Erich Hollenstein, Frank Nieslony et al. (Hrsg.): Handbuch der Schulsozialarbeit
Rezensiert von Dr. Torsten Mergen, 07.01.2019

Erich Hollenstein, Frank Nieslony, Karsten Speck, Thomas Olk (Hrsg.): Handbuch der Schulsozialarbeit. Band 1. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2017. 356 Seiten. ISBN 978-3-7799-3303-8. D: 19,95 EUR, A: 20,60 EUR, CH: 27,90 sFr.
Thema
Seit dem Ende der achtziger Jahre hat sich das Berufs- und Tätigkeitsbild der Sozialarbeit stark gewandelt, die Schulsozialarbeit hat sich zu einem stetig expandierenden Feld entwickelt, was durch ein ganzheitliches Bildungsverständnis, die Stärkung der Jugendhilfe und die wachsende Kooperation zwischen Schule und Jugendhilfe befördert wird. Das von Erich Hollenstein, Frank Nieslony, Karsten Speck und Thomas Olk herausgegebene „Handbuch der Schulsozialarbeit“ zeigt daher in sechs Kapiteln mit insgesamt 38 Beiträgen die Entwicklung dieses qualitätsgesteuerten professionellen Handlungsfeldes mit einer enormen Dynamik auf: Es intendiert eine Standortbestimmung der Schulsozialarbeit, fragt nach Fachkompetenzen und Professionalisierungsgrad der in diesem Bereich Tätigen und beleuchtet die Vielfalt der Themenfelder, mit denen Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter täglich beschäftigt sind (etwa von Einzelfallhilfe oder Gewalt in der Schule über Berufsorientierung und Medienbildung hin zu Schulversagen und Schulabsentismus).
Herausgeber
- Prof. Dr. Erich Hollenstein lehrte von 1982 bis 2008 im Studiengang Soziale Arbeit, Fakultät V, an der Hochschule Hannover. Arbeitsschwerpunkte und Lehrgebiete waren Sozialisation, Bildung, Erziehung sowie Gemeinwesenarbeit, Jugendhilfe/Jugendarbeit und Schulsozialarbeit.
- Prof. Dr. Frank Nieslony, Dipl.-Päd., Sozialarbeiter, war Professor für Sozialarbeit an der Evangelischen Hochschule Darmstadt. Arbeitsschwerpunkte waren Sozialadministration/Soziale Dienste, Jugendhilfe und Schule, Schulsozialarbeit, Sozial- und Jugendhilfeplanung, Geschlechteridentität und Soziale Arbeit.
- Prof. Dr. Karsten Speck studierte Erziehungswissenschaften an der Universität Halle-Wittenberg, wo er 2005 auch promovierte. Er lehrte und forschte zunächst an der Universität Potsdam, seit 2010 hat er an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg die Professur für „Forschungsmethoden der Erziehungs- und Bildungswissenschaften“ am Institut für Pädagogik inne. Arbeits- und Forschungsschwerpunkte sind die Qualität und Evaluation im Bildungs- und Sozialbereich, Kooperations- und Netzwerkforschung sowie Jugend- und Sozialisationsforschung.
- Prof. Dr. Thomas Olk (1951-2016) war Inhaber des Lehrstuhls für Sozialpädagogik und Sozialpolitik am Fachbereich Erziehungswissenschaften der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.
Aufbau und Inhalt
Nach einer knappen Einleitung ist der Band in sechs Kapitel mit insgesamt 38 Aufsätzen von 37 Autorinnen und Autoren gegliedert:
- Lebenswelten – Lernwelten
- Fachliche Kompetenzen und schulische Handlungsfelder
- Handlungskonzepte, Arbeitsschwerpunkte und Adressaten
- Professionelles Handeln in psychosozialen Problemlagen
- Rechtsgrundlagen für die Praxis Sozialer Arbeit
- Bildung, Jugendhilfe und Schule
Die Deutsche Nationalbibliothek bietet Einblick in das vollständige Inhaltsverzeichnis.
