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Bernd Maelicke: Das Knast-Dilemma. Wegsperren oder resozialisieren?

Rezensiert von Dipl. Soz.-Arb. Monica Wunsch, 15.06.2015

Cover Bernd Maelicke: Das Knast-Dilemma. Wegsperren oder resozialisieren? ISBN 978-3-570-10219-0

Bernd Maelicke: Das Knast-Dilemma. Wegsperren oder resozialisieren? Eine Streitschrift. C. Bertelsmann (München) 2015. 288 Seiten. ISBN 978-3-570-10219-0. D: 19,99 EUR, A: 20,60 EUR, CH: 28,50 sFr.

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Thema

Bietet der Rechtsstaat in Deutschland durch sein Strafrecht seinen Bürgerinnen und Bürgern ein hohes Maß an Sicherheit und Lebensqualität? Ist durch Strafvollzug eine sozial gerechte Konfliktlösung zu erreichen, die nachhaltig wirkt? Ist eine Verbesserung des Strafrechts überhaupt zielführend oder muss nicht viel eher ein Ersatz für das Strafrecht gesucht werden das verantwortliches und konstruktives Handeln aller Beteiligten fördert und damit zu einer sozialen, das eigene Tun reflektierenden Gesellschaft beiträgt?

Bernd Maelicke fordert mit seiner persönlichen Zwischenbilanz eine differenzierte Auseinandersetzung zum Thema „Wegsperren oder resozialisieren?“.

Autor

Professor Bernd Maelicke, Jahrgang 1941, ist Jurist und Sozialwissenschaftler und gehört zu den renommiertesten Experten seines Faches.

Sein besonderes Augenmerk und seine Leidenschaft gelten der Kriminal- und der Sozialpolitik in all ihren Facetten. Seit über 50 Jahren beschäftigt er sich mit dem Thema Resozialisierung.

Von 1990 – 2005 war Bernd Maelicke Ministerialdirigent im Ministerium für Justiz, Frauen, Jugend und Familie, Kiel, Abteilung „Strafvollzug, Soziale Dienste der Justiz, Freie Straffälligenhilfe, Gnadenwesen“. 2012 wurde ihm das Bundesverdienstkreuz verliehen.

Seine Schwerpunkte liegen in der intensiven Auseinandersetzung zur ganzheitlichen und nachhaltigen Entwicklung der Sozialwirtschaft, der innovativen und zukunftsorientierten Organisationsentwicklung, der adäquaten Aus-, Fort- und Weiterbildung von Fach- und Führungskräften im Bereich Sozialmanagement und in der Beratung von sozialen Dienstleistungsorganisationen und (Resozialisierungs-)Projekten.

Bernd Maelicke hat über 200 Fachaufsätze und über 40 Fachbücher publiziert. Er ist Mitbegründer der Fachzeitschriften Neue Kriminalpolitik, „Sozialwirtschaft“, „Seniorenwirtschaft“ und der „Edition Sozialwirtschaft“. Von 2007 bis 2013 war er Redaktionsleiter der Zeitschrift für Strafvollzug und Straffälligenhilfe Forum Strafvollzug.

Als Gründungsdirektor des Deutschen Instituts für Sozialwirtschaft e.V. (DISW) findet sich seine ausführliche Vita unter http://institut-sozialwirtschaft.de/index.php?id=46.

Aufbau und Inhalt

Das Buch ist in fünf Kapitel unterteilt.

Im ersten Teil „Von geraden Wegen und krummen Bahnen“ beschreibt er Ausschnitte seiner Kindheit, seine Zugehörigkeit zu einer Peer Group die zunehmend kriminell wurde, berichtet von der Veränderung durch einen positiven Turning Point. Am Beispiel des Straftäters Timo S. beschreibt Maelicke die unterschiedlichen Stufen und Facetten einer langjährigen strafrechtlichen Karriere und die Spirale der Eskalation. Weiter gibt er einen Überblick über die historische Entwicklung des Strafsystems, die sog. Klosterhaft, der Errichtung von Zuchthäusern zur Umerziehung sog. Vagabunden, Bettler, Arbeitsunwilliger und Prostituierter im 16. Jh., die Veränderung der Gerichtsurteile von Leibesstrafen zu Freiheitsstrafen und weiterer umfassender Reformen Anfang des 19. Jh. mit dem Ziel der totalen Überwachung der Gefangenen. Er beschreibt die Ergänzung durch die Einführung des sog. Stufenstrafvollzuges als konzeptionelle Grundlage für den Resozialisierungsvollzug.

