen Sozialsystem für die Hilfen in Bezug auf die Autismus Spektrum Störung zuständig ist, wie die Rechtsprechung ist wie Verwaltungen handeln. Im Anschluss daran folgt knapp die Betrachtung aus verschiedenen Perspektiven: Autismus im Jugend- und Erwachsenenalter, Autismus und Schulwahl und Autismus und Arbeitsmarkt. Am Ende des Kapitels werden Einzelinitiativen und AVT-/ABA-Angebote in der Bundesrepublik genannt.
Das zweite Kapitel handelt von der Elternperspektive in Bezug auf ABA Applied Behaviour Analysis. Eltern beschreiben, was man unter „angewandter Verhaltensanalyse“ versteht, mit welchen Methoden gearbeitet wird und wie man individuell definierte Ziele bearbeiten und erreichen kann. Die Art der Darstellung ist gewöhnungsbedürftig, da sich die Fallbeispiele nicht abgrenzen lassen, sondern ineinander übergehen. Es ist verwirrend, von welchem Kind gerade die Rede ist.
Das dritte Kapitel angewandte Verhaltensanalyse: „Die Therapie der Wahl“ nimmt den Ansatz konkreter in den Blick und setzt die elterliche Perspektive in den wissenschaftlichen Kontext. Dabei werden die Kriterien einer effektiven Behandlung benannt.
Das vierte Kapitel handelt von der sogenannten Funktionalen Beurteilung, Funktionalen Analyse und Problemverhalten. In diesem Kapitel wird erklärt, was man unter angewandter Verhaltensanalyse (ABA) konkret versteht. Es geht um die Notwendigkeit von Verhaltensveränderungen und es wird reflektiert, warum es an langfristiger Verhaltensveränderung mangelt. Vor einer Intervention ist die Bestimmung der Ursachen des Problemverhaltens zentral. Hier werden auch Gefahren für die Veränderung des problematischen Verhaltens beim Einsatz von Maßnahmen ohne Berücksichtigung der Ursachen angesprochen. Die Leserschaft erfährt etwas über Hilfestellung zur Identifikation der auslösenden Bedingungen und Konsequenzen des Verhaltens. Es wird erklärt, was eine funktionale Verhaltensbeurteilung und eine funktionale Verhaltensanalyse ist. Die Ausführungen werden an einem Fallbeispiel deutlich gemacht.
Das fünfte Kapitel stellt Colins Geschichte vor der ABA Behandlung vor. Es beschreibt den Weg Colins zur ABA-Behandlung, wie die Eltern in ABA geschult wurden, wie das Setting aussah und wie das Verhalten gemessen wurde. Dieses Kapitel endet mit einer generellen Diskussion und einem Fazit.
Das sechste Kapitel befasst sich mit der Frage, was den Kindern beigebracht werden soll. Man beginnt mit der Planung des Curriculums und der Identifizierung der Hauptaufgaben, die in der ABA vermittelt werden. Es folgt ein Überblick über ein allgemeines ABA-Programm, über das Lernverhalten, schulische und vorschulische Fähigkeiten und über das Spielen und die Beschäftigung. Auch hier wird an einem weiteren Fallbeispiel (Chris) das Vorgehen erläutert.
Das siebte Kapitel gibt eine Zusammenfassung und Ausblick. Ausführlich wird erläutert, dass jedes Kind ein Recht auf eine effektive Behandlung hat. An dieser Stelle wird knapp auf Vorurteile und Fehlwahrnehmungen eingegangen. Das Kapitel schließt mit der Vorstellung der Ausbildung in Applied Behaviour Analysis. Bei ABA finanzieren Eltern die Therapie, investieren Zeit und werden auch für ihren Einsatz als Co-Therapeuten ausgebildet.
Das Buch endet mit vier Anhängen und einem Register:
- Anhang 1: Colins Sprache, 4 Monate nach Therapiebeginn
- Anhang 2: Colins Wortschatz
- Anhang 3: Sprachtherapie
- Anhang 4: Colins Tag
ABA ist im angloamerikanischen Raum als eigenständige psychologische Disziplin bekannt. Vertreter der angewandten Verhaltensanalyse oder „Behaviour Analysis“ weisen auf Fortschritte in Kommunikation, Entwicklung und Selbständigkeit für Menschen mit Autismus-Spektrum-Störungen hin. Laut Klappentext will das Buch Einblicke in störungsbezogene lernpsychologische Grundprinzipien geben. Vorgestellt wird die Einführung von entsprechenden Therapieprogrammen in Nordirland durch eine private Fachgesellschaft und der Initiative PEAT, was für Parents= Education as Autism Therapists steht. Wie der Name schon sagt werden Eltern als Co-Therapeuten einbezogen. Für ABA wurde ein ausdifferenziertes Curriculum mit verschiedenen Qualifikationsniveaus entwickelt. Das heißt aber nicht, dass jede Maßnahme der autismusspezifischen angewandten Verhaltenstherapie (AVT) notwendigerweise eine ABA-Maßnahme ist. Richtig ist, dass das praktische Methodenrepertoire der AVT in vielen Bereichen der Verhaltenstherapie zu finden ist.