In der Einleitung betonen die beiden Mitherausgeber Erich Hollenstein und Frank Nieslony, dass die praxisorientierten Beiträge des Handbuchs einen Beitrag dazu leisten sollen, eine neue „Beziehungskultur zwischen den Erziehungsfeldern Jugendhilfe und Schule“ (S. 10) anzubahnen. Dies sei vor dem Hintergrund der Diskurse um ganzheitliche Bildung, Ganztagsschule und Inklusion sowie den daraus erwachsenden Herausforderungen eine wesentliche Fortentwicklung des Bildungssystems, um die „Handlungswirksamkeit nicht zu verlieren“ (S. 11).
Im ersten Kapitel wird das Handlungsfeld der Schulsozialarbeit im Sinne einer Standortbildung analysiert und aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet: Auf der Basis eines erweiterten Bildungskonzeptes, das informelle und non-formale Aspekte besonders berücksichtigt, werden Dimensionen einer außerunterrichtlich vermittelbaren Bildung im Rahmen von fünf Beiträgen vorgestellt.
Unter non-formaler und informeller Bildung kann man etwa, dem Beitrag von Wolfgang Mack folgend, solche Formen von Schulsozialarbeit verstehen, die „Bildung als aktiven und eigenständigen Prozess von Kindern und Jugendlichen im schulpflichtigen Alter unterstützt: Unterstützung und Förderung in Bezug auf einen erfolgreichen Schulbesuch und erfolgreiche Schullaufbahnen sind dabei ebenso wie die Vermittlung von schulischen Erwartungen und lebensweltlichen Erfahrungen, Einstellungen und Hintergründen Aufgaben von Schulsozialarbeit.“ (S. 31)
Des Weiteren betont der Beitrag von Ulrich Deinet zu „Schulsozialarbeit zwischen Schule, Sozialraum und Bildungslandschaft“, dass der Schulsozialarbeit eine „Scharnierfunktion“ (S. 50) zukommt zwischen Schule, Lebenswelten der Kinder und Jugendlichen sowie den außerschulischen Bildungsorten.
Das zweite Kapitel zu fachlichen Kompetenzen und schulischen Handlungsfeldern umfasst neun Aufsätze. Darin geht es u.a. um das Handlungsfeld der Schulsozialarbeit. Dazu stellen Erich Hollenstein und Frank Nieslony in einem kompakten Beitrag fest, dass sechs Kernleistungen in der Praxis der Schulsozialarbeit im Zentrum stehen: Beratung und Begleitung einzelner Schüler, sozialpädagogische Gruppenarbeit, offene Gesprächs-, Kontakt- und Freizeitangebote, Projektmitwirkung und Zusammenarbeit mit dem Schulkollegium und den Eltern sowie „Kooperation und Vernetzung im Gemeinwesen“ (S. 69). Damit verknüpft sind Fragen nach der Evaluation und der Supervision. Ferner werden spezifische Formen von Schulsozialarbeit für verschiedene Schulformen (Grundschulen, allgemeinbildende Schulen, Berufsschulen, Förderschulen) differenziert und facettenreich erläutert.
Mit „Handlungskonzepte, Arbeitsschwerpunkte und Adressaten“ ist das dritte Kapitel des Handbuchs, mit 17 Beiträgen das umfangreichste, überschrieben. Darunter subsumiert finden sich so heterogene Aspekte wie die Arbeit mit allen an Schule Beteiligten (wie Schülern, Eltern, Lehrkräften, Schulpsychologen usw.), aber auch adressatenspezifische Angebote zu Migration (mit Schwerpunkt Flucht- und Vertreibungserfahrungen), Inklusion, Berufsorientierung, Gender, Peergruppen, Gesundheit, Armutsprävention, Gewalt oder Medien.
Angelika Isers Beitrag zu „Beratung und Beziehungsarbeit im schulischen Kontext“ betont bei dieser Aufgaben- und Einsatzfülle: „Beratung und Beziehungsarbeit gehören zum zentralen Kern einer gelingenden Schulsozialarbeit. (…) Im Sinne einer lebensweltorientiert sozialpädagogischen Beratung will Beratung in der Schulsozialarbeit ‚Alltagsprobleme einerseits unverkürzt, andererseits professionell‘ angehen, sie ist also für alle Themen offen und zielt auf eine ‚am Handeln von Betroffenen ausgerichtete gemeinsame Erforschung von Problemen und Problembezügen‘.“ (S. 147/149).
