Alban Knecht, Philipp Catterfeld (Hrsg.): Flaschensammeln
Rezensiert von Prof. Dr. sc.hum. Nina Fleischmann, 23.09.2015

Alban Knecht, Philipp Catterfeld (Hrsg.): Flaschensammeln. Überleben in der Stadt. UVK Verlagsgesellschaft mbH (Konstanz) 2015. 184 Seiten. ISBN 978-3-86764-624-6. D: 24,99 EUR, A: 25,70 EUR, CH: 35,50 sFr.
Thema
Seitdem es in Deutschland die Pfandpflicht auf Einwegflaschen gibt, gehören Flaschensammler zum Alltag in Städten und Bahnhöfen. Kommunen führen Diskussionen über Pfandringe, die das Wühlen in Mülleimern nach Pfandflaschen vermeiden soll. Doch was steckt hinter diesem Phänomen der Flaschensammler? Was sind die Motive der Menschen, die Pfand sammeln? Wie sieht deren Alltag aus? Für diese Fragen interessierten sich Knecht und Catterfeld und realisierten mit Studierenden der Sozialen Arbeit das Projekt der Erforschung der Lebenswelt der Flaschensammler in München.
Herausgeber
Philipp Catterfeld lehrt Sozialforschung an der Hochschule für angewandte Wissenschaften in München.
Dr. Alban Knecht ist für die Volkshilfe Österreich tätig und hat Lehraufträge für angewandte Sozialforschung an unterschiedlichen Hochschulen in Deutschland und Österreich. 35 Studierende nahmen am Seminar und damit am Projekt teil.
Aufbau
Das Buch umfasst eine Einführung der Herausgeber, neun Beiträge im Abschnitt „Flaschensammler-Winter“, 13 im Abschnitt „Flaschensammler-Sommer“ sowie einen Anhang auf insgesamt 183 Seiten.
Inhalt
Zu Beginn führen Knecht und Catterfeld in die zugrundeliegende Idee des Forschungsprojektes und die Umsetzung ein. Die Methodik des Forschungsprojektes ist das verstehende Interview nach Kaufmann, von denen die Herausgeber sich zwar eine robuste Inhaltsanalyse, gleichzeitig aber auch eine Leichtigkeit in der Vorgehensweise versprechen. Gerade mit der Unerfahrenheit der Studierenden in Interviewführung werden Unsicherheit hier als Teil der Erhebung und Chance für neue Erkenntnisse verstanden. Auf der Erfahrung des ersten Semesters bauten die Herausgeber die Weiterentwicklung der Arbeit im nachfolgenden Semester auf und konnten die Herangehensweisen der Studierenden im Feld modifizieren.
Der Abschnitt „Flaschensammler-Winter“ beginnt mit „Einer Stunde aus dem Leben eines Flaschensammlers“. Erzählerisch wird der Leser in das Forschungsfeld mitgenommen: eine Studentin spricht einen Flaschensammler an und begleitet ihn auf seiner Tour vom Münchner Marienplatz und durch U-Bahnstationen. Die Studentin lässt den Leser an ihren eigenen Gedanken zur Situation teilhaben, Themen wie Einkommen, Hartz 4, das Wetter, die Beziehung zu anderen Flaschensammlern, welche Art von Pfandflaschen mehr Freude beim Sammler auslösen als andere lassen hier erste Ideen vom Flaschensammler-Leben entstehen.
Einige andere Studierende haben eine Selbstversuch gewagt und für einige Zeit selber Flaschen gesammelt. Sie berichten, wie sie ihre Routen wählen, wie sie sich schämen, weil sie sich von anderen Personen beobachtet fühlen, welche Arbeitswerkzeuge wie Handschuhe, Küchenzange und Taschenlampe sie sich bereitlegen. In einer Woche hat eine Studentin 82 Flaschen gefunden.
