Henning Ottmann, Stefano Saracino u.a. (Hrsg.): Gelassenheit - und andere Versuche zur negativen Ethik
Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 10.07.2015

Henning Ottmann, Stefano Saracino, Peter Seyferth (Hrsg.): Gelassenheit - und andere Versuche zur negativen Ethik.
Lit Verlag
(Berlin, Münster, Wien, Zürich, London) 2014.
297 Seiten.
ISBN 978-3-643-12552-1.
34,90 EUR.
Politische Philosophie und anthropologische Studien, Vol. 4.
Thema
„Das Gute, dieser Satz steht fest, ist stets das Böse, das man lässt!“ Der am 15. April 1832 in Wiedensahl im Hannöverschen geborene und am 9. Januar 1908 in Mechtshausen verstorbene Dichter und Humorist Wilhelm Busch muss für Vieles herhalten, wenn es darum geht, Vertracktes, Unerklärbares, Merkwürdiges und Seltsames so auszudrücken, dass es trotzdem verständlich ist. Bei dem Begriff „Gelassenheit“ geht es um so eine Angelegenheit. Was ist über diese menschliche Tugend nicht alles gedacht, gesagt und fabuliert worden? Welche treffenden und unzutreffenden Eigenschaften werden damit verbunden? (Asfa-Wossen Asserate, Deutsche Tugenden. Von Anmut bis Weltschmerz, 2012, www.socialnet.de/rezensionen/15390.php). Soeben wurde ein Buch neu aufgelegt, mit dem der Philosoph und Ethiker Dieter Birnbacher vor zwanzig Jahren die Unterscheidung zwischen „Tun und Unterlassen“ vorgenommen hat (Dieter Birnbacher, Tun und Unterlassen, 2015, 330 S.). Der Musiker und an der Zürcher Universität Literaturwissenschaft lehrende Thomas Strässle macht sich in dem Bändchen „Gelassenheit“ daran, den schwierigen Begriff auf Herkunft und Gebrauch zu untersuchen, und zwar Bedeutung und Wirkung der Tugend „mit Blick auf die Tradition für die Gegenwart zu konturieren“ (Thomas Strässle, Gelassenheit. Über eine andere Haltung zur Welt,. 2013, www.socialnet.de/rezensionen/14938.php).
Entstehungshintergrund und Herausgeberteam
Das Bemühen, Zugang und Erkennen von Begriffen zu finden, die in vielfältiger Weise Kennmarken für menschliche Eigenschaften und menschliches Verhalten sind, wird meist verbunden mit dem Aufzeigen von Bildnissen und Exemplaria, und mit der Aufforderung, Gewohntes quer zu denken und damit einen Perspektivenwechsel beim festgelegten Tun oder Lassen vorzunehmen. Bei der Annäherung an den Begriff „Gelassenheit“ bietet sich an, einen „locus amoenus“, also einen wünschenswerten, „lieblichen“ und idealisierten Ort zu suchen, an dem es lohnt und vielleicht auch nur möglich ist, über die Tugend nachzudenken, die in den Mentalitäten und (vermeintlichen wie tatsächlichen) Zwängen des funktionalistischen und rationalistischen Denkens und Handelns unterzugehen droht. Ein solcher Ort könnte vielleicht die Fraueninsel im Chiemsee sein, jedenfalls nach der Meinung einer Gruppe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die sich der philosophischen Richtung der „Negativen Ethik“ zugehörig fühlen. Die Denkrichtung gründet auf der Überzeugung, dass die anthropologische, moralphilosophische Betrachtung vom „guten Leben“ nicht mit einem moralischen Apercus, sondern mit einer Gesellschaftskritik (Adorno) verbunden sein müsse, oder anders mit Schopenhauer und Heidegger und den neuen „Negativen Ethikern“ ausgedrückt: „Negative Ethik bricht den Primat, den die Neuzeit dem Tun und Machen zuerkennt. Ihre erste Frage ist nicht ‚Was sollen wir tun?‘, sondern ‚Was sollen wir lassen?‘“.
Aus Anlass der Emeritierung des am Geschwister-Scholl-Instituts für Politikwissenschaft der Ludwig-Maximilians-Universität München lehrenden Philosophen Henning Ottmann haben seine Schüler und Weggefährten 2010 an einem „locus amoenus“, der Fraueninsel im Chiemsee, ein Symposium durchgeführt. Die Beiträge werden mit dem Sammelband vorgelegt. Die Sozialwissenschaftler Stefano Sarracino und Peter Seyferth geben das Buch heraus.