Anhand der Inhaftierung und Haftzeit von Timo S. beschreibt Maelicke das Vollzugsziel, den Regelvollzug, veranschaulicht beispielhaft typische interne Prozesse und Verhaltensweisen der Gefangenen und des Anstaltspersonals bis hin zur Entlassung und der Konfrontation mit der Lebenswirklichkeit eines auf Bewährung Entlassenen.

Im zweiten Teil schildert Maelicke seine Suchbewegungen nach etwas Besserem als Strafvollzug. Er greift noch mal seine eigene biographische Entwicklung auf, beschreibt das Kennenlernen seiner Frau und ihres Vaters Kurt Eickmeier als zentrale Schlüsselpersonen für seine berufliche und fachliche Entwicklung. Er berichtet von den strukturellen und inhaltlichen Veränderungen der JVA Preungesheim unter Helga Einsele, von Modellprojekten und Forschungsergebnissen, z.B. bzgl. der Implementierung einer umfassenden internen Entlassungsvorbereitung und der Errichtung einer „Anlaufstelle für straffällig gewordenen Frauen“ zur Einführung und Sicherstellung eines professionellen Netzwerkes im Übergang zwischen Haft und Freiheit.

Im dritten Teil gibt er Einblicke in seine Zeit beim Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik (ISS) sowie als Ministerialdirigent im Justizministerium Schleswig-Holstein. Er beschreibt das im Auftrag der Landesregierung durchgeführte zweiteilige Forschungs- und Entwicklungsprojekt zur Überprüfung des Resozialisierungssystems und seine bis heute geltenden Auswirkungen. Er berichtet von Schwierigkeiten bei der operativen Umsetzung wissenschaftlicher Studien, beleuchtet interne und externe Kämpfe zur Absicherung der Neuerungen im Strafvollzug und in den ambulanten sozialen Diensten. Zum Schluss zieht er eine Zwischenbilanz der Resozialisierungspolitik in Schleswig-Holstein.

Im vierten Teil werden unter der Überschrift „Wegsperren oder resozialisieren?“ knasteigene Wirklichkeiten in Verbindung mit themenbezogenen Studien und empirischen Daten zu Drogen, Subkultur, Sexualität und Beziehungen dargelegt. Maelicke geht auf das Problem der Ersatzfreiheitstrafen ein – ca. 50.000 Menschen verbüßen jährlich eine Freiheitsstrafe weil sie nicht in der Lage sind ihre Geldstrafe zu bezahlen – und gehören oftmals einer Bevölkerungsgruppe an die nicht nur arm sondern auch krank ist. Weiter beschreibt Maelicke die unterschiedlichen Regelungen der Länder zum offenen Vollzug als „löchrigen Flickenteppich“, der in keiner Form den Anforderungen eines resozialisierungsorientierten Vollzugs entspricht. Er geht auf die Kosten des Strafrechtssystems ein, auf die sog. Rückfallforschung, auf die Bewährungshilfe und Führungsaufsicht sowie auf die dritte Säule der Resozialisierung: die Freie Straffälligenhilfe.

Im fünften Teil werden weiterführende Perspektiven entwickelt. Maelicke diskutiert hier Fragen: „Wer gehört eigentlich ins Gefängnis? Sozialtherapie für alle?“, geht kurz auf das Problem der Drogenabhängigkeit ein, bespricht die Notwendigkeit der Optimierung des ambulanten und stationären Hilfesystems und stellt innovative erfolgreiche Maßnahmen und Angebote dar. Ein Ersatz für das geltende Strafrecht ist das Konzept der sog. Restorative Justice, die unter maßgeblicher Beteiligung der Opfer nach alternativen Konfliktlösungsformen sucht und als primäres Ziel die Wiedergutmachung materieller und immaterieller Schäden anstrebt.