Eine andere Studentin in diesem Abschnitt geht in der Analyse der Interviews mit den Flaschensammlern weiter und stellt Thesen zu Arbeit und Einkommen auf. Sie kommt zu dem Schluss, dass je weniger Geld ein Flaschensammler zur Verfügung habe, desto professioneller geht er seiner Sammeltätigkeit nach. Geld scheint die treibende Kraft, die Einkünfte des Pfands sichert die Existenz oder trägt zur Aufstockung der Rente bei. Daneben spielen die Motive des Flaschensammelns als Hobby oder Freizeitbeschäftigung eine Rolle, das Sammeln wird als eine Art Arbeit gesehen. Der Verdienst ist dabei, wie ein weiterer Beitrag zeigt, neben dem Ort des Sammelns einer der Indikatoren der Professionalität des Sammelns. Die Sammler grenzen sich dabei selber ab, von Hobby- oder Profi-Sammlern, von Bettlern, von Ausländern – hier sehen sie selbst Unterschiede zwischen sich selbst und anderen Gruppen. Im Flaschensammeln wird ein Sinn gesehen: das Geld, was hier buchstäblich auf der Straße liegt, wird mitgenommen – anderes Handeln widerspricht der Sozialisation und Erziehung. Zudem spielt die direkte Belohnung des Handels eine Rolle, das Finden der Flaschen und Einlösen des Pfands. Im Selbstversuch bestätigen die Studierenden dieses Gefühl, weiter sammeln zu wollen, wenn man einmal angefangen habe.
Verbindende Elemente in der Biografie der interviewten Flaschensammler sind physische, häufiger psychische Erkrankungen und damit verbunden ein Verlassen des (ersten, mitunter auch zweiten) Arbeitsmarktes mit prekärer Lebenslage. Eine zu vermeidende Abhängigkeit vom Staat ist Teil der Sammlertätigkeit.
Die individuellen Berichte der Studierenden und Interviews mit den Flaschensammlern wird im letzten Beitrag ergänzt durch eine theoretische Einordnung der Herausgeber. Sie sehen drei Voraussetzungen für das Flaschensammeln: zum einen das Pfand selbst, hier ist die Einführung des Einwegpfands 2003 ein besonderer Meilenstein. Zweitens lassen Menschen eben diese Pfandflaschen in der Öffentlichkeit zurück und die Entwicklungen, Getränke auf dem Weg von und von Abendveranstaltungen weg zu konsumieren. Die dritte genannte Voraussetzung deckt sich mit den Beobachtungen der Studierenden: die Armut. Zudem ist die tagesstrukturierende Komponente des Sammelns nicht zu unterschätzen.
Diskussion
Das Buch stellt gute Forschungsansätze zu einem städtischen Alltagsphänomen vor. Die 13 Interviews bieten viel Potential für weiterführenden Analysen in strukturierter Methode, bitte weitermachen! Geprägt von eigener qualitativer Forschungsarbeit erkenne ich Muster und Konzepte in den Daten und entwickele in meinem Kopf bereits weiter.
Die Studierenden, die am Projekt teilgenommen haben, waren engagiert, haben Selbstversuche gemacht und sind tief in das Forschungsfeld eingetaucht. Auf subjektiver Ebene kam es hier sicher zu einen großen Lernzuwachs in Datenerhebung und Feldzugang und zudem viel persönliche-individueller Reflexion. Die Methoden blieben in der Erhebungsphase und ersten analytischen Schritten. In einigen Darstellungen wurden theoretische Konzept aus der Literatur herangezogen, andere belassen es bei reiner Verschriftlichung (Transkription) der Interviews. Hierauf lässt sich aufbauen, so dass eine Weiterführung des Projekts wünschenswert wäre.
Fazit
Dieses Buch erhellt das Phänomen Flaschensammeln auf wissenschaftliche Weise und gibt viele neue Denkanstöße. Die Interviews und Protokolle thematisieren das gesellschaftliche Konstrukt, in dem sich die Flaschensammler selbst einordnen.
Rezension von
Prof. Dr. sc.hum. Nina Fleischmann
Hochschule Hannover Fakultät V - Diakonie, Gesundheit und Soziales
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