Diskussion
Das Arbeiten nach ABA wird in Deutschland kontrovers diskutiert – viele Fachleute, Eltern und vor allem auch Menschen mit Autismus kritisieren diese Disziplin. Dabei geht es um Inhalte, aber auch um die immensen Kosten und den hohen Zeitaufwand. Eltern müssen sich zur aktiven Mitarbeit verpflichten und tragen die Kosten. ABA ist von den üblichen Kostenträgern nicht anerkannt. ABA nimmt Einfluss auf das gesamte Familienleben. Das bedeutet, dass nur bestimmte Eltern ABA in Anspruch nehmen können und wollen. Es wird immer wieder berichtet, dass Eltern Frustrationsgefühle zeigen, wenn sie sich den Anforderungen nicht oder nicht mehr gewachsen fühlen.
Verfechter von ABA berichten von enormen Erfolgen, manche sprechen sogar von Heilung und Befreiung vom Autismus. Dieser Anspruch ist nach heutigem Erkenntnisstand äußerst kritisch zu bewerten. Menschen aus dem autistischen Spektrum nehmen anders wahr, denken und handeln anders als nicht autistische sog. neurotypische Menschen. Es handelt sich beim Autismus eben nicht um eine Krankheit, die es zu heilen gilt, sondern um eine Normvariante des Menschseins, in ihrer Ausprägung individuell, so wie jeder Mensch ein Individuum ist.
Im Buch werden bei der Definition von Autismus der sog. „Kanner Autismus“ und „Asperger Autismus“ gegenüber gestellt. Diese Unterscheidung ist aus fachlicher Sicht künstlich, da die Syndrome nicht trenngenau abgegrenzt werden können. Im neuen DSM V sowie in der 11. ICD Revision wird diese Unterscheidung aufgehoben und durch den Begriff der „Autismus Spektrum Störung“ (ASS) ersetzt.
Ziemlich zu Beginn des Buches findet man eine Tabelle (Seite 26-28) mit dem Titel „verbreitete Pseudotherapien“. Es werden Verfahren wie FC oder Delfintherapie genannt und dazu die gängigen Behauptungen zum Wirkmechanismus, zur wissenschaftlichen Bewertung sowie zu Chancen und Risiken aufgeführt. In diesem Buch wird regelrecht dafür geworben, dass es sich bei ABA um eine wissenschaftlich fundierte Methode handelt, deren Evidenz belegt ist. Als Beleg werden im dritten Kapitel Forschungsergebnisse vorgestellt. Auffällig ist, dass diese leider nicht aktuell sind, sie stammen aus den 1990er Jahren. So wird z.B. aus einer Studie aus dem Jahr 1987 zitiert. Beschäftigt man sich eingehender mit dieser Studie stellt man fest, dass Anzahl der untersuchten Kinder gering ist: in einer Studie wurden 19 Kinder untersucht (und parallel dazu 40 Kinder in zwei Kontrollgruppen), in einer anderen zitierten Untersuchung von 1985 handelt es sich um insgesamt 9 Kinder. Leider ist auch nichts darüber geschrieben, nach welchen Kriterien die untersuchten Kinder ausgewählt wurden. Die Studie von Lovaas aus dem Jahr 1987 ist bekanntlicherweise nicht unumstritten. Beim Lesen dieses Abschnitts drängt sich unweigerlich die Frage auf, warum keine aktuelleren Forschungsergebnisse als diese, die fast 30 Jahre alt sind, zitiert werden. Liegt das vielleicht darin begründet, dass es keine aktuelleren Forschungsergebnisse gibt, die die Wirksamkeit belegen?