Diskussion

Die Stärkung der Gerichts- und Bewährungshilfe einhergehend mit dem Ausbau der Freien Straffälligenhilfe zur Realisierung eines umfassenden Netzwerkes ambulanter und stationärer (Resozialisierungs-)Angebote – das Aufgreifen fachlich erprobter und wissenschaftlich belegter erfolgreicher Arbeitsansätze und damit die kontinuierliche Verbesserung des Reso-Systems – braucht den Willen und den Mut zur Abkehr von der Handlungspraxis des „Wegsperrens“.

Um nachhaltige Veränderung zu ermöglichen, „…alles fachlich Mögliche und Erprobte tun, um Kriminalität zu verhindern und Opfer zu schützen“ (S.13), Rückfallquoten zu reduzieren und die hohen Kosten des Freiheitsentzuges, sozialer und finanzieller Art, massiv einzuschränken muss Aufgabe und Ziel der Politik und der Gesellschaft sein.

Bernd Maelicke konstatiert, dass um das Reso-System in Deutschland zu verbessern, Strategien, Konzepte, rechtliche und organisatorische Rahmenbedingungen grundlegend und dringend verändert werden müssen. Das hohe Engagement und die Innnovationsbereitschaft aller beteiligten Akteure, die an der Wiedereingliederung straffällige gewordener Menschen in die Gesellschaft arbeiten, lässt sich nicht durch restriktive Maßnahmen, Kürzungen und mangelnde Wertschätzung aufrechterhalten. Er fordert eine schonungslose und selbstkritische Analyse der Stärken und Schwächen des Reso-Systems um weniger Rückfälle, einen besseren Schutz der Opfer und einen wirksamen Einsatz der Mittel zu gewährleisten.

Fazit

Dieses Buch spiegelt die intensive Auseinandersetzung und Arbeit mit dem Thema Resozialisierung wieder, zeigt die Sinnlosigkeit und Ineffizienz von Ersatzfreiheitsstrafen auf, stellt die Gründe für den sog. Drehtürvollzug dar, zeigt realistische Möglichkeiten auf um leistungsfähige regionale und überregionale Resozialisierungsnetzwerke entstehen zu lassen, bildet erfolgreiche Projekte ab – deren Umsetzungen bundesweit auch als Regelangebote finanzierbar und realisierbar sind, fordert den Ausbau von Opferhilfen und Maßnahmen des Opferschutzes sowie die aktive Beteiligung der Opfer an adäquaten Formen der Wiedergutmachung ein.

Bernd Maelicke tritt mit dieser Veröffentlichung für eine wertschätzende, partizipierende, effektive und nicht zuletzt auch effiziente Resozialisierungspolitik ein, die ressourcen- und prozessorientiert den Menschen als handelndes und damit selbstwirksames Subjekt in den Mittelpunkt stellt.

Am meisten begeistert mich, dass dies endlich mal ein Buch ist, das von einer breiten Bevölkerungsschicht – auch weit ab von Fachpublikum - gelesen werden kann. Es ist leicht verständlich, bildhaft anschaulich, fachlich und persönlich.

Von einfacher Knastsprache bis hin zu gängiger fachlicher Amtssprache werden alle Vokabeln und Zusammenhänge genutzt, gehen ineinander über, tauchen ineinander ein. Historisch begründete sowie aktuelle sozialpolitische- und juristische Zusammenhänge eröffnen sich in interessantem, gut verständlichen Kontextwissen jeder Leserin/jedem Leser. Ein solches Buch schreiben zu können, bedeutet für mich, die Kunst der Informationsvermittlung zu beherrschen.

Rezension von
Dipl. Soz.-Arb. Monica Wunsch
Mercedes Monica Wunsch Dipl.-Soz.Arb. (FH) Geschäftsführender Vorstand Zug um Zug e.V. und Tochtergesellschaften (Köln)
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Es gibt 10 Rezensionen von Monica Wunsch.

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ISSN 2190-9245