Das vierte Kapitel hat eine hohe Alltags- und Praxisrelevanz, indem es ausgewählte Problemlagen in der Schule vorstellt, die im Rahmen der Schulsozialarbeit zu bewältigen sind. Zentrale Aspekte der vier Beiträge sind die Kindeswohlgefährdung, Schulversagen und Absentismus, Konfliktmediation und Suchtprävention.
Im fünften Kapitel werden rechtliche Grundlagen der Sozialen Arbeit mit Bezug auf das System Schule diskutiert. In kompakten Aufsätzen werden arbeitsrechtliche Aspekte der Stellung der Schulsozialarbeiter, der Schweigepflicht, des Datenschutzes und des Zeugnisverweigerungsrechts sowie des Medienrechts erläutert.
Das sechste Kapitel beinhaltet lediglich einen Beitrag: Hans-Uwe Otto betrachtet in Thesenform das Verhältnis von Jugendhilfe und Schule und konstatiert hinsichtlich des aktuellen fachlichen Standorts der Schulsozialarbeit: „Die bildungstheoretische Begründung der schulischen Pädagogik liegt im Kern auf erlernbaren Kompetenzen durch systematisch-didaktische Formen als steigerbare kognitive Anstrengungen (…) Im Bereich der sozialpädagogischen Aktivitäten geht es davon abgesetzt (…) um eine individuelle Forderung des Entwicklungsvermögens des Kindes oder des/der Jugendlichen“ (S. 348).
Diskussion
Die Vielfalt der behandelten Themen und die Fülle an Informationen macht das „Handbuch der Schulsozialarbeit“ zu einer wichtigen Anlaufstation für erste Orientierung in einem rasant wachsenden Berufsfeld: Mittlerweile (Stand: 2013) seien „rund 8.000-10.000 Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter“ (S. 69) im komplexen Handlungsfeld Schule tätig, eine Fülle an Einsatzfeldern wird überblicksartig beleuchtet, mit allen Folgen hinsichtlich Professionalisierungsgrad, wissenschaftlicher Begleitforschung und begrifflich-konzeptioneller Unschärfe. Eine gewisse Ordnung in dieses dynamische Berufsfeld möchte das Handbuch bringen und zugleich die Brücke zu den Lehrkräften an den Schulen vor Ort schlagen, wie einleitend hervorgehoben wird: „Die verantwortlichen Herausgeber würden sich freuen, wenn auch in der Lehrerschaft das fachliche Profil der Schulsozialarbeit als notwendige Voraussetzung zur Erreichung gelingender Schulen erkannt würden.“ (S. 13) Dies gelingt den Beiträgen in der Regel in schlüssiger und auch für Berufseinsteiger und erste Orientierung Suchende in nachvollziehbarer Weise. Der Nutzwert des Handbuchs hätte jedoch durch ein Personen- und Stichwortregister gesteigert werden können.
Fazit
Das auf zwei Bände angelegte „Handbuch der Schulsozialarbeit“ bietet im ersten Band 38 Beiträge zu relevanten Arbeits- und Handlungsfeldern der Schulsozialarbeit, die von fachlich ausgewiesenen Autorinnen und Autoren, zumeist Hochschullehrkräften und praktizierenden Sozialarbeitern, verfasst wurden. In der Regel kompakt gehalten und kaum über zehn Druckseiten hinausgehend, bieten die Aufsätze einen ersten Einstieg in die Themenfelder offensiv-emanzipatorische Schulsozialarbeit, schulische Handlungsfelder, Adressaten und Arbeitsschwerpunkte, psychosoziale Problemlagen, Rechtsgrundlagen sowie das Verhältnis von Bildung, Jugendhilfe und Schule. Dank der Kontextualisierung und Bezugnahme auf aktuelle gesellschaftliche Entwicklungstendenzen wie Migration, Inklusion oder Suchtprävention entsteht ein facettenreiches Bild der beruflichen Tätigkeitsfelder.
Rezension von
Dr. Torsten Mergen
Universität des Saarlandes, Fachrichtung 4.1
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