Aufbau und Inhalt
Henning Ottmann leitet den Band ein, indem er die vielfältigen Begriffe zum Buchtitel im Sinne der „Negativen Ethik“ benennt und ihre Relevanz zum Begriff „Gelassenheit“ aufzeigt: „Unterlassen“, „Weglassen“, „Loslassen“, „Verlassen“, „Geltenlassen“, „Freilassen“, „Seinlassen“…, und daraus einen Definitionsversuch bastelt: „Gelassenheit ist nicht Zerstreuung, sondern Sammlung, Konzentration auf das, was dem Menschen wesentlich ist“.
Der Münchner Politikwissenschaftler Christian Schwaabe setzt sich mit seiner Frage „Gefangen im Gehäuse der Rastlosigkeit?“ mit den aktivistischen, pathologischen (vgl. dazu auch: Christophe Dejours, Hrsg., Klinische Studien zur Psychopathologie der Arbeit, 2012, www.socialnet.de/rezensionen/13188.php) Zeiterscheinungen auseinander. Er stellt der „Welt des homo hyper-acitivus“ die des „homo activus“ gegenüber und fragt, ob es im „falschen Leben“ nicht vielleicht doch ein „richtiges“ geben könne, und er findet Lichtblicke und aktive Formen für eine „Rastlosigkeitsresistenz“ in der Negativen Ethik.
Der Philosoph von der Universität Freiburg und Direktor der Friedrich-Nietzsche-Stiftung in Naumburg, Andreas Urs Sommer legt „Negativ-ethische Handreichungen zur Gelassenheit“ vor. Mit dem Bonmot, er wolle mit seinem Beitrag die Gelassenheit nicht einfach lassen, etwa im Giftschrank der Geistesgeschichte als etwas, was sowieso nicht zu ändern sei, sondern sich daran machen, die im historisch-philosophischen Diskurs in vielfältigen Benennungen und Interpretationen benutzten Begrifflichkeiten zur „Gelassenheit“ aufzuspüren; vom religiösen Ursprung, über metaphysische und esoterische Herleitungen, bis hin zu den Fragen, wie Gelassenheit gerade in der „hektischen“ Moderne „gelassen“ gelebt werden kann; eben nicht mit sowieso nicht erfüllbaren und höchstens ideologisch vermittelten Ansprüchen, alles wissen und Letztbegründungen verstehen zu wollen; und schon gar nicht, ignorant und uninteressiert alles sein zu lassen, sondern wach und aufmerksam „immer wieder alles neu und anders zu sehen“.
Der Philosoph von der Boğaziçi-Universität in Istanbul, Manuel Knoll, reflektiert mit seinem Beitrag „Prolegomena zu einer negativen Ethik des Denkens“ Heideggers Gedanken zur Technikphilosophie; eine äußerst aktuelle Auseinandersetzung angesichts der Technikversessenheit und des scheinbar alternativen Ausgeliefertseins an die besitzergreifende Technikentwicklung. Wenn etwas dran ist an der Auffassung der Skeptiker, dass Wahrheit die Erfindung eines Lügners sei (Heinz von Foerster), macht es Sinn, auf den Heideggerschen, philosophischen Diskurs über „die Wandlungen des Wesens der Wahrheit und der Mensch als Zentrum des Seienden“ zu schauen und dabei die positiven und negativen Wirkungen des Denkens als zum einen „vorstellendes und rechnendes Denken“, und zum anderen als „besinnliches Denken“ zu entdecken. Daraus entwickelt Knoll seine Empfehlungen für eine praktische, negative Ethik, nämlich „den herrschaftlichen oder gewaltsamen Zugriff des denkenden Subjekts auf das Objekt (zu) unterlassen; es ebenfalls sein zu lassen“, „sich mit den menschlichen Begriffen des Seienden zu bemächtigen“; es zu unterlassen, „das gesamte Seiende auf den Menschen zuzustellen“; ebenso zu unterlassen, „sich als Mitte und Zentrum des Seienden anzusehen“ (vgl. dazu auch: Wolfgang Welsch, Homo mundanus. Jenseits der anthropischen Denkform der Moderne, 2012, www.socialnet.de/rezensionen/14323.php).