Ein Kern des Buches sind Berichte von Eltern, die von den Erfolgen ihrer Kinder berichten. Diese haben keinen wissenschaftlichen, sondern vielmehr anekdotischen Charakter. Diese als Belege für die Wirksamkeit von ABA heranzuziehen wäre kritisch, zumal es Berichte von Eltern sind, die zum Therapeutenteam gehören, weil sie für ihre Rolle als Therapeuten viel Zeit und Geld investiert haben: sie werden ausgebildet und sie arbeiten mit dem eigenen Kind. Wünschenswert wäre Stimmen von außenstehenden Beobachtern gewesen, die nicht Teil des Systems sind. Auch eine kritische Betrachtung zu auftretenden Schwierigkeiten habe ich in diesem Buch vergeblich gesucht.
Es handelt sich um ein zeitintensives Training. In einem Beispiel bekommt ein Junge 25 Stunden Einzeltraining die Woche, was bei einer 7 Tage Woche bedeutet, dass er 3 Stunden am Tag trainiert wird. Das ist für ein Kind im Alter von 4,5 Jahren und Eltern ein hoher Aufwand. Zu den Kosten habe ich im Buch leider keinen Hinweis gefunden. Bei Recherchen stieß ich auf einem Artikel in der Zeit vom 2013. Darin wird der Kostenaufwand für 2 Jahre auf bis zu 34.000 EUR beziffert, ein Aufwand, den nur wenige Eltern leisten können (Quelle Zeit online) www.zeit.de/zeit-wissen/2013/03/autismus-kinder-verhalten. Rechnet man diesen Aufwand bis zum Schulalter hoch wären das über 100.000 EUR, die von jeder einzelnen Familie aufgebracht werden müssten.
Lovaas entwickelte ABA in den 1960er Jahren, als die Fachwelt noch davon ausging, dass es sich um eine Störung der Beziehung zwischen Mutter und Kind handle. Eltern lernen bei ABA auf Basis der Verhaltenstherapie einen Zugang zum Kind aufzubauen. Was Lovaas nicht wusste ist, dass Autismus eine tiefgreifende Entwicklungsstörung ist. Viele Betroffene sind auf eine lebenslange Unterstützung angewiesen. Es ist an der Zeit, dass sich ABA Vertreter mit dieser veränderten Ausgangslage selbstkritisch beschäftigen und Eltern klar offen legen, dass ein paar Jahre Therapie im Kindesalter keine neurobiologischen Dispositionen verändern können.
Eltern greifen nach jedem Strohhalm und einige sind bereit, viel Zeit und Geld zu investieren – das ist nachvollziehbar. Doch ist es auch realistisch davon auszugehen, dass das Kind nach zwei Jahren hochfrequenter Therapie nachhaltig für das gesamte Leben gerüstet ist? Kann es dann wirklich selbstregulierend auf Anforderung reagieren? Im Kleinkindalter kann man Alltagsfertigkeiten wie das selbständige Anziehen oder Essen unterstützen, aber was ist mit Fähigkeiten, die in einem höheren Entwicklungsalter gestellt werden? Ist es seriös glauben zu machen, dass es gelingt, diese tiefgreifende Entwicklungsstörung durch die Therapie im Kindesalter mit nachhaltigen Auswirkungen auf das gesamte Leben und den damit sich immer wieder verändernden Herausforderungen zu beeinflussen?
Auch die intensive Einbindung der Eltern sollte kritischer besprochen werden, denn dieses Vorgehen wirft viele Fragen auf. Wie geht es Eltern, die hochfrequent und intensiv mit ihrem Kind als Co- Therapeuten arbeiten müssen? Ihr Einsatz kommt vom Stundenaufwand fast einer Vollzeittätigkeit gleich. Wie gelingt es Eltern aus der Therapeutenrolle in eine alltägliche Elternrolle zurück zu wechseln und einen „therapiebereinigten“ Familienalltag zu leben? Was geschieht in der Zeit, wenn die Therapie gänzlich beendet ist? Kann nach so einer intensiven Zeit im Alltag ein reguläres Familienleben reibungslos gestaltet werden, sodass Eltern nicht mehr Therapeuten, sondern „nur“ Mutter oder Vater sind? Was macht so eine intensive Zeit mit einer Familie, mit Eltern, mit Kindern und deren Umgebung?
Und wie fühlt sich das Kind dabei, wenn es mit dieser hochfrequenten Therapie durch die eigenen Eltern behandelt wird? Ist es möglich, einen unbeschwerten therapiefreien Alltag zu gestalten? Gibt es überhaupt noch Lebenszeit, in der es nicht um die Bearbeitung von Verhaltensweisen geht, die als störungsspezifisch identifiziert wurden oder erlebt sich das Kind permanent als behandlungsbedürftiges Objekt? Wie wirkt sich diese Lebenszeit auf die Entwicklung einer einer eigenen Identität aus? Antworten auf diese Fragen wurden im Buch bedauerlicherweise nicht bearbeitet.