Der Münchner Philosoph und Politikwissenschaftler Michael Hirsch orientiert sich mit seinem Vorschlag „Was man alles weglassen könnte“, ebenfalls an Adorno und Heidegger. Er bürstet dabei quer die scheinbar unkorrigierbaren und in Stein gehauenen Vorstellungen von „Fortschritt“, indem er die Alternative „Weniger ist mehr“ aufzeigt. Dabei setzt er sich mit dem Ottmannschen philosophischen Frage auseinander: „Was sollen wir besser lassen?“. Hirsch diskutiert, ob diese Forderung „unter den heutigen gesellschaftlichen Bedingungen, die durch vielfältige Handlungszwänge auf allen Ebenen charakterisiert sind, primär eine ethische oder eine politische Frage“ sei. Er differenziert den Diskurs um die negative Ethik zum einen in eine konservative, zum anderen eine progressive Richtung und empfiehlt, weder das eine abzulehnen, noch das andere absolut zu setzen, sondern zu einer Versöhnung der unterschiedlichen Positionen zu kommen. Dazu bietet er seinen kategorischen Imperativ einer negativen Ethik an: „Das was ist, richtig zu gebrauchen und (zu) würdigen“. Diese scheinbar pragmatische Position jedoch wird zu etwas Neuem durch die Forderung, neue Lebensformen und Gewohnheiten zu entwickeln, neue politische Richtungsentscheidungen zu treffen und neue Regeln für Berufe und soziale Handlungssysteme zu schaffen. Dem Rezensenten erinnern diese Visionen an die Aufforderungen zum Perspektivenwechsel, wie sie u. a. 1995 von der Weltkommission „Kultur und Entwicklung“ formuliert wurden: „Die Menschheit steht vor der Herausforderung umzudenken, sich umzuorientieren und gesellschaftlich umzuorganisieren, kurz: neue Lebensformen zu finden“ (Deutsche UNESCO-Kommission, „Unsere kreative Vielfalt“, zweite, erweit. Ausgabe, Bonn 1997, S. 18).
Die Philosophin von der Hochschule Coburg, Elke Schwinger, plädiert mit ihrem Beitrag „Vom gelassenen Umgang mit der Normativität von Demokratiepädagogik“, indem sie sich dafür einsetzt, die im pädagogischen und politikwissenschaftlichen Konzept postulierten Wertvorstellungen und Zielsetzungen für zivilgesellschaftliches Denken und Handeln im Spannungsfeld von Gelassenheit bis Widerständigkeit zu diskutieren: „Angesichts einer immer strikter vorangetriebenen Integration des deutschen Schul- und Bildungssystems in europaweite, wie auch globale Wettbewerbsbedingungen ist zu erkennen, dass die Zielsetzung der Demokratiepädagogik, nämlich ‚Demokratie als Lebensform‘ nicht auf der personal-individualistischen Ebene im Sinne ethischer Handlungsorientierung allein durchzusetzen ist, sondern auf die Sicherung adäquater Freiräume durch Demokratie als Gesellschafts- und Herrschaftsform angewiesen bleibt“.
Der Münchner Politikwissenschaftler Markus Schütz thematisiert „Negative Ethik in politischen Entscheidungen“, indem er die ethischen Verhaltensweisen Handlungen und Unterlassungen in Beziehung bringt zu den Maximen der Politischen Philosophie und der negativen Ethik. In beiden Disziplinen findet er Grundlagen für praktisches, philosophisches Denken; vor allem aber als Grundbestand das kritische Denken, das zu verhindern vermag, dass Philosophie unmittelbare Handlungsanweisungen oder Vorschläge für eine erlösende Wirklichkeit anbieten könnte. „Vielmehr besteht ihre unmittelbare Wirkmacht in der Rekonstruktion konfliktlösender Potentiale, die in der Realität in habituellen, sprachlichen oder institutionellen Praxisformen verkörpert sind".
Die Journalistin und Redakteurin von „Widerspruch“, der Münchner Zeitschrift für Philosophie, Helga Sporer, fragt mit ihrem Beitrag „Negative Ethik und Vertrauensethik“ danach., ob Vertrauen von Handlungsimperativen entlasten kann. Die Zwillingsbrüder von Vertrauen sind eben auch Misstrauen und Kontrolle; und es gilt, sie weder aus- noch grundsätzlich einzuschließen: „Alle Handlungen, auch die Nicht-Handlungen, zu denen die Imperative der Negativen Ethik aufrufen, sind in eine offene Zukunft gerichtet, in der immer ein unkontrollierbares Risiko bleiben wird“. Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass der wissenschaftliche Diskurs um die Vertrauensdividende in den letzten Jahren interdisziplinär eine Reihe von Veröffentlichungen hervorgebracht hat (Martin Hartmann, Bernhard Rathmayr, Siegfried Schumann, Markus Weingardt…).
Stefano Saracino setzt sich mit seinem Beitrag „Schweigen als Tugend und Kunst“ mit Charaktereigenschaften des Höflings aus der Renaissancezeit auseinander, wie sie sich in der frühneuzeitlichen Hofmannsliteratur darstellen. Er fragt nach der Bedeutung des Schweigens, im Gegensatz zum Reden und aktiven Entscheidens. Dabei identifiziert er nicht in erster Linie passives Seinlassen, oder gar „Aussitzen“, sondern geistige Grundhaltungen, wie passiver Widerstand, innere Emigration, Selbstgenügsamkeit, Standhaftigkeit und Unerschütterlichkeit, natürlich eingebunden in staatsräsonale Pflichten und Moralvorstellungen am absolutistischen Herrscherhof. In den historischen Traktaten findet der Autor eine Reihe von Beweisstücken, die zu der Frage führen, ob in der höfischen Kultur das Schweigen als eine Tugend, oder eine Kunst verstanden wurde; und er kommt zu der Einschätzung, dass Schweigen im höfischen Kontext als Tugend der Mäßigung zu verstehen sei. Die Frage, ob oder inwieweit diese historische Tugend Hier und Heute von Bedeutung sein könnte, thematisiert der Autor allerdings nicht.
Peter Seyferth stellt mit seinem Beitrag „Arbeitsverweigerung adelt“ Bausteine für eine negative Arbeitsethik vor. Dabei skizziert er eine „Anti-Arbeits-Utopie“, in der nicht der „Faulpelz“ den Ton angibt, sondern der kritische, lebenstüchtige und freie „Edelfaulpelz“, der kein Workaholic ist und die Mechanismen von Ausbeutung und Gier durchschaut. Dabei prüft er die in der Negativen Ethik, u. a. auch bei Henning Ottmann vorfindbaren Argumentationen, bei denen es darum geht, zwischen „Nicht-Arbeiten“ und „Nichts-Tun“ zu unterscheiden, wie sie sich in den „Imperativen des Lassens“ darstellen, also das zu lassen, was schon besser getan worden ist, als man es selbst tun könnte; überhaupt das zu lassen, was andere besser tun als wir; lassen, was schon aus sich selber werden kann, was es sein soll; das zu lassen, was zum Überwiegen schlechter über gute Folgen führt; und das zu lassen, was man sowieso nicht ändern kann. Strittig, ganzheitlich und gesellschaftlich kritisch betrachtet werden dürfte, dass der Autor (qua Ego?) als Idealtypen für sein Konzept gegen die Arbeit Beispiele anführt, die eher gegen seinen Aufruf „Proletarier aller Länder, macht Schluss!“ sprechen: den Faulheitsaristokraten, den Dandy, den Bohemien und den Revolutionär.
Der Hamburger Germanist Leonhard Fuest schaut mit seinem Beitrag „Das Geheimnis der Unruhe“ im Werk von Giorgio Agamen nach, wie er die Themen „Werklosigkeit“ bzw. „Entwerkung“ (dés?vrement) in Zusammenhang mit dem „Nicht(s)tun“ bringt. Dabei filtert Fuest Eigenschaften heraus, die als Chiffren einer „Negativen Ethik“ erkennbar werden: Abschalten, traurige Potenzen, freudige Esoterik, Träumen, mit der Aufforderung: Träum weiter!“, nicht als Abwertung und Aussetzung, sondern eher als Innehalten und Nachdenken.