Die Autoren grenzen sich klar vom TEACCH Ansatz ab. Nach ihrer Ansicht sei TEACCH ein „prothetischer Ansatz“, bei dem die Gestaltung der Lernumgebung im Vordergrund stehe. Bei ABA stehe dagegen die Selbstregulation der Kinder im Fokus. Diese Behauptung ist nicht richtig. Der TEACCH Ansatz hat zum Ziel, ein höchstmögliches Maß an Selbstständigkeit, Unabhängigkeit und Selbstbestimmung zu erreichen und zwar dadurch, dass eine passende Umgebung geschaffen wird, die Sicherheit gibt, vorhersehbar, bedeutsam und sinnhaft ist und die Bedürfnisse der Person berücksichtigt.Auf dieser Basis ist die Grundlage für das Erleben der eigenen Selbstwirksamkeit möglich. TEACCH ist ein stärkenorientierter Ansatz, der die Ressourcen der Person nutzt.
ABA ist eine Frühtherapie. In diesem Entwicklungsalter von Selbstmanagementfähigkeiten (also der Bemühung einer Person das eigene Verhalten zielgerichtet zu beeinflussen) zu sprechen bedarf der Erklärung, vor allem auch vor dem Hintergrund, dass mit klassischer Konditionierung, also mit Reiz-Reaktionsmechanismen gearbeitet wird.
Mit dieser Meinung stehe ich nicht alleine da. In Deutschland stoßen ABA-Interventionen nach wie vor auf viel Kritik. In Blogs und in sozialen Netzwerken berichten Erwachsene von negativen Folgen der eigenen ABA Behandlung im Kindesalter. Viele leiden bis heute. Ein wesentlicher Punkt ist, dass die Kinder auf roboterhaftes Verhalten reduziert würden, wie etwa der Bundesverband für Autismus meint. „Sie werden nicht zu anderem Verhalten motiviert, sondern schlicht darauf getrimmt. Das ist eine Dressur des Kindes, die gegen seine Würde verstößt und bei ihm nur Widerstand hervorruft“, sagt dessen Vorsitzende Maria Kaminski. Auch sie ist Mutter eines – inzwischen erwachsenen – Autisten. Und das dürfe ihr Sohn auch bleiben, sagt sie. Sie beschreibt ihren Umgang als „liebevoll-konsequent“.
Fazit
Das Buch stellt die Perspektive von Eltern als Therapeuten in den Mittelpunkt. Eltern, die damit konfrontiert werden, dass ihr Kind anders ist greifen nach jedem Strohhalm. Im angloamerikanischen Raum kommt Applied Behaviour Analysis (ABA) in der Begleitung von Menschen aus dem autistischen Spektrum zum Einsatz. Gemeinsam mit einer privaten Fachgesellschaft setzt sich PEAT für die Verbreitung von ABA ein. PEAT steht für Parents= Education as Autism Therapists in Irland. Eltern spielen bei dieser Therapie eine entscheidende Rolle und müssen sich mit hohem zeitlichen (20-40 Wochenstunden) und finanziellen Aufwand einbringen. Das Buch gibt einen Überblick in Grundprinzipien der Methodik ABA. ABA arbeitet mit klassischer Konditionierung, baut auf Disziplin und Belohnung auf und weniger auf die eigene Motivation und dem Verstehen des Sinns von Handlungen. Wer eine kritische Auseinandersetzung mit ABA erwartet wird enttäuscht werden.
Rezension von
Dipl.-Päd. Petra Steinborn
Tätig im Personal- und Qualitätsmanagement in einer großen Ev. Stiftung in Hamburg-Horn. Freiberuflich in eigener Praxis (Heilpraktikerin für Psychotherapie). Leitung von ABC Autismus (Akademie-Beratung-Coaching), Schwerpunkte: Autismus, TEACCH, herausforderndes Verhalten, Strategien der Deeskalation (systemisch), erworbene Hirnschädigungen
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Es gibt 313 Rezensionen von Petra Steinborn.
Zitiervorschlag
Petra Steinborn. Rezension vom 17.09.2015 zu:
Mickey Keenan, Ken P. Kerr, Karola Dillenburger: Eltern als Therapeuten von Kindern mit Autismus-Spektrum-Störungen. Selbständigkeit fördern mit Applied Behaviour Analysis. Kohlhammer Verlag
(Stuttgart) 2012.
ISBN 978-3-17-022198-7.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/18900.php, Datum des Zugriffs 24.01.2025.
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