Der Düsseldorfer Philosoph Miguel
Skirl, der an seiner Habilitationsschrift arbeitet, stellt an den
Homo absconditus („Als ein in der Welt ausgesetztes Wesen ist der
Mensch sich
Die Medienwissenschaftlerin und Fotografin vom Institut für Medien, Theater und Populäre Kultur an der Universität Hildesheim, Evelyn Runge, untersucht mit ihrem Beitrag „Negative Ethik und Fotografie“ die Möglichkeiten, wie sich die beiden Wertvorstellungen und Ausdrucksformen gegenseitig beeinflussen und ergänzen können: „Negative Ethik und Fotografie begegnen sich auf verschiedenen Ebenen, in Leiblichkeit und Entkörperung, in Nähe und Ferne, auf individueller und institutioneller Ebene“. Bezogen auf die Ottmann´schen Imperative von der Negativen Ethik verweist die Autorin auf eine Reihe von Aha-Erlebnissen für Journalismus und Fotografie: Es ist die „Rückgewinnung des Blicks“, die sich in Entscheidungen ausdrücken, wie: „ein Foto nicht zu machen, sei es aus einer individuellen Entscheidung, weil dem Fotografen die Situation selbst zu nahe geht oder unangenehm ist“, „ein Foto nicht zu machen, weil der potenziell zu Fotografierende nicht damit einverstanden ist“, „ein bewusstes Sehen im Realraum und in der Wahrnehmung der Echtzeit“ und „dass Medien sich nicht zu Gehilfen visueller Letztrisiken machen sollten“.
Der Freiburger Politikwissenschaftler und Historiker Matthias Eberl beschließt den Sammelband mit seiner Nachschau über den Sinn des Sich-Einlassens: „Der Fundus der Philosophie“. Mit seinen Gedanken über „Erkenntnis zieht Grenzen“ begibt er sich mit Ottmanns Imperativen auf mehrere Begriffsfelder, mit denen er ein „Lob des Lassens“ ausspricht, sich mit dem Dilemma auseinandersetzt, was im (philosophischen) Denken und Tun Vorrang haben sollte: „das gelassene Vertrauen in die Welt, welches sich mit einer Unbeteiligtheit am Bösen begnügen möchte, oder der verantwortungsethische Impetus, das Überwiegen schlechter Folgen zu verhindern?“. Bei der Suche nach dem „Fundus“ der Philosophie gelangt er zu der Erkenntnis, dass Vielfalt mehr ist als Einfalt, und zum Esel von Andy Merrifield, der ihn im französischen Massif Central in ein abgelegenes Dorf in der Auverne bringt, wo Andy sich mit seiner Familie niederlässt und zum Klassiker der Entschleunigungs-Literatur wird.
Fazit
Vom „locus amoenus“, dem Ort auf der Fraueninsel im Chiemsee, bis zum abgelegenen Dorf in der Auverne; wenn das nicht sichtbare und gleichzeitig verborgene Signale sind, in welcher Spannweite sich die „Negative Ethik“ bewegt. Das Nachdenken über „Gelassenheit“, wie das Propagieren von Einstellungen und Verhaltensweisen und das Leben zu entschleunigen, sind Hinweise darauf, dass die im Zeitalter der medialisierten, technisierten und kapitalisierten Moderne entstandenen Entwicklungen verändert werden sollten, hin zu dem Lebensmut:„Let it be“. Dass dieser Perspektivenwechsel in gar keiner Weise als Ewig-Gestriges und Überholtes zu verstehen ist, sondern mit dem „Mut zu lassen“ neue, gegenwartsbezogene und zukunftsorientierte, humane Perspektiven aufzeigt, vermitteln die einzelnen Beiträge in differenzierter und überzeugender Weise.
Um zum Schluss noch einmal Wilhelm Busch zu bemühen: „Hass, als Minus und vergebens, / Wird vom Leben abgeschrieben. / Positiv im Buch des Lebens / Steht verzeichnet nur das Lieben. / Ob als Minus oder Plus / Uns verbleiben, zeigt der Schluss“. Das philosophische Bemühen, das Gute im Leben der Menschen zu entdecken, anschaulich zu machen, zu vermitteln und zu befördern wird mit vielfältigen Konzepten, Theorien und Praktiken seit Menschengedenken versucht. Die „Negative Ethik“ ist eine davon! Sie erhebt zum Glück nicht den alleinseligmachenden, alleingültigen Anspruch auf Wahrheit!
Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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Zitiervorschlag
Jos Schnurer. Rezension vom 10.07.2015 zu:
Henning Ottmann, Stefano Saracino, Peter Seyferth (Hrsg.): Gelassenheit - und andere Versuche zur negativen Ethik. Lit Verlag
(Berlin, Münster, Wien, Zürich, London) 2014.
ISBN 978-3-643-12552-1.
Politische Philosophie und anthropologische Studien, Vol. 4.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/18926.php, Datum des Zugriffs 27.03.2023.
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